Der Letzte druckt das Licht aus

In Leipzig steht die letzte Lichtdruckerei Europas. Nur noch fünf Menschen können die schweren, hundert Jahre alten Maschinen bedienen. Ein Handwerk stirbt aus.

Udo Scholtz beugt sich über die Maschine. Mit dem Ergebnis des Drucks ist der 65 jährige Werkstattleiter noch nicht zufrieden. Es ist zu hell. Er greift nach dem Farbtopf und trägt eine neue Schicht auf. Seit 47 Jahren steht er nun schon fast jeden Tag an der Maschine und trägt Farbe auf. Er weiß, jeder Druck könnte der letzte hier sein.

Im Druckkunstmuseum in Leipzig, in der zweiten Etage, stehen die letzten drei Maschinen, die noch im Betrieb sind. Mehr als hundert Jahre sind die Drucker schon alt. Bald könnten sie zu den schweigenden Buchdruck-Apparaten und Litographen aus der Renaissance-Zeit ins Erdgeschoss gestellt werden. Als Relikte einer anderer Zeit mit anderen Anforderungen.
Noch ist es jedoch nicht soweit. Die Werkstatt ist erfüllt vom strengen Geruch von Schmieröl und Ammoniak. Die schweren Zahnräder aus Stahl drehen sich weiter. Das Geräusch von Metall auf Metall ist der Klang von Widerstand, der nicht enden will. Der Lichtdruck lebt.

Nahezu alle Zeitungen und Bücher werden heutzutage im Offset-Verfahren hergestellt. Lichtdruck war sein Vorgänger und weit verbreitet. Wenn man Udo Scholtz fragt, wie seine alten Maschinen funktionieren, erzählt er gerne. Er legt den Farbspachtel beiseite und setzt sich neben den stählernen Apparat, der halb so breit ist, wie die ganze Werkstatt. Er hat die Geschichte schon oft erzählt. Seit 1868 gibt es die Technik, bei der direkt von einer Glasplatte gedruckt wird. Das Verfahren ähnelt der Fotografie: Das Original eines Bildes oder einer Handschrift wird unter eine lichtempfindliche Gelatine-Schicht auf einer Glasplatte gelegt. Diese bildet nun ein Quellrelief aus. Dichte Stellen im Bild bewirken ein tiefes Relief. Darin sammelt sich die Farbe, die so auf das Papier übertragen wird. Die Qualität ist bis heute unerreicht. Selbst die modernsten digitalen Drucker haben nicht die Auflösung, die ein Lichtdruck bietet. Die Kopie entspricht 1:1 der Vorlage. Teilweise sind die Drucke so gut, dass einige Betrüger schon versuchten die maschinelle Kopie als Original zu verkaufen. Scholtz lacht darüber stolz.

Doch die Technik hat einen Nachteil: Sie taugt nicht für die moderne Massenproduktion, die mehrere 10.000 Kopien von einem Original verlangt. Denn von einer Glasplatte können maximal tausend Drucke am Tag produziert werden, realistisch sind aber nur wenige hundert. Alles andere geht auf Kosten des Materials. Heute soll immer schneller, immer mehr und immer billiger produziert werden. Trotz seiner Qualität, ist für den Lichtdruck da kein Platz mehr.


Vor hundert Jahren produzierten noch über 200 Lichtdruckereien in Deutschland. Heute ist es nur noch eine.

Die Werkstatt in Leipzig stand zu DDR-Zeiten immer im Schatten der großen Druckerei in Dresden. Beide wurden von der Partei kontrolliert. Achim Müller, der 1956 seine Ausbildung zum Lichtdrucker begann, war damals mit dabei. „Für den Erhalt der Diktatur war die Kontrolle der Medien und medienerzeugenden Betriebe notwendig“ sagt er. Druckereien, auch kleine wie in Leipzig, gehörten dazu. So wurde der Lichtdruck zum Parteibetrieb, doch Dresden blieb stets die größere Einrichtung. Sobald Geld verfügbar war für Modernisierungen, wurde es zunächst in die Dresdner Druckerei investiert. Leipzig blieb klein und die Maschinen alt. Rückblickend war das Glück. Denn beim Umrüsten in Dresden wurden die alten Lichtdruck-Maschinen gegen neue Offsetdrucker getauscht. Die waren schneller, lieferten aber schlechtere Qualität. Museen und Galerien vertrauten weiterhin Leipzig. Selbst Staatsoberhaupt Honecker schätzte die Eigenschaften der Abzüge, die wie echt wirkten. Bei Staatsbesuchen verschenkte er oft Lichtdrucke. „Früher galt: Der Lichtdruck an der Wand, das Original im Tresor“ erinnert sich Müller, ein Lichtdrucker im Ruhestand. Er ist jetzt 72 Jahre alt und seit 13 Jahren offiziell nicht mehr Teil der Werkstatt. Er hat sein Leben lang Goethe faksimiliert. Nach der Wende fand er Drucke in Museen im Westen, die durch seine Hand gingen. Nur wenige können den Unterschied zum Original feststellen.

Nach dem Fall der Mauer zerrten die Kräfte des freien Marktes an der kleinen Werkstatt in Leipzig. Das Lichtdruck-Sterben, welches weltweit in den 60er Jahren einsetzte, erreichte auch den Osten. Die Technologie war zu teuer, zu langsam um bestehen zu können, hieß es. Achim Müller machte das nicht lange mit. Im Jahr 1999 wurde ihm angeboten, in den Offsetdruck oder in den Ruhestand zu wechseln. Er wählte die Rente, kommt aber nach wie vor alle paar Wochen in die Werkstatt um mit anzupacken, nach den Maschinen zu sehen oder mit den Mitarbeitern über alte Zeiten zu plaudern.

Die vierköpfige Belegschaft ist sich, was ihren Beruf angeht, einig: Lichtdrucker ist nicht nur ein Job, Lichtdrucker sei man aus Leidenschaft. Das familiäre Umfeld in der Werkstatt entstand vor allem durch die Krisen, durch die sie in der Druckerei gemeinsam gehen mussten.

Als etablierte Lichtdruckereien in Paris, Wien oder Großbritannien geschlossen wurden, reisten die Leipziger um die Welt, um Kontakte zu den noch verbliebenen Werkstätten aufzubauen. Oft sorgten wirtschaftliche Fehlentscheidungen für das Ende der Druckereien. Sie versuchten zu viel in zu kurzer Zeit zu drucken, um konkurrieren zu können. Die hektische Belastung zerstörte die alten Maschinen, die den Arbeitsrhythmus des vorigen Jahrhunderts gewöhnt waren.
Solche Entwicklungen wurden von Leipzig aus skeptisch verfolgt. Im Falle einer Schließung übernahm die ostdeutsche Werkstatt oft die Farbbestände der geschlossenen Betriebe. Mit jedem preiswerten Farbtopf konnte es in Leipzig noch ein paar Druckgänge weitergehen.

Nach dem gescheiterten Versuch als privates Unternehmen zu existieren und konkurrenzfähig zu sein, ist der Lichtdruck in Leipzig heute ein eingetragener Verein. Die Mitarbeiter, die seit mehreren Jahrzehnten die einzigen waren, die an diesen Maschinen ausgebildet wurden, sind heute offiziell nur ABM-Kräfte. Die letzten Vertreter eines Handwerks überleben mit einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme.

Der Lichtdruck stirbt mit denen, die ihn noch beherrschen.

Lange waren es nur noch drei Werkstätten auf der Welt. Doch seit im letzten Jahr die Gebrüder Alinari in Florenz geschlossen haben, ist der Lichtdruck in Leipzig die letzte Einrichtung in Europa. Außerhalb arbeitet nur noch in Kyoto eine Werkstatt, die direkt für den japanischen Kaiser produziert. Auch die Farben in Leipzig kommen aus Japan. Dort sind sie die einzigen weltweit, die sie noch herstellen. Nur starke Maschinen können die Druckfarben verarbeiten, welche als die kräftigsten überhaupt gelten. Das macht sie auch besonders langlebig. Zum Beweis kratzt Udo Scholtz die Kruste von einem 40 Jahre alten blauen Farbtopf ab und verreibt die Paste auf den Druckrollen. Das Wissen um die Produktion ist so gut wie verloren, und ohne Farbe gibt es keinen Druck.
Achim Müller blickt skeptisch in die Zukunft: „Den Lichtdruck wird es in 50 Jahren nicht mehr geben – außer im Museum“

Udo Scholtz bleibt hingegen pragmatisch. Als Werkstattleiter denkt er lieber an den nächsten Druck, als an die nächsten 50 Jahre. Zwei Maschinen waren heute im Betrieb. Die eine faksimilierte über 200 Jahre alte Briefe von Schiller an Goethe für das Museum in Weimar. Die andere druckte Werke für eine Künstlerin, welche die große Maschine als neues Medium ausprobierte. Beide Geräte müssen nun ruhen. Scholtz wischt noch die Farbe von den Rollen. Ende Juli wird er in Rente gehen. Seine Hoffnung ist dann die 27 jährige Janine Kittler, die vor fünf Jahren die Ausbildung zur Lichtdruckerin begann. Alle hatten ihr von diesem perspektivlosen Beruf abgeraten. Doch für Janine ist Lichtdruck Herzsache.
So auch für Herrn Scholtz. Auch im Ruhestand wird er noch drucken.

Solange es geht.

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Anmerkung: Die Geschichte entstand Anfang des zweiten Semesters, also vor über einem Jahr. Es war die letzte Geschichte mit meiner alten Kamera. Für einen Reportage-Wettbewerb habe ich zusätzlich diesen ergänzenden Text gemacht. Der wurde dann zwar nicht akzeptiert, aber die Multimedia-Produktion bekam eine lobende Erwähnung. Ich würde es heute nicht mehr so schreiben oder fotografieren. Trotzdem ist es eine nette kleine Geschichte und es wäre schade, sie nicht zu zeigen, da sie bisher nie veröffentlicht wurde.

Endlich Finnland Extra: Das Saunamobil

Ich saß in der Mitte der Sauna. Neben mir zwei dicke Finnen, von denen einer aussah wie der Weihnachtsmann. Er reichte mir eine Flasche Wodka, inzwischen schon halb leer. Das Radio spielte Bohemian Rapsody von Queen. Nur ich sang.

Prolog
Schon seit längerer Zeit wollte ich ja meine Freundin Tiina mal in Finnland besuchen. Da ich kostspielige Reisen gerne mit nem Job verbinde, fragte ich sie direkt, ob ihr was einfällt, über das ich eine Geschichte machen könnte. Sie überlegte. In Lappland gibts Hexen, sagte sie, aber nach Lappland fliegen ist sehr teuer. Ja und ansonsten gäbs da noch einen Freund ihres Vaters. Der hat sich ne Sauna in sein Auto gebaut. Aber das ist ja nichts besonderes.

Die Finnen gelten ja allgemein als etwas verrückt, oder sonderbar. Selbst Finnen selbst sagen das über sich. Was ich sonst noch über die Finnen wusste: Sie lieben Sauna.
Die Geschichte, über einen verrückten Finnen, der sich ein Sauna-Häuschen in sein PKW baut, konnte also nur gut werden.

Eins aber schon mal vorweg: Ich habe keine Ahnung von Autos. Ich hab nicht mal nen Führerschein. Ich habe dafür eine Ausrüstung, die kostet so viel, wie zwei Mal Führerschein machen. Ich investierte mein Geld immer in Kameras und Reisen.

Ich tat mich also mit einem Kollegen zusammen, der damals noch als freiberuflicher Journalist für Automagazine arbeitete. Er lieferte die Kontakte zu den Magazinen und machte den Text im Duktus der Autozeitschriften. Ich sorgte für Recherche und Bilder. Vor dem Abflug gab er mir noch eine lange Liste von Hinweisen und von Motiven, die ich mitbringen sollte. Tiina übersetzte alles und stellte den Kontakt her. Sie musste dafür ja nur ihren Vater fragen.

Nach Feierabend sammelte uns Tiinas Vater ein, um uns zu seinem Freund zu fahren. Vorher machten wir noch beim Supermarkt Halt. Wodka kaufen. Aber nur guten Wodka, wie mir Tiina erklärte. Direkt aus Russland, das ja nur ein paar Kilometer entfernt war. Es ist so Brauch in Finnland, das man beim Saunieren Wodka trinkt.

Ich erzählte Tiina gerade, was ich mir für den Bericht überlegt hatte, als wir auf den Hof fuhren. Ich sprach den Satz gar nicht mehr zuende. Denn da stand es, das Sauna-Auto. Ein 1963er Skoda Octavia, mit einem kleinen Häusschen hinten. Ich konnte nur noch staunen.

Ein Hund begrüßte uns laut bellend, gefolgt von seinem Herrchen. Timo Ukkonen, 49, so alt wie sein Saunamobil. Er sprach kein Englisch, war aber sichtbar stolz auf sein Auto und das jetzt ein Fotograf aus Deutschland kam, darüber zu berichten. Es war bereits später Abend. Hätte sich die Sonne an diesem regnerischen Tag überhaupt einmal gezeigt, sie wäre jetzt schon hinter den Wäldern um Timo Ukkonens Haus verschwunden. Mit dem letzten bisschen Licht musste ich jetzt noch schnell arbeiten und alle Motive liefern, die gefragt waren.

Timo warf inzwischen schon mal die Sauna an.


Man bemerke die Scheinwerfer-Fensterscheiben

Es gibt ca. 100 Sauna-Autos in Finnland. Das hier ist das einzige, bei dem das Auto selbst die Sauna beheizt. Der Motor treibt einen elektrischen Generator an (der schwarze Klumpen vorne), der die Sauna erwärmt. Die Technik hat Timo selbst verlegt. Genau wie das Parkett. Es ist das selbe, wie in seinem Wohnzimmer, in dem wir für das Interview Platz nahmen. Das Holz stammte von einer Fichte aus seinem Garten.

Der Wassertank fasst 30 Liter. Genug für drei Saunagänge, inklusive Dusche, wie mir Timo erklärte. Er sagte mir auch, dass der Sitz aus Stein ist, „weil sonst der Arsch festklebt.“

Jedes Haus in Finnland hat eine Sauna. Und jede Sauna in Finnland hat einen kleinen Sauna-Kobold. Das Sauna-Auto natürlich auch.

Der sauna tonttu hält die Sauna ordentlich und sorgt für angenehmes Klima. Die Menschen bedanken sich bei ihm durch kleine Opfergaben, wie Öl oder Kräuter, die in eine Schale gelegt werden.

Läuft die Sauna, blinkt es rot über der Windschutzscheibe. Saunieren beim Autofahren ist möglich. Timo rät mir aber davon ab.

Und neben dem Tacho…

…ist die Wassertemperatur-Anzeige. Bis zu 110°C sind möglich. Für den armen Deutschen, ohne Sauna daheim, haben sie es aber runter gedreht.

Fahren darf man mit dem Auto offiziell zwar nicht, aber es gibt die Möglichkeit, beim finnischen TÜV so eine Tageserlaubnis zu beantragen. Die holt sich Timo Ukkonen auch stets vor der jährlichen Sauna-Auto Messe im 400km entfernten Teuva. Er fährt aber nicht die ganze Strecke damit, ein Truck zieht es bis dort.

Er drehte noch mal eine Runde für mich um sein Grundstück…

…und wir gingen ins Haus. Seine Familie war bereits versammelt. Alle schauten interessiert dem Interview zu, aber kaum einer sagte was. Nicht einmal Timo selbst. Die Finnen sind maulfaul, das merkte ich wieder mal. Ich musste ihm alles aus der Nase ziehen, brauchte mehrere Anläufe pro Frage. Tiina gab sich engagiert Mühe, meine Fragen beantwortet zu kriegen, trotzdem redete sie am meisten von allen Personen im Raum. Mein Notizblock füllte sich nur langsam.

Ich bin nicht der erste, der über sein Auto berichtet. Aus dem Nebenzimmer holte er einen Stapel von Zeitschriften, der Großteil finnisch. Eine große Boulevardzeitung in Finnland wählte sein Auto zu dem Verrücktesten im gesamten Land. Schon 1999 fing er an, daran zu bauen. Er bekam den 1963er Skoda Octavia günstig, aber in mittelmäßigen Zustand. Die komplette Rückbank fehlte. Timo Ukkonen schaute sich dann die Form an, überlegte, was man damit machen kann, und sein erster Gedanke war „Sauna!“.
Ich stelle mir gerne vor, wie ein schnauzbärtiger Finne, Ende 30, vor dem kaputte Skoda steht. Wie Wicki der kleine Wikinger reibt er sich die Nase, schnippt mit den Fingern und sagt laut in den finnischen Wald: „Ich habs! Sauna!!“.

Ich finde, es sagt viel über jemanden aus, wenn der erste Gedanke ist, sich ein kleines Häusschen mit Dach in sein Auto zu bauen.

Würde er es je verkaufen? Vielleicht für eine Million Euro? Timo muss lachen. Niemals. Aber für drei Millionen vielleicht. Für ihn ist das Auto auch noch nicht fertig. Er hat noch einige Ideen, was er verbauen möchte. Was genau möchte er nicht sagen. Die Sauna-Auto-Konkurrenz schläft sicher nicht.

Sein Saunamobil ist nur für Freunde, sagt Timo, er selbst benutzt es auch nur so vier Mal pro Jahr. Scherzhaft frage ich ihn, ob man mit dem Auto Frauen beeindrucken kann. Er antwortet nicht und schaut stattdessen vorsichtig zu seiner Frau, die links neben mir in einem Schaukelstuhl sitzt. Sie blickte zurück und sagte etwas strenges auf Finnisch. Tiina lachte, aber weigerte sich, es mir zu übersetzen. Nächste Frage.

Drei Leute passen in die Sauna. Ich frage seinen Sohn, der einigermaßen Englisch konnte, aber sich nicht traute, etwas zu sagen, ob er schon mal im Sauna-Auto saß. Ja, sagt er, ein paar Mal. Ihm gefalle sie viel besser, als die hauseigene Sauna. Der Dampf sei weicher.

Ich hatte, was ich wollte. Tiina, die die ganze Zeit rechts von mir saß, meinte, jetzt sollte ich mich ausziehen.

Timo lud mich und Tiinas Vater zusammen mit der Flasche Wodka in sein Sauna-Auto ein.

Die beiden saßen schon, als ich mit einem bunten Handtuch um die Taille und auf Flip-Flops durch den Regen zum Auto ging. Aus dem Häuschen dampfte es bereits. Die beiden gestandenen Finnen glänzten vor Schweiss. Es war nicht schwer, zwischen sie zu rutschen. Da saß ich nun. Mit zwei Finnen, die kein Englisch konnten. Backe an Backe.

Finnen mögen Sauna, weil es die Leute gleich macht. Ohne Uniformen, ohne teure Kleidung, ohne Rang ist man doch nackt und echt in der Sauna. So kommt man sich näher. Tiinas Vater reichte mir den Wodka. „Du musst ordentlich viel Wasser trinken, Fritz“ sagte er mir, schelmisch grinsend. Und es brauchte nur etwas Wodka, schon sprach er ordentlich Englisch. Selbst Timo drehte jetzt auf. Da ich in der Mitte saß, machte die Flasche oft bei mir Halt. Und ich hätte nicht gedacht, was für eine lustige Unterhaltung ich mit zwei Finnen in der Sauna haben kann.

Ich trinke übrigens selten Alkohol. Bier mag ich nicht, und pro Woche einmal besaufen muss auch nicht sein. Was ich, wenn ich trinke, gerne trinke, ist allerdings tatsächlich Wodka. Den vertrage ich auch ganz gut. Liegt wohl in der Familie, oder an der ostdeutschen Prägung. Trotzdem musste ich nach ca. einer halben Stunde in der Sauna kapitulieren. Die Hitze und der Wodka in Kombination. Das war zu viel. Die beiden Männer lachten, als ich die Tür öffnete und Richtung Haus torkelte. Sie machten ohne mich weiter.

Kalt geduscht und wieder angezogen, nahm ich zutiefst entspannt und zutiefst betrunken wieder auf der Couch neben Tiina Platz. Die grinste mich die ganze Zeit nur an. Ich krieg nicht mehr genau zusammen, was dann passierte. Ich weiß nur, dass ich irgendwann anfing, mit der Tochter von Timo zu flirten, die kurz zuvor vom Sport kam und mich die ganze Zeit ansah.

Ich muss wohl auch ein Foto der Katze gemacht haben. Warum auch immer.

Mit der Kamera bin ich dann noch mal raus. Tiina hatte sie sich frecherweise vorher schon geborgt, und kam vorbei, als ich noch mit Timo und ihrem Vater in der Sauna saß. Durch den Dampf konnte sie allerdings kein scharfes Bild machen, also brauchte ich noch eins. Ich klopfte kurz an die Tür der Sauna, bevor ich sie öffnete. Die beiden Männer hatten sich inzwischen ihrer Handtücher entledigt. Die Flasche Wodka war leer. Als sie die Kamera in meiner Hand sahen, drückten sie die Beine ganz schnell wieder zusammen. Es macht fast synchron Flopp, als die nassen Schenkel aneinander klatschten. Sie fragte mich noch, ob mit mir alles okay ist, und ich glaube sogar, ich hab auf Finnisch geantwortet. Oder etwas, was ich in dem Moment für Finnisch hielt.

Mit der Kamera fest in beiden Händen torkelte ich wieder zurück. Ich glaube seit dem Abitur war ich nicht mehr so betrunken gewesen. Es war weniger die Menge des Alkohols, oder der starke russische Wodka. Es war die Hitze, die es schnell in den Kopf beförderte.

Irgendwann liefen dann zwei nackte Finnen im Wohnzimmer an mir vorbei, Richtung Bad. Über eine Stunde hatten sie es ausgehalten.

Tiina, die nüchtern blieb und zum Glück nen Führerschein hatte, fuhr uns dann nachhause. Aber nicht ohne vorher noch von mir ein Foto zu machen.

Die Geschichte wurde Ende letzten Jahres in der Skoda Extratour (PDF) und im April diesen Jahres in Auto Bild Klassik veröffentlicht. Danke an David Zwadlo dafür!

Mit der Geschichte, und dem Job für die Bahn, konnte ich nicht nur alle Kosten der Finnlandreise wieder einspielen, sondern hab sogar noch etwas Plus gemacht. Das ist nicht bei jeder Reise so und daher besonders glücklich.

Endlich Finnland
Teil 1 – Train Job
Teil 2 – Helsinki ist nicht hell
Teil 3 – Im Haus am See
Teil 4 – Im Innern des Waldes
Teil 5 – Schlaflos in Kopenhagen
Extra: Das Saunamobil

Mein Japan

Warum man nicht Nein sagt, wenn man von einem Verlag gefragt wird:“Wollen Sie ein Buch für uns schreiben?“

Seit einer Woche ist Japan 151 im Handel. Es ist eine Art kultureller Reiseführer, erschienen im CONBOOK Verlag. Und mein mittlerweile drittes Buch zu Japan.

Am Ende des Beitrags verlose ich auch ein Exemplar. Also dranbleiben.

Wie kommt man zum eigenen Buch? Durchs Schreiben.

Prolog

Oktober 2011. Umzug nach Hannover um mein Studium zu beginnen. Ich war erst ein paar Wochen in der Stadt, alles war noch recht neu. Ich hatte noch nicht mal einen Internet-Anschluss in meiner Wohnung. Wenige Wochen zuvor war ich in Tokyo gewesen, das erste Mal wieder seit meinem Jahr dort. Doch Japan war nun abgehakt, Hannover begann. Alles war im Umbruch.

Mitte Oktober bekam ich dann eine Email vom CONBOOK Verlag. Sie planen gerade eine Reihe von neuen, ungewöhnlichen Reiseführern, und sie könnten sich gut vorstellen, dass ich das Buch über Japan machen kann. Ich fragte nicht sofort, wo ich dafür unterschreiben muss, sondern zögerte. Erstmal checken was der Verlag so macht.
Fokus Reiseliteratur. Schon ein paar Bücher zu Japan veröffentlicht. Hey, eins davon habe ich sogar. Aber warum fragen die dann mich? Gibts denn keinen, der das besser kann?

Sie sind über meinen Blog auf mich aufmerksam geworden. Insbesondere der Eintrag „Warum Tokyo nicht ein Jahr auf mich gewartet hat“, wo ich sehr reflektiert in kleinen Episoden über meine Rückkehr schreibe, hatte es ihnen angetan. Genau so sollte das Buch sein. Dass ich noch anständige Fotos liefern könnte, war ein entscheidender Pluspunkt. Doch ich zögerte weiterhin.

Es gibt so viel, was auf Deutsch über Japan geschrieben wurde. Das meiste davon ist einfach nur schlecht. Die ewig gleichen Klischees, Phrasen und Bilder. Hätte ich mit gerade mal einem Jahr, das ich dort verbrachte, überhaupt genug Einblick in das Land, über das ich mich jetzt anmaßen würde zu schreiben?

Ich kannte nämlich die Gegenreaktion, von den „Japan-Experten“ und Klugscheissern, die es, manchmal berechtigt, immer besser wussten. Und ich hatte keine wirkliche Lust, in deren Schusslinie zu geraten mit einer großen Publikation. Deswegen, und weil ich es mir nicht wirklich zutraute, schlug ich dem Vorlag andere Autoren vor. Der Verlag wollte aber mich und gab mir die Option, einen oder mehrere Ko-Autoren einzusetzen. Aber, so war die Vorraussetzung, die Bezahlung müsste ich dann mit denen dann auch teilen. Und nach diesem Argument dachte ich mir: Ach was solls, ich krieg das auch alleine hin.

Wie ein Buch entsteht
Das Buch war nämlich eine willkommene Gelegenheit für mich, mit Klischees und verqueren Bildern von Japan in Deutschland aufzuräumen. Ich würde sie gar nicht erst erwähnen oder bedienen, sondern ein eigenes Bild zeichnen. Eben das Bild von meinem Japan.

Die Reihe vom Verlag, in der jetzt schon andere Länder erschienen sind, hatte ein vorgegebenes Format: 151 Kapitel sollten es sein. Jedes sollte einen landestypischen Begriff zum Titel haben, der dann im Kapitel erklärt wird. So was wie Sushi, Samurai oder Zugverkehr. Es ging mir auch nicht darum zu sagen, wie die meisten Bücher, „guckt mal, die Japaner sind so anders“, sondern mehr „guckt mal, die Japaner sind so anders, weil…“.
Sofern mir das als Außenstehender überhaupt möglich war.

151 Kapitel. Das sind 151 relevante Begriffe zu Japan. Oder anders gesagt: Wie reduziert man ein Land auf 151 Wörter? Der Verlag bat mich zunächst, 50 Begriffe vorzuschlagen. Ich kam an einen Nachmittag gleich auf 76.

Ich besorgte mir so viel Lektüre zu Japan, wie ich finden konnte. Ich durchforstete auch meinen Blog. Die Liste der möglichen Begriffe ging ich nach drei Kriterien durch:

    1. Was will ich erzählen?

    Was sollte man zu Japan unbedingt wissen… was stellen die Medien oft falsch dar… welche Klischees stecken in den Köpfen und sollten mal aktualisiert werden…

    2. Was kann ich erzählen?

    Was habe ich selber erlebt… wo traf ich Personen, die den Begriff nahe bringen… was sind unterhaltsame Anekdoten zu einem Sachverhalt, bei denen ich dabei war…

    3. Was will ich zeigen?

    Welche Fotos sollen ins Buch… welche Motive bringen Japan nah… welche Bilder sorgen für genug Abwechslung, Unterhaltung, Information und Dynamik…

Das ging dann allerdings etwas konträr zu dem, was der Verlag vorschlug. Denn zuerst sollte ich gucken, was ich für Fotos habe, und dann danach die Kapitel gestalten. Anders gesagt: Die Ästhetik vor dem Inhalt definieren.
Mir war aber der Inhalt viel wichtiger. Die Bilder sollten sich dem unterordnen. Das durch meine Entscheidung dann echte Probleme entstanden, ahnte ich schon von Beginn an.


Ideen fürs Cover. Ich persönlich fand sie zu „japan-typisch“, aber der Verlag meinte, das funktioniert besser.

Schreiben nebenbei
Zu Neujahr unterschrieb ich dann den Vertrag. Die Abgabe vom Manuskript war für den 30.6.2012 angesetzt. Fotos und Text zu allen 151 Kapiteln müssten dann vorhanden sein. Ist ja genug Zeit, dachte ich mir. Doch Uni und Jobs drängten. Oftmals musste ich mir mehr Gedanken um die nächste Miete machen, als das nächste Kapitel. Und zwischendurch entstand ja auch noch das Fukushima-Buch. Aber es blieb ja noch Zeit…

So richtig anfangen konnte ich erst in den Semesterferien. Dann aber vier Wochen am Stück, jeden Tag meist sechs Stunden Schreiben. Das meiste schrieb ich in Berlin. In Hannover habe ich glaube weniger als zehn Kapitel geschafft. Jedes einzelne habe ich intensiv recherchiert. Sofern ich von Zahlen und Fakten schreibe, haben die mindestens zwei seperate Quellen. Ich wollte keinen Bullshit erzählen, wie viele sonst, sondern wahrhaftig bleiben.

Wieder schrieb ich in der Bibliothek, wo schon „Fukushima“ entstand. Während draußen Sommer war und alle anderen verreisten, schwitzte ich über den vielen tausend Zeilen, die noch entstehen mussten. Wobei das dramatischer klingt, als es war. Die Bibliothek war gut klimatisiert.
Ich genoss es sogar, mich komplett dem Schreiben zu widmen, und währrendessen nicht an Fotografie denken zu müssen. Ich nahm Texte und das Schreiben so viel intensiver wahr, mein Kopf stellte sich um. Wenn ich jetzt etwas interessantes sah, formulierte ich es in Worte um, anstatt zu überlegen, wie es als Foto funktionieren könnte.
Aber das ist ja bei mir grundlegend der innere Kampf. Text, Foto und neuerdings auch Video. Was hat Vorrang…

Trotzalledem schaffte ich die Deadline am 30.6. nicht. Ich hätte es schaffen können, wenn ich die letzten drei Tage ohne Schlaf geschrieben und durchgehetzt hätte. Aber das wäre zu Lasten der Texte gegangen. Das hätte weder mir, noch dem Verlag, oder dem Buch und dem Leser geholfen. Genau das schrieb ich dem Verlag. Der blieb entspannt und gab mir Recht. Zwei Wochen später war ich auch fertig. In meinem Wahn hatte ich sogar 156 Kapitel fertig gemacht, ohne es zu merken. Schreiben, schreiben, schreiben.

Ich hatte dann natürlich keine Ferien. Selbst einen Auftrag, den ich im Juni fotografierte, konnte ich nicht fertig stellen. „Tut mir Leid, dass sie warten müssen, aber ich muss mal eben ein Buch schreiben“.
Dafür war ich ja dann im September in Finnland und im Oktober in Tokyo. Als Ausgleich für den Sommer.

Fotograf ohne Fotos
Der Text stand, aber mir fehlten noch mehr als 40 Fotos. Ich hatte halt die Kapitel fertig gemacht, die ich für wichtig hielt, ohne drauf zu achten, ob ich das auch bebildern kann. Zudem schrieb ich auch über abstrakte Konzepte, die ich für das Verständnis von Japan für wichtig hielt, die aber visuell schwer einzufangen sind. Zudem lagerten einige meiner alten Bilder noch auf irgendwelchen Festplatten in Berlin, andere wiederum nur in Hannover. Es war ein Durcheinander.

Doch der Verlag gab mir Zeit. Sie wussten ja, dass wenn ich Bilder liefere, die auch einer gewissen Qualität entsprachen. Man räumte mir sogar Extra-Zeit ein, da ich meine Reise nach Tokyo im Oktober schon ankündigte. Die restlichen Bilder würde ich dort schon irgendwie finden, versicherten wir uns gegenseitig. Mit einer langen Liste von Motiven, die von Kyushu bis Kaizen reichte, flog ich also nach Japan.

Vier Bilder pro Tag
Zieht man Landung und Rückflug ab, hatte ich zehn Tage in Tokyo. Dazu dann noch mal Jetlag von einer Woche, und andere Prioritäten, wie Sushi essen und Freunde treffen. Zudem hatte ich drei Tage vorm Abflug erst ein großes Fotoprojekt abgeschlossen, an dem ich sechs Monate fast jeden Tag in Hannover gearbeitet habe. Wohlgemerkt, nebenbei dem Schreiben. Ich war einfach nur müde und wollte Urlaub machen. Doch die Liste drängte.

Ich hätte vier Fotos pro Tag machen müssen, um alles zu schaffen. Doch wo krieg ich ein Foto zu „Japanische Brasilianer“ her? Zu „Uchi-Soto“? Zu „Kaizen“?? Ich brauchte erst mal etwas Zeit, mir visuelle Lösungen einfallen zu lassen. Wenn ich also am ersten Tag keine vier Bilder schaffte, musste ich am nächsten acht machen. Sollte das wieder nicht klappen, wären dann 12 fällig. Dann 16…20… – 24 pro Tag. Ich war erschlagen von der Liste. Und dann standen noch 2-3 Jobs für Klienten und Magazine an.
Eigentlich wollte ich nur Urlaub machen. Trotzdem war meine To-Do-Liste länger als in Deutschland.

Das ich gar nicht alles schaffen konnte, war klar.

Anfang November war ich dann wieder in Deutschland. „Und? Wo bleiben die Fotos?“ fragte der Verlag. Ich brauchte noch Zeit, die knapp 2.000 Bilder durchzugehen. Das dort eh nicht alle Motive dabei waren, wusste ich quälenderweise.
Schlussendlich wäre das Buch nicht ohne die Fotos in Druck gegangen. Und wir waren alle eh schon zu weit drin, um alles abzubrechen. Trotzdem drängte die Uhr. Das Buch war schon angekündigt für das nächste Jahr, eh alle Fotos da waren.

Jetzt musste ich improvisieren. Ich schickte eine Liste der Motive an meine Freunde in Japan und bat sie um Bilder. (Die meisten guten kamen vom anjifrosch). Den Rest improvisierte ich zuhause. Symbolfotos, denen man nicht ansah, dass sie nicht in Japan entstanden sind. Einfach, um die Texte zu bebildern. Zu guter letzt fand ich noch Bilddatenbanken, welche die Fotos hatten, die ich brauchte, und die ich kostenfrei verwenden durfte.

Das letzte Ultimatum wurde vom Verlag auf den 31.12. gesetzt. Am 29.12., einen Tag vor meinem Geburtstag, hatte ich dann stolz alle 151 Fotos zusammen und lud sie auf den Server vom Verlag. Arbeit getan, Manuskript abgeschlossen. Sechs Monate nach dem 30.6.


Alle 151 Kapitel + Foto im Buch im Schnelldurchlauf. Das sieht nach viel aus, und ist auch viel.

Ein Buch ist ein Prozess
Die Arbeit ist allerdings nie wirklich vorbei. Zwischendurch gab es dann noch die Satzdatei zur Korrektur. Anfang 2013 kam auch das fast fertige pdf zur letzten Kontrolle bei mir an. Es war nun mehr als ein halbes Jahr vergangen, seitdem ich die Zeilen schrieb. Einige Sachen sah ich inzwischen anders, oder hätte sie jetzt nicht mehr so formuliert. Für eine große Überarbeitung fehlte aber die Zeit, allen voran bei mir. Und eigentlich war es auch okay. Man kann ewig in einem Text ändern, schieben, streichen, ergänzen. Irgendwann ist auch mal gut.
Ende Januar schickte ich dann meine Korrekturen ab und bis zum fertigen Buch in meiner Hand sollte dann nicht mehr viel passieren.

Der Release
Ich war vorletzte Woche, um den 1. Mai rum, mal wieder in Berlin. Etwas abschalten. In der Zeit erreichte mich auch ein 10 Kilo Paket von meinem Verlag. Darin die ersten Kopien vom Buch. Auf Amazon konnte man die erste Fuhre schon bestellen, sie war allerdings noch vor dem offiziellen Erscheinungstermin vergriffen. Am 2. Mai ging es dann in den Einzelhandel, wo es jetzt nach und nach mal auftaucht. Ich habe es bisher noch nicht entdecken können, aber ich habe seit dem 2. Mai auch nicht mehr groß danach geschaut. Daher hier meine Verlosung:
Der erste, der mir ein Foto von Japan 151 in einer Buchhandlung schickt, bekommt ein Exemplar zugeschickt.

Ich bin jetzt 25 und habe drei Bücher draußen. Ich bin jetzt 25 und ich fühl mich erschöpft wenn ich daran, und all den anderen Kram aus dem letzten Jahr, denke. An den Versuch, Job, Uni, Bücher – alles gleichzeitig gleich gut machen zu wollen. Dieses Jahr lasse ich es ruhiger angehen. Aber gleichzeitig langweile ich mich auch etwas. So anstrengend wie letztes Jahr war, so produktiv, erfolgreich und aufregend war es auch. Aber jetzt mal runterkommen ist sicher auch nicht schlecht. Denn wenn es so weitergeht, habe ich vielleicht zehn Bücher draußen bevor ich 30 bin. Aber dann habe ich mit 28 vielleicht auch nen Burn-Out.

Tiina aus Finnland ist super happy über das Buch. Sie meint, wenn sie drei Bücher gemacht hätte, würde sie mit einem Schild um den Hals rumlaufen, auf dem steht „Ich hab drei Bücher geschrieben!!“. Ein andere Freund, noch euphorischer über das Buch als über die ersten zwei, würde alles darum geben, seinen Namen mal auf etwas zu sehen, was in ganz Deutschland im Handel zu bekommen ist.

Wie es mir geht? Nun, um ehrlich zu sein, als ich das fertige Buch zum ersten Mal in den Händen hielt, dachte ich nur: Okay, alles klar. Es war für mich nur die logische Konsequenz von einem Jahr Arbeit. Das fertige Buch war nur ein Ergebnis. Aber ich bin da auch vorgeschädigt.
Als mein erster Artikel in der Zeitung veröffentlicht wurde, war ich 19 und konnte mich vor Begeisterung nicht mehr retten. Wenn ich Menschen mit der Zeitung sah, versuchte ich immer zu entdecken, ob sie meinen Text lesen. Ich hätte sie am liebsten angesprochen: Und, hats Ihnen gefallen? Ist von mir.

Nach der ersten Veröffentlichung kommt immer die zweite. Dann die dritte. Irgendwann war wöchentlich mein Name unter einem Text in der Zeitung. Es wurde Standard, nicht mehr so aufregend. Man gewöhnt sich dran. Es gehört zur Arbeit dazu.
Und so ist mein Name auf dem Buch jetzt auch nur Teil davon. Sicherlich die größte, längste und arbeitsintensivste Publikation, die ich je machte. Und das wird sie bleiben – bis das nächste Buchprojekt kommen wird.

Ich überlege immer, wo die nächste Herausforderung liegen kann, und gebe mich selten mit dem zufrieden, was ich erreicht habe oder ruhe mich darauf aus. Auch wenn ich das vielleicht mal tun sollte. Aber die Suche nach Mehr bringt einen stärker voran, als Stillstand und Ruhe.

Vielleicht bin ich ja auch skeptischer, weil ich mich langsam von Japan lösen möchte. In einem Interview, was ich neulich Auslandsjobs.de gab und was demnächst mal online geht, erklärte ich es:

Nach meiner Rückkehr war ich in den Redaktionen nur als der „Japan-Futzi“ bekannt.
Aufträge, die nichts mit Japan zu tun hatten, bekam ich kaum. Meine drei Bücher habe ich ja nun eben auch über Japan geschrieben, und nicht über andere Länder. Jedes weitere Buch, jeder weitere Artikel in die Richtung, zementierte eigentlich nur weiter meinen Ruf als Japan-Futzi. Es ist schwer, sich davon zu lösen. Mein Leben lang möchte ich nicht in Japan verbringen, vielleicht noch mal ein bis zwei Jahre.

Ich kann mehr als nur Japan.

Fazit
Wie also kommt nun zum eigenen Buch?
Durchs Schreiben.

Ich bekam die Anfrage, durch meinen Blog, wo ich unentgeltlich gern und viel schreibe. Ich schrieb das Buch aus ähnlichen Gründen, weil ich was erzählen wollte. Und daraus wird wieder was entstehen.

Die Arbeit mit dem Verlag war sehr gut. Es war sehr hilfreich, ihn als eine Art Redaktion zu haben um Ideen durchzusprechen. Was kann funktionieren, was eher nicht. Auch ist die Erfahrung, wie der Buchmarkt funktioniert und die Kontakte sehr nützlich. Vom großartigen Layout und einzigartigen Konzept abzusehen. Der Verlag kümmert sich auch um vieles, sodass ich mich komplett auf meine Arbeit konzentrieren kann.

Das Buch für mich bedeutet weniger ein abgeschlossenes Produkt oder ein finanzieller Segen (das wohl am wenigsten). Ich genoss den intensiven Prozess des Schreibens. Ich finds spannend, mir jetzt Ideen einfallen zu lassen, um das Buch bekannt zu machen. Und ich finde es aufregend nicht zu wissen, was daraus jetzt alles werden kann.

Und das nächste Buch kommt bestimmt.

Amazon-Link: Japan 151, 14,95€, Conbook Verlag

[Update: Eine Leserin aus Leipzig war am schnellsten! Das Buch ist inzwischen weg. Ich freue mich aber natürlich immer über Fotos von einem Exemplar im Buchhandel]

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Meine Bücher

Buch I – „No more Hiroshima“:
Meine wichtigste Geschichte (1. Teil / 2. Teil)
Buch II – Fukushima? War da mal was?:
Mein Fukushima
Buch III – Japan 151:
Mein Japan

Shop: Bücher, auf denen mein Name steht

Mein Fukushima

Das zweite Buch war schwieriger als das erste. Es war nicht die eine große Geschichte, sondern setzte sich aus vielen kleinen Episoden zusammen.Da war die Reise nach Fukushima, ans Rande des Sperrgebiets. Da war das Treffen mit Hajime Matsumoto, der Japan das Demonstrieren beibrachte. Und da war ein erneuter Besuch auf Iwaishima, diesmal mit mehr Zeit – aber mit weniger Begeisterung.


Das Cover-Foto ist übrigens nicht von mir, der Verleger fand keines von meinen passend.

Da heute mein mittlerweile drittes Buch zu Japan erscheint, will ich die Gelegenheit mal nutzen, um zu jedem einzelnen was zu erzählen.

Prolog
Am 11. März 2011 verlor ich alle meine Aufträge.
Zu diesem Zeitpunkt war ich seit über einem halben Jahr wieder in Deutschland, nach 12 Monaten als freier Journalist und Fotograf in Tokyo. Ich hatte gehofft, nach all der Zeit, den spannenden Aufträgen und den großen Geschichten in Berlin genau so weiter machen zu können, wie in Japan. Aber Pustekuchen. Ich war wieder auf dem gleichen Level wie vorher. Das ich ein Jahr in Tokyo gearbeitet hatte, zählte nicht. Ich fing wieder bei einer Zeitung an, für 25 Euro pro Bild.
Wo ich mich auch sonst bewarb oder vorstellig machte, fragte man mich nur, wo und was ich studiert habe. Ohne ein Stück Papier, auf dem steht, dass ich was kann, glaubte man mir nicht.

Da ich in Berlin kaum Arbeit in meinem Feld fand, blickte ich wieder gen Japan. Nach und nach verkaufte ich mein Material aus Tokyo oder erfüllte Aufträge, die daraus resultierten. Viele waren es nicht, aber es reichte. In vielen Redaktionen war ich nun als der „Japan-Futzi“ bekannt.

Am 11. März 2011 bebte dann die Erde in Japan. So schlimm wie seit Jahren nicht. Dann Tsunami. Fukushima.
Ich verlor alle meine Aufträge, denn „normale“ Geschichten aus Japan wollte keiner mehr. Sie mussten, wenn auch nur in einem Nebensatz, mit dem Erdbeben zu tun haben. Also recherchierte ich, so gut es ging, von Deutschland aus. Im April hatte ich dann eine Geschichte zusammen. Es sollte ein anderer Blick sein, über die Arbeit der Journalisten vor Ort. Doch das interessierte dann keinen mehr, Japan wurde zu dem Zeitpunkt auf Fukushima reduziert. Eine andere Berichterstattung war nicht gefragt. Ich veröffentlichte die Geschichte dann im Blog: „Tsunami? Interessiert doch keinen mehr!“. Bildblog.de verlinkte es, die Besucherzahlen explodierten mehr, als bei irgendeinem anderen Artikel von mir in einem Printmedium. Zudem generierte der Beitrag Aufträge für zwei von meinen befreundeten Dolmetschern (u.a. für Bild am Sonntag).

Es führte kein Weg daran vorbei. Wollte ich weiter über Japan berichten, müsste ich wieder hin. Auch wenn Fukushima nicht mein Ziel war, als ich Ende Juli 2011, ein Jahr nach meiner Abreise, wieder nach Tokyo zurückkehrte.

Sommer in Japan
Freunde treffen, Sushi essen, die Zeit genießen. Das war erstmal wichtig. Wieder ankommen, andere Aufträge wahrnehmen. Unlängst war ich gelangweilt und genervt von der einseitigen bis falschen Berichterstattung über Japan nach Fukushima. Ich hatte eigentlich keine Lust, selbst noch Teil der ewig gleichen Berichte zu sein.

Der Wendepunkt war ein Artikel, den ich online gelesen habe. Ich weiß nicht mehr genau wo. Darin war die Rede von zwei deutschen Dokumentarfilmern, die einen Film über Demonstrationen in Japan nach Fukushima drehten. Endlich mal ein anderer Ansatz. Eine von den Filmerinnen war noch in Tokyo, sie führte ihr Auslandssemester zu Ende. Schnell fand ich ihren Kontakt und lud sie zu einem Gespräch in Nakano. Unweit meiner WG und nahe der Protestbewegung. So traf ich Julia Leser.

Wir verstanden uns auf Anhieb. Wir waren gleich alt, ambitioniert und wir beide waren von der Berichterstattung über Japan in Deutschland frustriert. Julia drehte als Reaktion dazu einen Dokumentarfilm, über den ich nun mit ihr in einem kleinen Café in Nakano sprach.
Ich traf Julia später in Deutschland wieder, bei der Premiere ihres Films in Berlin. Als ich für eine Geschichte in Leipzig recherchierte, lieh sie mir auch ihre Couch.

Zuhause in meiner alten WG sichtete ich nun das Material vom Interview. Ich lebte zu der Zeit im Zimmer der befreundeten Dolmetscherin. Sie war für 12 Tage in Nordjapan mit westlichen Journalisten unterwegs, unter anderem auch in Fukushima. In der Zeit gab sie mir ihr Zimmer, das größte im Haus. Es war in allen Ecken dekoriert mit kritischen Kommentaren, feministischen Botschaften oder alternativen Plakaten.

Die Frage stand im Raum: Was mache ich nun mit dem Material? Es war nicht wenige Monate her, dass ich die Lektion lernen musste, nicht zu lange mit einer Geschichte zu warten. Sonst ist sie weg und ein anderer hat sie gemacht.

Ein Interview allein macht noch keine Geschichte. Das sagten mir auch die ersten Antworten der Redaktionen, die ich mit dem Material anschrieb. Mein Ziel war aber nun folgendes: Ich war noch einige Wochen in Tokyo. Die Redaktionen sollten das wissen, damit sie gegebenenfalls eine Anfrage stellen konnten. Ich wollte mich erstmal etablieren. Dazu brauchte es eine Publikation.

Die Webseite Asienspiegel war mir schon länger aufgefallen, mit guten, sorgfältigen Berichten über Japan. Ihnen schickte ich meinen Text. Vergütung gab es zwar keine, aber eine Veröffentlichung – und guten Kontakt zum Gründer von Asienspiegel, der bis heute hält. Auch wenn ich schamvollerweise bisher nur einen Beitrag dort veröffentlichte.
Japans Radioaktivisten war online. In den kommenden Wochen konnte ich den Link stets angeben, um mich als Journalist im aktuellen Japan vorzustellen.

Julia erwies sich auch als sehr wichtiger Kontakt für mich. Durch sie erhielt ich mehr Einblick in die Demonstrations-Szene in Tokyo. Ein Aspekt, der bislang kaum in den deutschen Medien auftauchte.
Bislang wurden die Japaner auch immer so passiv dargestellt, als Volk, dass sich blind und höflich seinem Schicksal ergibt. Diese jungen Leuten setzten sich jetzt aktiv für Japan ein und dachten laut über die Zukunft des Landes nach.
So traf ich Hajime Matsumoto.

Er hat quasi die moderne Demonstration in Japan erfunden, obwohl er seine Rolle stets höflich runterspielt. Über die Begegnung und das Gespräch mit ihm steht genaueres im Blogeintrag „Revolution im Regal„.

Was dort allerdings nicht steht, ist, wie das Interview zustande kam:
Meine befreundete Dolmetscherin war wieder zurück aus Fukushima. Ich zog aus ihrem gemütlichen Zimmer aus, in den ersten Stock, rechts von der Treppe. Ich beauftragte sie, das Interview mit Matsumoto zu organisieren und zu dolmetschen. Doch wie so oft verzettelte sie sich.
Sie hatte einen neuen Auftrag reinbekommen, um wieder nach Fukushima zu fahren. Diese Nacht. Ihre Rückkehr wäre erst nach meinem Abflug gewesen. Also sollte das Interview heute Nacht oder nie stattfinden. Ich wurde ungeduldig. Mit einer „es wird schon alles“-Attitüde klärte sie den Interviewtermin und wir fuhren mit dem Fahrrad zu Hajime Matsumoto. Sie fuhr voran, sie kannte seinen Laden schon. Trotzdem verirrten wir uns. Durch Zufall fanden wir ihn dann doch noch, in einem fleckigen Overall hinter der Theke. Meine Dolmetscherin musste in 90 Minuten ihren Bus nach Fukushima nehmen und vorher noch packen. Das heißt uns blieben 30 Minuten fürs Interview.
Es war zum Glück genug und als sie sich verabschiedete, machte ich schnell noch 2-3 Portraits. Aber nicht ohne auf deutsch leise über sie und die ganze Aufregung zu fluchen.

Jetzte fehlte nur noch eins: Der Besuch in Fukushima. Obwohl ich so systematisch gar nicht dachte, als ich in einem deutschen Blog über eine Hilfsorganisation gelesen hatte, die demnächst nach Nordjapan fährt. Ich wollte mir tatsächlich erst einmal selbst ein Bild vor Ort machen. Das daraus Artikel oder ein Buch folgen sollte, war nicht geplant.

Wie das vor Ort genau ablief, erzählt die Serie „Zwiebeln für Fukushima“ schon im Blog.

Die beliebte Insel
Die Insel Iwaishima hatte einen tiefen Eindruck bei mir hinterlassen. Sollte ich je wieder nach Japan gelangen, musste ich unbedingt wieder dorthin. Tatsächlich war die Insel, und das dortige journalistische Abenteuer, eine riesige Motivation für mich, in der Zeit nach Japan. Ich hatte damals einen Job in einem Vier-Sterne-Hotel angenommen, im Bankett-Bereich. Das war okay, aber sehr anstrengend. Beginn um 17 Uhr, Feierabend manchmal erst 3 Uhr nachts. Viel schleppen, viel putzen, viel höflich lächeln. Die Hierarchien waren klar gezogen, als Teilzeit-Aushilfe war ich auf der untersten Position. Wenn einer über mir mal nen schlechten Tag hatte, ließ er das gerne an denen unter ihm aus.
Ah und einmal hab ich im Winter bei Schneefall das Dach im Restaurant einziehen lassen. Es merkte zum Glück keiner. Warum die aber auch den Schalter für die Tür und den fürs Dach direkt nebeneinander packen müssen. Steht auf beiden „öffnen“ drauf…

Bei anstrengenden Nächten oder langweiligen Aufträgen sagte ich mir immer nur „Denk an die Insel“, „Du kannst zurück zur Insel“, „Die Insel… die Insel…“.

Zum Ende meines Sommers in Japan 2011 besuchte ich also endlich die Insel. Ich war aber nun nicht mehr der erste westliche Journalist. Seit Fukushima drängen Medienvertreter in Scharen auf die Insel. Auch die, denen der Protest der Insel in den letzten 30 Jahren scheissegal war.
Die Reaktion bei meiner Ankunft war nur „Oh? Du auch hier?“.

Die Reise zur Insel war eine sehr lange. Ich hatte diesmal keinen Nachtbus nach Hiroshima gebucht, sondern hatte ein spezielles Bahnticket.


unbearbeitet, Blick aus dem Zug

Zunächst fuhr ich von Tokyo nach Kyoto. Eine Fahrt von acht Stunden.
Ich fragte das erste Mädchen im Kimono, das ich sah, nach einer Übernachtunsmöglichkeit in der Nähe. Die war ganz irritiert von mir und rief erstmal eine Freundin an, wo denn das nächste Manga Kissa sei. Ein Internet-Café mit Schlafplatz. Hinterm Bahnhof, sagt sie, sei eins, da drei Straßen weiter.

Dort war man schon auf westliche Besucher eingestellt. Die einstudierten drei Phrasen auf Englisch wurden rausgekramt und gleich fehlerfrei rezitiert.
Die vielen Türen boten Platz für etwas weniger als hundert Zimmer, jedes nicht größer als zwei Quadratmeter. Aber dafür mit Internet und Tagesschau.

Nach einer Dusche im Internet-Café ging es weiter nach Hiroshima, das waren noch mal knapp sechs Stunden. Dort sollte ich am Abend auch die Freundin treffen, die schon im Jahr zuvor mit mir hier war.

In Hiroshima trafen wir uns dann wieder mit Tomoko, sie lud uns zum Essen ein. Sie bestand darauf, Okonomiyaki, eine Spezialität aus Hiroshima, mit „deutschen Würsten“ zu bestellen. Ich sollte einschätzen, ob die Würste wirklich so deutsch waren, wie angepriesen. Ja, sagte ich, es sind Würste. Das genügte ihr.

Früh am nächsten Morgen fuhren wir zum Hafen vor Iwaishima.

Seit Tagen hing schon der Regen überm Land. So auch heute. Diesmal erwischten wir die Fähre rechtzeitig und konnten von drinnen sehen, wie sich die grauen Wolken über der Seto-See formierten.

Aber wozu schreib ich das alles. Ich hatte vor zwei Jahren bereits ein kleines Video aufgenommen, mit den Eindrücken aus Iwaishima. Die Stimme ist zwar monoton, aber dafür gibt es Wellenrauschen:

Angekommen auf der Insel, es dürfte so gegen Mittag gewesen sein, hatte keiner Zeit für uns. Wir fanden auch keinen, der uns noch erkannte. Yamato, so hieß es, als wir nach ihm fragten, hatte den ganzen Morgen gearbeitet und macht jetzt ein Schläfchen. Am Nachmittag wäre er dann verfügbar. Bis dahin hatten wir nix zu tun und erklommen die Insel, bis zur höchsten Straße. Es war feucht und nieselte.

Als wir endlich komplett durchnässt waren, stiegen wir wieder hinab. Vorbei an der alten Schule, zum Fuß des Berges. Dort begegnet wir auch Kin-Chan, dem ehemaligen Kayak-Aktivisten. Er lächelte breit, als er uns sah. Zumindest er erkannte uns. Er lud uns in sein Haus ein. Ein altes Anwesen ohne Erben. Für 300 Yen die Nacht konnten wir hier bleiben. Ich legte die Kamera ab, nahm mir den Eimer im Bad mit kalten Wasser und „duschte“.

Der Hof des Hausen überwucherte. Keiner kümmerte sich mehr so richtig. Wozu auch. Was wächst, wächst.

An dieser Stelle mal eine Sammlung von Panoramen aus Iwaishima. Ich hatte zu dem Zeitpunkt gerade diese Funktion entdeckt und wendete sie wie verrückt an. Anders konnte man die Weitsicht und die See gar nicht einfangen.

Nach der Dusche wollte ich endlich anfangen zu arbeiten. Kin-Chan informierte uns über die aktuelle Lage. Seit Fukushima hatte sich einiges getan. Das Bauvorhaben wurde von der Regierung und der Firma gestoppt. Die Insel hatte ihren fast 30 jährigen Kampf gegen den Bau des Atomkraftwerks gewonnen. Doch nur zögerlich freute man sich. Schon oft wurde ein temporärer Baustopp verhängt. Erst wenn die Bauzäune um das Gelände verschwunden sind, feiert die Insel. Aber dann drei Tage lang, sagte man mir.

Während mir Kin-Chan all das erzählte, schaute ein alter Bekannter durch die Tür. Es war Masajuki, der andere Aktivist, den ich vor einem Jahr traf und mit Kin-Chan zusammen fotografierte. Auch er erkannte mich gleich. Er wollte aber nur noch Kin-Chan Tschüss sagen. Gleich kommt die Fähre Richtung Festland. Die nimmt er mit seiner Verlobten, einer weiteren Aktivistin. Er heiratet demnächst und verlässt die Insel. So wie alle anderen Aktivisten. Der Kampf ist vorbei, die Insel hat gewonnen. Es gibt keinen Grund mehr hier zu bleiben. Nur Kin-Chan wird die Insel nicht verlassen. Sie ist sein neues Zuhause geworden. Seine Mutter wohnt jetzt auch hier.

Auch Masajuki zeigte ich mein Buch über die Insel. Er war positiv überrascht, schenkte es aber keiner weiteren Beachtung. Diese Zeit in seinem Leben ist vorbei. Er würde zwar regelmäßig nach Iwaishima zurückkehren, und weiter gegen Atomstrom und Umweltsünden kämpfen. Aber dieses Kapitel seines Lebens hier ist abgeschlossen. Ein neues beginnt.

Nicht nur für ihn begann ein neues Leben. Nach Fukushima flüchteten fünf Familien nach Iwaishima. Eine ist geblieben. Sie wohnen nun in einem der höchsten Wohnhäuser auf Iwaishima. Wieder ein ehemals leeres Haus ohne Erben.

Diese junge Familie stammt aus Tokyo. Nach Fukushima wollten sie nur noch weg, aus Angst vor der Strahlung. Die Mutter ist Lehrerin, seit dem Studium schon ist sie skeptisch gegenüber atomarer Energie. Im März 2011 flüchteten sie zusammen nach Kobe, und dann im April noch weiter nach Westen, nach Iwaishima.

Der Vater war Fotograf, jetzt ist er Schweinefarmer auf der Insel. Welche Jobs eben gebraucht werden. Nach ihrer Ankunft machte er eine Art Inselpraktikum. Überall arbeitete er mal mit. Als Fischer auf dem Boot, als Bauer auf dem Reisfeld, als Plantagenarbeiter auf Yamatas Farm auf der Rückseite der Insel. Und nun eben Schweinefarmer. Er hat alles gemacht, was die Insel ernährt, sagt er.

Vor dem Interview holte er Bildbände von sich aus einem der vielen Umzugskisten. So ganz angekommen ist die Familie noch nicht. Als Fotograf ist er viel rumgekommen. Hat in Afrika in der Serengeti Geparden fotografiert oder westlich von Tokyo, auf dem Berg Takao, tagelang im Dickicht nach wilden Tieren gesucht. Und nun Schweinefarmer.
Vermisst er nicht die Fotografie, frage ich ihn. Doch schon, sagt er, aber für seine Familie gibt er es gerne auf.
Irgendwann würde er sicher gerne wieder reisen und fotografieren. Doch die Inselbewohner sind noch skeptisch, sagt er. Wer neu auf der Insel ist, muss bleiben. Anders respektieren einen die alteingesessenen Bewohner hier nicht oder nehmen sie in die Gesellschaft auf. Ein Umzug nach Iwaishima ist für immer.

Wenn die Kinder aus der Schule und auf der Uni sind, dann würde er gern wieder Reisen und Fotografieren. Das braucht noch 18 Jahre. Bis dahin: Schweinefarmer.

Wir wollten noch mehr Gespräche an diesem Tag führen, aber es hatte keiner Zeit für uns. Dazu regnete es wie verrückt. Wir suchten kurz Unterschlupf in einem der vielen offenen Häuser. Es war keiner da, den wir um Erlaubnis hätten Fragen können, also benutzte ich einfach so die Toilette im Haus.
Wir wollten noch etwas warten, bis der Regen nachlässt, da kam schon der Hausbesitzer rein. Er war allerdings nicht sonderlich verwundert, sondern machte uns gleich einen Tee.

Das Haus war so eine Art Seniorenzentrum und er der Betreuer. Er selbst stammte nicht von der Insel, war aber glücklich, hier zu sein. Auch die Senioren waren zufrieden mit ihm. Ein Zentrum für sie ist sicher willkommen. Denn wenn Iwaishima eins so reichlich hat, wie die Fische um die Insel, dann sind es Japaner über 60.
Von den Rentnern hatte er schon von mir gehört, dem deutschen Journalisten mit dem Buch über die Insel. Also ist es doch jemanden aufgefallen, freute ich mich in Richtung meiner Begleitung. Die blickte nur müde zurück.

Der Regen ließ nach und wir gingen Richtung Meer.

Meine Begleiterin war zunehmend frustriert. Mir ging es ähnlich, aber ich redete mir etwas anderes ein. Der Weg hierher war weit und teuer, meine Hoffnungen war groß. Und dennoch… Die Insel war nicht das, was ich erwartet hatte.
Während beim letzten Besuch noch die Sonne schien, war diesmal alles grau in grau. Wie passend.

Am Strand hielten wir kurz inne und überlegten, wie es weitergehen soll. Meine Begleiterin checkte online den Busfahrplan nach Tokyo. Sie hatte ihr Ticket schon, schließlich musste sie übermorgen arbeiten. Ich gab mir selbst noch zwei Tage auf der Insel. Doch jetzt kamen mir Zweifel. Ich wollte auch einen Bus buchen und die Insel verlassen. Doch es gab keinen mehr.
Resigniert gingen wir zurück.

Am nächsten Morgen gingen wir noch einmal kurz zusammen über die Insel

In den mittlerweile zahlreichen deutschen Berichten über Iwaishima war auch die Rede von einem kleinen Café auf der Insel, betrieben von einer Japanerin, die auch mal zwei Jahre in Deutschland lebte. Ein Café an sich war schon ungewöhnlich, schließlich konnten die knapp 360 Bewohner auch zuhause Kaffee kochen. Und die Wege zu den Wohnhäusern waren nicht weit. Trotzdem lief das Geschäft scheinbar. Das Café hat pro Tag allerdings nur drei Stunden geöffnet. Uns erwartete eine freundliche, aber geschlossene Tür.

Und damit war Iwaishima für meine Begleitung erledigt. Die Fähre kam und brachte Post, Wasser und andere Verpflegung für die Bewohner. Meine Freundin lächelte zum Abschied nicht und machte sich auf dem Weg Richtung Arbeit in Tokyo. Das sie zu diesem Zeitpunkt überaus verärgert war, erzählte sie mir erst, als ich wieder in Berlin war.

Ich war jetzt alleine. Ich konnte keine Interviews mehr machen ohne Übersetzerin. Der Farmer Yamato hatte auch keine Lust mehr dazu und meinte, bevor er sich wieder in den Futon legte, ich soll ihm ne Mail schreiben.
Ich tat es ihm gleich. Es war der erste (halbe) freie Tag seit meiner Landung vor 30 Tagen und ich war einfach nur noch müde.

Am Abend kam dann noch ein Student aus Kyoto, der ganz angetan war von meiner Arbeit. Er befragte mich dann anschließend, wo man denn in Europa günstig Drogen bekommen kann. Meine Antwort „überall“ hat ihn ganz begeistert.

Wie im Video bereits erwähnt, kam in der selben Nacht auch der Regisseur eines Dokumentarfilms über die Insel an. Man schmiss eine Party mit Saufgelage für ihn. Ich war nicht eingeladen und wusste erst nichts davon.
Ein älterer Herr, der verantworlich für das Haus von Kin-Chan war, in dem ich jetzt übernachtete, brachte den betrunkenen Studenten aus Kyoto zu mir. Dieser lallte noch, wie toll er meine Arbeit findet, dann schlief er ein. Der ältere Herr meinte, ich soll mal ein Auge auf den Studenten haben. Er wurde dann ganz nachdenklich und meinte, wie dankbar er ist, dass ich hier bin. Aber ich bin doch nur einer von vielen, sagte ich. Trotzdem. Ich sei einer von wenigen Journalisten, die wieder kommen. Er selbst habe früher auf dem Festland in einem Atomkraftwerk gearbeitet, für die gleiche Firma, die vor der Insel eines bauen wollte. Er hat gesehen, wie viele Sicherheitsmängel und Misswirtschaft es gibt. Deswegen hat er dort auch aufgehört. Jetzt ist er hier auf der Insel Fischer und Elektriker.

Am nächsten Morgen nahm ich zusammen mit Kin-Chan die Fähre Richtung Hiroshima. Auch er wollte am Abend mit dem Bus nach Tokyo. Dort gab es wieder eine Demo.

Ich machte noch ein Foto von meinem Buch vor dem Motiv des Covers, bevor ich mit Kin-Chan essen ging.

Wir wollten wieder Okonomiyaki essen, aber für verträgliche Preise. In einer Restaurant-Etage im Bahnhof standen wir dann vor zwei Läden. Links war das Haus voll und drei ältere Damen standen hinter der Theke, während die vierte servierte. Rechts war so gut wie leer, dafür lockten drei attraktive Mädchen vor dem Laden. Wir entschieden uns für den Laden links. Und es gab keinen Grund zur Reue.
Ich fragte die etwas ältere Kellnerin, warum der Laden neben ihnen denn so leer ist. Tja, sagte sie, und gab sich Mühe höflich zu bleiben. Wir sollten mal ihr Essen probieren, dann würden wir schon wissen wieso.

Wir hatten noch eine Stunde, eh unser Bus kommen sollte. In einem Manga-Geschäft schlugen wir die Zeit tot und sprachen über unsere Favoriten. Kin-Chan hatte eine klare Präferenz, was Manga anging. Immer war es der Kampf Gut gegen Böse, von einem kleinen, unterschätzten Held gegen einen großen Bösewicht. Mir schien, Kin-Chan sah sein Leben auch wie einen Manga. Auf der Insel Iwaishima kämpfte er als kleiner Held im Kayak gegen den großen bösen Konzern. Die Grenzen waren klar gezogen. Und wie im Manga triumphierte er, der Held, gegen den Konzern.
Bevor ich ihn dazu befragen konnte, kam auch schon mein Nachtbus. Ich hätte ihn verpasst, hätte Kin-Chan mich nicht drauf hingewiesen. Zum Abschied grinste er so breit, wie den ganzen Tag schon.

In Tokyo angekommen hatte ich weniger als 24 Stunden, bevor mein Flieger wieder nach Berlin gehen würde. Von der Insel bis nach Europa war ein weiter, und dennoch irgendwie kurzer Weg.

Wie ein Buch entsteht

Mit dem ganzen Material aus Tokyo, Fukushima und Iwaishima landete ich nun in Berlin. Daraus ein Buch zu machen, stand eigentlich nicht auf meinem Plan. Ich wollte es lieber als eine oder mehrere Reportage irgendwo veröffentlichen. Doch jedes Mal, wenn ich mich ans Schreiben setzte, uferten die Texte aus. Ich hatte schlichtweg zu viel Material. Wenn ich von der Protestbewegung in Tokyo schrieb, wollte ich noch Iwaishima und Julia Leser mit ihrem Dokumentarfilm ergänzen. Bei der Geschichte von der jungen Familie auf der Insel, erschien mir die Reportage nicht komplett, ohne die Historie von fast 30 Jahren Widerstand.

Statt vieler kleiner Geschichten, ergab sich stets nur eine große. Denn alles hing irgendwie zusammen. Um Japan nach Fukushima verstehen zu können, brauchte es vieler kleiner Geschichten und Szenen – anstatt einem einzigen Artikel, der das Land nur auf Strahlen reduziert. Mein Blick war weiter, als der meisten Journalisten, die kurz in das Land reisten und meinten, das würde schon reichen, um alles hintergründig und verständlich zu erzählen. Aber das machte es nicht unbedingt einfacher.

Nebenbei begann ich mein Studium in Hannover und Japan rückte immer mehr in die Ferne.

Ich konnte mich dann schlussendlich auf einen Text über die Protestbewegung einigen, fasste alles auf einer Seite zusammen und schickte es an die Redaktionen. Die Idee war, pünktlich zur nächsten großen Demo in Japan einen hintergründigen Text zu platzieren. Als wäre ich dabei gewesen.
Doch die Redaktionen hielten mich hin. Wir melden uns noch, hieß es. Die Zeit verging, die Demonstration marschierte durch Tokyo und war wieder weg. Und irgendwann war wieder fast ein Jahr vergangen. Meine Recherche war zu alt, wieder hatte ich zu lang gewartet. Wenngleich diesmal auch weniger freiwillig.

Schreiben, Schreiben, Schreiben
Der Verlag, der schon mein Hiroshima-Buch rausbrachte, drängte mich, auch etwas über Fukushima zu machen. Doch ich zögerte. Ich war unzufrieden, wie das mit dem ersten Buch lief. Schlussendlich sagte ich dann zu, weil ich mein Material publizieren wollte. Ich wollte einfach diese Geschichten erzählen.
Das Fukushima-Buch sollte quasi der 2. Teil sein zu Hiroshima, und zeigen, wie Japan sich verändert hatte, zwischen den beiden Büchern.

Die konstant schlechte Berichterstattung über Japan in Deutschland war ein weiterer Punkt. Von Auslandskorrespondenten, die kein Wort Japanisch konnten. Über einseitige Falschmeldungen, die nie groß revidiert wurden. Bis zu einem allgemein schlechten Bild von Japan in Deutschland, das bis heute nachhallt.
Diese ganzen schlechten, schädigenden Berichte haben mich so aufgeregt, dass ich sie in einem Buch hätte zusammen fassen können. Und das hab ich dann auch.

Ich konnte aber nur in den Semesterferien daran arbeiten. Weihnachten fing ich an. Ich weiß noch, wie ich Silvester um 22 Uhr eine zehnseitige Reportage über TEPCO gelesen hatte, um fürs Buch zu recherchieren. Sonst hatte ich auch keine Zeit. Es war auch bezeichnend für ein anstrengendes, arbeitsintensives und produktives Jahr, was folgen sollte. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich auch schon einen Vertrag für ein neues Buch bei einem anderen Verlag unterzeichnet. Abgabe vom Manuskript war im Juni. Wenn ich Fukushima noch fertig machen wollte, musste es jetzt sein.

Im Januar konnte ich nicht schreiben, die Uni drängte mit Abgabefristen. Erst in den Semesterferien im Februar in Berlin konnte ich weiter machen.

Ich kann zuhause nicht schreiben. Zu viel lenkt ab. Um nun Fukushima fertig zu stellen, ging ich jeden Tag in die Staats- und Landesbibliothek Berlin. Von mir zuhause laufe ich da ungefähr 30 Minuten hin. Bevor ich mich auf den Weg machte, las ich stets meine Recherchen durch. Auf dem Weg ging ich sie im Kopf noch mal durch, sammelte Eindrücke und Erinnerungen zusammen. Als ich in dann in der Bibliothek ankam, war mein Kopf in Japan. Die Erinnerungen waren lebendig, die Recherche bunt und nah vor meinen Augen. In knapp sechs Tagen schrieb ich alles zusammen, pro Tag fünf bis sieben Stunden. Ziel war eine Veröffentlichung im März, ein Jahr nach der Katastrophe.

Abschließend
Da ich ja nun als „Japan-Futzi“ gelte, bekomme ich von Freunden, Kollegen, Bekannten und Verwandten bis heute regelmäßig Infos, Artikel oder Beiträge zugeschickt zu Fukushima. Doch ich bin es leid. Für das Buch habe ich alles zu Fukushima gelesen, was es zu lesen gibt. Die meisten Berichte erzählen auch nichts neues mehr, viele fokussieren sich nur auf die Zeit nach dem 11. März 2011. Ich war vor Ort. Ich habe viele Gespräche geführt. Und ich habe alles dazu aufgeschrieben, was ich dazu zu sagen haben.
Fukushima ist für mich abgeschlossen.

Anfangs hatte ich zu wenig Material für das Buch. Dann zu viel. Und dann ging zwischen durch etwas verloren. Das Buch verzögerte sich, die Veröffentlichung wurde auf Oktober 2012 gesetzt, anderthalb Jahre nach der Katastrophe. Bis dahin hatte ich schon ein anderes Buch fertig gestellt. Doch dazu mehr im nächsten Teil.

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Meine Bücher

Buch I – „No more Hiroshima“:
Meine wichtigste Geschichte (1. Teil / 2. Teil)
Buch II – Fukushima? War da mal was?:
Mein Fukushima
Buch III – Japan 151:
Mein Japan

Shop: Bücher, auf denen mein Name steht