Post aus Nah-Ost 4: Männer müssen draußen bleiben

Der erste volle Drehtag unter der heissen Sonne von Jenin. Ich sah heute viele verschlossene Türen, deren Eintritt mir als Kerl verwehrt wurde. Als Mann war ich an diesem Tag definitiv die unterdrückte Minderheit.

Die Fahrt nach Palästina ist jetzt schon über ein halbes Jahr her (und der letzte Blogeintrag dazu schon ganze 5 Monate), dennoch spüre ich wieder die Sonne und den feinen Sand auf der Haut, wenn ich mir die Bilder aus der Zeit anschaue.

Der erste volle Drehtag begann mit einem späten Frühstück. Ich holte die Kamera aus dem Keller des Cinema Jenin, wo sich hinter einer schweren Eisentür mit arabischen Muster viel gespendete Technik stapelte. Stets war jemand am Löten oder reparieren, um die vorhandene Ausrüstung noch in Schuss zu halten.
Wir schnappten uns die Übersetzerin und unseren treuen Taxifahrer Jamal, der uns am Tag zuvor in den Sonnenuntergang gefahren hat. Unser Ziel war das Flüchtlingslager von Jenin.

Etwas zu schnell für meinen Geschmack sauste der Fahrer die verwinkelten Straßen des Lagers entlang. Er kannte diese Straßen sehr gut, schließlich wohnte er selbst hier. Stolz fuhr er auch extra an seinem Haus vorbei: Eine Wohung in einem schattigen Hinterhof, gegossen in Beton. Er lächelte, als er auf die schmutzige Fassade blickte und meine Kollegin konnte nur ein gezwungenes „schön hier“ äußern, damit die Fahrt wieder weiterging.

Für unser Filmprojekt zum Thema „Frauen in Palästina“ wollten wir heute zunächst in einem Frauenzentrum im Lager drehen. Die Plakette am Eingang sagte, dass das Haus 2005 mit Hilfe der UNO und Kanada entstanden ist. Die starken Abnutzungserscheinungen am Gebäude ließen es jedoch viel älter wirken. Ein alter Spielplatz stand vor einer abbröckelnden Malerei von lachenden Kindern, und rostete langsam vor sich hin.

Das Frauenzentrum war gleichzeitig auch ein Kindergarten, Hort und Jugendzentrum. Die Frauen hier kümmern sich ehrenamtlich um die Kinder. Eine Gruppe von älteren Damen in Kopftuch beäugte uns skeptisch, als wir das Gebäude betraten. Aber vielleicht beäugten sie auch nur mich, da Männer hier selten gesehen sind.

Nach einem kurzen Gespräch mit der Direktorin wurden wir an den Kindergarten im Hause weitergeleitet. Mit einer der Erzieherin dort führten wir ein Interview. Ich blieb dabei im Hintergrund – und hatte somit mehr Zeit zum Fotografieren.

Die Kinder verfolgten ganz aufgeregt und mit großen Augen die drei blonden Menschen mit den nicht gerade kleinen Kameras. Ich hantierte dabei mit zwei Geräten, einmal der digitalen Spiegelreflex und dem analogen Apparat. Beim analogen Fotoapparat musste ich immer manuell scharf stellen, was den Kindern Gelegenheit gab, sich vor meine Linse zu verstecken. Zunächst war es nur ein Mädchen, das sich laut lachend vor meiner Kamera versteckte, doch bald machten alle mit und rannten kichernd durch den ganzen Raum. Meine Kolleginnen konzentrierten sich aufs Interview und bekamen den Trubel, den ich auslöste, nicht mit. Die andere Erzieherin hatte sichtlich Probleme, die Kinder wieder unter Kontrolle zu bekommen. Vorallem nicht, als sie aus dem Raum raus rannten, um vor meiner Kamera zu flüchten.
Aber ein paar Jungs gab es dann doch, die sich vor die Linse trauten.

Als ich ihm das Bild zeigte, fand er es sehr witzig und dann wollten auch alle mal ins Bild.

Einer der Jungs drückte mir dann noch etwas in die Hand als wir gingen. Es waren Plastikteile, so zusammengesteckt, dass sie die Form einer Pistole ergeben. Kinder in Deutschland machen so etwas sicher auch, doch hier in einem Flüchtlingslager in Palästina, wo es regelmäßige gewaltsame Auseinandersetzungen gibt, fand ich es doch befremdlich. Ohne zu lächeln sagte ich Danke und gab es ihm zurück.

Mit der Direktorin gingen wir durch den Rest des Gebäudes. Im zweiten Stock gab es eine Art Sportraum, mit ausgefranzten Matten, einer Tischtennisplatte ohne Netz und Spiegeln an der Wand. In der Ecke kabbelten sich zwei ältere Jungs, während jüngere Jugendliche daneben standen. Resolut löste die Direktorin den Streit der Beiden auf. Zu viel Energie und ein Mangel an Angeboten sorgt eben dafür, dass sie sich aneinander abreagieren.

Im nächsten Raum, der komplett rosa gestrichen war, standen ca. 20 Frauen laut schnatternd herum. Es war eine Art Beauty-Salon, der gleichzeitig zur Ausbildung dienen sollte. Frauen bilden Frauen aus. Make-Up, Haare und Kopftuch-Kosmetik.
Auch wenn die Frauen meiner Ansicht nach nichts dagegen hatten, bestand die Direktorin darauf, dass ich vor dem rosa Zimmer bleibe. Die Tür blieb offen, doch ich durfte nicht herein.

So konnte ich nur von draußen sehen, wie meine Kolleginnen Interviews mit den Frauen machten. Ich fotografierte immer mal wieder rein, bis die Direktorin kam und mir mit einer entschuldigenden Geste die Tür vor der Nase zuknallte.

Da stand ich nun. Ich versuchte noch durch das Fenster über der Tür ein paar Bilder zu machen. Einige der Frauen bekamen das mit, versteckten ihr Lachen hinter ihren Händen und winkten vergnügt. Ein strenger Blick der Direktorin reicht dann aber, damit sie und ich damit aufhörten. Ich sah mich um.

Die Jungs kamen inzwischen neugierig aus dem Sportraum und sahen, dass ich alleine war. Sie zerrten mich in den Sportraum und der älteste von ihnen drückte mir eine Hantel in die Hand. Allein in einen Raum mit Jugendlichen, die zu viel Energie haben und anscheinend hier noch trainieren, machte mich dann doch etwas unsicher. Ich versuchte mich mit einem Lächeln durch die Tür zu stehlen, doch sie wurde mir von vielen kleinen Händen zugehalten. Irgendwie kam ich dann doch noch raus.

Neben dem rosa Zimmer mit den vielen kichernden Frauen, war die „Bibliothek“ des Zentrums. Gespendete Bücher auf schiefen Regalen, viele davon in Englisch. Durchs vergitterte Fenster sah ich ein Minarett und hörte das geschäftige Treiben der Straße.
Die Jungs waren immer noch umtriebig und fanden mich dann hier. Sie konnten kaum Englisch, dennoch fragen sie, ob meine beiden Begleiterinnen meine Frauen seien, ich verheiratet oder verliebt bin. Sie deuten nur an, ohne Sprache nur mit Gesten.

Begeistert darüber, dass ich Englisch kann, drücken sie mir ein Buch in die Hand, was sie blind aus dem Regal gezogen haben. Es ist ein amerikanisches Buch über Demokratie. Sie schlagen eine Seite mit Ronald Reagan und der Wirtschaftspolitik der 80er Jahre auf und bitten mich, es vorzulesen.
Nach zwei Sätzen stoppe ich und spare mit weitere wirtschaftliches Blah Blah. Sie zeigen derweil auf eine halbkaputte Tafel und sagen fehlerfrei eines der wenigen englischen Worte, das sie kennen: „Money?“
Sie wiederholen es häufig und halten die Hände auf. Wahrscheinlich sind sie es gewohnt, dass die einzigen Ausländer, die herkommen, auch Geld da lassen.

Ich winke ab und biete stattdessen an, mit den Jungs Armdrücken zu machen. Das nehmen sie auch viel lieber an. Zwei Jungs packe ich, aber der Älteste gewinnt. Er feiert seinen Triumph über mich, in dem er auf dem Tisch einen Handstand macht.

Siegreich verlässt er mit den anderen die Bibliothek und meine Kollegin kommt herein. Da sich die Dritte in unserem Team noch das Kopftuch von zehn Frauen machen lässt, wollen wir erstmal raus. Sie will rauchen, ich nicht, trotzdem komme ich gerne mit.

Unten ist eine Schar von Kindern, die alle neugierig auf uns zukommen. Alle wollen sie reden und plappern durcheinander, auch wenn wir kaum auf jeden reagieren können. Unsere Kollegin kommt sichtlich bewegt aus dem Gebäude raus. Mit einem wunderbar gesteckten Kopftuch setzt sie sich zu uns. Sie ist noch dabei zu verarbeiten, welchen Aufwand grad eine Schar von Frauen für sie als Fremde betrieben haben, da sind wir schon auf dem Weg zur Direktorin, um uns zu verabschieden. Sie stimmte nun doch zu, ein Interview mit uns zu machen. Es wird süßer Tee serviert und ich ziehe mich wieder in die andere Ecke des Raums zurück, da es wohl besser sei, wenn eine Frau die Fragen stellt und nicht ich als Kerl, sagt meine Kollegin.
Nach dem Ende des Interviews holt sie zwei Tüten hervor und breitet deren Inhalte auf dem Tisch aus.

Von zwei Frauen gefilmt zu werden war vorher kein Problem, doch als ich meine Kamera rausholte, versteckte sie ihr Gesicht. Sie präsentierte uns gestrickte und gehäkelte Waren, Geldbörsen und Taschen, Decken und Bezüge. Alle von den Frauen hier gemacht und mit traditionellen Mustern bestickt.
Mich überraschte, wie angenehm weich die Materialien waren. Meine Frage nach dem Stoff erbrachte keine Antwort. Schafswolle war es nicht, Kamelhaar aber auch nicht.
Da ich seit unserer Ankunft im arabischen Raum mein Geld immer nur in meine hintere Gesäßtasche stopfte, wo – seien wir mal ehrlich – neben meinem Gesäß nicht viel mehr Platz ist, war ich froh, eine geschmackvolle Alternative zu meiner Arsch-Tasche gefunden zu haben. Ich entschied mich und bezahlte den recht hohen Preis von umgerechnet 7€. Mehr hatte ich in der lokalen Währung auch nicht dabei, sodass ich zwar nun eine Geldbörse, aber keinen Inhalt dafür hatte.

Meine Kolleginnen deckten sich reichlich ein und wir bekamen jeder noch eine kleine Tasche obendrauf geschenkt. Einpacken und tragen durfte dann wieder ich als Kerl, da die anderen keine große Tasche dabei hatten.
Zum Abschied reichten wir uns die Hände. Nur meine ausgestreckte Hand blieb von der Direktorin unberührt. Stattdessen legte sie sich die Hand aufs Herz und schaute auf den Boden. Eine Geste, die Respekt bedeuten soll, mich aber mit meiner ausgestreckten Hand verwundert zurück ließ.

Zu Fuß machten wir uns auf dem Weg aus dem Lager und zurück in die Stadt. Wir kamen vorbei an bunt bemalten Wänden. Sie sind der Versuch, dem Grau des Lagers und der Situation etwas Schönheit zu geben.

Wir trafen auch auf viele Plakate und Poster mit oft grimmig blickenden Köpfen. Es waren Portraits von Märtyrern, die hier noch eine Verehrung finden. Doch fast alle Fotos verblassen bereits. Ihre Bedeutung schwindet.

Wieder erstaunte mich, wie sicher sich meine Kolleginnen durch das Flüchtlingslager bewegten, welches von einigen deutschen Medien auch als „Terroristen-Zentrum“ bezeichnet wird. In einem Rollkoffer zog ich unsere Ausrüstung hinter mir her, während viele Menschen auf uns zukamen und uns mit einem Lächeln das Bisschen verkaufen wollten, was sie haben. Ich versuchte, mich immer mit dem Koffer im Hintergrund zu halten, doch die Mädels hatten kein Problem mit der Direktheit der Leute.

Mädchenaugen hinter Stacheldraht verfolgten uns. Eine Schule nur für Mädchen befand sich hinter dicken Mauern auf der linken Seite der Straße. Ich winkte den jungen Damen am Fenster zu und sie fingen an zu feixen. Es wurden immer mehr Mädchen mit Kopftuch, die sich an den Fenster aufstellten und vergnügt zu dem komischen Blonden mit Rollkoffer auf der anderen Seiten der Straße winkten.

Wir betraten ein Einkaufszentrum an deren Eingang ein Schild mit einer durchgestrichen AK-47 hing. Einige, aber nicht viele Geschäfte sammelten sich hier, die meisten für Mode. Einem Tipp folgend suchten wir eine weibliche Ladenbesitzerin, die hier im zweiten Stock ein Geschäft für Damenmode hatte. Ich durfte zwar diesmal rein, doch es sei wohl besser „wenn eine Frau die Fragen stellt“, um einmal meine Kollegin zu zitieren.

Ein paar Jahre hatte sie schon den Laden. Sie sprach gutes Englisch, muss sie doch viel reisen, um ihre Kleidung im Ausland zu kaufen. Frauen kaufen bei Frauen ein, Männern bei Männern, sagt sie. Von daher ist es in Palästina nicht ungewöhnlich, dass Frauen ihr eigenes Geschäft aufmachen. Ihr Mann war zwar zunächst dagegen und hatte großes Skepsis was ihren Erfolg angeht, doch sie hatte, im Gegensatz zu ihm, mit ihren Geschäft langfristig Erfolg gehabt.

Nach dem Interview kam eine Kundin rein, eine Freundin von der Besitzerin. Sie hatte ein Kind dabei und die Ladenbesitzerin fing an zu erzählen. Der Mann ihrer Freundin ist seit 25 Jahren im Gefängnis, hat sein Kind das letzte Mal vor 8 Jahren gesehen. Die Ladenbesitzerin holte dann noch selbstgestickte Wandteppiche heraus, verziert mit traditionellen Mustern, aber auch mit Männern mit Kalashnikow in der Hand. Sie hält einen Stoff mit einer Karte vom Westjordanland vor sich und fängt an zu singen. Worum es ging, weiss ich nicht. Vielleicht was nationalistisches, etwas für den Widerstand oder ähnliche Inhalte zum kollektiven Mutmachen in einer schwierigen Situation. Wie man das bewerten sollte, das weiss ich nicht. Vielleicht ist das auch eine Art der Tradition in Palästina. Der Unterschied zwischen einer gestrickten Kalashnikow und einer gestrickten Geldbörse ist da vielleicht nur das Alter und nicht die Ideologie.

Im Rest vom Einkaufszentrum filmte ich dann mal zu Abwechslung. Nach drei Einstellung, die es am Ende nicht mal in den Film schafften, musste ich die Kamera wieder abgeben.
Wir machten uns auf den Weg zurück zum Gasthaus. Dabei kamen wir an einem Laden für Damenunterwäsche vorbei. Meine Kolleginnen bekamen gleich große Augen in der Hoffnung auf ein interessantes Gespräch, also fragten wir die Besitzerin nach einem Interview. Nach langen Reden stimmte sie zu. Fragen ja, Filmen nein, und Jungs schon mal gar nicht. Also musste ich wieder raus.
Da saß ich dann, vor einem Damenunterwäscheladen im Nahen Osten, und schob mit meinen ehemals weißen Schuhen den Staub auf dem Boden vor mir her.

Im Kopf spulte ich unser Material zurück. Ich war der Meinung, wir hätten schon zu viel, doch selbst nach dem Interview waren die Mädels nicht zu bremsen und wollten noch mehr filmen. Mir reichte es aber für den heutigen Tag. Wenn ich noch mal irgendwo draußen warten sollte, konnte ich das wenigstens auf dem Dach in der Hängematte tun.

Die Kopfhörer in meinen Ohren spielten gerade eine Symphonie, als ich sie abnahm um einer anderen Symphonie zu lauschen: Die Minarette der Umgebung spielten alle das gleiche Lied. Über den Trubel der Stadt wurden zum Sonnenuntergang Aufrufe zum Gebet in einem arabischen Sing-Sang gelegt, der hier im Tal alles andere übertönte. Nach zehn Minuten war es vorbei und die Stadt schrie wieder auf. Ich auf meinen Dach hatte jedoch endlich Ruhe…

…bis dann unser Übersetzer mit einer Bitte kam: Die Theatergruppe brauche wohl eben mal einen Betreuer, er hat aber keine Zeit, weil er gerade schneiden muss. Meine Frage, warum denn ich gerade dafür geeignet bin, quittierte er mit einem „ich habe schon drei andere vor dir gefragt.“ Grummelnd macht ich mich auf dem Weg zum Theater.

Ich wurde als „Experte für die Bühne vorgestellt“ während mir die palästinensischen Schauspieler ihre Idee erzählten. Die funktionierte eigentlich auch ohne mich, und wahrscheinlich wollten sie einfach nur jemanden haben, der es kontinuierlich abnickte. Mit einer deutschen Kollegin, die wohl ebenfalls eine „Bühnen-Expertin“ war, gestikulierte ich laut auf Deutsch, um zumindest den Anschein eines kompetenten Fachgesprächs zu erwecken. Als sich dann alles von der Bühne in den Garten verlagerte, schlich ich mich in der Dunkelheit davon. Schließlich war ich ja Experte für die Bühne, nicht für den Garten…

Zurück im Gasthaus hörte man überall kleine Küken, die für ihre Größe erstaunlich laut sein können. In einer Ecke stand dann ein Mülleimer, der zu einem Hühnerkäfig umfunktioniert wurde.

Das Kino, zu dem das Gasthaus gehörte, finanziert sich u.a. damit, Videobeiträge als Auftragsarbeit zu produzieren. So weit wie ich es verstanden habe, sollen die Küken in einem Werbespot Verwendung finden.

Mit meiner Kamera hatten sie schonmal keine Probleme. Hier kann man Küken halt noch auf dem Markt kaufen. So gabs dann neben einem kleinen Hundebaby auch noch flauschige Küken im Gasthaus – sehr zur Verzückung meiner weiblichen Kollegen.

Wieder in der Hängematte hatte ich nun den Sternenhimmel über mir. Es war zwar nur 18 Uhr doch die Stadt verstummte bereits. So konnte ich auch ein entferntes „Kannst ruhig zu mir kommen, wenn du magst“ hören, über das ich erstmal 15min nachdenken musste, bevor ich es deuten mochte. Auf dem Dach war es stockfinster und ich konnte nicht eindeutig sagen, woher der Ruf nun kam.

Im Dunkeln lag dann ein Mädchen. Im leichten Mondlicht erkannte ich noch, dass hier eine aus meiner Redaktion aus Berlin döste, und ich legte mich zu ihr. Während sie dann meinen Rücken massierte, schaute ich mir den hellen Mond an, der hier noch größer erschien als in Berlin. Doch ist der Mond genau so schwer zu erreichen wie für viele hier die andere Seite der Grenze.

Wir kümmerten uns dann darum, unser Material in den Rechner einzulesen. Der Cutter gab uns sein Daumen hoch und bestätigte auch meine Vermtung, dass wir genug Material haben. Der Schnitt sollte morgen folgen. Für uns endete mit dieser Ansage ein langer Tag. Gegen 2 Uhr Nachts waren aber in unserem Achtbettzimmer nur drei Kopfkissen belegt. Der Rest hing über den Computern und am Schnitt. Ich hingegen war im Schlafraum der Jungs.

Hier hatten die Mädels keinen Zutritt. Zum ersten Mal heute.

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Post aus Nah-Ost:

Teil 1 – Die Straße nach Palästina
Teil 2 – Wie Tag und Nacht
Teil 3 – Der Tag der kaputten Kameras
Teil 4 – Männer müssen draußen bleiben

Die touristenfreundliche Ruine im Pazifik

Nach tagelangen Gesprächen mit Vertretern der Stadt Nagasaki sollte es endlich so weit sein: Wir durften die Ruineninsel Gunkanjima betreten. Das das alles nicht ganz so cool wurde, wie wir uns das vorher ausmalten, wussten wir aber noch nicht…

Wir waren jetzt bereits vier Tage in Nagasaki. In diesen vier Tagen versuchten ich und meine japanische Begleiterin die Stadt zu überzeugen, uns auf die Ruineninsel Gunkanjima zu lassen. Das war nicht einfach und häufig wurde das Wetter als Grund für eine Absage vorgeschoben. Bis ich dann sagte, dass wir heute, am vierten Tag, auf die Insel fahren, komme was wolle, da meine Begleiterin heute Abend wieder nach Tokyo aufbrechen wollte und ich in weniger als einer Woche Japan nach einem Jahr verlasse. Müde, aber auch erleichtert sich dann nicht mehr mit uns beschäftigen zu müssen, sagte der Vertreter der Stadt zu. Wir sollten am Morgen einen Bus Richtung Südwesten nehmen und eine Stunde fahren.

Gegen 7 Uhr früh sind wir dann in einem kleinen Fischerdorf angekommen. Die Häuser und Bewohner konnte man an zwei Händen abzählen, nur die Boote waren zahlreich.

Ein müder und verschnupfter Vertreter der Stadt begrüßte uns vor einem angetauten Fischerboot, aus dem dann ein grummeliger Fischer gesprungen kam. Wir wurden kurz namentlich vorgestellt, Visitenkarten wurden ausgetauscht, aber viel mehr Kommunikation fand dann auch nicht mehr statt – außer der Übergabe der Bezahlung für den Fischer. Denn wir, bzw. ich musste für unsere Überfahrt zahlen, auch für die vom Vertreter der Stadt. Fand ich aber in Ordnung, schließlich kostet Sprit auch Geld.

Dieser Fischer machte wohl oft Geschäfte mit der Stadt. Weder interessierte ihn, woher ich kam, noch was ich auf der Insel wollte. Wird wohl regelmäßig ein ausländischer Journalist vorbei kommen, der auf die Insel will.
Der Verteter der Stadt, oben links im blauen Hemd, schob für uns Überstunden, so früh am Morgen. Und zu seinem Aufgabenbereich, Tourismus in Nagasaki, gehört auch nicht wirklich, Journalisten aus dem Ausland zu umsorgen. Dementsprechend genervt war er auch und jeder Ansatz zu Smalltalk wurde vor der Küste von Nagasaki über Bord geworfen und im Pazifik ertränkt.

Wie die letzten Tage zuvor war es auch an diesem Tag sehr diesig. Glücklicherweise blieb der Regen aus, doch Wind und Wellengang waren heftig. Die Kamera hatte ich stets fest in der einen Hand, das Boot in der anderen. Mein Stativ rollte auf Deck hin und her. Es war auch eine sehr knappe Entscheidung vom Fischer, heute rauszufahren, wären die Wellen nur etwas höher gewesen, wäre das Risiko zu groß. Das hatte den Vorteil, dass an diesem Tag auch keine Touristen zur Insel übersetzten. Während fliegende Fische neben unserem Boot aus dem Wasser hüpften, schaute ich in ein Wasserbecken an Bord, wo sonst Fische aufbewahrt werden. Heute wurde noch nichts gefangen.

Ich musste mir noch einmal die momentane Situation bewusst machen. Ich hatte ein Fischerboot gemietet, um zur Ruineninsel Gunkanjima zu fahren, die für 40 Jahre nicht betreten werden durfte. Meinen ursprünglichen Wunsch, dort eine Nacht zu verbringen, wurde von der Stadt in der Kürze der Zeit nicht erlaubt. Auch für die verbotenen Bereiche gab es keine Erlaubnis, da dafür mehr Formulare und mehr Zeit benötigt werden. Was ich aber bekommen hatte war ein alleiniger Besuch der Insel mit eigens gemieteten Boot. Denn wenngleich die Insel mittlerweile offen für Touristen ist, so durften die heute aufgrund des Wellengangs nicht mehr rübersetzen. Es bliebe also nur Ich und die Ruine. Und meine japanische Begleiterin. Und der Futzi der Stadt, der aufpasst, was ich mache.

Hm…

Nach ca. 20min tauchte die Ruine aus dem Nebel auf.

Vorsichtig näherten wir uns dem Landepunkt, der mit seinen neuem, weißen Geländer so gar nicht zu den ausgewaschen Beton passen wollte, auf dem es stand.

Der Fischer klappte eine Art Planke auf dem Boot aus, und wir sollten von da aus rüberspringen. Ich verstaute Kamera und Objektive sicher in der Tasche, hielt das Stativ fest in der Hand und wagte den Sprung.

Ich war auf Gunkanjima gelandet. Ich blieb einen kurzen Moment stehen, drehte mich zum Boot um, dass bereits abdrehte, um von den Wellen nicht gegen den Steinbeton gedrückt zu werden. Meine Begleiter waren bereits voran gegangen. Sichtlich gelangweilt schloss der Vertreter der Stadt die Tür zur Insel auf. Wobei die Tür auch mehr ein stählernes Tor war, welches ohne Quietschen Zugang zur Insel ermöglichte.

Man ist erstmal überrascht, wie grün die Insel doch ist. Von außen ein schwimmender Betonklotz, auf der Insel selbst grünes Leben.

Keine 10min auf der Insel brach die Sonne aus der Wolkendecke hervor, zum ersten Mal seit meiner Ankunft in Nagasaki. Nun sah man auch, wie viel sich auf der Insel und in der Luft bewegte. Mit unserer Ankunft stand die Einwohnerzahl bei drei Personen – und hunderten Libellen.

Doch es machte sich schnell Ernüchterung breit. Bewegen durfte wir uns nämlich nur auf einem künstlich angelegten Weg, der vor zwei Jahren mit viel frischen Beton auf die Insel gegossen wurde.

Nebenbei folgte mir der Vertreter der Stadt auch auf Schritt und Tritt, um ja sicher zu stellen, dass ich nicht übers Geländer klettere.

So blieb nur, den abgesperrten Weg abzulaufen, welcher auf der gesamten Südostseite der Ruineninsel verlief, um von dort dann die Impressionen vom Wegesrand mitzunehmen. Die Aussicht war dementsprechend limitiert.

Diese Insel wurde zerstört. Aber kein Krieg, kein Investor, keine Katastrophe und kein Erdbeben war daran Schuld. Nur die Zeit und die Natur, die sich den Raum wieder zurück eroberte.

Es war still auf der Insel. Neben den Wellen, die gegen die Aussenmauern krachten, hörte man eigentlich nur das allgemeine Summen der Insekten und ab und an ein paar Vögel, die uns von den Dächern der leeren Gebäude vereinzelt beobachteten.


Über die Jahrzehnte ausgewaschener Abwasserkanal

Als das Ende des Weges erreicht war, wurde mir klar, dass nun nichts mehr kommt.
Dieser enge Blick auf die Insel, nur über das Geländer hinweg, entsprach nicht dem, was ich wollte. Ich war in dem Sinne nur ein gehobener Tourist. Zwar gehörte die Insel an diesem Morgen zu großen Teilen mir alleine, doch eben diese Teile, waren auch die uninteressantesten.

Kurz vor meinem Abflug nach Nagasaki las ich von einem Blogger, der einen jungen Japaner mit Boot kennenlernte und sich an zwei Nächte heimlich auf die Insel schlich. Ich wollte den legalen Weg nehmen, doch jetzt bereute ich diese Entscheidung ein wenig.

Seufzend signalisierte ich meiner Begleiterin, dass es nun reicht und sie übersetzte es. Der Fischer wurde herantelefoniert und nach keinen zwei Stunden verließen wir die Ruine im Pazifik.

Die Wellen hatten sich immer noch nicht beruhigt und so wäre das Boot vom Fischer fast an der Betonwand zerschellt, als ich kurz zögerte wieder an Bord zu springen. Er fluchte stark auf Japanisch, was ich dann aber aufgrund der Wellen und meinem Wortschatz nicht verstand.

Ich machte mich schon bereit, der Insel Lebwohl zu sagen, da drehte der Fischer noch unaufgefordert eine Runde um die Insel. So konnten wir wenigsten von außen sehen, was wir innen nicht sehen durften.

Wir drehten bei und entfernten uns.

Die Insel wurde nun immer kleiner.

Bis sie wieder einsam im Nebel verschwand.

Der Fischer hatte inzwischen auch was gefangen.

Wieder im Dörfchen angekommen, machten wir das Boot fest, bedankten uns, sagten lautlos Tschüss und gingen unserer Wege. Der Vertreter der Stadt verschwand dann noch im Haus des Fischers und hatte dabei einen großen Umschlag in der Hand. Vielleicht war das auch nur eine Liste mit den Journalisten, die sich als nächstes angekündigt hatten.

Wir gingen zurück zum Bus.

„Du siehst enttäuscht aus.“ sagte meine japanische Begleitung zu mir, als wir an der Haltestelle standen. Doch ich war mir nicht sicher, ob ich wirklich enttäuscht war. Ich wollte auch nicht enttäuscht sein. Klar, die Insel entdecken konnte ich nicht und auch die Fotos, die ich hatte, taugten nicht wirklich um sie jemanden anzubieten. Aber ich war auf der Insel gewesen. Von einem Bericht in der ARD, wo ich das erste mal von der Insel hörte, über ein Abend in Tokyo kurz zuvor, wo die Reise geplant wurde und mit vielen Gesprächen mit der Stadt im Vorfeld, hatte ich es doch auf die Insel geschafft. Und das noch relativ exklusiv und abenteuerlich.

Müde fuhren wir wieder Richtung Nagasaki. Hinten im Bus ging ich die Bilder und die Erlebnisse durch. Würde ich noch einmal auf die Ruineninsel wollen? Defintiv.
Würde ich noch einmal versuchen das mit der Stadt vorher zu klären? Wahrscheinlich nicht.

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Die Nagasaki-Nacherzählung:

Teil I – Nach Nagasaki, der Insel wegen
Teil II – Nagasaki, Stadt im Regen
Teil III – Buddha und die zerstörte Stadt
Teil IV – Gräber, die die Stadt hinauf wachsen
Teil V – Die touristenfreundliche Ruine im Pazifik
Teil VI – Eine Insel für die Holländer und ihre Dirnen


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Post aus Nah-Ost 3: Der Tag der kaputten Kameras

Der dritte Tag in Palästina und der erste halbe Drehtag für unser Videoprojekt. Für mich waren aber nur meine beiden Fotokameras wichtig, die an diesem Tag allerdings nicht wirklich mitspielen wollten…

Zum ersten Mal während dieser Reise bin ich ausgeschlafen aufgewacht. Ich öffnete meine Augen und hatte den Schritt meines Kollegen vor mir, der über mir schlief und gerade herunter geklettert kam. Er entschuldigte sich aufgrund meines Grunzens und schlich sich unter die Dusche.
Ich stöpselte noch meinen Kamera-Akku in die Steckdose, um für den heutigen Tag vorbereitet zu sein, und ging zum Frühstück.

Mit anderen, mehr oder weniger, ausgeschlafenen Frühaufstehern saß ich in der Küche und in der angeschlossen Aussenterasse wehte ein etwas kühleres Lüftchen an uns vorbei. Einige Tropfen Wasser konnten wir auf der Haut spüren, die einsam einen Ausblick auf die Regenzeit bot, die wenige Woche nach unserem Abflug eintreten sollte. Doch an dem Tag vertrieben die paar Tropfen nur kurz die Hitze, bis sie keine zwei Stunden später schon wieder von ihr besiegt wurden.

Heute sollte der erste Drehtag in unserem Videoprojekt folgen, es war eine gespannte Stimmung. Zum Frühstück gab es stark würziges Fladenbrot und Tee mit Milch, dazu die üblichen weichen Bananen.

Es trudelten nach und nach alle von der Gruppe ein. Es gab noch mal kurze Ansagen zum heutigen Drehtag und wie man so einen Film gestaltet. Bevor wir dann die Kameras abholten, tauschte ich noch etwas Geld beim Handyverkäufer um die Ecke. Fünzig Euro zu 225 Schekel, mit 10% für ihn. Guter Tausch.

Die Einweisung zu den Kameras bekamen wir von einem deutschen Voluntär des Cinema Jenin, wo wir auch die Kameras für unser Projekt ausleihten. Ich hatte nicht zum ersten Mal eine Videokamera in der Hand, jedoch solch eine noch nicht.
Die Funktionsweise wurde uns allen eingehend erklärt und die Kameras, eine Sony und zwei Panasonic, wurde unter den Gruppen aufgeteilt. Als ich die Sony in der Hand hatte sagte ich gleich „die nehm ich“, und der Einweiser gab mir Recht. Wenn das erste Gefühl stimmt, dann ist das meist die richtige Entscheidung für einen langen Drehtag. Es gab zwar Proteste von den anderen Gruppen, die sich noch mit den Knöpfen rumplagten, doch ich ließ mich von meiner Entscheidung nicht abbringen. Das ich die Kamera in den folgenden Tagen nur tragen und nicht bedienen sollte, wusste ich zu dem Zeitpunkt noch nicht.

In meiner Gruppe war ich der einzige mit Filmerfahrung. Das, und mein Hintergrund als Fotograf, ließ mich glauben, dass ich von meiner Gruppe in die Position des Kameramanns gedrängt werde, worauf ich zwar nicht sooo Lust hatte, aber auch nicht ablehnte. Dem war aber nicht so. Ein Mädel aus meiner Gruppe meinte gleich begeistert, dass sie es doch gerne mal ausprobieren möchte. Sie arbeitet zwar beim RBB, doch eine Kamera bedienen gehörte dabei nicht zu ihren Aufgaben. Dennoch erstaunte sie mich sehr in ihrer resoluten Herangehensweise, mit einem flinken Finger am Aufnahmeknopf und dem ständigen Blick an der Linse. Da fiel es mir nicht schwer, ihr komplett die Kamera zu überlassen. Die mangelnde Erfahrung an der Kamera merkte man dann allerdings an den wackeligen Bildern und dem hektischen Bildaufbau. Ich wär dann allerdings das andere Extrem gewesen, hätte jedes Videobild wie ein Foto durchkomponiert und stehen lassen. Das ist zur Abwechslung mal nicht schlecht, und hätte unserem fertigen Film auch gut getan, aber nur solche Bilder wirken dann langweilig für den Betrachter.

Ein bekanntes Gesicht

Schon am ersten Tag fiel mir ein Mädchen bei den deutschen Freiwilligen des Hauses besonders auf, ich konnte aber nicht sagen wieso. Nur das mir ihr Gesicht bekannt vorkam. Als wir nun für den ersten Drehtag das Kameraequipment holten, rief jemand aus der anderen Ecke des Raums.

„Ich kenn dich doch!“

Ich blickte in Richtung der Stimme und der Ruf galt tatsächlich mir.

„John-Lennon-Gymnasium, nicht wahr?“

Tatsächlich ging ich mit ihr auf eine Schule, sie war ein Jahr unter mir und hatte vor zwei Jahren Abitur gemacht. Sie hatte nach mir meine Schülerzeitung übernommen und ich hatte deswegen viele und lange Gespräche mit ihr. Zurückblickend werden es wohl zu viele Gespräche gewesen sein, denn zu sehr hab ich noch versucht auf die Geschicke der Schülerzeitung einzuwirken und sie hatte mich zu sehr auf meine Expertise verlassen. Als ich nämlich dann mit der Schülerzeitungsberatung aufhörte, blieben auch die Ausgaben aus.

Auch wenn ich ihren Namen von ihren geöffneten Skype-Programm entnehmen musste, das sie auf ihrem Computer noch hatte laufen lassen, konnte ich mich an sie erinnern. Und so trafen sich zwei ehemalige Schüler der selben Schule aus Berlin Mitte, hier in einer kleinen Stadt im Nahen Osten wieder.

Ich hatte an dem Tag keine Zeit für sie und ich musste auch erstmal meine Gedanken sortieren, wer sie denn überhaupt war. Ein paar Tage später sprach ich sie in einem ruhigen Moment. Wie es aussieht schwirrt sie seit dem Abitur etwas umher, war mal ein Jahr im Ausland und ist nun hier um einen Film zu drehen. Sie möchte nun Film studieren. Ich hatte sie dann beim Schnitt des Films getroffen, aus dem sie mir einen kurzen Ausschnitt zeigte. Die Aufnahmen stammten von einen Olivenbaumhain, wo Jugendliche und Kinder zwischen den Bäumen die im Wind wackelten, die Oliven sammelten. Die ersten Aufnahmen waren nicht schlecht, zwischen den vielen Blättern taucht ab und an mal ein junges Gesicht auf und verliert sich dann gleich wieder im Wind.

Sie macht den Film nicht alleine, sagt sie. Sie ist jetzt hier für mehrere Monate freiwillige Helferin, für Erfahrung und Kontakte, wie sie sagt.
Mit den Freiwilligen bzw. Volunteers, wie sie sich nennen, habe ich viele Gespräche geführt und vorallem viel zugehört. Ich wusste garnicht mehr von mir, dass ich so viel Interesse am Zuhören habe. Vielleicht weil man in Berlin immer gezwungen ist, lauter zu Reden als der Andere, und ich in Tokyo zwar zuhören, aber nicht alles verstehen konnte. Die Volunteers haben das auch gerne angenommen und viel erzählt.
Ein mänlicher Volunteer beschwerte sich zum Beispiel, dass die Mädels nur hierher kommen um irgendwelche „Kunst-Sachen“ zu machen, während die Kerle hart anpacken müssen und das Handwerk erledigen. Meine Bekannte aus meiner Schule war auch an einem Kino-Arbeitstag zum Olivenhain gefahren – um ihren Film zu drehen.

Kamera ab

Wir wollten zuerst in einem Center für Frauen in einem Flüchtlingslager drehen, das hatte aber inzwischen leider schon zu. Wir hatten zwar noch ein paar andere Namen und Adressen aufgeschrieben, doch nix konkretes gab es für heute. Wir wollten die junge Dame, die im Kino arbeitet, fliessend Englisch kann und schon beim ersten Treffen mit den palästinensischen Jugendlichen am Vortag dabei war, fragen, ob sie uns ein Interview geben kann. Sie druckste herum und man merkte, dass sie nicht wirklich Lust drauf hat. Wir gingen kurz raus um uns neu zu beraten und dann kam die Meldung, dass irgendwie die Leiterin des Projekts es so gedreht hat, dass die junge Dame uns für Übersetzungen und Interviews zur Verfügung steht. Sie wird dafür wohl anscheinend bezahlt, dass sie sich die Zeit für uns nimmt.

Im Garten unter der schwarzen Plane wollten wir filmen. Das heisst, zuerst wollten wir da nicht filmen, sondern an verschiedenen Orten, zu denen ich stets das schwere Stativ schleppen musste, bis die Kamerafrau es sich anders überlegte.
Im Garten dann bauten wir alles auf. Ich überließ die Kamera dem Mädel aus meiner Gruppe, doch ich hatte schon ein Auge auf einen Bildaufbau, mit dem ich auch zufrieden war. Das ewige Hin- und Herschieben des Stativs und der Kamera war anstrengend, doch Film ist nun mal anstrengend, da immer mehrere Leute beteilligt sind, mit jeweils unterschiedlichen Vorstellungen. In unserer Gruppe von drei Leuten war das allerdings alles noch machbar.

Ich überließ die Fragestellung dem zweiten Mädchen in unserer Gruppe, was mir die Rolle hinter den Kulissen gab, die ich für den gesamten Film haben sollte. Ich nahm diese Rolle durchaus ernst, hatte immer ein Auge auf Kamera, Umgebung, Interview und auch den Schnitt im Hinterkopf. Ich wusste auch, dass meine Kolleginnen mir jederzeit Kamera und Mikro gegeben hätten, wenn ich sie darum gebeten hätte.

Wir interviewten nun also das junge palästinensische Mädchen, mit Kopftuch und grünen, hochhakigen Schuhen, die man auch am Anfang vom Film sieht und hört. Das Interview gefiel mir allerdings nicht. Unruhig hörte ich zu, denn bei den Antworten fehlte mir Substanz und verwertbare Zitate. Berufskrankheit, hab ich doch in meiner Laufbahn schon mehrere Dutzend Interviews geführt und einige sogar selbst gegeben. Es ließ sich also nicht vermeiden, dass ich nach der letzten Frage meiner Kollegin mir das Mikro schnappte und noch drei Fragen stellte, die mir fehlten, und deren Antworten mir auch mehr als genügten.

Nach dem Dreh, mit etwas Abstand, redete ich nochmal mit meiner Kollegin und erklärte sachlich, was mir beim Interview fehlte und warum. Sie verstand und akzeptierte meine Kritik. Ich war ganz glücklich, in dieser kleinen Gruppe zu sein. Ein Konsens ließ sich schnell finden. Zumal waren beide auch in meinem Alter oder drüber, das schaffte eine unaufgeregte, erwachsene Gesprächsatmosphäre. Verglichen mit den anderen Gruppen, wo Altersunterschiede von bis zu zehn Jahren, oder mehr als fünf Mitglieder aktiv dabei waren, lief es bei uns entspannter ab.
Ich war auch sehr angetan, wie sich die beiden aktiv einbrachten, selbstbewusst und clever, trotzdem verständnisvoll. Ich sagte ihnen mehrmals, wie froh ich bin mit ihnen zusammenzuarbeiten, auch weil ich mit der Arbeitsweise und Ausrichtung gut klar kam.

Während ich das Stativ wieder zurück ins Lager brachte, interviewten die zwei noch einen palästinensischen Jugendlichen, der inzwischen im Garten auftauchte. Es war der selbe Selbstdarsteller mit guten Englischkenntnissen vom Vortag, der die Gelegenheit natürlich gern nutzte, etwas zu sagen. Seine progressiven Gedanken zu Frauen in palästinensischen Alltag wurden dann rausgeschnitten, und dienten vielleicht auch nur dazu, wie auch das Gespräch in den nach dem Interview folgenden Minuten, etwas die blonden Mädels zu beeindrucken.

Stadtimpressionen

Nur mit den zwei Interviews als Material vom ersten Drehtag wurden meine Kolleginnen unruhig. Sie wollte unbedingt noch was drehen und drängten dazu, in die Stadt zu gehen. Ich hatte keine Sorge um Material, hätte es aber vorgezogen, wenn wir einen Orts- und Sprachkundigen mitnehmen könnten, und wollte das vertagen. Schließlich wusste ich auch nicht, wie die Leute auf Kameras reagieren, wenn nun drei blonde Deutsche kommen und sie einfach auf der Straße filmen.

Meine Kolleginnen sorgten sich darum allerdings nicht und drängten auf eine Sammlung von Stadtimpressionen. Meine Neugier wollte das natürlich auch nicht missen, also packte ich die Kamera und ging mit den beiden los. Meine erste Kollegin war mit der Kamera beschäftigt, die zweite Kollegin mit der ersten, und ich versuchte im Hintergrund alles im Blick zu behalten. So bekam ich auch all die starrenden Blicke mit, die uns die Straße auf und ab begleiteten. Ich wurde unruhig, konnte ich die Reaktionen doch nicht abschätzen. Die Region ist Touristen nicht gewöhnt, kleine, blonde Filmteams wahrscheinlich noch weniger. Und in einer Kultur, in der viel Unverhülltes als Sünde gilt, weiss man nie, ob das, was man mit der Kamera aufnimmt, für die Menschen dort noch okay ist, oder schon Ärger erregt.

Rückblickend muss ich sagen, dass meine Sorge oft unbegründet war, und die Mädels mit ihrem forschen Drang recht hatten. Die Leute starrten zwar die ganze Zeit, doch neben freundlichen „Welcome to Jenin“, „Welcome to Palestine“ gab es nix.

Nachdem ich einigermaßen die Anspannung ablegte und die Reaktion der Leute allgemein ruhig blieb, wagte ich es auch mal meine Kamera rauszuholen. Ich drückte auf „An“, blickte durch die Linse und drückte ab. Doch das ‚Klick‘ blieb aus.
Ich vergewisserte mich, dass die Kamera wirklich auf „An“ war und merkte dabei, dass die Kamera seltsam leicht war. Ein Blick ins Batteriefach zeigte mir dann, dass der Akku immer noch in meinem Zimmer in der Steckdose steckte.

Doof, dacht ich mir, aber ich hatte ja gerade wegen solcher Sachen auch meine analoge Kamera dabei, die ohne Strom funktionierte. Ich drehte am Rädchen um den Film weiterlaufen zu lassen und es machte Krrrkkkrrrzzzkkk.

Die Mechanik stockte. Es steckte noch ein teurer Film drin, ein spezieller Farbfilm, den mir mein Fotolabor in Berlin nach langer Diskussion extra aus dem Kühlschrank für professionelle Filme holte. Dieser wollte sich jetzt nicht weiterdrehen lassen. Ich spulte den Film kurz zurück, um ihn dann wieder zu drehen, doch nun ging garnix mehr. Ein reiner Leerlauf.

‚Shoganei‘ dacht ich mir, wie die Japaner immer sagen, wenn etwas passiert das man nicht ändern kann. Ich trauerte kurz um den Film, doch es war ja nicht zu ändern. Ich spulte ihn auf, hoffte aufs Beste und nahm ihn raus. Wie sich dann in Berlin rausstellte, war er komplett im Eimer, überbelichtet und leer.

Ich legte einen neuen Schwarz/Weiss Film ein und spulte. Die Mechanik wollte immer noch nicht so recht, doch ich zwang sie. Was dann rauskam, war sowas wie das hier:

Eine Doppelbelichtung, neben vielen anderen leeren Flächen auf dem Film.

Wir liefen einen Markt entlang, alles um uns rum schrie und verkaufte Waren. Die Sonne setzte zum Untergang an und die breitgetretenen Früchte und Gemüsesorten auf dem Boden des Markts, leuchteten rot.

All die Farben, Eindrücke und Gerüche waren allerdings fern von mir, konnte ich sie denn auch nicht einfangen mit einer Kamera. Völlig absorbiert von einer Sorge um meine Technik war ich blind für alles um mich rum. Diese Sorge zerstörte noch mehr Bilder, als eine nicht funktionierende Kamera.

Irgendwann, ohne das ich es wirklich mitbekam, waren wir dann wieder beim Gasthaus. Ein paar Taxis standen davor und lockten. Eine meiner Kolleginnen hatte die geniale Idee, den Fahrer zu bitten uns an eine hochgelegene Stelle zu fahren, wo wir den Sonnenuntergang über der Stadt mitnehmen können. Exakt diese Idee hatte ich schon seit meiner Ankunft, zieht es mich doch immer zu hochgelegenen Orten für Bilder. Doch ich war noch völlig beschäftigt mit der Mechanik meiner Kamera, als das ich realisierte, dass wir das ja einfach mit dem billigen Taxi machen konnten. Ich rannte noch schnell ins Gasthaus, schnappte meinen Akku und setzte mich ins Taxi. Das erste Bild von diesem Tag sollte dann das hier sein:

Mit dem Auto ging es dann durch sich windende und verwinkelte Straßen, den Hügel hinauf. Unser Fahrer, Jamal, sprach auch etwas Englisch und war ganz happy so spät am Tag noch Kunden zu bekommen. Seit zwei Jahren hat er den Job als hauseigener Taxifahrer vom Cinema Jenin, dessen Logo auch auf seinem gelben Auto prangt. So bringt er Leute für weniger als 2€ pro Fahrt quer durch die Stadt Jenin. Er selbst lebt mit seiner Familie im Flüchtlingslager, das er uns vom Hügel oben auch zeigt. Er kannte einen guten Aussichtspunkt und fuhr uns mit einem ständigen Lächeln dorthin.

Obiges Bild habe ich auch aus dem Auto geschossen, keine Sekunde später waren wir schon links vom alten Mann weitergefahren. Als ich es schoss, mochte ich das Bild, auch als ich es später ansah. „Es hat Symbolcharakter“, sagte mir jemand zu diesem Bild. Als ich länger drüber nachdachte, fand ich das Bild nicht mehr so gut. Denn ich kann nichts über diesen Mann sagen. Ich weiss nicht, warum er da sitzt, mit dem Rücken zur Stadt. Ich weiss nicht wie er heisst und wie alt er ist. Und er weiss nichts von mir, der gerade ein Bild von ihm gemacht hat und dann wieder weitergesaust ist.

Mit dem Journalismus ist das so eine Sache. Man liest in der Zeitung oder online einen Artikel über eine Geschichte, irgendwo auf dieser Erde. Für diesen Moment, in dem man die Geschichte liest, findet sie im Kopf statt. Die Menschen leben, sprechen und erzählen für den kurzen Moment diese, ihre Geschichte. Schlägt man die Zeitung zu, ist die Geschichte im Kopf auch aus und man beschäftigt sich mit anderen Dingen. Doch die Menschen, die im Artikel beschrieben sind, die leben ja weiter und haben weiter ihre Probleme, auch wenn wir ihnen keinen weiteren kurzen Moment der Aufmerksamkeit schenken. So auch als Journalisten. Schreiben wir darüber, leben wir die Geschichte in diesem Moment. Doch für die nächste Ausgabe müssen wir schon wieder eine andere Geschichte leben, die vorhergehende ist dann nur noch bedrucktes Altpapier.

Dieser Mann, auch wenn wir nur diesen kurzen Moment teilten, wird wahrscheinlich immer noch irgendwo in Palästina sitzen. Und das ich nicht weiss warum oder wer er ist, macht diesen Moment für mich irgendwie leerer.

Wir erreichten dann einen guten Aussichtspunkt und stoppten. Wir dankten mehrmals unserem Fahrer, der sich auch sichtlich freute, den drei Fremden mit ihrer Kamera mal seine Stadt und Heimat zu zeigen.


Jamal in seinem Auto

Vor uns erstreckte sich das weite Hügelland von Palästina, doch wir wollten noch etwas höher. Jamal brachte uns dann zu drei Mobilfunkmasten, die an einem der höchsten Punkte der Hügel hinter der Stadt lagen.

Die Sonne hatten wir schon verpasst, die versteckte sich hinter dem Hügel und streute von dort ihr Licht.

Ich lobte mehrmals und begeistert meine Kollegin, für die Idee, hierher zu kommen. Hier vom Hügel entstand auch das Panorama von Jenin, die Stadt, die von Hügeln umzingelt ist. So eingesperrt wie der Rest von Palästina.

Nachdem ich letztens das Panorama in groß gepostet hatte, recherchierte ich noch mal etwas zu dem Ort, in dem ich lebte. Und ich fand etwas heraus, das mir vorher, oder während meiner Zeit dort, keiner erzählte.

Das Massaker von Jenin

Das Flüchtlingslager ist in der Mitte vom Panorama zu sehen. In Jenin wurde es nur als „das Flüchtlingslager“ bezeichnet, bei unserer Vorbereitung war nur von einem „ehemaligen Flüchtlingslager“ die Rede. Doch wann hört ein Flüchtlingslager auf Flüchtlingslager zu sein? Die Leute, die dort leben (müssen), leben dort auch weiterhin nach einer eventuellen offiziellen Schließung des Lagers. Denn wohin sollten sie sonst auch gehen können?

Heute ist es so, dass es offen ist für alle. Jeder kann rein und rausspazieren, so auch wir. Nachts sollte man die Ecke allerdings meiden.

Diese Lager für Flüchtlinge aus ganz Palästina wurde 1953 aufgemacht und dort leben mehr als 10.000 Menschen. Eine Zeit lang kam jeder dritte palästinensische Selbstmordattentäter aus diesem Flüchtlingslager, weswegen die israelische Armee dort bis heute regelmäßig einmarschiert. Im Lager selbst finden sich viele Plakate und Abbildungen von Märtyrern, die jedoch allesamt am Verblassen sind. Jenin galt oder gilt immernoch als Hochburg der Märtyrer in Palästina.

Während der zweiten Intifida 2002 marschierte die israelische Armee nun groß in dieses Lager ein, mit Soldaten und Panzern, um…
Tja, um was eigentlich. Terroristen mit Panzern ausrotten kann wohl kaum ihr Ziel gewesen sein. Mehr noch um mal ein Zeichen zu setzten, mit großen Gewehren und toten Körpern.

Informationen von diesem mehrtägigen Kampf zu bekommen, der je nach Quelle als „Massaker“ oder „Blutbad“ bezeichnet wird, war schwer. Anti-Israelische Seiten und Medien sprechen von mehreren hundert Toten, der Großteil davon Zivilisten. Andere Quellen sprechen von über 50 Toten und zusätzlich 20 toten israelischen Soldaten. Dazu finden sich dann noch so tolle Sätze wie dieser:

Essentially, Israeli soldiers lost their lives in order to keep the collateral deaths of Palestinian civilians to a minimum.

Frei übersetzt:

Im Grunde haben israelische Soldaten ihr Leben verloren, um die Schäden an der palästinensischen Zivilbevölkerung auf ein Minimum zu reduzieren.

Quelle

Es ist wie es ist im Krieg. Jede Seite nutzt die Auswertung der Kampfhandlung zur eigenen Propaganda, und die Toten werden instrumentalisiert. Palästina will somit auf die Gewalttaten der Israelis aufmerksam machen, mit einer sehr wahrscheinlichen Übertreibung der Fakten, und Israel drückt wahrscheinlich die Zahlen, um von einer sauberen Aktion sprechen zu können.
Eine UN-Untersuchung ergab, dass in Jenin kein Massaker stattgefunden haben soll. Die Palästinenser wiedersprachen.

Ich halte mich raus, denn ich weiss nicht mehr darüber, als mir verschiedene Quelle mit unterschiedlichen Informationen erzählen. Am neutralsten und ausführlichsten finde ich noch den Wikipedia Eintrag zum „Battle of Jenin“, den man allerdings auch nicht als mehr als die Summe aller Wahrheiten verstehen sollte.

Hätte ich vorher von dieser Militäraktion gewusst, hätte ich die Leute dort befragen können. Fragen stellen, zu einer kämpferischen Auseinandersetzung, die gerade einmal 8 Jahre vor meiner Ankunft in dem Ort passierte. Fragen an Jugendliche in meinen Alter, die vor 8 Jahren im jungen Alter wahrscheinlich alles mitbekommen haben; das sie verändert hat.

Merken konnte ich von dieser Vergangenheit in Jenin nichts. In einem Land mit allgegenwärtiger Gewalt von verschiedenen Fronten, hat man sich vielleicht auch zu sehr daran gewöhnt.

Mit guten Aufnahmen im Kasten und der Kamera aus dem Fenster, fuhren wir wieder mit Jamal in die Stadt, die Hügel hinunter. Er schaltete das Radio mit guter arabischer Musik ein. Jemand sang von seinem Schatz und tausend Küssen, während sich der lange Schatten der Hügel über die Stadt legte.

Wir fuhren vorbei an Kindern, Jugendlichen, Frauen und älteren Herren, die sich auf dem Weg nachhause zu uns umdrehten. Schneller als ihr Lächeln waren wir wieder weg.

Mit einer scharfen Bremsung halten wir vor dem Gasthaus an, wo wir keine halbe Stunde vorher zum Sonnenuntergang aufgebrochen waren. Jamal schweigt nur und dreht sich lächelnd zu uns um. Meine Kollegin fragt, wie viel er bekommt, er lächelt nur und meint so viel, wie wir möchten. Für diese sympathische Fahrt gaben wir ihm 40 Schekel, umgerechnet 8€. Er kramte schon um uns Wechselgeld zu geben, doch wir winkten nur ab. Etwas verlegen, doch sehr erfreut, nahm er es an und gab uns seine Karte, damit wir beim nächsten Mal auch ja ihn rufen. Schließlich zahlen wir ja gut und solche Kunden will er halten 😉

Die deutschen Volunteers schimpften dann etwas, denn eigentlich sind 7 Schekel für eine Taxifahrt innerhalb von Jenin und 10 Schekel für außerhalb angebracht. Wir würden die Preise kaputt machen.
Unser Übersetzer sagte in dieser Woche oft „was soll der Geiz?“ und kritisierte damit die ewigen Diskussion der Deutschen, möglichst billig etwas mitzunehmen. Und damit hatte er Recht. Die Preise sind eh schon billig und die Leute arm. Die paar Euro kann man ruhig mal ins Land bringen.

Wir brachten die Kamera wieder zurück ins Lager und setzten uns kurz auf den Balkon, mit Blick auf den nächtlichen Garten. Einer der palästinensischen Jugendlichen, Machmut, kommt vorbei und ein Gespräch beginnt – wobei er sich größtenteils auf meine blonde Kollegin konzentriert. Seine Englischkenntnisse sind begrenzt, trotzdem frage ich ihn, ob er schonmal im Ausland und Europa war – meine Standardfrage in Japan.
Er versteht die Frage falsch und sagt mir, welche Länder er mag und wohin er gern reisen möchte. Einen kurzen Moment später wird mir auch klar, wie dämlich meine Frage war. Er wird wahrscheinlich nie aus diesem Land rauskommen. Ihn zu fragen, wohin er gern reisen möchte, ist da fast schon verachtend zynisch.

Das Kino und sein Leiter

Der Chef vom Kino kommt nun auch auf den Balkon und kaut auf Pistazien rum, deren Hüllen er einfach in den Garten wirft. Er erinnert mich stark an den Chef vom Kino Babylon in Berlin, mit dem ich viele Gespräche über das Führen eines Kinos und kulturelle Projekte führte. Der Leiter vom Cinema Jenin ist ein Freund von dem Vater, dessen Geschichte in dem Film „Heart of Jenin“ von einem deutschen Regisseur erzählt wird. Den Vater sahen wir dann an dem selben Tag im Garten vom Kino rumlaufen, mit einem genervten Ausdruck im Gesicht. Doch wer erwartet schon ein konstant lächelnden Vater, wenn der Sohn mit 6 Jahren erschossen wurde.

Der Chef vom Kino hatte früher ein Schuhgeschäft. Er war arbeitslos, also machte er ein Geschäft auf – die beliebteste Arbeitslosigkeitsbekämpfung dort. Die drei goldenen Grundsätze für ein Geschäft (1. Lage, 2. Lage, 3. Lage) scheinen dort allerdings nicht zu gelten, denn überall finden sich kleine Geschäfte, die alles und manchmal auch nichts verkaufen, und deren Betreiber oft einfach nur beobachtend davor sitzen und stundenlange Gespräche mit Passanten, Bekannten, Verwandten führen.

Das Kino läuft nicht gut. Die Zuschauerzahlen sind manchmal einstellig. Es ist das einzige Kino in der Gegend und viele kennen ein Kino als Treff- und Ausgehort noch nicht so, wie wir hier in unserer Gesellschaft. Es ist aber vielleicht auch so, wie meine Kollegin später noch schreiben sollte, dass die Bewohner „noch etwas Angst vor dem Kino und seiner großen LED-Wand haben“.
Ein anderes Kino, etwas weiter weg, fährt eine Kostenlos-Kultur mit konstant freien Eintritt, um die Leute ans Kino zu gewöhnen. „Wir haben das nicht mehr nötig“, sagt der Chef vom Cinema Jenin und spuckt Pistazien in die Nacht. Für Hollywoodfilme hat er kein Geld, sagt er, und meinen Vorschlag doch einfach illegal Filme aus dem Internet zu laden, lächelt er einfach weg. Derzeit läuft ein ägyptischer Film.

Er hat Jura studiert und abgeschlossen, ist aber nicht wie seine Kommilitonen zur Polizei gegangen. Er hat ein Geschäft für Kinderkleidung aufgemacht, dann für Schuhe und dann das Kino, weil er mit dem Vater aus „Heart of Jenin“ befreundet war. „Schicksal…“, sagt meine Kollegin neben mir und schaut mit glitzernden Augen am Chef vom Kino vorbei, in die dunkle Nacht.

Temporäre Bewohner von Jenin – die deutschen Volunteers

Zurück im Gasthaus herschte eine ausgelassene Stimmung. Die deutschen Volunteers haben aus dem christlichen Nachbardorf etwas Bier besorgt, das sich auch Leute aus meiner Gruppe krallen wollten. Denn ein paar Tage ohne Alkohol geht halt nicht.
Als Nicht-Biertrinker setzte ich mich zu den Volunteers und hörte zu. Ihre Namen kannte ich nicht, das war aber auch nicht wichtig um ihre Geschichten zu verstehen. Derweil tapste ein kleines Hundebaby zwischen unseren Füßen herum und kauerte an der Wand. Es lag zwei Tage vor unserer Ankunft vor der Tür des Gasthauses und einer der Volunteers nahm sich dem kleinen Leben an. An dem Tag war er mit ihm beim Arzt und der hat den Hund mit Medizin versorgt, die ihn jetzt noch etwas benommen über den kühlen Stein der Terasse wackeln ließ.

Er ist seit einigen Monaten hier, zuhause wartet seine Freundin, die im 5. Monat schwanger ist. Er war vier Jahre bei der Bundeswehr und in Kabul stationiert. Ihn und seiner Einheit ist zwar nichts passiert, doch ein Kumpel von ihm wurde angeschossen.
Politisch konnte ich ihn schwer einschätzen, relativ sachlich und ohne eine ideologische Begeisterung erzählte er von seiner Zeit bei der Bundeswehr. Er meinte nur trocken, dass er Schulden hatte und einen sicheren Job suchte. „Der Staat hat meine Schulden bezahlt“, sagte er und etwas Stolz, über diesen leicht anarchistischen Triumph über das System, war dabei. Er bekam jetzt noch Gehalt von der Bundeswehr, also konnte er sich diese freiwillige Zeit hier in Jenin gut leisten. Ich stellte wenig Fragen im Gespräch und hörte mehr zu. Mir schien er suchte länger mal jemanden, den er seine Geschichte erzählen konnte. Doch die unausweichliche Frage nach dem „Und danach dann?“ musste ich stellen.
Er nannte selbstbewusst viele Ideen, die alle wahrscheinlicher klangen, als was man sonst hier in der Wüstenregion hört. Zum Film soll es auf jeden Fall gehen, und der Hund kommt mit. Der Arzt meinte, der Hund ist eine besondere Rasse, und er möchte ihn zu einem Filmhund trainieren. Und auch wenn es dem Hund in unserer Zeit zunehmend besser ging, so deutete sich schon an, dass Gehör und Sehen wohl nicht zu 100% sein werden. Trotzdem wird er in Deutschland mehr Chancen haben als hier, wo Hunde als schmutzig und unrein gelten – und nachts schutzlos vor die Türen anderer Häuser gelegt werden.

Beim Abendessen gibt es wieder würzige und leckere Speisen. Die palästinensischen Jugendlichen gesellen sich zu uns und es entsteht ein Spiel von Stille Post, jeweils mit deutschen und arabischen Botschaften. Es folgt das übliche „Haha, deine Sprache klingt ja ulkig“ auf beiden Seiten. Ich bin gelangweilt davon und locke die Katze, die sich die Streicheleinheiten gerne gefallen lässt. Die palästinensischen Jungs geben unseren Mädels Sprachunterricht – die so erstaunlich schnell Fortschritte machen. Ich muss an Japan denken, wo ich mit weiblicher Unterstützung auch immer recht schnell lernte.

Ich ging wieder zurück ins Gasthaus und warf noch einmal einen Blick auf die Terasse, wo die Volunteers mit ihren Bieren saßen und vom Tag entspannten. Laut wurde mir gesagt, dass ich kein Bier kriege, denn scheinbar hatten es schon andere aus meiner Gruppe versucht. „Ne, der ist einer von den Guten“, rief der baldige Papa, mit dem ich mich vorhin unterhalten hatte. „Der sitzt auch mal neben dir, ohne nach einem Bier zu fragen.“

In unserem Achtbettzimmer bin ich allein und schreibe wie in jeder Nacht die Eindrücke auf. So schreibe ich von den Toiletten, in die man kein benutztes Klopapier werfen darf, sondern nur in einen stets vollen Mülleimer daneben. Oder von dem Mann auf dem Kamel, der heute in der Stadt im Straßenverkehr zweimal an uns vorbeigeritten ist und winkte.
Nach zwei Stunden Schreiben und immernoch alleine im Raum, schalte ich das Licht aus und schlafe ein.

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Post aus Nah-Ost:

Teil 1 – Die Straße nach Palästina
Teil 2 – Wie Tag und Nacht
Teil 3 – Der Tag der kaputten Kameras
Teil 4 – Männer müssen draußen bleiben

Post aus Nah-Ost 2: Wie Tag und Nacht

Der zweite Tag in Palästina. Der erste Tag war lang, die Nacht mehr als kurz. Heute sollten wir also endlich mal wirklich die Orte sehen, statt nur einem Ausschnitt davon in einem Fenster. Viel Tageslicht hatten wir dafür nicht, denn die Nacht brach früh herein…

Nach ca. vier Stunden Schlaf wachte ich in Jeans und Shirt auf der Decke meines Bettes auf, die Brille noch auf der Nase und mein Notizbuch, in das ich bei meiner Ankunft am Morgen noch geschrieben hatte, lag neben meinem Kopfkissen. Irgendjemand sagte „Frühstück“ und ich wankte ins Badezimmer. Der erste Blick in den Spiegel.
Die schlechte Rasur vom Vortag wich schon den ersten Stoppeln. Von draußen scheinte hell und intensiv die Sonne auf die nicht mehr ganz so weißen Fliesen des Badezimmers. Ich spritzte mir etwas nicht trinkbares Leitungswasser ins Gesicht, bemühte mein Deo und stöhnte mein Spiegelbild an. Ich war im Arsch.

Wie ein Untoter schlurfte ich zum Frühstück in den zweiten Stock, ließ mich in einen Stuhl fallen und kaute mit glasigen Augen auf einem würzigen Stück Fladenbrot herum. Mein Kopf war irgendwie im Standby-Modus, noch dabei die intensiven Eindrücke vom gestrigen Tag zu verarbeiten. Sonst passiert das ja im Schlaf, dafür ist das Träumen da. Doch heute Nacht war dafür keine Zeit. Mein Geist funktionierte im Minimalbetrieb.
Kauen. Trinken. Schlucken.
Mit den anderen Reden war da schon zuviel verlangt.

Es blieb auch wenig Zeit, keine 20min später war schon das erste Projekt-Meeting für den Tag angesetzt, wo wir über die kommende Woche und die zu drehenden Filme reden wollten, und auch zum ersten Mal auf die palästinensischen Jugendlichen treffen sollten, die mit uns an den Filmen arbeiten sollten. Vorher mussten wir unsere Pässe abgeben, die Passnummern sollten an die „Touristen-Polizei“ gesendet werden, damit die wissen, wer sich hier gerade aufhält.
Ich habe keine Ahnung, wer oder was diese „Touristen-Polizei“ sein sollte, zumal es hier ja keine Touristen gibt. Aber auch wenn diese Passkontrolle etwas totalitär wirken sollte, so war es auch diese Abteilung der Polizei, die, falls wir Probleme haben sollten, auch für uns da wäre und uns beschützt. So wurde es uns von ehemaligen Besuchern dieses Orts erzählt, mit denen wir uns vor der Reise trafen.
Wir waren aber während unseres Aufenthalts nicht auf die Polizei angewiesen.

„Fritz, ich mach mir Sorgen um dich“, sagte mir jemand aus der Gruppe, den ich kaum ein paar Stunden kannte, aber schon in meinem Gesicht lesen konnte, das heute mit mir nicht alles stimmte. Ich gab ihr zwar Recht, das ich etwas matschig bin, aber erklärte auch, dass mein Gehirn noch damit beschäftigt ist, alles um mich rum zu prozessieren.
Da wir die zwei letzten waren, die ihren Pass abgaben, liefen wir den anderen zum Meeting hinterher, welches ein paar Häuser weiter in dem Garten des Cinema Jenin stattfand. Unter einer schwarzen Plane, die dem sonst verbrannten Rasen etwas Schatten spendete, stellten wir uns ein paar Gartenstühle aus Plastik zurecht und warteten.

Es folgte noch einmal eine kurze Zusammenfassung vom Projekt und was wir hier vorhaben. Als wir eintrafen waren noch keine palästinensischen Jugendlichen vor Ort, diese trudelten erst nach und nach ein. Über den Zeitraum von einer halben Stunde kamen wortlos mehr und mehr junge Leute hinzu, ohne eine Meldung über ihre Verspätung oder sonstiges. Für Deutsche, und Japaner ja auch, wäre das recht unhöflich. Doch im arabischen Raum, so hörte ich von mehreren Quellen, sind Verspätungen von bis zu einer Stunde in Ordnung und müssen nicht weiter kommentiert werden.

Die Vorstellungen fanden dann in Englisch statt und mussten stets übersetzt werden, weil die palästinensischen Jugendlichen dann doch nicht so fließend Englisch sprachen.
Es folgte auch Ringelpietz mit Anfassen – so nenn ich immer diese lustigen Kennenlernspielchen, die mich vom Freiwilligen Ökologischen Jahr bis hin zum Zivi verfolgten, und die ich immer sehr leidlich finde. Der absolute Overkill an diesen Spielchen hatte ich auf einer Seminarfahrt während des Freiwilligen Ökologischen Jahres. Die Fahrt dauerte damals zwar nur fünf Tage, doch bis zum letzten Tag gabs pro Tag mindestens drei dieser Kennenlernspielchen – auch wenn wir uns nach dem 6. Spielchen schon alle auswendig kannten.


Vom Garten sichtbar, eine Tür zur Straße hin, hinter der eine Fahrradwerkstatt war

Nunja, also machten wir nun diese Spielchen, stellte uns nach Schuhgröße, Anzahl Geschwister und Dickdarmlänge Alter auf. Dann noch einen Sitzkreis, in der sich jeder nochmal mit Namen vorstellt und ein Talent von sich preisgibt, stets mit Übersetzung. Als die Reihe an mir war, sagte ich, dass mein Talent ist, Japanisch zu sprechen, aber die Übersetzerin wusste nicht, was „japanese“ heisst, und ich wollte es auch nicht lange erklären.

…Japan liegt da hinten, Richtung Osten. Weit da hinten…


so fertig wie ich

Dann ging es an die Arbeit: Ziel des Projektes war es, kleine Geschichten in Filmen zu der Region zu erzählen. Die ursprüngliche Idee war es, dass wir kleine Dreh-Teams bilden, jeweils noch mit einem Palästinenser zusammen und dann rausgehen zum Drehen. Das haute aber nicht hin, da wir nur zwei Palästinenser hatten, die fließend Englisch konnten: Ein mondänes, selbstbewusstes Mädel mit gelben, hochhackigen Schuhen und Kopftuch, und einen Selbstdarsteller mit Brille, der oft und viel erzählte, vor allem von sich, und dabei einen zusammengerollten Hefter wie einen Dirigentenstab führte.

Trotzdem sollten wir jetzt schon besprechen, was wir hier drehen wollen, und uns so dann in Gruppen zusammenfinden.
Ich hatte ein Problem mit diesem Ansatz. Denn weder kannte ich den Ort, noch wusste ich, was hier überhaupt passiert. Wie sollte man denn jetzt eine Geschichte konstruieren – ohne sie tatsächlich komplett zu konstruieren und inszenieren. Schließlich schreiben wir kein Drehbuch, indem die lokalen Akteure nur das Schauspiel ausüben, das wir Fremde aus dem Westen uns über sie ausdenken. Das ist kein Journalismus. Etwas frustriert zog ich mich aus den kleinen Debatten zurück.

Ich schlug vor, dass wir uns doch erstmal die Stadt anschauen sollten, bevor wir hier uns irgendwas ausdenken, was dann am Ende vielleicht garnicht funktioniert. Schließlich haben wir von Jenin nicht mehr gesehen, als die drei Häuser zwischen Gasthaus und Garten. Mein Vorschlag ging allerdings in der allgemeinen Diskussion unter. Verstummt setzte ich mich wieder auf meinen Plastikstuhl und verschränkte die Arme.

Auf einmal fragten mich zwei Mädels neben mir: „Fritz, magst du Frauen?“. „Klar“, sag ich automatisch. „Gut, dann kannst du ja bei unserer Gruppe mitmachen, mit dem Thema ‚Frauen'“.
Die beiden erzählten mir dann, was sie machen wollten. Sie hatten sich nicht viel ausgedacht, sie wollten einfach nur Frauen aus Palästina suchen, befragen und vorstellen. Ohne viel Dramatik, ohne konkrete These. Einfach eine nüchterne Betrachung von Frauen hier, fernab von Klischees und sonstigen Vorurteilen.

Dieser rein dokumentarische Ansatz überzeugte mich sehr und ich sagte zu. Zusammen waren wir zu dritt, zwei Mädels und ein Kerl. Ich selbst hatte mir kein Thema ausgedacht, da ich auch den Ort nicht kannte und mir auch nichts ausdenken wollte. Das, was mich überall interessiert, woher ich auch komme oder wohin ich gehe, ist junge Kunst. Dazu hätte ich gerne was gemacht, wussten aber nichts, ob es etwas dazu gibt. Auch gab mir diese Gruppe mit den zwei Mädels auch die Möglichkeit, mich mal darin zu üben, mich zurückzunehmen. Sonst bin ich es immer gewohnt, die Recherche komplett allein zu machen oder Projekte gesamt zu leiten. Indem ich mich jetzt mal zurücknehme, bekomme ich mal eine andere Perspektive. Zudem hatte ich auch so mehr Möglichkeiten Fotos zu machen.
Die Mädels boten mir dann noch an, zu versuchen eine junge weibliche Künstlerin zu finden, damit ich auch glücklich werde und mein Thema umsetzen kann.


Die Pali-Katze, die neugierig zwischen den Stühlen rumlief, schnell zutraulich wurde, und sich unter den Stühlen im Schatten entspannte

Die anderen Gruppen konstruierten weiter. Während die Palästinenser irgendwie alle ihre Probleme in einem einzigen Film erklären wollten, gab es noch etwas zu Rap und Hip Hop, und irgendwas mit Studium/Frauen/Leben…
Die Palästinenser wollten die eierlegende Wollmilchsau in Filmform. Das wir nicht alles in ca. 5min Beiträgen unterkriegen, vorallem nicht ohne zu inszenieren, war denen, die noch nie einen Film gedreht hatten, nicht klar. Wir konnten uns dann darauf einigen, dass sie ein Theaterstück schreiben, dass dann abgefilmt wird.
Doch nicht nur sie hatten vorher keine Erfahrung gesammelt, wie man eine Geschichte in einem kurzen Film erklärt. Fast alle hatten noch nie eine Filmkamera in der Hand. Ich schon, daher konnte ich mir ungefähr vorstellen, was funktionieren kann, und was nicht.

Die Gruppe, die Studium/Frauen/Leben machen wollte, hatte am Ende so viele Ideen, die insgesamt viel zu umfangreich waren. Die geheime Leiterin, die zwar nie offiziell gewählt wurde, aber so agierte und auch von allen so akzeptierte wurde, frustrierte in der ersten Recherche zu ihrem Thema vor dem Rechner. Da ich sie schon seit mehreren Jahren aus meiner Redaktion kannte, suchte ich natürlich das Gespräch – auch weil ich selbst schon die Erfahrung hatte, in einem fremden Land in kurzer Zeit eine Geschichte zu produzieren. Sie hörte meine Ratschläge, weigerte sich zuerst, doch sie nahm sie nach einer Überlegung doch noch an. Den Film, den sie am Ende machte, hatte sehr wenig mit der ersten Überlegung, unter der schwarzen Plane im Garten, zu tun.

Die HipHop Gruppe wollte ein Portrait über Rapper aus Jenin machen, diese begleiten und deren Musik zeigen. Auch wenn ich persönlich HipHop nicht mag und wenig Vertrauen in die Gruppe hatte, so war deren Film doch der, der mich am Ende am meisten beeindruckte und der am Besten von vorne bis hinten funktionierte. Er funktionierte, weil die Macher in der Gruppe ihre Leidenschaft für HipHop aus Berlin nach Palästina brachten und dort umsetzten. Es funktionierte auch, weil ihre Protagonisten reden konnten und reden wollten – nicht weniger machten sie ja auf der Bühne.

Die einzige aus unserer gesamten Gruppe, mit Filmerfahrung, war eine freie Dokumentarfilmerin. In unserer Woche in Palästina lief auch ein Film von ihr auf einem portugiesischen Filmfestival, welches es allerdings nicht für nötig hielt, sie deswegen auch zu benachrichtigen.
Diese Filmemacherin machte nun quasi ihre eigene Gruppe auf. Weniger weil sie mit den anderen nicht konnte, sondern weil es für ihr Thema nicht nötig war. Sie begleite jemand aus dem Gaza Streifen, der ohne Pass oder sonstige Dokumente im Krieg nach Jenin flüchtete und nun hier lebte, aber niemals legal eine Grenze wird passieren können, ohne die Behörden zu alarmieren, die ihn dann in den Knast stecken würden. Zuerst wollte er den Film auch nicht machen, aus Angst erkannt zu werden. Nach vielen intensiven Gesprächen mit der Filmemacherin unter vier Augen stimmte er allerdings zu.


Erste Recherche in den Gruppe, bzw. der erste Anruf über Skype zur Freundin daheim. Auch wichtig.

Unser Thema war also nun Frauen.
Die erste Recherche sollte beginnen und wir gingen zurück in unser Hostel. Da alle Rechner besetzt waren, und ich keinen eigenen hatte, überließ ich den Mädels die Aufgabe und zog mich mit Kopfschmerzen aufs Dach zurück, wo ich in einer Hängematte den Muezzins und dem Marktgeschrei lauschte. Ich versuchte wieder einen klaren Kopf zu kriegen, sperrte mit Musik dann doch die fremden Geräusche aus und zog mir den Stoff der Hängematte über die Augen, um auch den warmen Sonnenschein aus meinem Kopf zu halten.

Nach einer Stunde ging es mir wieder besser und ich nahm alles klarer war. Ich setzte mich zu meiner Gruppe und hörte mir die ersten Überlegungen an. Es gäbe wohl ein Frauenzentrum im Flüchtlingslager, dass wir besuchen könnten. Das selbstbewusste Mädel aus der Gruppe palästinensischer Jugendliche, die dort als einziges Mädel saß, wäre auch interessant. Dann vielleicht noch die Familie von einem deutschen Voluntär, die hier wohnt. Und dann noch vielleicht die Lehrerin, die hier im Hostel Deutsch unterrichtet, u.a. auch an palästinensische Frauen. Ich ergänzte noch, dass egal wen wir sprechen, das dann noch zu weiteren Kontakten und Interviewpartner führen wird. So kannte ich es aus Japan. Ohne viel Pläne, nur mit Namen und Adressen bereiteten wir uns auf den nächsten Tag vor. Viel mehr braucht es auch nicht an Recherche. Am ersten Tag eine Art Drehbuch schreiben zu wollen, ohne zu wissen, was einem die Leute erzählen, ist kein Journalismus.

Und Schwuppdiwupp war es dunkel und das Essen stand an. Ich hatte mich die Woche vorher in Berlin größtenteils von Fertiggerichten ernährt, dazwischen gab es nur den Kram im Flugzeug. Was uns jetzt hier auf großen Tellern mit einem Lächeln von einem schnauzbärtigen Mann serviert wurde, war das beste Essen in einer langen Zeit.
Ich weiss gar nicht mehr, was es gab, nur dass es gut war und ich das so noch nie hatte. Salate, Soßen und Reis auf großen Tellern, damit sich jeder seine Portion nehmen konnte. Und natürlich Hummus, Hummus, Hummus. Wir aßen draußen, bei immer noch sehr warmen Temperaturen, aber einer tiefen Dunkelheit bereits um 18 Uhr abends. Die Wespen, die ich auf den Tod nicht ausstehen konnte, hatte die Hitze leider nicht verbrannt und sie kamen jetzt rausgekrochen. Die Katze, mit der ich mich bereits beim Meeting am Mittag bekannt gemacht hatte, ließ sich einfach von mir rufen und gerne streicheln. Im Gegensatz zur deutschen Durchschnittskatze war sie hier recht dünn und immer auf der Hatz.

Das Essen, was wir dort hatten, ist immer so gemacht, dass man es zusammen mit diesem Fladenbrot isst, welches man einfach öffnen kann und so eine Brottasche ergibt, in die man dann alles füllt. Der deutsche Döner ist eine Form von diesem Brottaschen-Essen im arabischen Raum. Das Brot an sich ist relativ fad, auch wenn es stark gewürzte Varianten gibt. So bekamen wir auch dieses ungewürzte Brot zum Essen und kombinierten beides. Es war wunderbar.
Auch wenn man es schmeckte, dass das Gemüse nicht so knackig und geschmacksintensiv war, wie man es aus deutschen Supermärkten kennt. Fast etwas wässrig schmeckten die meisten Gemüsesorten, was mehrere Gründe hat. Zum einen sind die Sachen aus dem deutschen Supermarkt natürlich ziemlich überzüchtet, und im Vergleich mit dem intensiven würzigen Geschmack der Soßen und Pasten fällt das Gemüse auch weniger auf. Es ist aber auch so, dass all das gute Gemüse und Obst aus der Region nach Israel gehen. Nicht weil da jemand seine Macht ausübt, sondern weil es da einfach mehr Geld zu verdienen gibt.

Nichtsdestotrotz war alles gut und sehr lecker, und vorallem gesund! Doch genug vom Essen, beim Schreiben läuft mir schon das Wasser im Mund zusammen.
Nachdem der Koch mit Schnauzbart auch wieder mit einem Lächeln feststellte, dass es uns schmeckte, sollten wir nun endlich mal die Stadt sehen. Einer der palästinensischen Jugendlichen wollte uns seinen Ort zeigen, unser Übersetzer half ihm dabei.

Es war dunkel wie Mitternacht, die Straßen waren ähnlich leer, doch die Uhr zeigte gerade einmal 19 Uhr an. Mit unserer Gruppe, in der fast alle Mädchen blond waren, zogen wir viele Blicke auf uns. Die Mädels kleideten sich zwar alle sittsam, mit Tuch um den Kopf und langen Ärmeln, doch wer sein Leben lang nicht jeden Tag das Kopftuch bindet, der weiss eben nicht, wie man alle Haare darunter verstecken kann. Blonde Zöpfe und Strähnen blitzten immer wieder hervor. Allerdings hatten wir keine Repressalien zu erdulden, es bespuckte uns keiner oder beschimpfte uns, weil wir unsittlich angezogen waren. Einmal meinte unser Stadtführer, dass bei einer Dame etwas zu viel Ausschnitt ist, doch das war in so einem normalen Tonfall gehalten, wie man hier jemanden sagt, dass seine Schnürsenkel offen sind.

Viele, an denen wir vorbei liefen, die vor ihren Läden saßen und abends noch süßes Gebäck oder süße Drinks verkauften, sprachen uns auf Englisch an. Ein bis zwei sogar auf Deutsch. Das häufigste war ein ehrlich fröhliches „Welcome to Jenin“, am zweithäufigsten war allerdings nicht „How are you?“ oder „Where are you from?“ sondern „What’s your name?“. Manchmal gab ich ihn dann raus, aber so oft wie gefragt wurde, konnte ich garnicht erklären, wie man „Fritz“ denn nun ausspricht.


Coca Cola auf Arabisch. Von den vielen viel zu süßen Getränken hier war Cola noch mit am bittersten

Unser Übersetzer, der sich ja auch mit ihnen auf Arabisch unterhalten konnte, sagte etwas, was das Verhalten der Leute ganz gut beschreibt:

Jenin ist eine lebendige Stadt, die Leute wuseln durch die Gegend, jeder kennt jeden. Sie quatschen, sie tratschen. Sie diskutieren ewig, um sich zu vertagen. Sie haben nichts, aber viel Zeit. Zeit, um über sich selbst, ihre Umgebung und ihren Platz in der Welt nachzudenken. Alle wollen, aber nichts ist da.

Die Stadt ist Touristen nicht gewöhnt, denn es gibt wenig, was Touristen interessieren könnte, Sehenswürdigkeiten oder ähnliches. Die wenigen Sehenswürdigkeiten klapperten wir dann allerdings ab. Zum Beispiel ein Platz, an dem eine Pferdestatue aus Altmetall steht. Die Statue steht vor dem Eingang zum (ehemaligen) Flüchtlingslager, in das uns eingeschärft wurde nachts nicht reinzugehen. Eine von uns traute sich trotzdem, wenn auch eher unabsichtlich, und wurde energisch zurückgepfiffen.

Es war nacht, also auch dunkel. Ich ließ die Kamera schon die ganze Zeit in der Tasche, da es eh zu düster war, etwas anständiges abzulichten. Zudem wollte ich die Stadt erstmal auf mich wirken lassen, bevor ich ihr Momente mit der Kamera wegnehme.
Die Hobbyknipser aus der Gruppe, die beim Pferd alle ihre Kompaktknipsen rausholten, kümmerten solche Gedanken wenig. Es wurde das Pferd zu Tode geblitzt, ohne das etwas Brauchbares rauskam. Die Jugendlichen unterm Pferd, die uns erst neugierig betrachteten und dann für die Blitze posierten, freute das alles sehr.

Und dann fuhr ein Laster mit 10-14 Kindern auf der Ladefläche Richtung Flüchtlingslager. Ein Kindertransporter, mit vielen winkenden Händen und kleinen lächelnden Gesichtern in der Dunkelheit.

Hier an dem Platz mit dem Pferd wurde 2005 auch ein 12 jähriger Junge von der israelischen Polizei erschossen, weil er ein Spielzeugwaffe in der Hand hatte.
Die Organe vom Kind wurden vom Vater nach längeren Überlegung und Absprache mit einem zuständigen Geistlichen zur Spende freigegeben und rettete somit die Leben mehrer Kinder, darunter auch ein Kind aus Israel. Davon handelt auch der durchaus sehenswerte Film „Das Herz von Jenin“.

Weiter durch die Stadt kamen wir an einem Tor vorbei, hinter dem nur weiteres Nichts und Brache war, allerdings bewacht von zwei Uniformierten. So wie sie da saßen und mit ernster Miene und dicker Bewaffnung ein großes Tor voller Leere bewachten, gab es ein wunderbares Motiv – wäre es nur nicht so dunkel gewesen. Ich musste nicht meine Kamera rausholen, um das schon vorher zu wissen, also ließ ich sie drin. Ein Hobbyknipser aus unserer Gruppe, der schon öfter meinte mir erklären zu müssen, wie Fotografie funktionierte, hielt allerdings drauf. Uns wurde vorher gesagt, dass es schwierig ist, Uniformierte abzulichten, weil es da unabsehbare Konsequenzen geben kann. So sollte es auch hier sein.

Bevor er abdrückte wurde er schon zu den Uniformierten bestellt. Ein anderer Kerl von uns, der ebenfalls seine Kamera draussen hatte, ebenso. Sie wollten nur um die Erlaubnis für ein Foto bitten, doch es sollte komplizierter werden. Unser Übersetzer musste nun rüber und klären, während ich mit den Mädels auf der anderen Straßenseite wartete, wo ein Klamottengeschäft war, der an diesem Abend einigen Umsatz machte.

Nach mehr als 10min Gerede gab es immernoch keine Bewegung. Ich wollte mir selbst ein Bild machen, wurde aber recht ernst vom Übersetzer wieder zurück geschickt, da mehr Leute alles nur noch komplizierter machen würden. Anscheinend wurde von den zwei Uniformierten ihr Vorgesetzter angerufen. Ich weiss nicht, wieviele Ebenen das noch hochging, aber irgendwann gab es das Okay und die Wachmänner posierten mit ihren Waffen sogar noch vor dem leeren Tor für die Kameras.

Die beiden Hobbyfotografen kamen dann wieder zurück und meinten, das Foto ist nichts geworden. Es war wohl zu dunkel.

Ach, sag ich.
Ja, sagt er, und wir gingen weiter.

Wir kamen vorbei an einem Denkmal für ein im 1. Weltkrieg abgeschossenes deutsches Flugzeug, ein steinernes Monument mit Original Holzpropeller vorne dran.

Ob wir in eine Bar wollen, fragte unser Stadtführer. Wobei „Bar“ nichts ist, wo man Alkohol bekommen hätte, im Islam ja nicht gestattet. Es gibt dann nur süße und intensive Fruchtcocktails. Wir einigten uns aber auf arabischen Tee und gingen zu einem Lokal, vorbei an der dritten Sehenswürdigkeit der Stadt: Eine Art Nachbau einer alten Festung, mit steinern Kanonen davor. Ich hab das Monument nicht ganz verstanden, vielleicht irgendwas mit Kreuzzug, Befreiung, Belagerung, oder Sieg. Das Übliche eben.

Der „echte arabische Tee“ kam in einem Glas mit Lipton-Teebeutel, „Yellow Label“. Die Sorte Tee kannte ich aus Japan, weil es dort der billigste war und ich mich mal wochenlang davon ernährte (99yen die Box). Er war mir noch in Erinnerung, als Heissgetränk ohne eigenen Geschmackscharakter, einfach mit „Tee“-Geschmack. Ich erwartete nicht viel, trank aber trotzdem und war sehr überrascht. Denn den Geschmack vom arabischen Tee macht nicht das Zeug im Beutel aus, sondern die Kräuter und Gewürze, die neben dem Beutel im Glas schwimmten. Der Teebeutel bildet nur eine Basis, den Geschmack liefern die anderen Zutaten. Diese machten den Tee auch sehr süß und es war ein Fehler, ihn wie üblich vorher zu süßen. Aber ein wirklich ausgezeichneter Tee.

Ein Junge kam dann mit einem Handkarren angefahren, stellte sich etwas abseits von uns auf die Straße, aber immer mit klaren, wartenden Blick auf uns und versuchte uns Mangos zu verkaufen. Uns war nicht nach Mango.

Danach hatten wir fast schon alles gesehen, was sehenswert war. Zumindest bei Nacht. Und auch wenn es noch nichtmal 20 Uhr hatte, waren kaum noch Leute auf der Straße, keine Autos und kein Lärm. Zurück im Hostel wendeten sich die anderen Gruppen wieder ihren Themen zu, was bei großer Gruppe und vielen unterschiedlichen Vorstellung zum Thema länger werden konnte. Ich nahm mir mein Stativ und ging aufs Dach.

Ich hatte mein Stativ nur mitgenommen, weil ich hoffte, den Sternenhimmel über Palästina abzulichten. Dieser Abend war allerdings diesig und bewölkt.

Mit Sternen war da nix. Ich merkte beim Aufklappen auch, dass das Stativ etwas kaputt war. Eine Fixierungsverbindung war durchgebrochen, wird wohl beim Flug passiert sein. Ich hatte das Stativ in Japan von jemanden geschenkt bekommen und mit dem Flieger dann nach Deutschland gebracht, doch irgendwo zwischen Istanbul und Tel Aviv wird wohl einer zu hart meinen Rucksack umhergeschmissen haben. Naja, es stand noch, und mehr musste es ja nicht.

So konnte ich auch ein Panorama der Nacht machen.

Leere Straßen wo am Tag Leben und Handel tobt.

Auf einmal merke ich, wie mich jemand aus der Hängematte ruft. Allerdings rief sie mich „Früüöööhtz“, so wie ich immer gerufen werde, wenn ein „kannste mal ein Foto machen?“ hinterher geschoben wird. Mit zwei ‚ü‘ und drei ‚ö‘.

Klar doch, sag ich.

„Das is voll schööööhn“. Gesprochen mit deutlich hörbaren vier ‚ö‘ und einem ‚h‘, es gefiel also.

Es kam dann noch ein Mädel aufs Dach, während ich weiterhin die Sterne suchte.

Es entbrannte dann eine Diskussion über den Dokumentarfilm „Die Bucht“ („The Cove“), der von einer regelmäßigen, „traditionellen“ Abschlachtung von Delfinen in Japan handelt. Ich kannte den Film, ich teile dessen Kritik, allerdings gab ich auch meinen Standpunkt als Journalist, der ein Jahr in Japan gelebt und gearbeitet hat, wieder.
Im Film versuchen ein paar Amis diese Schlachtung von Delfinen in einer Bucht zu filmen und bekommen ständig Absagen von offizieller Seite. Sie beschließen dann in einer hoch dramatisierten Weise das ganze geheim zu filmen. Wie sie aber versuchen, diese Erlaubnis zu bekommen, ist diletantisch und einfaches Mittel zum Zweck, um den Film mehr Dramatik zu verleihen. So wird zum Beispiel keiner bemüht, der Japanisch kann, sondern es wird nur stumpf und emotional auf die Vertreter der Behörden in amerikanischen Englisch eingeredet. Das die kaum was verstehen weiss jeder, der mal versucht hat eine Erlaubnis von japanischen Behörden auf Englisch zu bekommen. Ich habs mehrmals versucht und es funktioniert nicht. Sobald ich dann aber auf Japanisch meine Anfragen schickte, funktionierte es. Doch die Darstellung von unflexiblen Japanern funktioniert ganz gut für diesen Film.
Vor diesem Hintergrund kann ich das „Wie“ des Films nicht ernst nehmen, finde aber das Thema sehr richtig und wichtig.

Allerdings kocht das Ganze dann schnell emotional hoch, mit „die Japaner fischen und essen ja eh alles“, ab und noch ein „Walfang!!!“ eingeschmissen und „du nimmst die ja nur in Schutz, weil du ein Jahr dort gelebt hast“. Emotional kann man keine Diskussion führen und irgendwann kam auch der Punkt wo für mich alles gesagt war und ich nichts mehr ergänzen wollte. Meinen Standpunkt konnten sie zwar verstehen, aber nicht teilen, doch mehr muss auch nicht. Eine Diskussion unter Erwachsenen, wie es sie in dieser Woche noch ein paarmal geben sollte. Angenehm und anregend.

Es kam dann noch jemand aufs Dach, der etwas Frust hatte und schon am ersten Tag ein Fazit vom Projekt ziehen musste. Ein paar seiner Kritikpunkte teilte ich, auch wenn ein Mädel dann korrekt anmerkte, dass heute doch gerade mal der erste Tag ist und wir Vertrauen haben sollten. Das sah er und ich ein. Und während er sich in die Küche zurückzog, wollte ich nur noch ins Bett.

Gerade einmal 10 Uhr abends war ich der erste in unserem Achtbettzimmer. Nach einer überfälligen Dusche unter Wasser, dass ohne wirklichen Druck in der Leitung nur langsam und kalt tropfte, legte ich mich ins Bett. Wieder nahm ich mir die Zeit, alles von heute aufzuschreiben.

Es war der erste richtige Tag in Palästina. Morgen sollten wir schon anfangen zu drehen und auch meine Fotokamera sollte intensiv zum Einsatz kommen. Ich schloss den Akku an den Strom an, stellte meinen Ipod auf Symphonie, und schlief bei laufenden Ventilator ein.

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Post aus Nah-Ost:

Teil 1 – Die Straße nach Palästina
Teil 2 – Wie Tag und Nacht
Teil 3 – Der Tag der kaputten Kameras
Teil 4 – Männer müssen draußen bleiben