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Der Tag, an dem ich eine Nummer wurde

Am Freitag war die Aufnahmeprüfung für den Studiengang Fotojournalismus an der FH Hannover. Ich habe als einer von den zehn besten Bewerbern bestanden.

Das ganze Bewerbungsverfahren gliedert sich wie folgt: Bewerbungsmappe -> Hausarbeit -> zwei Prüfungsaufgaben -> ein persönliches Gespräch.
Alles Gründe, warum ich in letzter Zeit wenig bloggte. Ein Praktikum, was in der Zwischenzeit begann, hatte allerdings auch etwas damit zu tun.

Nummer 63, vortreten

Damit alles organisiert ablaufen konnte, bekam nach der allgemeinen Begrüßung im Auditorium der Fachhochschule jeder eine Nummer zugeteilt. Ich wurde für den Rest des Tages zur Nr. 63, deren Kennung ich mir sichtbar an den rechten Arm klebte.

Vor der Prüfung schickte die Uni einen Brief an alle Bewerber. Darin wurden wir aufgefordert, einen Tuschkasten, Stifte, Pinsel, Kleber, Schere, Papier und ausgerissene Seite einer Zeitung mitzubringen. Das Schreiben ist standartisiert für alle Studienrichtungen, geht also auch an Bewerber für Szenografie oder Visuelle Kommunikation. Nur die Prüfungsaufgaben sind in jedem Studiengang unterschiedlich. Ich hörte schon vorher, dass Fotografen, die nicht zeichnen können, auch genommen werden. Das betraf auch mich, deswegen schenkte ich meinen mitgebrachten Tuschkasten kaum Beachtung.
Unsere Aufgaben waren wie folgt:

1. Mach ein Foto zum Thema “Einblick”
2. Stelle uns eine Person in drei Portraits so gut wie möglich vor.
3. Erstelle eine Collage aus den mitgebrachten Zeitungsausschnitten zum Thema “Gerechtigkeit”.

Zwischen Prüfungsbeginn und Ende lagen knapp sechs Stunden, in denen wir uns frei in der Stadt bewegen konnten. Nur zu unserem Prüfungsgespräch mussten wir anwesend sein. Es gab dafür keine festen Termine, wir mussten grob einschätzen, wann wir mit unserer Nummer dran sind.

Zwischen Anspannung und Strandurlaub

Meine Mitbewerber, um die 50 an der Zahl, reisten aus dem In- und Ausland an diesem Tag nach Hannover. Einer sah mit seinen kurzen Hosen und T-Shirt aus, als hätte er sich für den Sommerurlaub statt auf eine Prüfung vorbereitet. Andere hielten vor Nervosität ihre Mappen zitternd und schützend vor sich.
Ich war entspannt.
Ich wusste, selbst wenn ich nicht angenommen werde, werde ich mit der Fotografie weiterhin arbeiten. Zudem hatte ich Vertrauen in die Fähigkeiten, die ich in den letzten Jahren aufbaute.

Jede journalistische Arbeit beginnt mit der Recherche. Als ich die Aufgaben für die Prüfung bekam, suchte ich zuerst im Internet nach Themen in und um Hannover. Diesen Teil der Prüfung fand ich am spannendsten. Eine konkrete Aufgabe zu bekommen und sie in einer komplett fremden Stadt umzusetzen, war eine schöne Herausforderung. Wohlwissend, dass ich nicht alles umsetzen werden könne, schrieb ich mir verschiedene Möglichkeiten auf. Schon bevor ich im Zug in die Stadt saß, fielen zwei davon durch.

Einblick in die Prüfung

“Einblick” sollte in einem Bild umgesetzt werden. Die ersten Recherchen ergaben, dass ein Bär im Zoo von Hannover derzeit nur ein Auge hat. Das erschien mir aber etwas schwierig abzugreifen. Ich wollte dann einen Detektiv bei der Arbeit begleiten, doch der hatte keine Lust auf einen Fotografen aus Berlin. Auch einen Patienten im Krankenhaus, der ein Auge verbunden hatte, wollt sich nicht finden lassen. Dann wollte ich ins Stadtarchiv von Hannover. Nach langer Suche fand ich es auch, versteckt in einer Seitengasse – nur um dann zu lesen, dass es an diesem Tag (und nur an diesem Tag!) außerplanmäßig geschlossen hatte. Enttäuscht aber auch etwas belustigt über diesen Umstand schrie ich laut “Fuck…” und ein bärtiger Mann mit Aktenkoffer kam aus dem Archiv. “Tut mir Leid, es ist halt so”, sagte er und ließ mich allein. Inzwischen waren schon zwei Stunden vergangen, ich hatte noch keine Aufgabe geschafft und die Abgabe war in vier Stunden.
Ich ging erstmal zu einem Bäcker.

Machen wir nich – viel Glück trotzdem

Nach einer zu kalten aber leckeren Laugenstange (belegt mit Ananas und Hühnchen) sammelte ich meine Gedanken. Als nächstes wollte ich einen Optiker aufsuchen, mit Brillen und Gläsern liesse sich bestimmt ein gutes Bild machen. Die Verkäuferin meinte, der nächste wär die Straße runter und nach 15min fand ich auch einen Fielmann. Die junge Blonde hinterm Thresen hörte mir zwar gerne zu, aber die Chefin kam lächelnd aus dem Hinterzimmer und meinte, da müsse man erst mit der Zentrale in Hamburg telefonieren, ob ich hier mal eben ein Foto machen darf. Dieses Telefonat wollte ich den Damen ersparen.

Blind ging ich weiter die Straße runter und kaute das Wort Einblick solange durch, bis es jegliche Bedeutung verlor. Irgendwann sah ich dann das Ärztehaus Hannover. Dort musste ich drei verschiedenen Empfangsdamen stets die selbe Geschichte von der Aufnahmeprüfung erzählen, bis eine dann genervt zum Arzt ging. Dieser hatte zwar grad einen Patienten im Nebenzimmer, aber helfen wollte er mir trotzdem. Entstanden ist das Bild “Ein Blick in den Blick”, oben, am Anfang diesen Beitrags. Als Modell diente die Empfangsdame, die dann am Ende doch noch ihren Spaß hatte. Meine Empfehlung geht an Dr. Witschel, cooler Typ.

Eine Aufgabe gelöst, blieb noch die zweite. Die war aber ungleich schwieriger. Ich musste jemanden in dieser fremden Stadt finden, ihn kennen lernen, Vertrauen aufbauen und dann drei verschiedene Portraits machen. Ich wusste schon vorher, dass das nicht meine Stärke sein wird.

Ich hatte wenig Zeit. Einfacher würde es daher sein, jemand in meinen Alter zu nehmen, einen Studenten. Von der Uni, wo gerade mein Aufnahmeverfahren läuft, wollte ich keinen nehmen, denn das werden dort wahrscheinlich viele Bewerber machen. Ein gepflegter Mann im Anzug vor einem schicken BMW half mir dann weiter.

Die staatliche Musikhochschule ist nur 2000m von hier, meinte er, und zeigte Richtung Osten. Er war Chauffeur. Für wen, wollte er nicht sagen. Keine zehn Meter später bereute ich es schon, nicht ihn um die Portraits gebeten zu haben.

Fleißige Studenten

Ich verlor viel Zeit durch die Entscheidung, die Bahn zu nehmen statt die paar Meter zur Uni zu laufen. Mit zerknitterten Klamotten, ungekämmten Haaren und Umhängetasche fiel nicht auf, dass ich kein Student an der Uni war und keiner fragte mich, was ich hier denn wollte. Aus den Räumen klang überall Musik und viele Studenten waren fleißig am Üben. Da lag allerdings auch das Problem.

Ich brauchte jemanden mit ca. 30min Zeit, damit ich ihn kennenlerne und mit möglichst verschiedenen Aspekten seiner Persönlichkeit portraitieren kann. Da musste die Chemie gleich stimmen. Doch neben vielen Asiaten, ein paar Japanern und Leuten, die schief Trompete spielten, fand ich keinen mit Zeit. Alle waren am Üben, Lernen, Noten Schreiben. Und die Japaner wollte ich jetzt auch nicht bemühen, nur weil ich mal in Japan lebte (“Hey, bist du Japaner? Kann ich Bilder von dir machen?”). Nach einer Weile auf dem Klo der Schule, deren Fliesen wie Klaviertasten angemalt waren, fand ich dann im Treppenhaus eine dicke Tuba und seinen Spieler.
Ob denn die Akustik im Treppenhaus besser sei, fragte ich ihn. Es hallt, aber sei in Ordnung, meint er. Er hatte keinen Übungsraum abbekommen und zuhause Tuba spielen machte ihn bei den Nachbarn unbeliebt. Wir hatten ein gutes Gespräch und ich erzählte ihm, was ich seit mittlerweile einer Stunde in dieser Schule suchte und wofür. Tja, sagte er, er wisse zwar nur, dass 80% der Studenten Asiaten sind, aber sonst könne er nix sagen. Und er muss jetzt sowieso Tuba spielen. Er wünschte mir viel Glück und fing an Carmina Burana zu spielen, als ich durch die Tür ging und ihn in seinem Treppenhaus zurück ließ.

Pünktlichkeit

Es war nun halb zwei. Ich zögerte noch lange, zog es dann aber vor, wieder zur Uni zurück zu fahren. Als Nummer 63 wäre ich wahrscheinlich gegen 14 Uhr mit meinem Gespräch dran.
Da die Uni weit vor der Stadt liegt, war ich mit der Bahn erst 14.40 Uhr im Gebäude. Die Nr. 63 wurde schon gesucht, denn passend um 14.45 Uhr begann das Gespräch.

Fünf Professoren und zwei Studenten saßen als Jury vor uns. Sie stellten mir und vier Mitbewerbern Fragen. Das Gespräch lief gut – zumindest für mich. Meine Kollegen waren zu nervös, verhedderten sich in langen Sätzen und ließen eher allgemeine Phrasen statt persönlichen Antworten von sich hören. Sie sagten, was sie wohl dachten sagen zu müssen; was von ihnen vermeintlich erwartet wurde. Ich sagte das, was mir einfiel und was ich für richtig hielt. Aber das ich als einziger von uns fünf einen journalistischen Hintergrund hatte, half sicher auch.

Wir zeigten auch unsere Hausarbeiten vor, das Thema war “Plagiat”. Ich hatte dabei etwas zu Kunstfälschern in Berlin gemacht. Ein beliebtes Thema, wie es schien, andere Bewerber waren auch bei den drei Russen zu Besuch. Die Professoren blätterten nur schnell durch die Mappe, ohne den Text dazu zu lesen.

Die russischen Kunstfälscher von Berlin-Neukölln

Die drei Brüder Eugen, Michael und Semjon Posin sind seit über 40 Jahren Kunstfälscher – auch wenn sie sich selbst lieber als Kunst-Kopisten bezeichnen. „Man kann Kunst nur verstehen, wenn man sie nachmalt und sich in die Perspektive des Künstlers versetzt“, sagen sie. In der Sowjetunion haben sie es so Strich für Strich gelernt und es mittlerweile fast zur Perfektion gebracht. Seit über 20 Jahren haben sie jetzt den Kunstsalon Posin in einem Wohnhaus in Berlin-Neukölln, wo sie ihre Werke schaffen und ausstellen. Ihre van Goghs, Kirchners oder Mona Lisa sind sehr begehrt und sogar legal – solange hinten auf dem Bild ihr Namen und ihre Adresse steht. Museen und Galerien kommen regelmäßig auf sie zu um verlorene oder gestohlene Gemälde rekonstruieren zu lassen. Für die Brüder sind ihre Werke keine reinen Kopien – sie sind Reinkarnationen des Originals.

Das Gespräch war 15.30 Uhr vorbei und eine Aufgabe fehlte mir noch. Und das Foto von vorhin musste ich auch noch bearbeiten und drucken. Ich hatte für beides nur noch eine halbe Stunde.

“Da hinten ist ‘ne Schauspielschule, frag mal da”, sagte ein Student und Freund, der mir für die letzte Nacht sein Zimmer zur Verfügung stellte. Er beriet mich auch seit Februar zu meiner Mappe. Alles klar, dacht ich, Schauspieler sind Selbstdarsteller, die sich für die Kamera gerne bereit stellen. Es würde einfach werden.
Ich ging in die Schule und wunderte mich über all die Farbeimer und Kabel, die von der Decke hingen. Die Schule war wegen Umbauarbeiten geschlossen. Die Schauspieler blieben zuhause.

Abgabe 16 Uhr

“Ich will nicht studieren” sagte draußen ein kleines Mädchen, das auf dem Expo-Gelände mit ihrer Mutter unterwegs war und gerade erklärt bekommen hatte, dass sich hier viele Hochschulen sammeln. Ich musste lachen und erklärte der Mutter, dass ich in ner halben Stunde das Ende meiner Aufnahmeprüfung erreicht haben werde. “Na dann viel Glück!” sagte sie, während sich ihre Tochter immer noch fragte, was denn eine Aufnahmeprüfung ist.

Die restliche Zeit wollte ich nun lieber in das eine Bild stecken, das ich hatte. Ich hatte mich mit der Zeit verspekuliert und das akzeptierte ich. Ich würde also die Häfte der Aufnahmeprüfung nicht schaffen.

Zehn Minuten Photoshop später hing das Bild dann an der Wand. Es war da recht einsam, mit den vielen Bildern der anderen Bewerbern, die alle Aufgaben erfüllt hatten. Wie erwartet hatten tatsächlich viele für ihre Portrait-Aufgabe Studenten der FH oder sogar Mitbewerber in der Aufnahmeprüfung genommen. Klassiker wie “Obdachloser” oder “Jugendgruppen” waren auch dabei, mal besser, mal schlechter gelöst. Ich hätte auch die Wahl gehabt, einen Studenten zu nehmen, hab mich aber anders entschieden. Die Konsequenzen der Entscheidung, nun die zweite Aufgabe nicht erfüllen zu können, akzeptierte ich voll. Entspannt setzte ich mich also vor die Uni und wartet auf die Punktevergabe.

Personen-Punkte

Es gab insgesamt 15 Punkte zu erreichen, mit einem gilt die Prüfung schon als bestanden. Automatisch genommen ist man dann allerdings nicht, das hängt von den Punkten der anderen Bewerbern ab. Es gab bei uns keinen mit null Punkten – aber sehr, sehr viele mit nur einem Punkt. Ich hatte zehn, und gehörte damit zu den zehn Besten an diesem Tag – und das obwohl ich 50% der Prüfung nicht einmal geschafft habe.

Nun hatten wir unseren Wert – zumindest einen numerischen. Es ging nun also los: “Wie viel Punkte hast du?” gefolgt von “oh……” oder “ja!!”. Unsere Fähigkeiten bekamen eine Ziffer und unsere Person einen Wert. Mit meinen zehn Punkten konnte mir das relativ egal sein, da ich ja oben schwamm, doch den anderen sah man ihren vermeintlichen Wert schon in den Blick geschrieben.

Ich sprach noch mit Bewerbern und Studenten, Mappen wurden ausgetauscht und gegenseitig die Arbeit kritisiert. Fotografie ist subjektiv. Wenn die Prüfungskommission nun einen Bewerber mag oder nicht, sagt das nicht alles über seine tatsächliche Fähigkeiten aus. Die Mappen, die ich sah, davon fand ich auch einige nicht so gut, andere wiederum herausragend.

Es folgten Verabschiedungen und dann noch eine schnelle Fahrt zu der Bude, wo ich in der Nacht zuvor angekommen bin. Zahnbürste und Handtuch abgeholt und dann zum Zug nach Berlin gerannt. Ich saß keine zwei Minuten drin, da fuhr er schon Richtung Osten.

Da saß ich dann, müde und verschwitzt. Ich roch nach der Arbeit vom Tag und blickte aus meinem Fenster, entgegen der Fahrtrichtung und zurück auf Hannover und den Tag. Die Sonne ging bereits unter.

Die Erkenntnis, nicht alle Aufgaben gemacht und trotzdem eine hohe Punktzahl erreicht zu haben, machte mich schon stolz. Die Aussicht nun vier Jahre nach Hannover zu ziehen, lässt mich noch nicht im Viereck hüpfen. Doch in Berlin sehe ich derzeit keine Perspektive. Ich saß im Zug zwischen Hannover und Berlin und blickte aus dem Fenster.
Es wurde dunkel.

Post aus Nah-Ost 4: Männer müssen draußen bleiben

Der erste volle Drehtag unter der heissen Sonne von Jenin. Ich sah heute viele verschlossene Türen, deren Eintritt mir als Kerl verwehrt wurde. Als Mann war ich an diesem Tag definitiv die unterdrückte Minderheit.

Die Fahrt nach Palästina ist jetzt schon über ein halbes Jahr her (und der letzte Blogeintrag dazu schon ganze 5 Monate), dennoch spüre ich wieder die Sonne und den feinen Sand auf der Haut, wenn ich mir die Bilder aus der Zeit anschaue.

Der erste volle Drehtag begann mit einem späten Frühstück. Ich holte die Kamera aus dem Keller des Cinema Jenin, wo sich hinter einer schweren Eisentür mit arabischen Muster viel gespendete Technik stapelte. Stets war jemand am Löten oder reparieren, um die vorhandene Ausrüstung noch in Schuss zu halten.
Wir schnappten uns die Übersetzerin und unseren treuen Taxifahrer Jamal, der uns am Tag zuvor in den Sonnenuntergang gefahren hat. Unser Ziel war das Flüchtlingslager von Jenin.

Etwas zu schnell für meinen Geschmack sauste der Fahrer die verwinkelten Straßen des Lagers entlang. Er kannte diese Straßen sehr gut, schließlich wohnte er selbst hier. Stolz fuhr er auch extra an seinem Haus vorbei: Eine Wohung in einem schattigen Hinterhof, gegossen in Beton. Er lächelte, als er auf die schmutzige Fassade blickte und meine Kollegin konnte nur ein gezwungenes “schön hier” äußern, damit die Fahrt wieder weiterging.

Für unser Filmprojekt zum Thema “Frauen in Palästina” wollten wir heute zunächst in einem Frauenzentrum im Lager drehen. Die Plakette am Eingang sagte, dass das Haus 2005 mit Hilfe der UNO und Kanada entstanden ist. Die starken Abnutzungserscheinungen am Gebäude ließen es jedoch viel älter wirken. Ein alter Spielplatz stand vor einer abbröckelnden Malerei von lachenden Kindern, und rostete langsam vor sich hin.

Das Frauenzentrum war gleichzeitig auch ein Kindergarten, Hort und Jugendzentrum. Die Frauen hier kümmern sich ehrenamtlich um die Kinder. Eine Gruppe von älteren Damen in Kopftuch beäugte uns skeptisch, als wir das Gebäude betraten. Aber vielleicht beäugten sie auch nur mich, da Männer hier selten gesehen sind.

Nach einem kurzen Gespräch mit der Direktorin wurden wir an den Kindergarten im Hause weitergeleitet. Mit einer der Erzieherin dort führten wir ein Interview. Ich blieb dabei im Hintergrund – und hatte somit mehr Zeit zum Fotografieren.

Die Kinder verfolgten ganz aufgeregt und mit großen Augen die drei blonden Menschen mit den nicht gerade kleinen Kameras. Ich hantierte dabei mit zwei Geräten, einmal der digitalen Spiegelreflex und dem analogen Apparat. Beim analogen Fotoapparat musste ich immer manuell scharf stellen, was den Kindern Gelegenheit gab, sich vor meine Linse zu verstecken. Zunächst war es nur ein Mädchen, das sich laut lachend vor meiner Kamera versteckte, doch bald machten alle mit und rannten kichernd durch den ganzen Raum. Meine Kolleginnen konzentrierten sich aufs Interview und bekamen den Trubel, den ich auslöste, nicht mit. Die andere Erzieherin hatte sichtlich Probleme, die Kinder wieder unter Kontrolle zu bekommen. Vorallem nicht, als sie aus dem Raum raus rannten, um vor meiner Kamera zu flüchten.
Aber ein paar Jungs gab es dann doch, die sich vor die Linse trauten.

Als ich ihm das Bild zeigte, fand er es sehr witzig und dann wollten auch alle mal ins Bild.

Einer der Jungs drückte mir dann noch etwas in die Hand als wir gingen. Es waren Plastikteile, so zusammengesteckt, dass sie die Form einer Pistole ergeben. Kinder in Deutschland machen so etwas sicher auch, doch hier in einem Flüchtlingslager in Palästina, wo es regelmäßige gewaltsame Auseinandersetzungen gibt, fand ich es doch befremdlich. Ohne zu lächeln sagte ich Danke und gab es ihm zurück.

Mit der Direktorin gingen wir durch den Rest des Gebäudes. Im zweiten Stock gab es eine Art Sportraum, mit ausgefranzten Matten, einer Tischtennisplatte ohne Netz und Spiegeln an der Wand. In der Ecke kabbelten sich zwei ältere Jungs, während jüngere Jugendliche daneben standen. Resolut löste die Direktorin den Streit der Beiden auf. Zu viel Energie und ein Mangel an Angeboten sorgt eben dafür, dass sie sich aneinander abreagieren.

Im nächsten Raum, der komplett rosa gestrichen war, standen ca. 20 Frauen laut schnatternd herum. Es war eine Art Beauty-Salon, der gleichzeitig zur Ausbildung dienen sollte. Frauen bilden Frauen aus. Make-Up, Haare und Kopftuch-Kosmetik.
Auch wenn die Frauen meiner Ansicht nach nichts dagegen hatten, bestand die Direktorin darauf, dass ich vor dem rosa Zimmer bleibe. Die Tür blieb offen, doch ich durfte nicht herein.

So konnte ich nur von draußen sehen, wie meine Kolleginnen Interviews mit den Frauen machten. Ich fotografierte immer mal wieder rein, bis die Direktorin kam und mir mit einer entschuldigenden Geste die Tür vor der Nase zuknallte.

Da stand ich nun. Ich versuchte noch durch das Fenster über der Tür ein paar Bilder zu machen. Einige der Frauen bekamen das mit, versteckten ihr Lachen hinter ihren Händen und winkten vergnügt. Ein strenger Blick der Direktorin reicht dann aber, damit sie und ich damit aufhörten. Ich sah mich um.

Die Jungs kamen inzwischen neugierig aus dem Sportraum und sahen, dass ich alleine war. Sie zerrten mich in den Sportraum und der älteste von ihnen drückte mir eine Hantel in die Hand. Allein in einen Raum mit Jugendlichen, die zu viel Energie haben und anscheinend hier noch trainieren, machte mich dann doch etwas unsicher. Ich versuchte mich mit einem Lächeln durch die Tür zu stehlen, doch sie wurde mir von vielen kleinen Händen zugehalten. Irgendwie kam ich dann doch noch raus.

Neben dem rosa Zimmer mit den vielen kichernden Frauen, war die “Bibliothek” des Zentrums. Gespendete Bücher auf schiefen Regalen, viele davon in Englisch. Durchs vergitterte Fenster sah ich ein Minarett und hörte das geschäftige Treiben der Straße.
Die Jungs waren immer noch umtriebig und fanden mich dann hier. Sie konnten kaum Englisch, dennoch fragen sie, ob meine beiden Begleiterinnen meine Frauen seien, ich verheiratet oder verliebt bin. Sie deuten nur an, ohne Sprache nur mit Gesten.

Begeistert darüber, dass ich Englisch kann, drücken sie mir ein Buch in die Hand, was sie blind aus dem Regal gezogen haben. Es ist ein amerikanisches Buch über Demokratie. Sie schlagen eine Seite mit Ronald Reagan und der Wirtschaftspolitik der 80er Jahre auf und bitten mich, es vorzulesen.
Nach zwei Sätzen stoppe ich und spare mit weitere wirtschaftliches Blah Blah. Sie zeigen derweil auf eine halbkaputte Tafel und sagen fehlerfrei eines der wenigen englischen Worte, das sie kennen: “Money?”
Sie wiederholen es häufig und halten die Hände auf. Wahrscheinlich sind sie es gewohnt, dass die einzigen Ausländer, die herkommen, auch Geld da lassen.

Ich winke ab und biete stattdessen an, mit den Jungs Armdrücken zu machen. Das nehmen sie auch viel lieber an. Zwei Jungs packe ich, aber der Älteste gewinnt. Er feiert seinen Triumph über mich, in dem er auf dem Tisch einen Handstand macht.

Siegreich verlässt er mit den anderen die Bibliothek und meine Kollegin kommt herein. Da sich die Dritte in unserem Team noch das Kopftuch von zehn Frauen machen lässt, wollen wir erstmal raus. Sie will rauchen, ich nicht, trotzdem komme ich gerne mit.

Unten ist eine Schar von Kindern, die alle neugierig auf uns zukommen. Alle wollen sie reden und plappern durcheinander, auch wenn wir kaum auf jeden reagieren können. Unsere Kollegin kommt sichtlich bewegt aus dem Gebäude raus. Mit einem wunderbar gesteckten Kopftuch setzt sie sich zu uns. Sie ist noch dabei zu verarbeiten, welchen Aufwand grad eine Schar von Frauen für sie als Fremde betrieben haben, da sind wir schon auf dem Weg zur Direktorin, um uns zu verabschieden. Sie stimmte nun doch zu, ein Interview mit uns zu machen. Es wird süßer Tee serviert und ich ziehe mich wieder in die andere Ecke des Raums zurück, da es wohl besser sei, wenn eine Frau die Fragen stellt und nicht ich als Kerl, sagt meine Kollegin.
Nach dem Ende des Interviews holt sie zwei Tüten hervor und breitet deren Inhalte auf dem Tisch aus.

Von zwei Frauen gefilmt zu werden war vorher kein Problem, doch als ich meine Kamera rausholte, versteckte sie ihr Gesicht. Sie präsentierte uns gestrickte und gehäkelte Waren, Geldbörsen und Taschen, Decken und Bezüge. Alle von den Frauen hier gemacht und mit traditionellen Mustern bestickt.
Mich überraschte, wie angenehm weich die Materialien waren. Meine Frage nach dem Stoff erbrachte keine Antwort. Schafswolle war es nicht, Kamelhaar aber auch nicht.
Da ich seit unserer Ankunft im arabischen Raum mein Geld immer nur in meine hintere Gesäßtasche stopfte, wo – seien wir mal ehrlich – neben meinem Gesäß nicht viel mehr Platz ist, war ich froh, eine geschmackvolle Alternative zu meiner Arsch-Tasche gefunden zu haben. Ich entschied mich und bezahlte den recht hohen Preis von umgerechnet 7€. Mehr hatte ich in der lokalen Währung auch nicht dabei, sodass ich zwar nun eine Geldbörse, aber keinen Inhalt dafür hatte.

Meine Kolleginnen deckten sich reichlich ein und wir bekamen jeder noch eine kleine Tasche obendrauf geschenkt. Einpacken und tragen durfte dann wieder ich als Kerl, da die anderen keine große Tasche dabei hatten.
Zum Abschied reichten wir uns die Hände. Nur meine ausgestreckte Hand blieb von der Direktorin unberührt. Stattdessen legte sie sich die Hand aufs Herz und schaute auf den Boden. Eine Geste, die Respekt bedeuten soll, mich aber mit meiner ausgestreckten Hand verwundert zurück ließ.

Zu Fuß machten wir uns auf dem Weg aus dem Lager und zurück in die Stadt. Wir kamen vorbei an bunt bemalten Wänden. Sie sind der Versuch, dem Grau des Lagers und der Situation etwas Schönheit zu geben.

Wir trafen auch auf viele Plakate und Poster mit oft grimmig blickenden Köpfen. Es waren Portraits von Märtyrern, die hier noch eine Verehrung finden. Doch fast alle Fotos verblassen bereits. Ihre Bedeutung schwindet.

Wieder erstaunte mich, wie sicher sich meine Kolleginnen durch das Flüchtlingslager bewegten, welches von einigen deutschen Medien auch als “Terroristen-Zentrum” bezeichnet wird. In einem Rollkoffer zog ich unsere Ausrüstung hinter mir her, während viele Menschen auf uns zukamen und uns mit einem Lächeln das Bisschen verkaufen wollten, was sie haben. Ich versuchte, mich immer mit dem Koffer im Hintergrund zu halten, doch die Mädels hatten kein Problem mit der Direktheit der Leute.

Mädchenaugen hinter Stacheldraht verfolgten uns. Eine Schule nur für Mädchen befand sich hinter dicken Mauern auf der linken Seite der Straße. Ich winkte den jungen Damen am Fenster zu und sie fingen an zu feixen. Es wurden immer mehr Mädchen mit Kopftuch, die sich an den Fenster aufstellten und vergnügt zu dem komischen Blonden mit Rollkoffer auf der anderen Seiten der Straße winkten.

Wir betraten ein Einkaufszentrum an deren Eingang ein Schild mit einer durchgestrichen AK-47 hing. Einige, aber nicht viele Geschäfte sammelten sich hier, die meisten für Mode. Einem Tipp folgend suchten wir eine weibliche Ladenbesitzerin, die hier im zweiten Stock ein Geschäft für Damenmode hatte. Ich durfte zwar diesmal rein, doch es sei wohl besser “wenn eine Frau die Fragen stellt”, um einmal meine Kollegin zu zitieren.

Ein paar Jahre hatte sie schon den Laden. Sie sprach gutes Englisch, muss sie doch viel reisen, um ihre Kleidung im Ausland zu kaufen. Frauen kaufen bei Frauen ein, Männern bei Männern, sagt sie. Von daher ist es in Palästina nicht ungewöhnlich, dass Frauen ihr eigenes Geschäft aufmachen. Ihr Mann war zwar zunächst dagegen und hatte großes Skepsis was ihren Erfolg angeht, doch sie hatte, im Gegensatz zu ihm, mit ihren Geschäft langfristig Erfolg gehabt.

Nach dem Interview kam eine Kundin rein, eine Freundin von der Besitzerin. Sie hatte ein Kind dabei und die Ladenbesitzerin fing an zu erzählen. Der Mann ihrer Freundin ist seit 25 Jahren im Gefängnis, hat sein Kind das letzte Mal vor 8 Jahren gesehen. Die Ladenbesitzerin holte dann noch selbstgestickte Wandteppiche heraus, verziert mit traditionellen Mustern, aber auch mit Männern mit Kalashnikow in der Hand. Sie hält einen Stoff mit einer Karte vom Westjordanland vor sich und fängt an zu singen. Worum es ging, weiss ich nicht. Vielleicht was nationalistisches, etwas für den Widerstand oder ähnliche Inhalte zum kollektiven Mutmachen in einer schwierigen Situation. Wie man das bewerten sollte, das weiss ich nicht. Vielleicht ist das auch eine Art der Tradition in Palästina. Der Unterschied zwischen einer gestrickten Kalashnikow und einer gestrickten Geldbörse ist da vielleicht nur das Alter und nicht die Ideologie.

Im Rest vom Einkaufszentrum filmte ich dann mal zu Abwechslung. Nach drei Einstellung, die es am Ende nicht mal in den Film schafften, musste ich die Kamera wieder abgeben.
Wir machten uns auf den Weg zurück zum Gasthaus. Dabei kamen wir an einem Laden für Damenunterwäsche vorbei. Meine Kolleginnen bekamen gleich große Augen in der Hoffnung auf ein interessantes Gespräch, also fragten wir die Besitzerin nach einem Interview. Nach langen Reden stimmte sie zu. Fragen ja, Filmen nein, und Jungs schon mal gar nicht. Also musste ich wieder raus.
Da saß ich dann, vor einem Damenunterwäscheladen im Nahen Osten, und schob mit meinen ehemals weißen Schuhen den Staub auf dem Boden vor mir her.

Im Kopf spulte ich unser Material zurück. Ich war der Meinung, wir hätten schon zu viel, doch selbst nach dem Interview waren die Mädels nicht zu bremsen und wollten noch mehr filmen. Mir reichte es aber für den heutigen Tag. Wenn ich noch mal irgendwo draußen warten sollte, konnte ich das wenigstens auf dem Dach in der Hängematte tun.

Die Kopfhörer in meinen Ohren spielten gerade eine Symphonie, als ich sie abnahm um einer anderen Symphonie zu lauschen: Die Minarette der Umgebung spielten alle das gleiche Lied. Über den Trubel der Stadt wurden zum Sonnenuntergang Aufrufe zum Gebet in einem arabischen Sing-Sang gelegt, der hier im Tal alles andere übertönte. Nach zehn Minuten war es vorbei und die Stadt schrie wieder auf. Ich auf meinen Dach hatte jedoch endlich Ruhe…

…bis dann unser Übersetzer mit einer Bitte kam: Die Theatergruppe brauche wohl eben mal einen Betreuer, er hat aber keine Zeit, weil er gerade schneiden muss. Meine Frage, warum denn ich gerade dafür geeignet bin, quittierte er mit einem “ich habe schon drei andere vor dir gefragt.” Grummelnd macht ich mich auf dem Weg zum Theater.

Ich wurde als “Experte für die Bühne vorgestellt” während mir die palästinensischen Schauspieler ihre Idee erzählten. Die funktionierte eigentlich auch ohne mich, und wahrscheinlich wollten sie einfach nur jemanden haben, der es kontinuierlich abnickte. Mit einer deutschen Kollegin, die wohl ebenfalls eine “Bühnen-Expertin” war, gestikulierte ich laut auf Deutsch, um zumindest den Anschein eines kompetenten Fachgesprächs zu erwecken. Als sich dann alles von der Bühne in den Garten verlagerte, schlich ich mich in der Dunkelheit davon. Schließlich war ich ja Experte für die Bühne, nicht für den Garten…

Zurück im Gasthaus hörte man überall kleine Küken, die für ihre Größe erstaunlich laut sein können. In einer Ecke stand dann ein Mülleimer, der zu einem Hühnerkäfig umfunktioniert wurde.

Das Kino, zu dem das Gasthaus gehörte, finanziert sich u.a. damit, Videobeiträge als Auftragsarbeit zu produzieren. So weit wie ich es verstanden habe, sollen die Küken in einem Werbespot Verwendung finden.

Mit meiner Kamera hatten sie schonmal keine Probleme. Hier kann man Küken halt noch auf dem Markt kaufen. So gabs dann neben einem kleinen Hundebaby auch noch flauschige Küken im Gasthaus – sehr zur Verzückung meiner weiblichen Kollegen.

Wieder in der Hängematte hatte ich nun den Sternenhimmel über mir. Es war zwar nur 18 Uhr doch die Stadt verstummte bereits. So konnte ich auch ein entferntes “Kannst ruhig zu mir kommen, wenn du magst” hören, über das ich erstmal 15min nachdenken musste, bevor ich es deuten mochte. Auf dem Dach war es stockfinster und ich konnte nicht eindeutig sagen, woher der Ruf nun kam.

Im Dunkeln lag dann ein Mädchen. Im leichten Mondlicht erkannte ich noch, dass hier eine aus meiner Redaktion aus Berlin döste, und ich legte mich zu ihr. Während sie dann meinen Rücken massierte, schaute ich mir den hellen Mond an, der hier noch größer erschien als in Berlin. Doch ist der Mond genau so schwer zu erreichen wie für viele hier die andere Seite der Grenze.

Wir kümmerten uns dann darum, unser Material in den Rechner einzulesen. Der Cutter gab uns sein Daumen hoch und bestätigte auch meine Vermtung, dass wir genug Material haben. Der Schnitt sollte morgen folgen. Für uns endete mit dieser Ansage ein langer Tag. Gegen 2 Uhr Nachts waren aber in unserem Achtbettzimmer nur drei Kopfkissen belegt. Der Rest hing über den Computern und am Schnitt. Ich hingegen war im Schlafraum der Jungs.

Hier hatten die Mädels keinen Zutritt. Zum ersten Mal heute.

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Post aus Nah-Ost:

Teil 1 – Die Straße nach Palästina
Teil 2 – Wie Tag und Nacht
Teil 3 – Der Tag der kaputten Kameras
Teil 4 – Männer müssen draußen bleiben

Seifenblasen im Frühling


Meine Fotoreihe in der Berliner Zeitung läuft seit Anfang des Jahres. Sie erscheint seit knapp 15 Wochen immer montags. Auch wenn das eine wöchentliche Reihe ist, so habe ich bisher erst acht Bilder dafür gemacht. Entweder weil redaktionell etwas dazwischen kam, es zeitlich bei mir knapp wurde oder ich nicht die Bilder machen sollte. Diese Fotoserien mit wechselnden Themen mache ich nun, mit Unterbrechungen, seit Ende 2007.

Thema für die Reihe derzeit ist “Musikmomente”. Das kann man grob mit “Das Lieblingslied und der Moment dazu” beschreiben. Es geht darum darzustellen, was das Lied für einen bedeutet oder in welchen Zusammenhang es einen bewegt hat. Das reicht von abstrakt bis grafisch, je nach dem wie leicht der Moment nachzustellen ist.

Thema für das Bild oben war zum gefühlten zehnten Mal “Erinnerungen”, was ich jetzt zusammen mit meiner Chefredakteurin mit Seifenblasen lösen wollte. Ich wollte, dass die Blasen dabei in der Frühlingssonne funkeln und in Lichtpunkten davon schweben. Mit dem Licht und den Wind ist das aber immer so ne Sache.

Solche, ich nenn sie mal “Gefühlsfotos”, also inszenierte Bilder, die eher eine Emotion darstellen als eine Handlung, liegen mir nicht wirklich. Es fehlt mir der weiche Blick für so etwas, für kleine Feinheiten und leise Zwischentöne. Liegt vielleicht daran, dass ich ein Kerl bin und daher eher fürs Grobe zuständig. Weibliche Kollegen kriegen das viel besser hin, aber auch einige männliche. Sollte ich meine Art der Fotografie beschreiben, kommt mir “sanft” und “feinfühlig” sicher nicht in den Sinn. Allerdings auch nicht viele andere Eigenschaften, da es mir schwer fällt meinen Stil, sofern ich denn schon einen ausgebildet habe, mit Adjektiven zu beschreiben.

Außer vielleicht “manchmal witzig”.

“Tsunami? Interessiert doch keinen mehr!”

Eine ehemalige Mitbewohnerin aus Tokyo ist Dolmetscherin, die für die Medien im Tsunami-Gebiet arbeitet. Was sie mir erzählte, fand ich sehr interessant und führte daher ein Interview mit ihr. Von all den Redaktionen, die ich dann angeschrieben habe, wollt keiner den Text haben. Warum das so ist, erklärte mir dann ein Kollege: Das Thema Tsunami ist ausgelutscht, danach kräht kein Hahn mehr.
Alle Fotos mit freundlicher Genehmigung von Kollege Tokyobling

Am 11. März 2011 war das Erdbeben in Japan. Dem folgte der Tsunami. Kurze Zeit später folgte Fukushima und die Medien sind dabei geblieben. Von Meldungen wie “Horror-AKW!” oder “Strahlung millionenfach erhöht” versuchten vor allem die deutschen Medien sich in der Dramatik zu übertrumpfen – und vergaßen dabei ganz, dass die eigentliche Dramatik und Verwüstung im Tsunami-Gebiet liegt. Alle schrien nur noch Fukushima und andere Katastrophen wurden vergessen.

Ich könnte mich lange darüber aufregen, was die deutschen Medien in den letzten Wochen in puncto Japan alles verbockt haben. Und wer mich in letzter Zeit getroffen hat, kann das bestätigen.
Unqualifizierten Korrespondenten, die ohne Japanisch-Kenntnisse nur das kommentieren, was im japanischen Fernsehen läuft. Eine unprofessionelle Flucht vom ARD-Team nach Osaka, die aufgrund von Angst vor der Strahlung begangen wurde, die jedoch zu keinem Zeitpunkt in Tokyo höher war als zum Vergleich in Rom. Bis hin zu vielen peinlichen Unsauberkeiten von einigen Journalisten. Ich spare mir das hier, da tabibito, der Blog farorientalism und der Fernsehkritiker (ab Minute 3:57) das sehr viel besser und ausführlicher zusammengetragen haben.


Zug in Shinchi, Präfektur Fukushima, von der Wucht der Tsunami wie eine Ziehharmonika zusammengefaltet

Meine Freunde, Kollegen und Bekannten in Tokyo haben die Tsunami jedoch nicht vergessen. Täglich sah ich Meldungen, Bilder und Berichte aus dem Gebiet, auch als die internationalen Medien schon längst weg waren. Das Thema hatte also bei mir nicht an Dringlichkeit verloren. Ein Kollege meinte daraufhin zu mir, dass das nur eine verzerrte Perspektive sei, das Thema Tsunami längst durch ist und keinen mehr interessiert. Trotzdem fand ich, dass meine Perspektive der Monotonie der Medien etwas hinzufügen könnte, ja, sogar hinzufügen sollte. Doch da alle nur hysterisch Atom!Atom! schrien, konnte ich dagegen nicht wirklich ankommen.

Nun ist der Text sicherlich nicht frei von Fehlern. Und es gibt neben der derzeitigen Ausrichtung der Redaktionen auch strukturelle Unsauberkeiten am Text, die eine Veröffentlichung erschwerten. Doch die Geschichte meiner Mitbewohnerin, ihrer Arbeit vor Ort und ein Blick hinter die Kulissen der Medien, die dort arbeiten, möchte ich trotzdem teilen.


Englisch-Lernbuch in einer Grundschule in Kadowaki

“Entschuldigung, wo sind hier die meisten Menschen gestorben?“


Nikki Tsukamoto Kininmonth hat neuseeländische und japanische Eltern, sie lebt in Tokyo und arbeitet als Übersetzerin, u.a. für Amnesty International. Seit der Erdbebenkatastrophe war sie mehrmals in Sendai & Umgebung, und arbeitete dort als Dolmetscherin zum ersten Mal für die internationalen Medien.

Protokoll: Fritz Schumann

Als es passierte saß ich geschockt vor dem Fernseher. Zwei Tage lang konnte ich mich nicht von den Medien wegbewegen, ich verfolgte im Internet und auf Twitter jede neue Information zur Katastrophe. Doch dann kamen auch Meldungen über das solidarische Verhalten von Menschen in dieser Situation. Völlig Fremde teilten das letzte Bisschen was sie hatten miteinander. Die Last, die von einigen getragen werden musste, sollte auf Alle verteilt werden. Für mich war es unerträglich, in dieser Situation nur vor dem Fernseher zu sitzen und nichts zu tun. Ich wollte helfen. Über Facebook suchte ich dann nach Möglichkeiten und noch am selben Abend war ich im Gespräch mit einem holländischen Fernsehteam. Ich packte sofort meine Sachen und fuhr mit ihnen nach Sendai, in das Herz der Katastrophe.
Inzwischen arbeite ich auch für britische Zeitungen. Ich habe keine Ahnung bis wann ich noch für die Medien tätig bin. Ich kann es auch nicht verantworten, jetzt mit dieser Arbeit aufzuhören.


Bahnübergang von der Sakamoto Station in Miyagi, wo nicht einmal mehr die Gleise übrig sind. Durch diesen Bahnhof bin ich 2009 auch gefahren.

Es ist unbeschreiblich. Selbst dann nicht, wenn man die ganze Zerstörung mit eigenen Augen sieht. All die materiellen Güter und der Besitz, den wir haben um uns etwas besser zu fühlen, sind bedeutungslos. Der ganze Mist schwimmt jetzt nämlich weit draußen im Pazifik – zusammen mit dem nuklearen Abfall von Fukushima Daiichi.

Das holländische Fernsehteam war das erste Mal in Japan, die Briten waren vorher nur als Touristen hier. Alle wurden schnell eingeflogen und waren das erste Mal in einem Katastrophengebiet. Sie waren respektvoll den Leuten gegenüber und fragten mich oft, wie sie sich korrekt verhalten sollten. Manchmal hat ihre Suche nach großen Geschichten mich in unangenehme Situationen gebracht. Fragen wie „Wo sind hier die meisten Leute umgekommen?“ – während nach wie vor tausende vermisst sind oder Totenscheine von trauernden Angehörigen ausgefüllt werden. Trotzdem waren die Bewohner immer freundlich und hilfsbereit.

Es gab Momente wo ich klar „Nein“ sagen musste, aber die Journalisten gaben sich Mühe, die Kultur der Japaner zu respektieren. Wenn sie sich nicht sicher waren, schickten sie mich vor um die Frage zu stellen. Fragen wie: „Entschuldigen Sie, wie viele Menschen sind hier gestorben?“. Das waren heftige Momente, aber mir ist es lieber, dass ich diese Fragen stelle, weil ich die Sprache und Kultur besser verstehe. Es gibt auch leichte Momente, z.B. wenn die ausländischen Journalisten technische Spielereien entdecken, die typisch sind für Japan. Ich genieße diese flüchtigen Momente, die zwischen der Tragik und der Zerstörung liegen, die wir täglich sehen.

Wir sprachen mit vielen Opfern des Tsunamis in Koriyama, einem etwas höher gelegenen Ort, in dem Flüchtlinge vom umliegenden Rikuzentakata und Shichigahama untergebracht waren. Dort haben wir zwei 12 jährige Jungs gefragt, uns etwas herumzuführen. Die Journalisten bestanden darauf, dass wir vorher das Einverständnis der Eltern bekommen – nicht wissend, dass die Jungs sie seit dem Tsunami nicht mehr lebend gesehen haben.

Ich verspüre nur Respekt und Bewunderung für diese Menschen, die alles verloren haben. Selbst ganz unten, auf dem Boden eines Supermarkts, wo sie auf Pappkartons schlafen müssen, scheinen sie so stark und voller Hoffnung zu sein. Ich verstehe nun die Bedeutung des Worts „shouganei“ besser, was soviel bedeutet wie „da kann man nichts machen, es ist halt so“. Es ist hier zu einer Lebenseinstellung geworden.
Die ausländischen Journalisten sind auch beeindruckt vom Durchhaltevermögen der Japaner. Sogar die beiden 12 jährigen Jungen, die ihre Mütter verloren haben, waren so willensstark und optimistisch. Ich hoffe inständig, dass die beiden immer Freunde bleiben und auch, dass sie die psychologische Beratung bekommen, die sie benötigen werden.

Zum Abschied winkten uns diese Kinder zusammen mit ihren Geschwistern und kleinen Cousins zu und meine Tränen konnte ich da nicht mehr verbergen. Eines Tages würde ich gerne wieder nach Rizukentaka zurückkehren um diese Jungs wieder zu finden.

Die meisten Journalisten suchen nach persönlichen Schicksalen, glückliche wie auch traurige. Sie nehmen eine scheinbar beliebige Idee, wie z.B. ein Schulsportteam und sie versuchen herauszufinden, ob alle aus dem Team gestorben sind oder nicht. Ich höre dann die Geschichten der Opfer, sehe die Gesichter derer, die alles verloren haben. Wir finden Fotos und Alben im Schlamm des Tsunami und ich wünschte, es gäbe eine Möglichkeit für mich, sie den Besitzern wieder zu geben.
Wie sehr ich es auch bereue das zu sagen, aber ich genieße dieser Arbeit sehr. Ich werde weiterhin den Medien bei der Berichterstattung helfen. Aber ich würde auch gern etwas Zeit für Hilfsprogramme und NGOs opfern.

Manchmal frage ich mich, wie viel Berichterstattung bewirken kann. Oft erscheint es nur als eigennützige und selbstsüchtige Suche nach der großen Story. Aber ich möchte gerne glauben, dass wenn mehr und mehr Menschen auf der anderen Seite des Globus von der Situation erfahren, sie auch mehr helfen wollen. Ich merke auch die Verantwortung für meine Arbeit, die zu einer direkten und vor allem wahrheitsgetreuen Berichterstattung in den Medien führen kann.


Von der Tsunami getroffene und danach ausgebrannte Grundschule in Kadowaki

Momentan habe ich keine Pläne Japan zu verlassen. Ich habe wohl eine Art Sinn für Pflicht und loyale Zugehörigkeit zu Japan entwickelt. Ich sollte gehen, sagen mir Freunde und Familie, doch das kann ich nicht mehr. Ich habe mich niemals als Nationalist gesehen, aber jetzt das Land zu verlassen würde heißen, es im Stich zu lassen.

Wenn die britischen Journalisten unter sich sind, äußern sie ihre Zweifel, dass diese Orte jemals wieder aufgebaut werden. Ich hingegen bin mir sicher. Einige werden die Gegend verlassen, doch viele werden bleiben. Japaner waren immer schon Siedler, mit einer starken Verbundenheit zu ihrer Heimat. Selbst wenn sie die Städte in jungen Jahren verlassen. Wenn sie alt werden kehren sie zurück. Es wird Jahre dauern, aber es wird passieren.

Nach meiner ersten Rückkehr nach Tokyo war mir klar, dass ich unbedingt wieder zurück muss, um etwas zu tun. Dieses Ereignis hat Japan verändert. Die Kinder von heute werden mit diesen Einschnitten aufwachsen. Sie werden Japan wieder aufbauen.

Ich bin voller Hoffnung für sie.