
Blick aus meinem Fenster am Freitag
Weiss nicht was schlimmer ist, Regensaison in Tokyo mit 30+°C und 90% Luftfeuchtigkeit, oder die derzeitige Regensaison in Berlin mit 13°C im August und mal Regen, mal nicht, mal Regen, mal nicht…
映像・フォトジャーナリスト
In Tokyo habe ich mehrere Monate als einziger deutscher Kellner in einem deutschen Restaurant gearbeitet. Ich habe die Zeit sehr genossen. Hier nun ein paar Geschichten aus dieser Zeit.
Ich fang am Besten ganz von vorne an, wie ich überhaupt zu diesem Job gekommen bin. Es wird jetzt ein wenig kompliziert, also bitte aufpassen:
Der kürzlich verstorbene ehemalige Handelsminister der DDR, Gerhard Beil, hatte Zeit seines Amtes für gute Beziehung zwischen der DDR und Japan gesorgt. Einige meinen, die Beziehung DDR-Japan war stärker als BRD-Japan, doch das vermag ich jetzt nicht zu beurteilen. Dabei ging es immer ums Geschäft, den Japanern war die Ideologie recht egal. Natürlich wurde bei Staatsbesuche auch mal die kommunistische Partei Japans besucht, doch die war mit ihren wenigen hundert Mitgliedern relativ unbedeutend.
Gerhard Beil kannte nun einen Japaner, der damals stellvertretend für Japan in Deutschland Geschäfte machte, insgesamt 20 Jahre in Deutschland lebte (davon mehrere Jahre in Ost-Berlin) und daran durchaus gut verdiente. Der Mann ist nun über 70, hört nicht mehr so gut, spricht aber gutes Deutsch und lebt in Chiba, östlich von Tokyo.
So… mein Vater kannte durch seine Journalismus-Tätigkeiten nun den Gerhard Beil und fragte ihn, als klar war ich geh nach Japan, ob er vor Ort nicht jemanden kennt, der mir helfen kann, wenns mal eng wird. Oder mit den Worten meines Vaters: “Die haben sich an der DDR gut verdient, nun wirds Zeit ein wenig zurückzugeben”.
Den alten Japaner traf ich dann nun, wir gingen dann zum japanisch-deutschen Verein Chiba, wo einige alte Japaner Deutsch (wieder) lernten. Ich war auch mit denen essen, wo es natürlich wieder die ganz Alten gab, die noch vom Krieg erzählen, und das Deutschland und Japan als Bollwerk gegen die allgemeine (Rassen)Unreinheit stehen. Das übliche eben.
Eine Bekannte von meinem alten Japaner war nun mit jemanden verheiratet, der ein Mitglied in diesem Verein war. Dieser kannte nun den Inhaber von einem deutschen Restaurant in Tokyo. Ihr Mann ist zwar tot, aber sie kannte den Chef dann auch noch. Als mich mein alter Japaner dann im Januar fragte, ob ich immer noch einen Job suche, und ich laut mit JAAAA!!!!! antwortete, machten wir ein Treffen aus.
An einem Abend im Januar traf ich mich nun mit meinem alten Japaner, seiner Bekanntin, dem Chef vom Restaurant und von ihm noch eine befreundete Familie, die noch dazu kam. Konntet ihr mir soweit folgen?
Wenn man mit dem Chef eines Restaurant speist, ist das Essen umsonst. Also bestellten wir reichlich, auch weil der Chef mal testen wollte, wie denn von einem Japaner zubereitete deutsche Gerichte, einem Deutschen schmecken. Es schmeckte gut. Das Schnitzel war zwar etwas dünn, aber das Brot, welches direkt aus Deutschland eingeflogen wird und nicht irgendeiner Bäckerei in Tokyo mit deutschen Namen gebacken gemacht wird. Nach mehreren Monaten ohne Brot hatte ich fast Tränen in den Augen, als ich in das warme Vollkornbrötchen biss.
Zu dem Zeitpunkt, 6 Monate im Land, war mein Japanisch verhältnismäßig scheisse. Es brauchte daher also immer meinen alten Japaner zum Übersetzen, da er und ich die einzigen am Tisch waren, die Deutsch konnten. Der Chef, obwohl schon über 30(!) mal in Deutschland gewesen, spricht kaum ein Wort. Aber er liebt das Land, schwärmt von Leuten, Essen und Bier. Er drängte mich auch das importierte Bier zu trinken, doch ich bin kein Biertrinker.
“Was? Aber du bist doch Deutscher, du musst doch Bier trinken?”
Der Satz ist in meinem Jahr Japan sehr häufig gefallen…
Kurzum, nachdem er drei Biere hatte, hatte ich den Job. Ich machte einfach einen sympathischen Eindruck und das ich blond bin erledigte wohl den Rest. Meine Japanisch-Kenntnisse oder meine nicht-existente Kellner-Erfahrung waren sicherlich nicht die Gründe, dass ich eingestellt wurde, sondern dass das Restaurant nun einen Quoten-Deutschen hat.
Ein Wort noch zum Chef: Das merkte ich beim Gespräch, und später dann unter seinen Angestellten: Der Typ ist ein Alkoholiker vor dem Herrn. Er hat das Restaurant vor 28 Jahren eröffnet und macht heute nix mehr. Der Betrieb wird aufrecht erhalten vom Oberkellner, der sich ums Personal kümmert, und seiner Frau, die einmal tägich vorbei kommt um die Zahlen zu checken. Er selbst kommt nur zum Besaufen her, oder um wechselnden jungen Damen einen auszugeben.
Er muss sich auch um nix kümmern, der Laden ist jeden Abend voll mit zahlungskräftigen und trinklustigen Gästen. Die Lage in Yurakucho bringt es echt, so kommen jeden Abend ein guter Anteil Geschäftsmänner aus dem anliegenden Marunouchi Bezirk, oder Schaufensterbummler von Tokyo’s Shoppingmeile, der Ginza. Der Laden ist seit fast 30 Jahren sogar so erfolgreich, dass vor 20 Jahren direkt nebenan ein weiteres deutsches Restauurant aufgemacht hat, mit dem urdeutschen Namen “J.S. Leneps”. Keine Ahnung, ich weiss auch nicht, was das heisst…
Das Restaurant ist verzierter als meins, deutsche Flaggen, Krüge und andere Symboliken hängen auf der Straße, dazu immer eine Kellnerin, die auf der Straße schreit, wie toll das Essen doch ist. Die Preise sind höher, trotzdem hält sich der Laden. Als ich den Oberkellner fragte wieso, sagte er “die haben viele weibliche Kellner”. Ich schlug ihm mal vor, dass ich mich ebenfalls auf die Straße stelle und (als Deutscher) sage, wie toll das Essen hier doch ist. Er meinte nur selbstbewusst “das brauchen wir nicht, wir überzeugen auch so”. Recht hatte er und mir gefiel diese unaufgeregte Einstellung.
In einer Mittagspause bin ich mal rüber und fragte die sehr überraschte Kellnerin, die sich mal wieder um Gäste bemühte, woher denn der Name von ihrem Restaurant kommt. Sie wisse es nicht, und auch nicht ihr Kollege, der verwundert dazu kam. Ich wies sie dann noch auf einen Rechtschreibfehler im Menü hin und wünschte viel Erfolg. Mein Oberkellner beobachtete uns und muste herzhaft lachen, weil er sowas von seinen Angestellten nicht gewohnt war, dass die einfach mal zur Konkurrenz rüber spazieren um Hallo zu sagen.
Der Chef und seine Familie stammen von den Kurillen, eine Inselgruppe im Norden von Japan, die im 2. Weltkrieg von Russland besetzt wurde und bis heute russisch ist. Ab und an ist das auch ein Streitthema, weil Japan die Inseln schon noch gerne zurück hätte.
So hat also der Chef und seine Familie, und auch die Familie die uns an dem Abend am Tisch noch Gesellschaft leistete, ihr Haus und Grundstück an den Russen verloren. Dementsprechend schlecht war seine Meinung von den Russen, und er zeterte auch heftig, was mein alter Japaner dann nicht übersetzte (und auch nicht wirklich brauchte). Dass mein Bruder seinen Zivi in Russland leistete, verschwieg ich an der Stelle…
Die Familie, die dann dazu kam, war wie gesagt auch von den Kurillen und seit ihrer Kindheit mit dem Chef bekannt. Es waren jedoch nur die Mutter und ihre Tochter anwesend. Die Mutter fand das ganz rührend, dass ich alleine nach Japan ging um Arbeit zu finden, umarmte mich zum Schluss und wünschte mir mit sichtlicher Rührung und Sorge im Gesicht alles Gute. Ihre Tochter war Tänzerin und dementsprechend hübsch. Der Chef wurde bei ihr auch gern mal körperlich zutraulich, doch sie war das anscheinend schon gewohnt.
Ich hatte also den Job, das hatte er mit Alkohol im Atem vor versammelter Mannschaft verkündet. Ich wusste, dass das so sicher wie ein Vertrag ist, denn würde er das revidieren, würde er vor allen Anwesenden das Gesicht verlieren.
Ich sollte, bevor ich anfange, nur noch den Oberkellner anrufen. Und da war das Problem.
Importierte Bierflaschen im Kühler, das Stück für 8-12€
Konnte ich mich beim Gespräch mit dem Chef mit seinem Alkohol-Pegel, einem Lächeln und meinen blonden Haaren noch durchmogeln, würde am Telefon sofort klar, dass mein Japanisch völlig unzureichend ist, um in einem Restaurant zu arbeiten. Zudem sieht man meine Haare nicht. Ich hatte mir nach dem Gespräch zwar die Speisekarte mitgenommen um zu lernen, aber ein Telefonat überstehe ich mit アイスベイン und シュニツル (Eisbein und Schnitzel) nicht. Der Grund warum ich gezielt ein deutsches Restaurant suchte war, dass ich so weniger Probleme mit den Bestellungen haben werde, da die Namen der Gerichte ja deutsch sind. Dachte ich zumindest…
Die Zeit verging und ich rief nicht an. Mittlerweile ging mir auch nach einem Umzug das Geld aus, im Februar war die schlimmste Zeit, wo ich wirklich zwei Wochen kein Geld mehr für Essen hatte. Das Restaurant war meine beste Möglichkeit, ich musste mir was einfallen lassen. Bis ich dann drauf kam: Ich schreib einfach einen Brief!
Ein Brief auf Japanisch, in dem ich erkläre, warum ich mich so lange nicht gemeldet habe und dass es doch besser wäre, über Email zu kommunzieren. Ich bat eine japanische Freundin mir den Brief zu übersetzen, und zwar so, als ob ein Japanisch-Anfänger sie schreibt, das heisst möglichst wenig Kanji. Das machte den Text dann auch länger und ich brauchte ca. 3 Stunden um alles per Hand aufzuschreiben. Am Ende hatte ich einen Krampf. Aber ich dachte, wenn ich per Hand schreibe, imponiert es ihm mehr.
Schon drei Tage später erhielt ich eine Email, ich solle doch ins Restaurant kommen zum Gespräch.
Ich war super aufgeregt vorm Gespräch, schließlich war mein Japanisch unter aller Sau und ich brauchte den Job unbedingt zum Überleben – wortwörtlich. Ich ließ mir von meinen Mitbewohnern sagen was “Ich suche Sakai-san” heisst, den Oberkellner den ich treffen sollte. Als ich das dann dem ersten Japaner, dem ich im Restaurant traf, sagte, zeigte er nur etwas verwundert mit dem Daumen auf sich und bot mir an, mich zu setzen.
Es war schon jemand da, der sich anscheinen ebenfalls auf einen Job bewarb. Mir ist in dem Moment entfallen, was “Wie heisst du?” heisst, also fragte ich ihn wie alt er ist und ob er schonmal in Deutschland war. Im Allgemeinen war er sehr schweigsam und machte einen unmotivierten Eindruck. Doch nach der Frage vom Oberkellner “Wann kannst du anfangen?” und er mit “Morgen” antwortete, hatte er den Job. So schwer konnte es doch nicht sein, oder?
Als er abgefrühstückt war, wandte sich Sakai-san mir zu, musterte mich, seufzte und zündete sich eine Kippe an.
(S)akai:“Kannst du Japanisch?”
(F)ritz: “Ein bisschen.”
S: “Bist du Student?”
F: “Nein”
Von da an ging es in gebrochenen aber gutem Englisch weiter:
S: “Warum bist du in Japan?”
F:“Ich bin Fotograf und Journalist”
Ich glaub allerdings nicht, dass er mir das damals glaubte
S: “Hast du eine japanische Freundin?”
F:“Nein”
S: “Magst du japanische Frauen?”
F:“Schon…”
S: “Die sind hübsch, ne?”
F:“Haben Sie denn eine Freundin?”
Er seufzt und zeigt mir seinen Ring “…ich bin verheiratet”
F:“Cool”
S: “…cool?”
…und er muste lachen.
Von da an gings etwas einfacher zu. Er erklärte mir alles, zeigte mir das Menü und bat mich etwas vorzulesen. Das ging zum Glück (auch weil neben den Gerichten Fotos waren 😉 ). Dann bestellte er was zur Probe. Ich verstand kein Wort.
Ich versicherte ihm, dass ich es noch lerne. Dann meinte er wieder “Biggu Problem” und zeigte mir das “Handy”.
Das Gerät für Bestellungen: Eintippen, Bestätigung drücken und ein Vermerk geht an die Kasse und Küche. Ich konnte die Benutzung nicht Vermeiden, da alles automatisiert ist und es sonst die Prozesse durcheinander bringen würde. Ich konnte ihn dann überzeugen, mir alle Bestellungen aufzuschreiben und dann in Ruhe in den Computer zu tippen. Für das Lesen brauchte ich immer etwas Zeit, aber es funktionierte.
Mit starken Zweifeln meinte er zu mir, dass ich nächste Woche vorbeikommen soll, Beginn ist 17 Uhr, Ende 24 Uhr, um 17 Uhr gibts auch Essen, Klamotten kriege ich, nur Waschen musste ich sie selbst.
Zusammen mit meinem neuen schweigsamen Kollegen machte ich mich durch den Regen auf nach Hause – und lernte die nächsten Tage Japanisch und das Menü. Ich bat meine Mitbewohner als Gäste zu agieren und zu bestellen, die hatten daran einen sichtlichen Spaß.
Mein Spind mit meinem Namen, furitsu =)
Am ersten Tag bat ich um etwas “Training”, schließlich hatte ich noch nie gekellnert. War aber einfacher, als ich es mir ausmalte. Zum Tisch, Bestellung wahrnehmen, Essen bringen, Lächeln, fertig. Natürlich gibts da in Japan Besonderheiten:
– Wenn ein Gast hereinkommt, brüllen alle Kellner “Irrashaimaseeeee!!”, als Begrüßung. Egal ob das Haus voll ist oder ob die das überhaupt hören können
– Wenn ein Gast geht, brüllen alle Kellner “Arigatou Gozaimasu!!”, also “Vielen Dank”
– Wenn man das Essen bringt, egal obs nicht mal ne Minute gedauert hat, sagt man “Omataseshimashita”, heisst “Entschuldigung, dass Sie warten mussten”, gefolgt von der Nennung des Gerichts. Ich persönlich schob dann noch ein “Bitte Schön” hinterher
Krimskramskommode, mit Kram aus Deutschland, Reisebüchern und einer Schublade für vergessene Gegenstände, darunter viele Kameras. Ich machte mir eien Spaß daraus, mir die Bilder drauf anzuschauen und Gedanken über den Besitzer anzustellen. Oder ich fotografierte meine Kollegen. Wenn die Dinger hier über ein Jahr liegen ist es auch egal…
Die Arbeitskleidung war für Japaner normiert und für mein deutsches Gesäß etwas zu eng, was zur allgemeinen Belustigung beitrug und ich bis zum Schluss meines Jobs mir anhören lassen musste. Mein Gegenargument war immer, ich bin Deutscher, die sind so. Und immer wenn ein deutscher Gast im Restaurant war, die auch immer(!) nen dicken Arsch oder Wampe hatten, meinte ich zu meinen Kollegen “Seht ihr, wir sind so!”
Achja… meine Kollegen… dazu dann mehr im zweiten Teil. Dann auch darüber, was Godzilla mit meinem Restaurant zu tun hat:
Für ein deutsches Magazin mache ich derzeit eine Art Tokyo Guide, zu verschiedenen Stadtteilen und -zentren von der Metropole, jeweils mit Text und Bildern. Den Anfang machte Shinjuku, der zweite Teil war Harajuku, der dritte Shibuya und hier nun Shimokitazawa.
Von allen Ecken Tokyo’s gefällt mir Shimokitazawa mit am Besten, ich liebe diesen Bezirk. Es wirkt alles etwas unfertig und abgeranzt, doch gleichzeitig so sympathisch chaotisch verrückt, und viel natürlicher als der manchmal so künstliche Rest von Tokyo.
Als der Westen von Tokyo in den 60er Jahren modernisiert werden sollte, mit großen Neubauten und allen, gehörte Shimokitazawa zu den eher unattraktiven Gegenden und wurde grob gesagt von dieser Baubewegung ignoriert. Übrig blieben dann alte Häuser, die billig waren und so junge Leute und Künstler anlockten. Den Ruf hat Shimokitazawa bis heute zurecht, es gilt auch als eine der beliebtesten Wohnadressen für junge Tokyoter. Es ist auch bekannt für seine vielen Second Hand, Retro oder Antiquitäts-Läden. Halt alles was alt und verbraucht ist, wie Shimokitazawa selbst.
Leider soll der Stadtteil und alles was ihn ausmacht in den nächsten Jahren abgerissen und plattgemacht werden, für eine neue Straße. Tragisch, wie ein Stück urbane Seele in Tokyo zum Sterben verdammt wurde.
Als ich die Bilder gemacht hatte, war ich relativ unglücklich und dachte, die sind nix geworden. Beim Drübergehen sind mir doch aber erstaunlich viele gute Motive aufgefallen, die ich bereits hier (Shimokitazawa, 18.58 Uhr), hier (Ein Sonnenuntergang in Shimokitazawa voll mit TokyoFotoSushi im Mai), hier (Wolken und Schienen), hier (Shimokitazawa Freihand) und hier (Tunnel-Alltag) verbloggt habe. An der Anzahl der Einträge sieht man mal, wie ergiebig dieser Ausflug war. Hier nun der “Rest”: