Durch die Nacht


Mit freundlicher Unterstützung der Deutschen Bahn konnte ich das Thema “Nachtarbeit” für die Uni im Nachtzug von Hannover nach München (und zurück) fotografieren. Da ich dabei konstant übermüdet war und auch Zugbegleiter nicht zu den eloquentesten Rednern gehören (müssen sie ja auch nicht), ist das obige Video etwas kürzer als sonst.

Im Blog ist es derzeit so ruhig wie in einem Nachtzug. Allerdings verhält sich das antiproportional zu dem, was ich eigentlich zu tun habe. Ich arbeite momentan an Geschichten, die viel Zeit bis zur Fertigstellung brauchen, oder schreibe an Projekten, die erst im nächsten Jahr erscheinen.

Das zweite Semester ist nun vorbei, und die Gebühren für das dritte schon überwiesen. Ich hatte mir vor dem Umzug nach Hannover ein Jahr gegeben, nach dem ich entscheiden wollte, ob ich bleibe oder nicht. Nach zwei Semestern bin ich überzeugt zu bleiben. Allein das LUMIX Fotofestival vor knapp zwei Wochen, bei dem viele Fotografen ausstellten, die so alt wie ich sind oder sogar jünger waren, hat mir deutlich gezeigt, wie viel ich noch zu lernen habe.
Hier zu bleiben ist der beste Weg dort hinzukommen.

Weiß zu Blau


Ich bin zurück aus Bayern. Diesmal war allerdings der Weg das Ziel: eine Reportage über den Nachtzug Hamburg-München.

Nachdem der Zug sein Ziel erreichte, stieg ich etwas irritiert aus. Ich hatte mich zwar auf die Reportage, nicht aber auf die Stadt vorbereitet. So ließ ich mich nur planlos treiben.
Ich war am Montag morgen noch in Berlin und frühstückte, am Nachmittag fuhr ich nach Hannover, wo ich noch kurz Abendessen im Topf erwärmte und dann ging es schon weiter zum Zug. Zwischen Frühstück in Berlin und der Couch in München lagen dann 38 wache Stunden.

Natürlich habe ich in der Zeit ein paar Kurse verpasst. Ebenso verbaue ich mir mit Themen, die etwas außerhalb liegen, die Chance, erneut hinzugehen um Fotos zu machen, die der Professor vermissen könnte. Doch ich hatte Lust auf das Thema und Lust auf Reisen.

Die Geschichten, die ich mache, sind mir wichtiger, als die Noten die ich dafür kriege.
Die Menschen, die ich begleite, find ich spannender, als eine hohe Anwesenheitsquote.
Die Reisen, die ich oft selbst finanziere, genieße ich mehr, als die Möglichkeit mehrmals im Monat ausgehen zu können.

Fotografie und Journalismus sind dabei für mich nur das Mittel zum Zweck. Und je besser meine Fähigkeiten sind, desto mehr Chancen habe ich, spannende Menschen und Orte zu entdecken.

Das Semester neigt sich dem Ende zu und viele Bilder muss ich noch machen. Doch nach Leipzig, Brüssel und München mache ich die restlichen Sachen nur noch hier. Meine Topfpflanzen werden mir die Anwesenheit danken…

Zum Schluss gibts noch etwas zu gewinnen:

Wer mir den korrekten Zusammenhang zwischen diesen beiden Bildern aus München nennen kann, bekommt einen 20x30cm Abzug von einem meiner Fotos zugeschickt. Welches Motiv es sein soll darf sich der Gewinner aussuchen. Die Antworten bitte in die Kommentare.

Was verbindet diese beiden Bilder?

Trommel-Tage

Letze Woche war in Berlin die ITB – die internationale Tourismusbörse. Ich war für Tokyo mit dabei. Hier nun die Szenen einer Messe, die jeden Tag viele Gespräche, Abendprogramm und kostenloses Sushi bot.

Taiko-Trommler aus Japan

Bereits vor einem Jahr auf dem Japan-Festival habe ich für die Tourismusabteilung der Stadt Tokyo bei einer Veranstaltung als Assistent gearbeitet. Die ITB ist im Vergleich allerdings eine Nummer größer und richtet sich auch an Fachbesucher.

Etwas aufgeregt war ich schon. Der erste Gang über die Messe machte mir schnell klar, wie wichtig die Veranstaltung für die Branche ist. Überall blitzte ein hochprofessionelles Lächeln von Verkäufer zu Käufer, von Fremdenverkehrsamt zu Reiseveranstalter. Die Deutschen reisen eben gerne, das Land ist ein riesiger Markt. Über 10.000 Stände aus über 180 Ländern wollen da natürlich ein Stück vom Kuchen. Jede Vertretung schickte oder engagierte die hübschesten Mitarbeiter. Warum ich nun da war, erschloss sich mir daher nicht ganz, und ich hoffte, Tokyo würde für den Rückgang in Besuchern nicht mein Gesicht verantwortlich machen.

Das Messegelände liegt im Westen von Berlin. Von meiner Haustür zum Stand der Stadt Tokyo brauchte ich jeden morgen ca. 35 Minuten. Die Bahn in Berlin fuhr mit Sonderzügen Richtung Westen, die jeden Morgen ordentlich gefüllt waren. Am Bahnhof Messe Süd entlud sich dann stets ein Batallion an Fachbesuchern und Standbetreuern. Lief man hinter ihnen her, trat man in eine wilde Wolke aus Parfüm und Deodorant. Künstlicher Geruch, Kleidung und Make-Up – alles für ein besseres Auftreten und für den Verkauf.
Über 100.000 Personen drängten sich in den ersten drei Tagen durch die Messe, die in der Zeit nur den Fachbesuchern geöffnet war. Erst am Wochenende sollte das Berliner Publikum aufkreuzen.

Japan präsentierte sich zurückhaltend. Nebenan war der Stand von Korea, die ein ordentliches Show-Program boten. Denn nicht nur war der Stand von ihnen größer, sie hatten auch eine live Kung Fu Show, tanzende Roboter und eine Trommler Gruppe. Japan hatte das alles nicht. Doch dafür hat Japan etwas, was die Koreaner nicht haben: mehr Besucher.

Korea kämpfte ehrgeizig um Aufmerksamkeit, während die Japaner zurückhaltend blieben. Man wollte sich anderen nicht so aufdrängen, hieß es. Selbst als bei der Kung Fu Show ein Apfel aus Korea bis zu mir nach Tokyo flog, wurde das Obst einfach ohne Kommentar entfernt.
Die Zurückhaltung sah man auch in der Größe des Standes. Während der Stand von New York und Hong Kong jeweils den Platz eines Einfamilienhauses einnahm, war der Tisch von Tokyo so groß wie der von Hannover (Einwohner und Coolness-Unterschied: 30+ Millionen).

Erst am Besucherwochenende holte Japan die dicken Trommeln raus. Eine Gruppe aus Okinawa hatte unisono in perfekter Abstimmung einige Auftritte und zum Schluss schmetterte ein Taiko-Spieler kraftvoll die Holzschläger auf seine riesigen Trommeln. Ich stand nur ein paar Meter von den großen Apparaten entfernt. Intensiv.

Am Stand von Japan waren die Städte Tokyo, Osaka und Kyoto vertreten, sowie einige Reiseveranstalter, die japanische Bahn und eine Airline. Am ersten Tag gab es zusammen ein Treffen mit der Botschaft in einer Kneipe. Am zweiten Tag lud der Europa-Chef der Airline ANA zu einem Auftritt in die Berliner Philharmonie ein, wo deutsche, chinesische und japanische Musiker im Kammermusiksaal anlässlich des Jahrestag des Erdbeben und der Tsunami spielten. Die Musik war großartig, aber auch sehr dramatisch. Die angeschlossene Fotoausstellung ebenso.
Neben der Botschaft war auch der Deutschland-Korrespondent der Zeitung Mainichi Shimbun beim Konzert, die den Abend auch mitfinanzierten. Ich kannte ihn. Mehrere Male traf ich ihn in Tokyo auf ein Bier, bevor er nach Berlin zog und Deutschland-Korrespondent wurde. Seit meiner Rückkehr blieben meine Mails an ihn allerdings stets unbeantwortet. Er gab sich an dem Abend nun sehr viel Mühe, mich nicht zu erkennen. Ich tat es ihm gleich.

Für die Mitarbeiter am Stand gab es eine Dame im Kimono, die uns Getränke servierte. Jeden Nachmittag gab es auch wunderbares Sushi, welches für Seminare und Gespräche organisiert wurde. Ich glaube, so viel Sushi wie in diesen Tagen habe ich noch nie gegessen. Ich frage mich auch, ob so viel Sushi überhaupt gesund sein kann…


Gespräche
Meine Aufgabe war es, über die Stadt Tokyo zu informieren, Fragen von Reisenden zu beantworten oder Tipps für Interessierte zu geben. Das klappte ganz gut und machte auch Spaß. Oftmals gingen die Fragen auch über eine reine Tourismusinformation hinaus: Wie finde ich Arbeit in Tokyo? Wo bekomme ich ein Visum? Wie sind meine Chancen mit meinen Qualifikationen? Soweit es mir möglich war hab ich geantwortet. Lebensberatung am Stand von Tokyo.

In jedem der Frager sah ich auch ein bisschen von mir selbst. Genau wie sie stand ich mit 21 vor der großen Reise nach Tokyo und hatte noch von nichts eine Ahnung.
Das intensivste Gespräch in der Hinsicht war sicherlich mit einem 23 jährigen Fotografen, der auf einmal vor mir stand und etwas wirr von seiner Idee erzählte. Aufgeregt drückte er mir sein iPad in die Hand und bat mich, die Bilder durchzusehen. Ich musste ein paar mal nachfragen bis ich endlich verstand, was er von mir wollte: er hatte eine Idee zu einem Fotoprojekt, welches er Tokyo anbieten wollte.

Vor drei Jahren, ich war 21 und gerade ein paar Wochen in Tokyo, war ich in der selben Position wie er. Ich hatte ein Idee für ein Fotoprojekt und bot sie Tokyo an. Ich wurde sogar ins Rathaus geladen und hatte ein Gespräch im 32. Stock. Aus dem Projekt ist leider nichts geworden, doch ich bekam die Chance als Fotograf für Tokyo ein paar Aufträge zu machen.
Jetzt, drei Jahre später, war ich nun in der Position zu entscheiden, ob das Projekt Chancen hat und weitergeleitet werden sollte, oder nicht.
Ich musste ihm absagen, da ich Tokyos Politik zu solchen Ideen nun bereits mehr als kannte.

Mit 21 war ich noch naiv und schrieb einfach die größte Stadt der Welt mit meiner Idee an. Heute würde ich das nicht mehr machen. Die Erfahrung stoppt einen dabei und flüstert “Nein, mach das nicht du Idiot!”. Doch frei nach Steve Jobs: Stay hungry, stay foolish. Ein bisschen Naivität sollte man sich wohl erhalten, denn schließlich, auch wenn das Projekt nicht klappte, hat mir der Ansatz nicht geschadet. Im Gegenteil.
Ich würde gerne mal wieder etwas naives wagen.

Es gab aber noch weitere interessante Gespräche. Zum Beispiel mit einem Schweizer Journalisten, den ich bisher nur aus Emails kannte und der mir nun zufällig über den Weg lief, kurz bevor er wieder nach Zürich flog. Oder der Lufthansa-Mitarbeiter, der am Stand anhielt und meinte “Du bist Fritz, oder? Wir haben uns doch vor drei Jahren beim Feuerwerk in Yokohama getroffen!”

Notizen über die Welt (der Messe)

– Der Stand von Israel und der von Palästina werben exakt mit dem selben Slogan: Komm ins heilige Land. Der Werbespruch entspricht dem Staatsmotto – und erklärt, warum eine Halle Abstand zwischen den beiden war, obwohl sie in der selben Region liegen.

– China wirbt mit einer “Visit Tibet” Kampagne. Das ist ungefähr so, als würde Deutschland nach der Besetzung von Frankreich mit einer “Besucht Paris” Kampagne werben. Haben sie damals vermutlich sogar gemacht.

– Der Stand der USA war direkt neben dem von Russland. Die USA warb mit Cowboys, Russland mit hübschen Mädels. Russland hat eindeutig gewonnen in meinen Augen.

Die Besucher
Die Tage für das allgemeine Publikum waren dominiert von der Frage: “Kostet das was/ kann ich das mitnehmen?”

Bei kostenlosen Sachen wird zugegriffen, egal ob man es braucht oder nicht. Stadtpläne, Kugelschreiber oder CDs gingen schnell weg. Darunter auch ein Bildband mit Impressionen aus Tokyo. Die erste Seite darin zeigt eine Stadtkarte von 1848, auf der noch alle Häuser der Samurai eingezeichnet sind, inkl. Wappen der Familien-Clans.
Vor zwei Jahren erst hatte ich das Original dieser Karte von 1848 bei der Recherche in der Staatsbibliothek in Tokyo in der Hand.

Kollege Carsten hatte mich auch mal auf der ITB besucht, ein paar mehr Bilder von der ganzen Messe gibt es in seinem Blog.

Das F-Wort
Im letzten Jahr fand die ITB ebenfalls um den 11. März herum statt. Als nun im letzten Jahr die Erde in Ostjapan wackelte und die Welle ins Land schwappte, strömten ein paar mehr oder weniger kompetente Journalisten auf die ITB zum Stand von Japan. Weil die anschließende Berichterstattung nicht ganz korrekt ablief und die Japaner zu der Zeit auch andere Sorgen hatten, als so zu tun, als gibts in Japan nur Kirschblüten und Samurai, entschloss man sich im letzten Jahr dazu, das Lager vorzeitig abzubrechen.

Nun, ein Jahr später, zum Jahrestag der Katastrophe, wo alle Medien voll sind mit Bildern aus Fukushima, war es natürlich nicht unbedingt leichter, Japan zu bewerben.
Ich zählte jeden Tag mit, wie oft ich nach Fukushima gefragt wurde. Insgesamt waren es nur 21 Personen, die sich bei mir erkundigten. Die meisten, die zu uns kamen, hatten entweder schon ihre Reise gebucht oder waren sich sicher in ihrer Absicht zu fahren. Unter denen, die fragten, waren auch einige völlig absurde Anfragen, bei denen Fakten, Fiktion, Zeitung und Stammtisch zu ganz fantastischen Geschichten aus dem Land des Atoms gebastelt wurden.


Spielten auch beim Abschlusskonzert – Trommler aus Okinawa (Kollege Tokyobling hat neulich auch welche abgelichtet)

Aufgeregt hatte mich allerdings nur eins: Am letzten Tag der Messe gab es ein Abschlusskonzert. Der letzte Auftritt gehörte dabei den Trommlern aus Japan. Die Broschüre der Messe, die auf den Auftritt aufmerksam machte, schrieb dazu: “In Andenken an Fukushima…”

Am Arsch.
Die Japaner spielten in Andenken an die fast 20.000 Menschen, die durch Erdbeben und Tsunami ihr Leben verloren. Niemand muss Fukushima gedenken, zudem nicht klar war, was denn nun aus Fukushima gedacht werden muss: der Stadt, der Präfektur oder doch dem Reaktor? Und so häufig, wie das AKW in den deutschen Medien auftaucht – braucht es da wirklich noch Trommeln zur Erinnerung?

Ich regte mich sehr über diese Formulierung auf. Die Japaner am Stand blieben jedoch ruhig. Sie sagten, es ist egal was die da schreiben, solange wir ihnen gedenken.
Recht haben sie.

Die Messe trommelte ordentlich auf mich ein. Nach diesen anstrengenden Tagen, mit runtergekühlter Luft in der Halle, die ständig neu verteilt, statt ausgetauscht wird, langen Gesprächen und vielen Menschen war ich einfach nur noch müde. Einen Tag nach dem Ende der Messe schon sollte es zurück zur nächsten Vorlesung gehen, nach der ich einfach nur noch ins Bett gefallen bin, hinein in einen Schlaf-Wach Zustand mit schlechten Filmen und gutem Essen.

Die ITB war intensiv – und genau das was ich brauchte. Ich war frustiert mit dem Dasein in Hannover, wo alles halbwegs aufregende nur mit der Uni zu tun hatte. In den fünf Tagen der Messe gab es so viele Kontakte, spannende Gespräche und aufregende Informationen wie in einem ganzen Semester nicht. Einmal mehr zeigte es mir, wie wichtig das eine Jahr in Tokyo für mich war – und ein bisschen Naivität.

Warum Tokyo nicht ein Jahr auf mich gewartet hat

Ein Jahr lang hatte ich ein Bild von Tokyo in meiner Erinnerung konserviert. Nun trifft es auf die Realität. Episoden eines Rückkehrers

Anmerkung: Den Text hatte ich nach den ersten zwei Wochen in Tokyo geschrieben, in der Halbzeit meines Monats in Japan in diesem Sommer. Ein paar Sachen haben sich inzwischen wieder geändert…

Für mich gibt es das Tokyo von vor zwei Jahren:
eine mir komplett unbekannte Stadt, voll mit fremden Menschen und fremder Sprache.

Es gibt auch das Tokyo von vor einem Jahr:
nach einer arbeitsreichen, erfüllenden Zeit, verließ ich die Stadt. Ich hatte Freunde, Kollegen, liebe Menschen und wunderbare Orten gefunden. Ich ging – wohlwissend, bald wieder zurückzukommen und das aufgeschlagene Kapitel Tokyo mit weiteren Zeilen zu füllen.

Und dann gibt es das Tokyo der letzten zwei Wochen:
vieles hat sich verändert, einiges nicht. Auch wenn ich ein Jahr darauf warten musste, wieder in die Stadt zurückzukehren – Tokyo hatte nicht auf mich gewartet. Die Stadt und seine Bewohner haben sich verändert.

Die Ankunft

Es ging wieder mit Aeroflot über Moskau nach Tokyo. Ich musste sechs Stunden im Sheremetyevo International Airport auf den Anschlussflug warten. Dank kostenlosen WLAN war das kein Problem. Vom Flughafen schickte ich auch eine Rechnung für einen Artikel an ein Magazin, die kurz nach meinem Abflug in Deutschland einen Beitrag abgenommen hatten. Jetset-Journalismus.

Während man sich auf dem Flug von Tokyo nach Moskau bei Aeroflot noch Mühe gibt mit dem Essen und Service, begrüßten mich nun auf dem umgekehrten Wege abgeranzte Sitze und geschmackfreies Essen. Ich bat meine Flugbegleiterin Olga um einen Tee, doch sie wollte mir keinen geben. Aus Strafe, weil ich etwas anderes als Wasser oder Sprite haben wollte, gab es für die nächsten zwei Stunden für mich gar nichts zu trinken. Als Bordprogramm gab es auch nur einen Monitor für die jeweils sechs Sitze dahinter und Olga’s Rückenmassagen, mit denen sie eingeschlafene Fluggäste zum Essen weckte.

Die erste Couch

Nach der Landung in Narita sollte es zu Freunden gehen. Am Fahrkartenschalter merkte ich, wie eingerostet mein Japanisch war. Stammelnd bestellte ich mir ein Busticket auf Japanisch und bekam es von der Verkäuferin auf Englisch ausgehändigt. Als die Angestellten der Busfirma mit weissen Handschuhen meinen Rucksack verstauten und sich bei der Abfahrt vor dem Bus verbeugten, realisierte ich endlich: ich bin wieder in Japan.

Auf der Autobahn ging es vorbei an Hügeln, Reisfeldern, überwucherten Gegenden und vereinzelten Bahnhöfen. Beim Blick auf die Gleise packte mich die Reiselust. Ich erinnerte mich an meine vielen Zugfahrten quer durch das Land. Sehe ich hingegen einen Bahnhof der Deutschen Bahn überkommt mich nur Frustration.

Als der Bus im Zentrum von Tokyo ankam, fuhren wir im Wolkenkratzer-Viertel vorbei – meine alte Nachbarschaft, von der ich mal 5min entfernt lebte. Wir hielten an einer Ampel und ich blickte aus dem Fenster. Die Kreuzung kannte ich. Ich stand hier auch schon oft an der Ampel mit meinem Fahrrad. Dabei dachte ich über ganz triviale Dinge nach. Was ich heute zum Essen koche oder wo ich diese Woche Bilder mache.
In Tokyo hatte ich nie diesen Hunger danach, etwas bedeutungsvolles zu schaffen; dieser Druck, den ich in Berlins ruhigen Tempo oft verspüre, etwas außergwöhnliches tun zu müssen. In Tokyo kümmerten mich eher triviale Dinge, wie das Abendessen, statt Gedanken, wie ich die Karriere in Berlin noch weiter pushen muss. Vielleicht weil alles, was ich in Tokyo mache, automatisch eine gewisse Bedeutung bekommt. Ich blickte auf die Straßenkreuzung und vermisste die trivialen Gedanken.

In Shinjuku bin ich dann wie in Trance in den Zug gestolpert, habe mich zunächst, wie es sich gehört, verfahren, und bin dann vom Bahnhof auf die Couch. Der Schlüssel lag neben der Tür, meine Freunde waren noch im Büro und auf der Arbeit. Der erste Empfang in Tokyo war also eine kalte Dusche und zwei Kissen auf dem Sofa, die mein Wachkoma nach fast 20 Stunden unterwegs sanft auffingen.

Mit dem Sonnenuntergang kamen meine Freunde nachhause. Doch von den Leuten, die früher in diesem Haus wohnten und die ich zu meinen Freunden zählte, lebten nur noch zwei hier. Die anderen haben das Land verlassen – Richtung Heimat oder Richtung Karriere.
Es gab eine Umarmung und wir saßen. Es gab Gespräche und wir saßen. Es gab Essen und wir saßen. Gegen Mitternacht kam noch ein “Hey…” durch die Tür von einem amerikanischen Architekten. Wir sahen uns ein Jahr lang nicht, doch er war zu müde um sonderlich Notiz von meiner beendeten Abwesenheit zu nehmen.

Ich kam als externe Partei in ihr Haus, in ihr Leben. Zwischen Job, Beziehung und Alltag drängte sich nun ein Reisender auf die Couch, für den keiner so recht Zeit und Energie nach einem Arbeitstag hatte. Ich hatte mir Zeit für einen Sommer in Tokyo genommen, doch sie mussten natürlich weiter arbeiten und leben. Es war vielleicht naiv von mir mehr zu erwarten, doch dieser kalte Empfang ließ mich enttäuscht zurück.

Der lange Spaziergang

Das “wieder ankommen” dauerte länger als ich dachte. Der Jetlag tat sein übriges. Ich versuchte so schnell wie möglich wieder in eine Arbeitsroutine zu kommen, doch im konstant wechselnden Schlaf-Wach Zustand und mit dem Computer auf dem Wohnzimmertisch als provisorischen Arbeitsplatz mochte sich keine Routine einstellen.

In einem großen Kühlbeutel brachte ich Käse, Joghurt und Schokolade aus Deutschland mit und verteilte es über die nächste Tage – auch an einen deutschen Freund. Er kam vor zwei Jahren nach Tokyo und war damals Teil eines Stipendien-Programms. Nur noch er und ein weiterer Stipendiat sind nach dem Ende des Programms bis heute in Tokyo geblieben. Bei vielen war es der japanische Arbeitsalltag, der die langfristigen Lebensplanung änderte – zu einem Leben fern davon. Es war ein Hit & Miss, entweder passte der Job oder nicht. Bei meinem Freund passte es und entspannt schlenderte er mit mir eine Stunde durch Tokyo zum Grillfest von seinen Kollegen. Doch da der Jetlag mich fast in den Grill fallen ließ, verabschiedete ich mich nach zwei Stunden und sechs Hühnchenflügeln wieder.

Die Suche nach Normalität

Ich hatte ja noch mein Handy von Softbank. Doch da ich ein Jahr und zehn Tage lang kein Anruf mehr auf dem Handy empfangen hatte, war es wertlos. Nach einem Jahr wird die Nummer und die Registrierung gelöscht. Neue Prepaid-Karten verkaufen sie nicht mehr, da: “Kriminelle haben die Prepaid-Handys benutzt. Deswegen haben wir sie aus dem Sortiment genommen”. Demnächst: Verbot von Autos, weil sie von Kriminellen zur Flucht genutzt werden, und das Verbot von Brot, da statistisch gesehen alle Massenmörder 24h vor ihrer Tat Brot verzehren.

Dank der Rechnung, die ich vom Flughafen in Moskau schickte, und einigen Aufträgen, die unerwartet reinkamen, hatte ich mehr finanzielle Mittel zur Verfügung als ich vor der Reise erwartet hatte. Um produktiver arbeiten zu können erwog ich daher, mir mein eigenes Zimmer zu mieten. Zunächst wurde mir ein Angebot von der deutsch-japanischen Vermieterin im Haus meiner Freunde gemacht.
Ich war noch in meiner Unterwäsche als die Vermieterin morgens zu meiner Couch kam um mit mir über Geld zu reden. Hektisch griff ich mir die Decke und bot ihr den Käse aus Deutschland an. Sie hätte lieber Geld fürs Zimmer, sagte sie. Etwas zu viel, also lehnte ich ab.

Die alte WG

Der Empfang in meiner alten WG in Nakano lief herzlicher ab. Von den zehn Personen, die vor einem jahr zusammen mit mir hier im Haus wohnten, leben nur noch vier Personen hier. Doch die Alten stellten mich den Neuen vor und als ich nach sechs Stunden, gefüllt mit langen Gesprächen, ging, fragten mich die Neuen, wann ich doch endlich hier wieder einziehe.

Es war die perfekte Verbindung von meinem alten Tokyo zu einem neuen. Nicht die Wiederholung einer Erinnerung sondern die Kreierung von neuen, gemeinsamen Momenten. In dem ersten Haus machten wir nichts zusammen, außer dass ich auf der Couch saß und die anderen davor. Die spontane Entscheidung in meiner WG in Nakano gemeinsam zu einem Conbini zu gehen, nur weil ich Trinkschokolade wollte, mobilisierte das halbe Haus. Gemeinsam gingen wir von einem Conbini zum nächsten, nur weil ich Kakao haben wollte und nirgendwo fand. Es war so simpel, so dämlich, aber doch so gemeinsam. Stets zusammen mit den alten und neuen Mitbewohnern.
Zwei Tage später zog ich ein.

Ich bezog ein Zimmer im ersten Stock, das kurzfristig frei geworden war, doch die erste Woche lebte ich im Erdgeschoss, im Zimmer einer Freundin, die währenddessen für sieben Tage in der Tsunami-Region als Übersetzerin unterwegs war. Ich mochte jede pinke Minute davon.
Am ersten Morgen wachte ich mit Vogelgesang vor meinem Fenster(!) auf. Im Morgenlicht sah ich nun auch all die vielen Fotos, Plakate und Poster, die ihrem Zimmer eine freie, kreative Atmosphäre verpassten.

Ich bloggte schon über sie, und sie auch über mich. Sie lieh mir auch ihr Fahrrad, ein kleines Mamachari, komplett(!) in pink. Ich nahm den Anlass für ein kleines Gedicht auf Facebook:

In Tokyo,
for there has never been a greater sight,
than of a blonde foreigner on his pink bike.

Ich malte mir schon aus, was ich den Polizisten sagen sollte, wenn sie mich anhalten und fragen, ob das mein Rad ist:

“Nein, es gehört meiner Freundin”
(was schon mal eine heterosexuelle Basis etabliert)
“Ja, willst du mit mir drauf reiten?” *zwinker*
“Nein, es passt auch gar nicht zu meiner Frisur, mein Popöchen lässt sich nur auf goldene Räder nieder”

In meiner alten WG in Nakano, in meinem eigenem Zimmer begann die produktivste Zeit in Tokyo. Ich war aus dem Jetlag raus, hatte mein eigenes Zimmer, dass ich auch mal abschließen konnte, und zu jederzeit Freunde um mich herum, falls ich mal eine Ablenkung brauchte. Ich habe gearbeitet bis ich vor dem Rechner eingeschlafen bin. Nach dem Aufwachen ging es dann meist weiter mit der Arbeit, bis einem dann auffällt, dass man seit über 12 Stunden nichts mehr gegessen hat. Das Tokyo Leben, eben. Wie sehr hatte ich es vermisst.

Der Besuch der Lieblingsbar

Täglich bewegen sich in Tokyo über 30 Millionen Menschen. Ein ganzes Jahr war ich weg – und doch sprach mich der Barkeeper in meiner Lieblingsbar in Tokyo darauf an, dass ich meine Frisur geändert habe. Er konnte sich noch an mich erinnern.

In der Bar traf ich mich mit meinen deutschen Mitbewohner aus meiner ersten WG in Hatsudai. Jahrelang arbeitete er mal hier, mal da, und war sehr glücklich damit. Nun hat er einen Dreijahres-Vertrag bei einer Mobilfunk-Firma und denkt über Hochzeit nach. Der dritte Mitbewohner unserer WG hatte kurz zuvor schon geheiratet (und zwar die Frau, die mein Zimmer wollte und so für meinen Auszug sorgte).
Die WG ist inzwischen aufgelöst.

Fern der Heimat

Aus Deutschland erreichten mich in den ersten zwei Wochen in Tokyo drei Nachrichten:

Brief von der Uni
Die offizielle Zusage der Universität in Hannover traf ein paar Tage nach meinem Abflug in Berlin ein. Sie gaben mir eine Woche(!) um die 700€ Immatrikulationsgebühr zu bezahlen, ihnen diverse, unterschriebene Dokumente und ein Passfoto zuzuschicken. Sollte das fehlen, wird mein Studienplatz vergeben.
Da war die Hektik, vorallem bei meinen Eltern, natürlich groß. Ich scannte meine Unterschrift ein und schickte sie nach Deutschland. Nur ein Passfoto hatte ich nicht. Das konnte ich zum Glück noch selbst hinkriegen. Ich bat einen kanadischen Fotograf, der im selben Haus wohnte, um einen externen Blitz, doch er schlug vor, das Foto gleich selbst zu machen. Unrasiert stellte ich mich vor eine Wand in unserem Haus in Nakano und er drückte ab.
Mein Studentenausweis mit dem Foto kam zwei Tage nach meiner Landung in Berlin mit der Post. Nun habe ich eine ständige Erinnerung an das Haus in Nakano, an Tokyo und an eine liebevolle WG in meiner Brieftasche – und in meinem Studium.

sexy biometrisch, wa

Das verlegte Foto
Im April(!) bekam ich eine Anfrage von einem kleinen Verlag. Sie haben in meinem Blog ein Bild gesehen und würden es gerne für ein Buch verwenden. Natürlich würde man dafür bezahlen, doch man braucht noch ein bisschen Zeit, bis sich die Art Direction für das Foto entscheidet. Bis dahin nehmen sie die kleine Version aus dem Blog.

Sie hatten sich die ganze Zeit nicht gemeldet und ich hatte die Anfrage inzwischen schon wieder abgehakt. Vier Monate später kam nun doch die Mail. Bis Ende der Woche brauchen sie das Foto, danach kann ich die Rechnung stellen. Alles klar, kein Problem, sag ich und suche nach dem Foto.
Ich suche, und suche, und suche und stelle fest… das Foto befindet sich 8925km entfernt auf einer Festplatte in Berlin, und nicht auf meinem Rechner in Tokyo.

Ich überlegte nun zusammen mit dem Verlag, ob das jetzt einfach unprofessionell von mir war, das Foto nicht einzupacken, oder der Verlag sich einfach mal früher hätte melden sollen. So oder so, die Zeit drängte. Zufälligerweise war es ein Foto aus Tokyo, und ich hätte es einfach reproduzieren können. Doch nur für ein Foto, was ich ohnehin schon habe, einen halben Arbeitstag zu verlieren, dafür war die Vergütung nicht hoch genug.

Ein guter Freund bot an, das Foto auf meinen Festplatten in Berlin zu suchen. Er schickte mir das Bild dann nach Tokyo, von wo aus ich es wieder nach Deutschland schickte. Ganz schön viel Aufwand für ein einzelnes Bild, aber auch das erste Mal, dass ich mit dem Blog Geld verdient habe.

Der Anruf um Mitternacht
An einem späten Donnerstagabend erhielt ich einen Anruf von einer Klientin aus München, die dort für Tokyo tätig ist. Ein Online-Magazin hat bei ihr nach Bildern aus Tokyo gefragt. Und zwar nicht nach den üblichen Pressefotos, sondern nach Bildern von einer besimmten Bahnstation, die besonders sein soll. Meine Klientin rief daraufhin in Tokyo und bei der Bahnfirma an, doch verwendbare Fotos gab es nicht. Dann dachte sie an mich und schickte mich für Tokyo zum Bahnhof. Die Deadline war schon für den nächsten Tag angesetzt.

Eine Stunde lang für die Stadt Tokyo einen Bahnhof fotografieren und dafür bezahlt werden. Fotograf sein ist schon lustig, manchmal.

Ein Inder und seine sechs Schlüssel

Der wichtigste Aspekt für mich, um wieder in Tokyo anzukommen, war neben einer Arbeitsroutine, ein Fahrrad. Das pinke Fahrrad konnte ich auf Dauer nicht benutzen, größtenteils weil es einfach zu klein war und mir nach einer Weile die Knie schmerzten. Der Inder, dem ich dann sein Rad abkaufte, konnte meine Freude über das gekaufte Produkt nicht nachvollziehen, als er es mir zusammen mit drei Schlössern mit insgesamt sechs Schlüsseln überreichte.
Ich steh auf Freiheit.
Das schätze ich auch so sehr am Freiberufler-Dasein. Ein Rad bedeutet für mich Freiheit. Ich kann überall hin. Wann ich will und so weit mich die Pedale tragen. Es kostet mich kein Geld und ich muss mich nicht nach Zugplänen richten.

Der Inder war zwar noch irritiert, als er mein Geld nahm, wünschte mir aber einen gute Fahrt und bedankte sich einen Tag später noch für die gelungene Transaktion. Als ich ihn fragte, was er in Tokyo mache, sagte er, er arbeitet in IT. Natürlich.

Die erste Tour führte mich quer durch Nakano, bis zum Inokashira-Park. Immer Richtung Sonnenuntergang nach Westen. Vorbei an Wohngegenden, kleinen Gassen und kleinen Flüssen. Eine Sache, die mir in Berlin am meisten fehlte, war das Fahrradfahren durch Nakano, wo jede kleine Gasse eine neue Entdeckung sein kann. Auf dem Rückweg fuhr ich dann an den Bahntrassen der Chuo-Linie entlang, damit ich mich in der Metropole nicht verliere. Das Quietschen der Züge brachte mich nach Hause.

Einen Tag später fuhr ich meine alte Arbeitsstrecke lang, von Nakano nach Yurakucho. Ich fuhr am Kaiserpalast vorbei, unter Bäumen hindurch. Es roch nach Natur und ich musste an Berlin und seine Alleen denken. Als ich das realisierte lachte ich laut und lang.
In Berlin denk ich an Tokyo und in Tokyo an Berlin.

Geschichten aus einem deutschen Restaurant in Tokyo- die Rückkehr

Nach einem Jahr wieder durch die Straßen von Tokyo zu fahren fühlte sich so an, wie durch die Straßen von Berlin zu fahren nach einem Jahr in Tokyo. Alles war seltsam vertraut. Mühelos fand ich mein altes Restaurant wieder und parkte mein Rad unter dem kleinen Fachwerkshaus-Fenster. Ich sah meinen alten Chef durch das Glas und musste schon grinsen.
Zuerst erkannten mich meine Kollegen nicht und wollte mir sagen, dass sie gleich schließen. Beim Blick auf die Brille und mein Lächeln fiel der Groschen dann. Einige Kollegen hielten sich die Hand vor den Mund vor Überraschung. So ganz begreifen konnte sie es noch nicht, dass ein Jahr vergangen ist und ich nun wieder vor ihnen stehe.

Unter ihren Reaktionen hörte ich:
“Du siehst gut aus mit kurzen Haaren. Genau wie Sting”
“Dein Japanisch ist immer noch nicht besser”
“Du warst in Berlin, Israel, Palästina und nun hast du Aufträge in Tokyo. Du lebst das glückliche Leben eines Journalisten”

Wir redeten nicht viel. Sie hatten wenig Fragen und ich hatte wenig aus Berlin zu erzählen. In einem dreisprachigen Mix aus Deutsch, Englisch und Japanisch, stets mit Hilfe von Langenscheidt, schafften wir es dann doch noch Informationen auszutauschen. Doch das Gebrabbel war eigentlich egal, ich war einfach nur froh, sie wieder zu sehen.
Beim Erdbeben hat es zwar alle Gläser und Weinflaschen aus den Regalen geworfen und zerdeppert, und seit Fukushima haben sie auch keine deutsche Gäste mehr gesehen, doch das Geschäft floriert auch weiterhin. Es waren dieselben Kollegen von vor einem Jahr. Keiner hat gekündigt, keiner ist dazugekommen. Das Menü war unverändert – aber das ist es schon seit über 20 Jahren. Nur der Besitzer ist gestorben, doch dem trauerte keiner nach. War wirklich ein Jahr vergangen? Hier war es fast so, als hätte man sich bewusst Veränderung wiedersetzt.

Der Anti-Amerikaner

Im Laufe eines Jahres lernt man viele Menschen kennen. Hat man nur ein kurzes Zeitfenster von ein paar Wochen oder einem Monat, hat man weniger Zeit, neue und vorallem tiefergehende Kontakte zu knüpfen. Zu den wenigen neuen Personen, die ich näher kennenlernen durfte, gehörte ein amerikanischer Radio-Journalist. Ich kannte ihn schon etwas über Facebook, traf ihn aber nun zum ersten Mal in Person.

Er ist Südstaaten-Amerikaner und verdammt stolz darauf. In Japan ist er jetzt seit drei Jahren und Radio-Journalist ist er auch erst seit Fukushima. Mit vielen Sachen in Japan ist er frustiert, mit vielen Sachen in Amerika aber auch. Er ist gegen vieles, aber stets mit vollster Überzeugung. Zu keiner Gesellschaft fühlt er sich wirklich zugehörig und daraus macht er eine gesamte Grundhaltung. Sehr aggressiv vertrat er seine Positionen, trotzdem fand ich es sehr anregend mit ihm zu diskutieren. Gerade weil wir stets völlig unterschiedliche Positionen hatten. Eine europäische und amerikanische Sicht auf die Weltpolitik trafen aufeinander.

In den ersten Wochen in Tokyo trafen für mich vorallem viele Lebenskonzepte aufeinander: Meine Vorstellung vom Leben und Beruf, und die Vorstellungen vom Leben und Beruf der Menschen, die ich traf, die sich durchaus verändert hatten zu dem Jahr zuvor. Meine Idee vom Leben veränderte sich in dem letzten Jahr nicht unbedingt, ich sehe nach wie vor meine Zukunft mit der Kamera und dem Stift in der Hand im Ausland.
Vom Stipendiat, der hier für die Zeit einen erfüllenden Job gefunden hat, vom ehemaligen deutschen Mitbewohner, der der Heimat jahrelang den Rücken kehrte und nun aktiv überlegt mit seiner japanischen Freundin nach Deutschland zu ziehen, bis hin zum Amerikaner, der heimatlos ist und verdammt stolz darauf ist – in den ersten zwei Wochen auf so viele verschiedene Lebenspfade zu treffen war nicht einfach.

Der Abschluss des Kapitel Tokyo

Nach zwei Wochen ist nun fast Halbzeit. Ich bin inzwischen voll angekommen. Ich spüre momentan, dass ich das Kapitel Tokyo abschließe. Aufträge, Projekte und Kontakte, die ich vor einem Jahr begonnen habe, finden so langsam ihr Ende. Auch wenn ich ein Jahr lang nichts sehnlicher wollte, als nach Tokyo zurückzukehren, so meinte ich doch damit immer das Tokyo von vor einem Jahr.
Tokyo hat sich verändert. Ich hatte etwas Zeit gebraucht, um diese Veränderungen zu akzeptieren. Der erste Besuch in Nakano half mir dabei. Denn erst da fiel mir auf, dass sich nicht nur Tokyo und meine Freunde in dem letzten Jahr verändert haben – auch bei mir hatte sich etwas getan. Mein Vermieter sah das Buch, wo ich auf dem Cover groß als Autor stehen und war sprachlos. Auf dem Dach unserer WG erzählte ich von meiner journalischen Arbeit, der Berlinale und der Reise nach Palästina.

Ich bin jetzt 23. Als ich nach Tokyo ging war ich 21. Ich habe das Gefühl, das ich etwas reifer geworden bin – auch was meine Arbeit angeht. Wenn ich den Vergleich suche, zwischen den ersten Wochen in Tokyo, dem Ende meiner Zeit dort und jetzt, so muss ich doch feststellen, dass dieser Vergleich Käse ist. In Tokyo war es ein konstanter Prozess der Veränderung, jeden Monat aufs Neue. Die letzten Wochen in Tokyo als das Ergebnis eines Jahres zu definieren und auf ewig so im Gedächtnis zu konservieren, setzte mir nur Scheuklappen auf.

Das Kapitel Tokyo findet nun erstmal seinen Abschluss. Ich bin zwar nach wie vor glücklicher mit Arbeit und Leben, als ich es je in Berlin war, doch mir ist auch bewusst, dass das alles nur temporär ist. Vorerst.
Alte Freunde werden getroffen, lang gemisste Gerichte verzehrt und Jobs abgeschlossen. Bislang ist es nur eine Wiederholung und Beendigung vom Vergangenen. Ich füge keine neue Ebene zu meinem Leben in Tokyo hinzu, wie z.b. durch eine Freundin, festen Job o.ä.. Und bislang habe ich auch noch nicht das Bedürfnis das zu tun.

Zwei Jahre finden ihren Abschluss.

Appendix: Nach den vier Wochen in Tokyo und seit meiner Landung sehe ich das alles etwas anders. Allein die Tatsache, dass ich jeden Tag begeistert und motiviert 12+ Stunden gearbeitet habe, ständig neue Ideen und Inspiration sammeln konnte und sehr einfach spannende Themen für Artikel und Fotos gefunden habe, zeigt mir, dass das Leben in Tokyo ein Leben ist, in dem ich sehr glücklich und gesund sein kann. Unabhängig von Zeit und Lebenskonzepten.

Was mich allerdings nun bei meinem Abschied mehr traf als vor einem Jahr, war der Abschied von liebgewonnen Menschen. Die letzte Nacht in Tokyo, die ich wieder in meiner WG in Nakano verbrachte, war schmerzhaft, auch wenn ich es mir nicht habe anmerken lassen. Mir wurde der Fatalismus weiterer Reisen nach Japan bewusst. Es hatte ein Jahr gedauert, bis ich meine Freunde wieder gesehen habe. Und nun, ein Jahr später, waren weniger von ihnen in Tokyo. Bei meinem nächsten Besuch werden es noch weniger sein. Über den gesamten Globus zerstreuen sich dann Beziehungen, die früher mal nur zwei Bahnstationen oder zwei Treppen entfernt waren. Jetzt ist es ja noch ungewisser, wann ich wieder nach Tokyo komme. Bei europäischen Freunden ist ja noch die Chance, dass ich sie hier mal wieder sehe. Doch Neuseeland? Im US-Staat Alabama? Kanada?

Bei jeder neuen Reise nach Tokyo werden es weniger Freunde sein, die auf mich warten. Und in der Kürze der Zeit der Besuche lassen sich kaum neue, enge Freunde finden. Irgendwann werde ich nach Tokyo zurückkehre und niemand wird mehr auf mich warten. Es gibt dann nur noch mich, die Stadt und meine Kamera.
Für die Arbeit ist das gut, für das Herz nicht.