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Die russischen Kunstfälscher von Berlin-Neukölln

Die drei Brüder Eugen, Michael und Semjon Posin sind seit über 40 Jahren Kunstfälscher – auch wenn sie sich selbst lieber als Kunst-Kopisten bezeichnen. „Man kann Kunst nur verstehen, wenn man sie nachmalt und sich in die Perspektive des Künstlers versetzt“, sagen sie. Im Showroom haben sie die Mona Lisa, im Keller Genosse Stalin. Für die Brüder sind ihre Werke keine reinen Kopien – es sind Reinkarnationen des Originals.

Die FH Hannover verlangte für die Bewerbung im Studiengang Fotojournalismus eine Hausarbeit zum Thema “Plagiat”. Ich wollte gerne etwas mit Kunstfälschern machen, da das auch schön grafisch ist und man einen Herstellungsprozess erzählerisch begleiten kann. Eine schnelle Google-Suche fand gleich ein paar Kunstfälscher in Berlin, die in einem Wohnhaus in Neukölln seit 20 Jahren legal Kunst fälschen.

Nun weiss ich genau drei Sachen über Russland:
1. Da kommt der Wodka her
2. Dort wird er sehr gern getrunken
3. Mein Bruder machte dort 18 Monate lang seinen Zivildienst

Die Russen (ohne Wodka) lernte ich oft als schroff, unfreundlich und kühl kennen. Die drei Kunstfälscher bildeten keine Ausnahme.

Der Email-Kontakt vorher war zwar professionell, aber immer sehr knapp. Einem Fototermin sagte man nach mehrmaliger Anfrage zu und ich kam zu einem ersten Gespräch vorbei. Mit der Zigarette in der Hand und hinter drei leeren Weinflaschen erklärte mir einer der Brüder in gebrochenen Deutsch, was sie hier machten. Ein Lächeln konnte ich ihm nicht entlocken und viele Fragen zu ihrer Arbeit winkte er ab. Bei diesem ersten Gespräch hatte ich bewusst die Kamera nicht mitgenommen. Ich wollte mir vorher ein eigenes Bild des Ortes und der Personen machen, und zuhause dann mögliche Motive einplanen.
Spannend wurde es, als der Russe die Tür zugeschlossen hatte und mit starken Akzent meinte “komm mal in den Keller, ich zeig dir was.” Aber bis auf einen Kuh-Schädel und einer nachgebaute Gefängniszelle gab es dort nichts gefährliches.

Er schloss die Tür wieder auf und versprach mir seine Brüder für die nächste Woche zu versammeln. Er wird dann auch mal an einem Bild malen, wenn ich am nächsten Dienstag vorbeikomme.

Ein Woche später war zunächst nur einer der Brüder da. Die anderen sind gleich da, sagte er, der eine muss nur noch “Besorgungen” machen und der andere kommt auch gleich. Gut, sag ich, kann ich ja schon mal mit dem Licht schauen.

Die Lampen waren alle auf die Van Goghs, Kirchners oder die Mona Lisa gerichtet, die Rahmen an Rahmen, dicht gedrängt und ohne Konzept an der Wand hingen.

Geduldig, aber auch etwas genervt posierten sie für mein Foto. Es war nun nicht das erste Mal, dass die Posins für die Presse posierten, über 200 Artikel, Fernsehbeiträge und Interviews wurden schon mit ihnen gemacht. Mit der Erwähnung meines (manchmal) Arbeitgebers “Berliner Zeitung” bekam ich bei ihnen auch den Fuß in die Tür.

Nachdem das Foto durch war, wollten sie es unbedingt sehen. Gutes Bild, sagten sie. An dem Tag sagten sie es noch häufiger, da fast nach jeden Klick auf eine Qualitätskontrolle bestanden wurde.

Ihre Kunst-Kopien sind legal weil a) die Originale älter als 70 Jahre sind und b) weil hinten auf der Leinwand ihr Name steht. Die originale Unterschrift vom Künstler vorne fälschen bzw. kopieren sie natürlich mit.

An der Wand hingen schlecht beleuchtet viele der Pressebeiträge über sie. Auch ein Foto von damals, als sie den Papst getroffen hatten.

Sie hatten nämlich ein altes Kirchenkunstwerk, welches im Krieg verbrannte, “rekonstruiert”. Der Papst fand das Werk aus dem Mittelalter so herlich, dass er es segnete und den Russen die Hand schüttelte. Sonderlich gläubig sind sie aber nicht.

So nah kommt man der Mona Lisa selten. Und wenn man nicht gerade das Original daneben hat, fallen die Unterschiede kaum auf. Die Mona Lisa der Russen ist nur im Gesicht etwas kantiger.

“So, was jetzt?” fragten sie mich nach dem Gruppenfoto. Sie erwarteten fortlaufend Anweisungen von mir, wie ich sie zu positionieren habe. Das wäre in dem Fall eine Inszenierung und nicht sonderlich authentisch. Aber anders ging es nicht zu lösen. Das war zwar nicht das, was ich wollte, doch die Russen verlangten Kommandos. Ich bat sie ins Atelier um am Bild zu zeichnen.

Extra für mich hatten sie an dem Tag die Leinwand rausgeholt. “Das ist ein modernes Bild, das muss man schnell malen”, sagten sie. Wenn sie malen, haben sie zwar immer die Vorlage dabei, doch es ihnen wichtiger, sich in die Perspektive des Künstlers hinein zu versetzen. Einer der Brüder verglich es mit Shakespeare: “Wenn ein Schauspieler Hamlet spielen soll, dann sieht er sich nicht ein Stück oder einen Film mit Hamlet an. Er liest Bücher über die Epoche und das Leben des Autors. Dann spielt er das Stück. So machen wir es mit unserer Kunst”.

Für genau drei Striche kam auch mal der andere Bruder vorbei.

Er legte den Pinsel beiseite und meinte “gut, reicht jetzt, oder?”. “Ähm, ich bräuchte noch ein paar Bilder”, sagte ich, und er verzog sich grummelnd in die Galerie zurück. Der erste Bruder nahm sich wieder den Pinsel und legte los.

“So, reicht jetzt” sagte er, “ihre Leser müssen ja nicht das fertige Bild sehen”. Damit meinte er weniger, dass ich kein fertiges Kunstwerk ablichten soll, sondern dass es meine Aufgabe als Fotograf sei, nur den Prozess und nicht das Resultat zu sehen.

“Was jetzt?”

Ich bat sie in den Keller. Dort hingen auch reichlich Bilder von vergangenen Ausstellungen oder Produktionen.

Das Bild war Teil einer Ausstellung zu “Kunst und Diktatur” für die sie Propaganda nachmalten. Das Loch gehörte auch zum Original. Der Russe stocherte mit dem Finger in Adolfs Backe rum, leider zu schnell für meine Kamera und die Dunkelheit des Kellers. Neben dem Propaganda-Bild von Adolf auf seinem Roß stand auch eins von Stalin in eiserner Rüstung. Er wurde von den Posins immer nur als “Genosse” Stalin tituliert, was mich zunächst irritierte. Sie meinten aber, dass “Genosse” keine wertende Bezeichnung sei. So wurde er halt genannt.

In der hinteren Ecke war eine Gefängniszelle nachgebaut, die als Ausstellungsraum diente. “Kunst von Kriegsgefangenen” hieß es und vor dem Gitter sitzt der General – wenn auch nur ein gemalter.

In der Sowjetunion saßen sie auch im Knast, mehrere Male wurden sie inhaftiert. Ich fragte warum, doch sie winkten nur ab.

Das Bild war passend über der Heizung platziert, denn es zeigt ein Dorf in Sibirien. Seit 40 Jahren war der grauhaarige Bruder nicht mehr da, der andere seit 22 Jahren. Aus dem Gedächtnis hatte er das Dorf gezeichnet. In der Hoffnung, ein paar mehr Sätze über ihre Vergangenheit und ihre Migration nach Deutschland zu erfahren, fragte ich nach Sibirien. Hierbei konnte ich zum ersten Mal ein Lächeln bekommen. Auf meine Frage, ob er denkt, dass die Leute, die dort ihre Heimat haben, dort auch gerne leben, lachte er nur und meinte, die Frage ist so dumm, die würdigt er mit keiner Antwort.

“Wars das jetzt?” fragten sie mich und ohne das ich antworten konnte knipsten sie hinter mir das Licht im Keller aus. Dunkelheit legte sich wieder über Adolf, Sibirien und den Kuh-Schädel.

“Noch was?” hörte ich, als ich wieder nach oben in die Galerie kam. Ich konsultierte mein Notizbuch, wo ich fortlaufend Motive gestrichen hatte. Die Liste war erledigt, von daher war es das. Nach knapp einer Stunde war mein Besuch mit der Kamera vorbei. Die drei Brüder gaben mir die Hand und schlossen die Tür zu, als ich ging.

[Update: Interview mit den drei Brüder im Magazin “der Freitag” mit meinem Bildmaterial -> Weblink]

Das drittälteste Kino von Berlin (und die Berlinale)

Ein Berlinale-Film ist vier Kilometer lang. Fünf ganze Berlinale-Filme muss man ausrollen, um von mir nach Friedrichshagen zu kommen. Dort, am äußersten Rande von Berlin, liegt das fast 100 Jahre alte Kino Union. Für einen Tag rollte dort die Berlinale mit zwei Filmen ein. Ich war von morgens bis abends dabei.

Es ist zwar warmer Frühling und die Berlinale liegt zurück im kalten Winter (und eigentlich habe ich auch keine Lust mehr auf Berlinale), doch einen Beitrag würde ich gern dem alten Medium Film widmen. Vorallem da mein Fernseher im letzten Gewitter kaputt ging (ja, im 21. Jahrhundert passiert sowas noch) und ich derzeit mit Filmen und DVDs meine Abende fülle.

Wie hier lang und breit erläutert, war ich bei der Berlinale in diesem Jahr als Fotograf unterwegs. Ich würde nicht so weit gehen und diese Zeit als eine Verschwendung von Energie und Arbeit zu bewerten, aber die besten zwei Wochen aller Zeiten waren es sicher nicht. Für mein eigenes Projekt, fernab vom elenden roten Teppich, suchte ich mir ein kleines Kino aus, das die Berlinale beehren sollte. In langen, lauten Gesprächen mit der Leiterin vom Fotojournalismus-Programm versuchte ich durchzusetzen, dass ich einen Tag dort fotografieren darf. Sie lehnte zunächst ab, mit der Begründung “es ist ja nicht sicher, dass du dort dann auch gute Bilder machst”.Als sie mich dann anrief und die Erlaubnis gab, saß ich schon im Zug nach Friedrichshagen.

Friedrichshagen ist ein Stadtteil von Berlin-Köpenick und eine der schönsten Ecken von Berlin. Ich bin immer froh, wenn mich ein Auftrag nach Köpenick führt. Das viele Wasser, Grün und die alte Architektur dort sind wie ein kleiner Urlaub für die Augen. Friedrichshagen ist mit seinen alten Villen und einem weiten Waldgebiet rund um den Müggelsee sehr zu empfehlen. Zwar noch Teil der Großstadt Berlin, vom Lebensgefühl her allerdings doch eher dörfisch. Die Menschen dort sagen, wenn sie den Richtung Westen nehmen, dass sie “in die Stadt reinfahren”, als wären sie schon vor den Toren von Berlin. Ohne Frage war das natürliche Friedrichshagen der Kontrast zur aufgeblasenen Berlinale im Zentrum der Stadt.

Ich wollte den ganzen Aufbau der Berlinale mitnehmen, aber auch das Leben in und um das Kino. Einfach was Echtes, was ich nach einer Woche auf dem roten Teppich auch nötig hatte. Die Leute gewöhnten sich schnell an mich und meine Kamera. Ich blieb stets im Hintergrund und fiel nicht auf. Ich wollte nur ein Beobachter sein, und man ließ mich.

Als ich ankam, drangen Kinderschreie aus dem Saal. Am Vormittag lief nämlich das “Kinderwagen-Kino”, wo Mütter ihren Kinderwagen in den Saal fahren um auch mal eine Vorstellung genießen zu können. Es lief eine Komödie von Döris Dörie, es roch nach Windeln und frischen Popcorn.

Ein antiker Eintrittskarten-Automat.

Das Kino Union wurde 1872 als Tanztheater konzipiert und 1913 in ein Kino umgebaut. Den Ursprung eines Kinos mit Tanzsaal sieht man noch.

Ob es jetzt tatsächlich das drittälteste Kino von Berlin ist, das weiss ich nicht, da dabei auch oft mit zweierlei Maß gemessen wird. Das älteste Kino, dass diesen Titel auch tragen darf, ist das Moviemento in Kreuzberg, aber danach spaltet sich die Liste. Manche waren im und nach dem Krieg noch im Betrieb und zählen das mit, andere haben von der Nazis bis zu Wende pausiert. Das Kino Union jedenfalls ist meinen seiner fast hundertjährigen Geschichte sehr, sehr alt.

Nachdem die Kinderwagen rausgerollt und eine große Kiste mit Windeln unter die Bühne geschoben wurden, begann die Vorbereitung zur Berlinale. Eine Wand wurde extra noch in frischen rot bemalt, 70 Jahre alte, riesige Lautsprecher hinter einem Vorhang versteckt und die Mikrofone getestet. Alles unter den wachsamen Augen des Chefs.

Die Perspektive von unten soll Erhabenheit ausdrücken und subtil seine Position innerhalb des Kinos darstellen. Bis auf mich sieht das aber anscheinend niemand und man fragte mich bisher nur, ob ich nicht auch “normale” Bilder von ihn im Portrait habe…

Der Chef und sein Personal war sehr freundlich. Eine Eigenart, die ich mal wieder Friedrichshagen zuschreiben würde. Auf meine verwunderte Frage, warum sie denn nicht frecher und schnippischer zu mir sind, schließlich sind wir ja in Berlin, fragten sie mich nur, wo ich armer Kerl denn herkomme. Mitte, sag ick, und sie sagten “ahh… aus der Stadt”.

Diesen Widerspruch, teil von Berlin zu sein aber dann doch wieder nicht, fand ich sehr faszinierend. Ich hörte mich auch mal im Kiez um, sprach mit Passanten, Frisören und Bäckern. An dieser Stelle mal eine ausdrückliche Empfehlung für die Dresdner Feinbäckerei, die seit 1906 in Friedrichshagen ansässig ist. Ich habe in Berlin selten so gute Backwaren gehabt.

“Ja hallo, ich bin Fotograf und begleite heute die Berlinale im Kino Union”
“Wie Berlinale? Ich denke die ist in der Stadt?”
“Ja schon, aber heute auch für zwei Vorstellungen in Friedrichshagen.”
“Oh, davon wusste ich nichts.”
“Interessieren sie sich nicht, welche Stars und Schauspieler hier heute vorbei kommen?”
“Ach, in Friedrichshagen haben wir genug Künstler.”

Das war der Dialog, der sich oft so oder ähnlich abgespielt hat. Unaufgeregt über den Pseudo-Glamour der Berlinale, der am Potsdamer Platz immer vorgetäuscht wird, lebten die Friedrichshagener in ihrer eigenen Welt. Und es stimmte: Friedrichshagen war und ist ein Viertel für Künstler in Ost-Berlin. Das an diesem Tag noch ein paar Nasen aus der Stadt eingeritten kamen, holte da keinen Friedrichshagener mehr hinterm Ofen hervor.

Die alte Küche im Kino, an deren Kacheln man fast die Geschichte ablesen kann.

Über dem Popcorn und Ticketschalter hing dieses Portrait. Wer das ist? Nun, das wusste keiner. Es hing anscheinend schon immer hier. Jeder Angestellten, den ich fragte, erzählte mir was anderes. Einmal war es der Gründer vom Kino, der erste Chef oder einfach nur ein Bild, was irgendwann mal auf dem Flohmarkt gekauft wurde. Seitdem wacht der Namenlose über Bier und Goldbären.

Irgendwann am Nachmittag rückte auch der Berlinale-Trupp an, der alles etwas mehr berlinaliger machen sollte.

Das Interessante hierbei: Das Kino Union liegt direkt vor einer Straßenbahnhaltestelle. Der rote Teppich wurde direkt bis zum Wartehäuschen ausgerollt.

Endstation roter Teppich.

Kurze Zeit später traf auch der Film ein. Vier ganze Rollen, jeweils einen Kilometer lang. Der Filmvorführer Schmitti fügte die dann sauber zu einer großen Rolle zusammen und legte sie auf eine große Filmtrommel.

Im Vorführraum surrte es. Es klackte, drehte sich und leuchtete. Das war Film. Nicht einfach eine runde Scheibe in den DVD-Player legen, auf youtube einen Knopf drücken oder im Fernsehen von Werbung unterbrochen werden. Das hier war Chemie, Mechanik und Licht, die Töne und Träume erzeugen konnten.
Den ganzen Tag auf dem roten Teppich, ohne einmal ins Kino zu können und nur blasierte Gesichter beim Winken zu sehen – das ist nicht Film. Hier im Vorführraum war ich weit weg von der Berlinale und doch näher dran, als ich es je am roten Teppich war.

Der Film lief frei durch den Raum. Vier Meter an der Decke entlang bis er dann in den Projektor lief und dann vier Meter am Boden, wo er wieder auf die Trommel gezogen wurde. Das ganze hat den Vorteil, dass der Filmvorführer die Rollen nicht mehr wechseln braucht, wenn er sie vorher zu einer großen Rolle zusammen klebt.

Das Risiko für mich war nur, beim Fotografieren nicht aus Versehen auf den Film zu treten, die Vorführung anzuhalten und wahrscheinlich den ganzen Apparatus zur Explosion zu bringen.
Passierte zum Glück nicht.

Mit dem Filmvorführer hatte ich an dem Tag am meisten zu tun. Nicht nur, weil ich mich sehr gerne in seinem Raum mit dem Surren und Klacken aufhielt. Er hatte auch am meisten zu erzählen. Einer alten Journalisten-Weisheit folgend, dass die beste Frage einfach Schweigen ist und man zuhören sollte, erzählte mir Schmitti viel über sich, ohne das ich fragen musste. Ich hörte nur zu.

Er hat mit Radio-Technik angefangen, hat auch mal Kamera gemacht und ist dann irgendwann im Kino Union gelandet, wo er neben Filmvorführer auch eine Art Hausmeister für die Elektrik ist. Er selbst sieht sich vielleicht nur noch zwei Filme im Jahr an. Denn Film ist für ihn nicht 30 Minuten Spannung im Fernsehen bis zur nächsten Werbepause. Im Kino kann er es auch nicht wirklich gucken, da er viel zu sehr auf die Schnittmarken und korrekte Verteilung der Bildachsen achtet. Wie er es nun trotzdem schafft einen Film zu genießen, konnte er mir nicht verraten. Vielleicht weiß er es selber nicht mehr, nach all den Jahren im Kino.

Die Karten für die Berlinale waren nach zwei Stunden ausverkauft. Vor zwei Jahren hatte es sogar nur eine halbe Stunde gedauert. Trotzdem gab es an dem Tag viele, die noch versuchten über Telefon an Karten zu bekommen, oder eben, wie hier, vor dem Kino warteten und darauf hofften, jemand mit Ticket würde nicht mehr auftauchen.

Als Dankeschön für ihre Zeit und die Freiheiten, die ich als Fotograf hatte, habe ich dem Kino eine Auswahl meiner Bilder geschickt. Ebenso wurden ihnen auch von einem Fotograf der Berlinale Bilder zur Verfügung gestellt, auf einem bin ich sogar drauf. Ich überlasse jedem selbst die Entscheidung welche Galerie nun besser ist….

Berlinale 2011:

Berlinale bei nahe
Berlinale Nachklapp, Teil 1
Das drittälteste Kino von Berlin
Berlinale Nachklapp, Teil 2

Fritze hier und anderswo Sonderedition: Fritze vor der Kamera

Es ist nicht lange her, da wurde ein kurzer Film über mich als Fotograf gedreht. Ich nutze die Gelegenheit mal um zu sammeln, wo ich überall schon vor der Kamera rumgehopst bin. Selbstdarstellung Galore.

Hier in meinem Blog kann ich mich ja darstellen, wie ich will. Ich bin Redaktion und Verlag in einer Person. Ich kann filtern, was ich nicht über mich publizieren will und ich kann beschönigen, was mir nicht gefällt. Wenn jemand mit mir ein Interview führt, hab ich da weniger die Kontrolle darüber.

Mein erstes Interview gab ich mit 10 Jahren.
Ein “Journalist” vom Boulevard-Blättchen Berliner Kurier kam eines Tages an unsere Grundschule und wollte ein paar Stimmen von Kindern zu den Herbstferien einholen. Das war auch gleich meine erste Lektion in Medienverständnis, denn zum einen hat der Schreiberling im Text dann relativ viel frei erfunden, zum anderen hat er auch keinerleri Erlaubnis für die Gespräche gehabt. Für das abgedruckte Foto von uns Schülern hätte er das Einverständnis unserer Eltern gebraucht (das er nicht erfragte), und auf das Gelände der Schule hätte er ohne das Okay der Schulleitung auch nicht gedurft. Trotzdem war es am nächsten Tag abgedruckt. Ich hatte ihm erzählt, dass ich in den Herbstferien Laub geharkt und für jeden Haufen Laub eine Mark bekommen hatte. Er legte mir daraufhin in den Mund, dass ich extra “viele kleine Häufchen gemacht habe” um mehr Geld zu bekommen. Das ich gerne viele kleine Häufchen mache, musste ich mir dann in der folgenden Woche oft von meinen Mitschülern anhören.

Danach hielt ich eher Abstand von den Medien, bis ich selbst ein Teil von ihnen wurde. Von da an kamen auch mehr Interviewanfragen rein, durch Kontakte und Kollegen. Die meisten entstanden im Rahmen von Projekten, die ich betreute. Allen voran das Filmfest.

2006 gründete ich ein Kurzfilmfest für junge Regisseure bis 21 in Berlin. Ich fing damals mit Film an und bekam schnell Kontakt zu anderen jungen Filmemachern. Es gab kein Filmfestival für junge Regisseure zu dieser Zeit, also machte ich eins auf. Es begann in der Aula unserer Schule und zog dann in das altehrwürdige Kino Babylon in Berlin-Mitte. Das war alles ein sehr aufregendes Kapitel meines Lebens, welches ich aber ein anderes mal in aller Ausführlichkeit erzähle.
Jedenfalls kam dann jemand aus dem Jugend-Ressort der Berliner Zeitung vorbei und machte ein Interview mit mir zum Filmfest.

Bei der Gelegenheit fragte ich sie gleich mal, ob sie noch neue Schreiber brauchen. Keine Woche später ging ich zur Redaktion und bin dort bis heute.

So war das Interview dort im nächsten Jahr des Filmfestes schon gesicherte Sache. Vermittelt vom Babylon gelangte ich auch ans Berliner Fenster, die ein knapp zehnminütiges Interview mit mir für deren Online-Seite machten. Das Interview als Webcast war bis vor einigen Monaten noch online. Nach dem Filmfest boten sie mir auch einen Job an, den ich sehr gern gemacht habe. Auch heute habe ich noch gute Kontakte zum Berliner Fenster.

Ich schrieb auch der RBB Rundfunkanstalt einen Brief. Ja, einen Brief, und keine Email. Es funktionierte und sie reagierten auf die Post. Am Tag des Filmfestes kam ich dann ins Kino und dort standen dann zwei Kleinlaster vom RBB und elf erwachsene Menschen, die mich erwartungsvoll anblickten. Das Resultat war ein Live-Bericht (!) vom Filmfest.

Ich hab mir den Beitrag bis heute nicht anschauen können. Ich finds schwierig mich auf Film selbst zu sehen und zu hören. Vorallem wenn ich so haarig bin wie hier…

Am RBB hing aber noch ein Rattenschwanz von Medien dran. Noch am selben Tag des Live-Berichts bekam ich Anrufe von zwei Radiosendern, die ein paar Fragen beantwortet haben wollten und das Filmfest zum ‘Tipp des Tages’ machten. Diese geballte Medien-Offensive war dann auch erstmal etwas zu viel und ich brauchte lange um es zu verdauen.

Dieses Filmfest sollte auch mein letztes sein. Ich wendete mich Japan und dem Bildband zu. Eins der ersten Interviews zu dem Thema Bildband war für du-machst.de, ein inzwischen nicht mehr existierende Plattform für junge Journalisten. Der Kollege, der mich damals interviewte, war auch Hobby-Fotograf und investierte mehr Zeit darin mir seine Fotos zu zeigen und meine Kritik zu hören, als Fragen zu stellen. So oder so, äußerte ich mich noch recht naiv und teilweise etwas arrogant…

Vor Japan trat ich noch mal in zwei Videoproduktionen meines Bruders auf. Die eine war vom Anfang 2008 und ging um junge Mode-Labels in Berlin. Seitdem habe ich auch die Mütze, die ich im RBB und du-machst.de-Beitrag trage. Vor Japan war ich dann auch Experte für Gameboy-Spiele für einen Beitrag, den mein Bruder für Nintendo machte. Bin ich vermutlich sogar tatsächlich, da ich Gameboy-Spiele sammle. Ich habe über 40 Raritäten aus zwei Jahrzehnten, die meisten noch in Schwarz-Weiss. Darunter natürlich auch die Gameboy-Kamera, mit ihrer Auflösung von 160×140 Pixeln in vier verschiedenen Grautönen.
(Ich hatte den Beitrag mal einer japanischen Freundin gezeigt und die war ganz erstaunt einen Nicht-Japaner zu sehen, der Gameboy spielt 😉 )

(Man beachte, dass ich inzwischen noch viel, viel haariger geworden bin)

Doch dann kam Japan (und ein Besuch beim Frisör). Währenddessen und nach Japan wurde ich auch von verschiedenen Seiten interviewt und habe in der Berliner Zeitung meine Erfahrungen resümiert. In Japan selbst wurde ich nur von dem Magazin Fukuoka No! interviewt, zum Thema Atombombenabwurf. Und für ein zum Scheitern verurteiltes Filmprojekt.

Dann wurde es längere Zeit still. Bis dann eine Leserin meines Blogs mir eine Email schrieb. Sie ist Studentin an einer Film-Hochschule und soll ein Portrait über jemanden drehen – und da dachte sie an mich. Das Video entstand im Dezember 2010/Januar 2011 und ist damit wohl das aktuellste und unhaarigste Interview in dieser Sammlung.

(“Komm Fritz, fotografier mal irgendwas” <- erklärt vielleicht warum ich über Gefühle und Geschichten rede, dann aber ne Taube ins Bild kommt)

Was kann man nach so vielen Haaren und Haarspalterei von mir vor der Kamera sagen? In meiner Zeit vor Japan hatte ich immer diesen Drang vor die Kamera zu kommen um etwas zu sagen – weil ich der festen Überzeugung war, ich hätte etwas wichtiges zu sagen. Dieser Selbstgeltungsdrang ist mir in Japan ausgetrieben worden. Zum Einen wurde mir klar, dass die Welt viel größer als Berlin ist, und auch wenn ich hier ein, zwei Projekte angeschoben habe, so passieren doch in der Welt viel relevantere Sachen. Zum Anderen stellte ich durch die vielen Geschichen, die ich Japan machte, fest, dass es viel mehr Leute gibt, die viel mehr interessantes und relevantes zu erzählen haben, als ich.

Ich bin ganz froh in Japan etwas Demut und Bescheidenheit gelernt zu haben. Manchmal frage ich mich dann aber doch, ob es nicht vielleicht doch angebracht wäre, etwas laut zu werden. Vorallem in dieser Branche und in Berlin wird immer der gehört, der am lautesten schreit wie toll er sich findet. Geschmierte Ellbogen und ein präsentes Selbstbewusstsein sind hier wichtig. In Japan schien es mir mehr die Qualität der eigenen Arbeit zu sein, die überzeugte. In Berlin scheint wohl mehr Schein als Sein zu sein.

Vergänglichkeit


“Mach mal ein Bild zu Vergänglichkeit, Fritze”, haben sie gesagt. Hier mal wieder ein Bild aus meiner wöchentlichen Reihe in der Berliner Zeitung. Das Ganze sollte wieder ein Bild zu einem Song sein, also wurde ich in der Gestaltung etwas eingeschränkt. Hat ne Weile gedauert, bis ich ne Idee hatte. Nach einem Gang durch Berlin sind wir dann auf diese Wiese auf einem Friedhof gestoßen.

Ansonsten plane ich derzeit meine Rückkehr nach Tokyo, nur für ein paar Wochen diesmal. Momentan rechne ich mit August. Wird zwar richtig, richtig heiß werden, aber so vermeide ich die wolkenverhangene Regenzeit und hab noch genug Zeit um in Hannover ne Wohnung zu suchen, bevor ich dort das Studium beginne.
Ich werde auch versuchen viel zu reisen, ein paar Geschichten zu recherchieren und ein paar Aufträge abzuarbeiten, die ich in Tokyo lassen musste und die immer noch dort auf mich warten.

Da mein Budget recht knapp ist, versuch ich so billig wie möglich zu reisen und bei Freunden zu pennen. Leider hat sich die Anzahl meiner Freunde in Tokyo arg reduziert, sehr viele haben das Land nach Erdbeben, Fukushima und Ablauf des Visums verlassen…