Endlich Finnland III: Im Haus am See

Weiter geht die Reise. Tiina lud mich in ihr Heimatdorf ein, zum Haus ihrer Eltern. Hier in Südostfinnland gab es weniger Wind, viele Bäume und unzählige Seen. Einer davon befand sich in ihrem Garten.

Der letzte Morgen auf der Matratze. Wieder war ich der erste, der wach war. Wieder machte ich die Küche sauber. Das Hühnchengelage der letzten Nacht sah und roch man noch. Tiinas Freund verspeist Hähnchenflügel übrigens so: den ganzen Flügel in den Mund, laut schmatzend im Mund hin und her schieben, komplett abnagen, den Kopf dann über den Teller beugen und die Knochen langsam aus dem Mund fallen lassen. Das ganze sieben mal. Ich bekam nur vier Flügel runter.

Ich wollte mich gerade an den Herd machen, dessen schwarzen Fettflecken schon seit fünf Winter eingebrannt waren, da wachte Tiina auf. „Du hättest das nicht alles sauber machen müssen“. Oh doch.

Wir winkten ihrem Freund zum Abschied und machten uns auf den Weg zur Busstation. Die finnische Landschaft ist zersetzt von Seen, Hügeln und tiefen Wäldern. Man kann eine Stunde fahren, ohne je einen Menschen oder eine Straßenlaterne zu sehen. Züge erreichen daher nicht alle Orte. Nützlicher ist das gut ausgebaute Bus-Netzwerk. Für Studenten kosten die sonst sehr teuren Tickets nur die Hälfte. Wie schon auf der Fahrt nach Helsinki ging Tiina vor, lächelte den Fahrer an und meinte, wir sind beide Studenten. Halbherzig zeigte ich meinen Ausweis aus Hannover vor. Meine Finger verdeckten ganz zufällig die halbe Plastikkarte. Doch der Fahrer winkte uns nur nach hinten durch. Ab nach Mäntyharju.

„Wohin?“ fragte ich. „Mäntyharrju!„, ausgesprochen Manntüharrrryu. Das R macht die Hälfte des Wortklangs aus.
Ich weiß nicht mehr genau, wie lange die Fahrt dauerte. Wir redeten die ganze Zeit. Über Japan, die Zukunft, die Wälder und die Berge, die am Fenster vorbei zogen. Irgendwann, als die Dämmerung einsetzte, kamen wir in einem kleinen Ort mit Bahnstation an. Davor ein Glaskasten. Es war ein Café im finnisch-amerikanischen Country-Stil. Schwierig zu beschreiben, auf jeden Fall viel Holz, Fässer und Whiskey. Und Tee für 1,50 Euro.
Wir warteten auf Tiinas Vater, der uns mit dem Auto abholen wollte. „Er sieht aus wie der Weihnachtsmann“, sagte sie. „Aber sag ihm nicht, dass er aussieht wie der Weihnachtsmann. Er hört das nicht so gerne.“ Auf dem Tisch vor uns lag eine aufgeschlagene Zeitung. Von Seite eins bis zwölf waren nur finnische Politiker abgedruckt. Tiina, die sonst ein positives Wort über jeden sagen kann, hatte diesmal keine. Finnische Politiker, zumindest die abgedruckten, äußerten sich wohl sehr europa-feindlich. Das mag sie nicht. Sie ist für ein harmonisches Zusammenleben und freies Reisen in Europa. Bevor ich zu Seite 13 kam, parkte ihr Vater schon draußen. Er sah tatsächlich aus wie der Weihnachtsmann.

Ich begrüßte ihn auf Finnisch und stellte mich vor. Ich fragte ihn auf Englisch, wie es ihm denn geht. Sein Blick ging zu Tiina. Die lachte nur und meinte „ach ja, mein Vater spricht kein Englisch.“ Diese Aussage sollte sich eine Flasche Wodka später als Trugschluss erweisen. Tiina erzählte mir auch einmal, wie sie mit ihrem Freund auf Englisch telefonierte, als sie daheim war. Nach dem Gespräch kicherte ihr Vater schelmisch. Er versteht mehr, als er zugeben möchte.

Auf der Fahrt zum Haus des Weihnachtsmanns saß ich hinten. Dunkle Wälder zogen links und rechts und vorbei und höchstens alle 10 Minuten ein Auto. Das Gespräch kriege ich nicht mehr zusammen. Ich machte nur die mentale Notiz, das es gut lief und ich Eindruck beim Vater machte. Tiina übersetzte fleißig alles, was ich und der Vater sagten. Dabei hob sie ihre Stimme kräftig an. Der Weihnachtsmann war schwerhörig.

An den Lichtern konnte ich erkennen, dass wir in eine Siedlung einbogen. Die letzte Lampe am Ende der Straße gehörte zum Wohnhaus der Familie. Beim Einparken bellte das Haus schon. Jussu, der sehr alte Hund der Familie, begrüßte mich mit seinem Teddi im Mund und nickte mit dem Kopf auf und ab. Fast wie eine höfliche Verbeugung. Ob der Hund krank sei, fragte ich Tiina. Nein, sagte sie, uns hat nur das Bellen genervt, da haben wir ihm das Nicken beigebracht. Jussu war froh mich und Tiina zu sehen.

Die Mutter begrüßte mich per Handschlag und mit einem vollen Kühlschrank. Es waren sogar zwei Kühlschränke. Der eine für Gemüse, Butter, Milch und Wodka. Der andere war oben für die Ernte und unten für das Fleisch von der Jagd und von der Farm. Tiinas Vater hatte es zwar nicht erlegt oder gemästet, aber er hat viele Freunde, die ihn beschenken. Eine Tüte im unterstes Fach enthält ganze Schweinohren. Die bekommt Jussu jeden Abend.
Die Familie deckte den Tisch und ich bezog mein Zimmer. Ich bekam den Raum von Tiinas Schwester. Das offizielle Gästezimmer aber noch so eingerichtet wie zu ihrer Teenager-Zeit, die nur wenige Jahre zurück liegt. Tiinas Schwester steht auf Frauen, daher befanden sich viele junge Damen auf Postern an der Wand. Damit hatte ich nun wirklich keine Probleme. Ganz im Gegenteil.


Eines der wenige Poster ohne jungen Dame im Zimmer: Eine Karte der Welt der Mumins

Und endlich gabs ein richtiges Bett! Ich hätte direkt einschlafen können, doch der Geruch aus der Küche lockte. Vorher gab mir der Vater noch eine Tour des Hauses. Tiina konnte nicht mehr übersetzen, da sie mit ihrem Freund telefonierte. Ich verstand zwar kein Finnisch, aber was das Wohnzimmer und was das Klo war, konnte ich so einigermaßen ausmachen. Wir beendeten die Tour im Kaminzimmer, wo der Vater frischgeschlagenes Holz anzündete. Es knisterte. Ich war die ganze Woche nicht so entspannt wie in diesem Moment.

Ein Wort der Tour des Hauses verstand ich aber. Sauna. Jedes Haus in Finnland hat eine. Das Feuer im Kamin wärmte sie bereits auf. Nach dem Essen sollte jeder einmal rein. „Du verlässt das Land nicht, ohne in einer Sauna gewesen zu sein!“ drohte mir Tiina mit einem Lächeln. „Du bist Sauna ja nicht gewohnt, also starten wir mal bei 70°C.“ Ich schwitzte schon beim Gedanken daran.

Beim Essen gab es selbstgemachte Fleischbällchen und Saft aus Moosbeeren. Die Erkältung, die Tiina und ihr Freund die letzten Tage plagte, machte sich nun auch bei mir breit. Schon in Porvoo kündigte Tiina das Hausmittel ihrer Mutter gegen Erkältungen an: in Wodka aufgelöster Knoblauch. Den gab es im Anschluss. Die Mutter stellte das Schnapsglas vor mir auf den Tisch und drei Finnen guckten mich erwartungsvoll an. Der Geruch von Knoblauch war streng. Mit einem großen Schluck leerte ich das Glas. Eine Wärme machte sich in meinem Hals breit. Als ich das Glas wieder auf den Tisch stellte, merkte ich, dass die Blicke immer noch auf mir ruhten. Es ist gut, sagte ich. Erleichterung. Kann ich noch einen haben? Mutter war zufrieden und schenkte nach, der Vater lachte anerkennend und bot mir gleich einen Whiskey an. Und Tiina gluckste vergnügt.


Die Siedlung erinnerte mich an nordamerikanische Suburbs. Alle Häuser sind flach gebaut. Genug Platz hat man ja.

Zurück im Zimmer checkte ich meine Ausrüstung. Nichts vergessen, alles ist da und noch Platz für knapp 1.000 Bilder. Sollte reichen. Es klopfte an die Tür. Die Sauna sei nun fertig, aber zunächst würden die Eltern reingehen. Ein nackter Weihnachtsmann ging im Flur an mir vorbei und lachte.

Die Familie sauniert jeden Abend, es gehört dazu wie das Zähneputzen. Feuchtglänzend und mit einem Handtuch bekleidet erklärte mir der Vater, hauptberuflich Elektro-Ingenieur, wie Sauna funktioniert. Seine Handzeichen brauchten keine Übersetzung: Du sitzt hier. Da sind die Kohlen. Hier ist die Kelle. Dann machst du so. Er schüttete frisches Wasser auf die Kohlen und es zischte. Der Dampf beschlug mir die Brille. Okay, sagte ich. Okay sagte der Weihnachtsmann, lachte und ging mit Frau Weihnachtsmann ins Schlafzimmer. Ich war nun auf mich allein gestellt.

Wie beim Bad in einer heißen Quelle in Japan duscht man sich, bevor man in die Sauna geht. Ich ließ meine Brille im Vorraum und setzte mich aufs Fichtenholz. Es dampfte.

Und nun? Lektüre kann man sich in den Dampf nicht mitnehmen. Mein iPod hätte in der Luftfeuchtigkeit wahrscheinlich einen Kurzschluss. Aber auch mal gut, auf nichts starren zu müssen, und die Gedanken frei im Dampf atmen zu lassen.

Nach einer Weile löste ich mich wieder vom Holz und ging raus. Tiina stand schon im Gang. Und? Wie wars? Ich keuchte. Sie reichte mir ein Glas Eiswasser. Um das verlorene Wasser zurück zu bekommen, sagte sie. Eine echte Saunaexpertin. In der einen Hand das Handtuch um meine Hüfte, in der anderen das Glas, ging ich durch das Kaminzimmer in den Garten. Zum Abkühlen. Es war frisch, aber es wehte kein Wind. Über dem See konnte man die Milchstraße im Himmel erkennen.

Wieder drin warf ich mir Schlafklamotten über und fiel im lesbischen Zimmer aufs Bett. Nichts in der Welt hätte mich jetzt davon wegziehen können.

Der nächste Tag war diesig. Während meiner gesamten Zeit in Finnland wechselte sich das Wetter ab. Sonne, wolkig, Sonne, wolkig. Heute wars grau.
Tiina hatte eigentlich einen besonderen Platz im Wald, den sie mir zeigen wollte. Aber der sollte auf gutes Wetter warten. Heute gingen wir nur um den See.

So ein finnischer Mischwald gewinnt echt gegen deutsche Monokulturen-Wälder.

Überall lagen vereinzelt kleine Boote. Alle waren nur aufs Land geschoben, keins war vertaut. Alle gehörten den Anwohnern. Das Gebiet ist beliebt bei Urlaubern, erklärte Tiina. Viele haben hier ihr Sommerhaus. Im Winter und Herbst sind die meisten der Behausungen leer und es ist ruhig. So wie jetzt.

Wir erreichten einen Steg. Der See lag ruhig und fast unberührt vor uns.

Die Bootshäuser warteten auf den nächsten Frühling. Tiina tanzte derweil den Steg entlang.

Ein Schild begrüßte uns, als wir aus dem Wald heraus kamen. Auch wenn man in Finnland nie wirklich aus dem Wald heraus kommt.

Da ich die ganze Zeit fotografierte, versuchte sich Tiina auch einmal in den Spuren des Regens.

Das Ergebnis:

Tiinas Familie war nicht der einzige Grund, warum ich nach Mäntyharju fuhr. Dort gab es nämlich eine Geschichte für mich zu fotografieren. Zu dieser Geschichte kann ich mich an dieser Stelle noch nicht äußern. Es ging um ein Auto, eine Sauna mit zwei dicke Finnen und mir in der Mitte, und eine große Flasche Wodka.
Ein Andermal.

Viel wichtiger ist, dass ich an diesem Morgen nicht die Küche putzen musste. Das erledigte die Frau des Weihnachtsmanns.


Jussus Teddy. Bissfest.

Im nächsten Teil geht es dann noch tiefer in die finnischen Wälder.

Endlich Finnland
Teil 1 – Train Job
Teil 2 – Helsinki ist nicht hell
Teil 3 – Im Haus am See
Teil 4 – Im Innern des Waldes
Teil 5 – Schlaflos in Kopenhagen
Extra: Das Saunamobil

Endlich Finnland II: Helsinki ist nicht hell

Der erste Tag begann in einer kleinischen finnischen Stadt – die sich dann doch mehr nach Vietnam anfühlte. Nach einem beschaulichen Spaziergang ging es auch schon in die Hauptstadt, wo es ein unerwartetes Wiedersehen gab.

Wenige Stunden nach meiner Ankunft wachte ich am Boden des Wohnzimmers wieder auf. Es war hell, die Blätter der Birken vor dem Fenster leuchteten grün und tanzten im Wind. Ich machte das Fenster zu. Der Wind des finnischen Herbstes legte sich kalt auf meine Matratze am Boden. Acht Uhr früh. Ach herje.

Erst fünf Stunden zuvor legte ich mich hin, nach zwei Tagen auf Reisen ohne Schlaf. Der Rest der WG schlief noch. Das Wasser in der Heizung plätzscherte wie ein kleiner Bach unterm Haus. Ich stand auf und duschte.

Die WG bestand aus meiner Freundin und zwei Vietnamesen. Mit einem davon teilte sie das Bett. Alle waren Studenten der örtlichen Fakultät, die wiederum zur Universität der nächstgrößeren Stadt gehörte.
Selbst in Finnland ist es ungewöhnlich, dass sich Studenten ein ganzes Haus leisten können. Doch das Vier-Zimmer-Anwesen gehörte einer alten Dame, die ihr Haus ohne Erben und ohne Sauna hinterließ.

Schon beim Aufwachen nahm ich den strengen Geruch war. Es roch nach vietnamesischen Essen, zwischen drei und fünf Tagen alt. In der Spüle sammelt sich das Geschirr und die Essensreste. Als meine Freundin dann gegen 13 Uhr zusammen mit dem Rest des Hauses erwachte, entschuldigte sie sich für die Verhältnisse. Wie ich später herausfand, konnte sie am wenigsten dafür.
Wir gingen spazieren.

Zwei Jahre hatten wir uns jetzt nicht gesehen. Ich lernte sie kennen, als ich noch in Tokyo lebte. Alles begann mit ihrem Bett:
Mein Rücken und ich waren den dünnen Futon leid, auf dem ich schlief. Ich wollte unbedingt ein Bett haben. Tiina, meine finnische Freundin, bot eines im Internet an. Sie wohnte zwar in einem anderen Stadtteil in Tokyo, doch der Preis sagte mir zu. Da ich zwischendurch immer mal wieder für Fotos unterwegs war, verschob sich der Abholtermin immer wieder, bis sie es schlussendlich an jemanden anders verkaufte. Doch durch die vielen Emails, die wir uns schickten, waren wir einander inzwischen so sympathisch, dass wir uns treffen wollten. Sie studierte damals Japanisch, wollte aber lieber etwas kreatives machen. Was lag also näher, als zur Design Festa zu gehen, die an dem kommenden Wochenende stattfinden sollte? Obwohl wir uns im Laufe meines Jahres in Tokyo nur noch drei weitere Male trafen, unsere Freundschaft blieb eng und tief.

Was uns verbindet sind nämlich nicht unbedingt die gemeinsamen Erinnerungen, oder dass wir die gleichen Dinge hassen. Es ist eine Art Seelenverwandtschaft. Wir sind beide gleich alt, selbst der Altersunterschied unserer Väter beträgt nur zwei Tage. Wir beide kamen nach Japan, um etwas zu suchen, was wir zuhause nicht fanden – ohne je genau zu wissen, was es war. Wir beide kehrten zurück, waren planlos und trafen doch unabhängig voneinander die gleiche Entscheidung, wie unser Leben weiter verlaufen sollte, jeweils mit einer ähnlichen Motivation.

Auf dem Weg setzte sich ein Käfer auf Tiinas Hand. Sanft setzte sie ihn auf einem riesigen Findling inmitten des Waldes ab. Der Käfer habe genau so ein Recht darauf glücklich zu sein, wie sie, sagte sie mir. Selbst die Wespe, die sich später am Tag ins Wohnzimmer verirrte, sammelte sie ein und entließ sie in die Freiheit.
(Ich persönlich hasse Wespen und verfolge eine Null-Toleranz-Politik wenn ich die Biester sehe)

Tiina mag Reisen. Obwohl sie Finnlands Natur liebt, so ganz wohl fühlt sie sich hier nicht. Ich bin ihr einziger nicht-asiatischer Freund, sagte sie mir über einer heißen Schokolade. Wir saßen im örtlichen Café, das auf einem Schiff gebaut wurde. Der Ort, Porvoo, war im Land als einer der ältesten bekannt. Besonders berühmt sind seine Schiffshäuser.

Ihr Freund war nicht geplant. Nach ihrer Rückkehr aus Japan, die ein Jahr nach meiner passierte, wollte sie sich möglichst wenig binden. Weder an das Land, noch die Leute. Bloß schnell wieder weg. Doch dann passierte es.

Mit ihrem Freund war sie im Sommer zuvor in Vietnam, seiner Heimat. Dort war er der kleine Prinz. Seine Mutter und seine Schwestern räumten ihm alles hinterher, bedienten ihn am Essenstisch und er musste sich um nix kümmern. Diese Tradition brachte er mit nach Finnland und das Geschirr stapelt sich. Der Mitbewohner der beiden, ebenfalls Vietnamese, tut es ihm gleich. Es gibt regelmäßig Streit über das Geschirr. Und während sie sich streiten, stapelt es sich, und keiner fühlt sich verantwortlich.
Wir nahmen den Weg zurück durch den Wald.

Zurück im Haus dröhnte vietnamesischer Schlager. Die halbe WG spielte nebenbei Warcraft. Ich nutzte die Gelegenheit um ein paar Mails nachhause zu schreiben. Die Musik nervte, aber als Gast, der kostenlos logierte, hielt ich mich zurück.
Gefällt dir der Sänger Fritz?
-Was?
DER SÄNGER?
-Ja, ist super, nur n bisschen laut, wa?
Ja genau!

Überall im Haus lagen Laptops, bereit gestellt von der örtlichen Uni. Sie waren so kostenfrei wie das gesamte Studium. Das Haus finanziert das finnische Bafög. Als Student hat man viel Vergünstigungen, die allerdings das gesamte Land trägt. Alles ist teuer in Finnland. Nur die Bildung ist gratis.

Tiina klagte derweil über Schmerzen. Auf meine Nachfrage meinte sie nur „Frauenschmerzen“. Meine Expertise auf diesem Gebiet beschränkt sich auf Aspirin und Wärmflasche. Beides nahm sie bereits, bedankte sich aber für die Anteilnahme. Ihr Freund klagte derweil über Schnupfen und nötigte sie, ihm ne Suppe zu kochen, da er weiterspielen möchte. Ich tippte weiter und schickte meine Kommentare nach Deutschland, statt an meine Gastgeber.


Tiina mag das Bild, das zum Haus mitgeliefert kam. Es erinnert sie ans Reisen und an die Ferne

Am nächsten Tag ging es nach Helsinki. Wieder war ich der erste im Haus, der wach wurde. Da ich mittlerweile den Geruch der Küche, deren offene Tür einen Meter von meiner Matratze entfernt war, nicht mehr ertragen konnte, reinigte ich das Geschirr. Und den Rest der Küche. Als Tiina aufwachte und in die Küche kam, stand sie sprachlos vor mir. Das hatte ich nicht erwartet, sagte sie. Das ist doch selbstverständlich, sagte ich. Inzwischen hatte sie auch den Schnupfen von ihrem Freund übernommen. Bei jedem Nieser wünschte ich ihr Gesundheit. So viel Höflichkeit kannte ich nicht. Sind alle Deutschen so höflich, fragte sie. Ich meinte nur, man muss nicht unbedingt deutsch sein, um höflich zu sein. Man muss sich nur um seine Mitmenschen sorgen. Ich sagte dem Freund Tschüss und wir gingen zum Bus Richtung Helsinki.

Helsinki ist jung ergraut. Wie das Land selbst existiert seine Hauptstadt noch nicht so lange. Man merkt ihr das junge Alter an und den Reichtum dieses nordeuropäischen Landes. Gegen das graue Wetter stach die Stadt allerdings nicht mit Farbprächtigkeit hervor. Deswegen habe ich die Bilder gleich eh alle in Schwarz/Weiß gezogen.

Tiina lebte selbst einmal hier und zeigte mir alles Sehenswerte.

Am Hafen ruhten wir uns kurz aus und aßen eine Bratwurst aus Rentierfleisch. Mild-würzig.
Zwei Tage habe ich nun schon das Treiben in ihrer WG verfolgt. Ich war besorgt und fragte nach, ob sie das alles auch so wahrnimmt wie ich. Sie lächelt nur. Keine Sorge Fritz, der ist sonst ganz anders und viel netter. Wo du jetzt hier bist, lässt er den Macho raushängen und ist eifersüchtig. Tut ihm mal ganz gut, ergänzte sie und lächelte Richtung Wasser. Ich aß mein Rentier etwas beruhigter.

Tiinas Schwester arbeitet in Helsinki. Sie ist Fachfrau für Kosmetik und steht auf Frauen. Das weiß sie aber erst seit ein paar Jahren. In dem Dorf, aus dem beide Schwester kamen, gab es so etwas nicht. Dass also diese Option existiert, auch Frauen zu mögen, das hat sie erst in der Hauptstadt gelernt. So erklärte es mir zumindest Tiina. Die Schwester ist größer als Tiina und auch ein Stückchen reifer, trotzdem ist sie die jüngere der zwei. Tiina besucht sie gerne in Helsinki, denn dann bekommt sie immer gratis Make-Up.
Tiinas Schwester ist sehr gut in dem, was sie macht. Im ersten Monat nach Abschluss ihrer Ausbildung hatte sie bereits den Verkaufsrekord gebrochen – nicht nur den in ihrem Laden, sondern den von gesamt Finnland. Sie war wahrscheinlich auch eine Inspiration für Tiina, die in Japan immer Maskenbildnerin werden wollte. Dann wollte sie zum Film. Wieder in Finnland wollte sie als Tourismusfrau nach Korea. Und jetzt? Sie lächelt nur breit und meint, sie weiss es nicht. Es ist auch nicht so wichtig, um glücklich zu sein.

Als jemand, der schon seit jungen Jahren sehr, sehr zielstrebig bestimmte Dinge verfolgt, nerven mich Gespräche mit so wankelhaften Gemütern eigentlich sehr. Nur bei Tiina nicht. Sie pflichtet mir da auch bei. Sie kann Leute nicht ausstehen, die nicht wissen, was sie wollen. Was sie und mich allerdings von denen unterscheidet, ist die Leidenschaft. Es ist okay, nicht zu wissen was man will, oder lange ein Ziel zu verfolgen. Solange man Leidenschaft im Herzen trägt.

Gegen 19 Uhr standen wir vor dem großen Kaufhaus, in dem Tiinas Schwester inzwischen Feierabend hatte. Es war ein altes, ehrwürdiges Kaufhaus. Die historische Uhr am Eingang gilt als beliebter Treffpunkt. Dort standen wir nun, doch die Uhr war weg.

Wir warteten auf eine Japanerin, unklar ob sie unsere Nachricht verstand und ob sie die Uhr ohne Uhr finden würde.

Sie war Austauschstudentin an meiner Uni in Hannover. Eines Tages hing ein Aushang am Fahrstuhl, unser Ersatz für ein mangelndes Schwarzes Brett. „Fotograf gesucht für etwas mit Japan“ stand darauf. Ich fühlte mich angesprochen. Drei Tage später traf ich Yuki in einem Lokal in Hannover. Sie sprach kein Deutsch, schlechtes Englisch und war ganz aus dem Häuschen, dass ich ihr Japanisch verstand. Sie plante eine Foto-Ausstellung in Hiroshima, Thema war „Leben“. Deutsche und japanische Studenten sollten darin Lebenswelten zeigen. Dafür wollte sie Gelder bei der Stadt Hiroshima beantragen. Vorher reist sie aber erstmal quer durch Europa. Wo sie ja schonmal auf dem Kontinent ist. Dabei reist sie natürlich wie eine Japanerin. Pro Land ein Tag.

An einem Tag war sie in Helsinki. Exakt an dem Tag, wo ich in Helsinki war. Sie wusste meine Reisepläne nicht, ich auch nicht ihre. Trotzdem fanden wir uns vor einem finnischen Kaufhaus, unter der verschwundenen Uhr wieder. Yuki, inzwischen mit ihrem japanischen Freund als Reisegefährten unterwegs, konnte es nicht glauben. Im Laufe des Abends erwähnte sie noch dreimal, wie unwahrscheinlich doch unser Zusammentreffen war. Dennoch saßen wir alle zusammen. Japaner + -in, zwei Finninnen und ein Deutscher, der die größte Kamera im Raum bedienen musste.

Tischsprache war Japanisch, und meins war am schlechtesten. Vier Wochen später sollte ich schon wieder in Japan sein. Ich schaute besorgt in meine Teetasse.

Mit dem vorletzten Bus ging es zurück nach Porvoo. In der Dunkelheit gingen wir zurück zum Wohnhaus, aus dem immer noch vietnamesischer Schlager dröhnte.
Na dann gute Nacht.

Endlich Finnland
Teil 1 – Train Job
Teil 2 – Helsinki ist nicht hell
Teil 3 – Im Haus am See
Teil 4 – Im Innern des Waldes
Teil 5 – Schlaflos in Kopenhagen
Extra: Das Saunamobil

Endlich Finnland I: Train Job

Sieben Tage, drei Länder und zwei Aufträge – im September war ich für eine Woche in Finnland um eine gute Freundin zu besuchen. Der Weg führte dabei über Kopenhagen, denn schon die Anreise war Teil eines Auftrags.

Prolog

Schon im letzten Semester habe ich für die Uni eine Reportage über den Nachtzug von Hannover nach München fotografiert. Ein paar Wochen später meldete sich dann die Bahn bei mir. Ob ich denn nicht Lust hätte, zu einem weiteren Ziel meiner Wahl in Europa zu reisen und weitere Bilder zu machen. In überaus höflichen Emails stellte ich dann meine drei Bedingungen:

1. Da meiner Erfahrung nach die meisten Passagiere keine Lust haben, fotografiert zu werden, und ich niemanden beim Schlafen anblitzen mag, müsste ich Leute mitnehmen, um Gäste im Zug zu fotografieren
2. Ein bisschen Kohle müsste es schon geben
3. Nordeuropa soll es sein und meine Rückfahrt eine Woche nach der von meiner Begleitung stattfinden

Mein eigentliches Ziel hieß nämlich Finnland – schon seit längerer Zeit. Bereits im Februar wollte ich dort eine gute Freundin aus Tokyo besuchen, die ich seit zwei Jahren nicht mehr sah. Zuerst fehlte es an Geld. Dann hatte ich Geld, aber es fehlte anschließend an Zeit. Im September hatte ich zwar beides nicht, aber das war mir dann egal. Ich würde den Zug so weit Richtung Norden nehmen wie möglich, und von dort dann irgendwie weiter Richtung Helsinki. Jetzt oder nie.

Mein erster Gedanke, per Anhalter zu reisen, scheiterte dann an der großen Menge Wasser, die sich zwischen Finnland und Dänemark befindet. Also buchte ich fünf Tage vor der Abfahrt den Flug von Kopenhagen. Von dort war es immer noch preiswerter, als von Berlin oder Hamburg aus.

Die Bahn bzw. ihre Tochter, die AutoZug Gmbh, war nach einer Woche Bedenkzeit auch mit meinen Bedingungen einverstanden und schickte mir die Tickets nach Kopenhagen. Für drei Freunde und mich.

(Die Fahrt war zunächst gebucht von Basel nach Kopenhagen, da in der internen Kommunikation jemand meinen Heimatort Berlin mit Basel verwechselt haben muss. Fängt ja auch beides mit B an.)

Für mich gab es noch ein Zugticket von Hannover nach Mannheim, wo ich meine Freunde aus Heidelberg treffen und in den Nachtzug einsteigen würde – um die lange Nacht zu beginnen.

Warm! Weich! Gemütlich!

Am Bahnhof Mannheim begrüßte ich die Zugbegleiter und stellte mich vor. Ich nahm an, sie wurden über den Fotograf heute im Zug informiert. Doch sie sagten nur: „Das hier Super-Zug.“ Ich war am russischen Ende der Bahn. Die Zugbegleiter verstanden daher nicht so ganz, was ich von ihnen wollte.
Der russische Zug wird in Hamburg abgekoppelt und fährt weiter Richtung Berlin und Moskau. Die gemeinsame Reise bis dahin spart Sprit.

Im deutschen Abteil wusste man zwar auch nicht wirklich über mein Kommen Bescheid, aber nachdem ich etliche Papiere vorzeigte, ließ man mich arbeiten.

Die Bahn machte mir wenig Vorgaben, wie die Bilder zu sein haben. Es sollten keine Hochglanz-Bilder für eine Werbekampagne o.ä. sein. Das hätte ich auch nicht gekonnt. Sie wollte viel mehr die Art Bilder, die ich schon in der Arbeit für die Uni machte. Die Fotos sollten warm, weich und gemütlich sein. Übersetzt in die Kamera heißt das einfach: Blende auf, Teleobjektiv an und Weißabgleich aus.

Ich hatte eine gewisse Motivliste abzuarbeiten, aber die war nur je nach Verfügbarkeit möglich. Sofern eine Kabine belegt war, konnten wir eben keine Bilder machen.

Kalt! Hart! Gestresst!

Ich war konstant angespannt. Schließlich hatte ich noch nie einen Klienten in dieser Größenordnung beliefert. Ich war daher stets bemüht, mich so erfahren und professionell wie möglich zu verhalten. Ich hatte mich sogar extra für den Job rasiert – was allerdings einen gegenteiligen Effekt hatte. Ohne Bart seh ich fünf Jahre jünger aus und nicht gerade wie ein welterfahrener oder weitgereister Fotograf.
Unterschätzt nie die Wirkung eines Drei-Wochen-Barts.

Die Bildideen, die ich vorher im Kopf hatte, blieben nach und nach auf der Strecke. Entweder war der Raum enger als vorher angenommen, das Licht schlechter oder meine mitgebrachten Objektive nicht ausreichend für die Begebenheiten. Während meine Begleitung sich auf Kosten der Bahn im Bordrestaurant mit Bier versorgte, verspannte mein Rücken beim Gedanken an die nächsten Bilder.

Ich war gebucht für die erste Klasse. Meine Begleitung nicht. Durch geschicktes Verhandeln konnten wir aber alle Abteile in der selben Klasse bekommen. Meine Privatkabine lag eigentlich in einem anderen Zug, den sie jedoch nicht mitgebracht hatten. Scheinbar wär ich der einzige Passagier darin gewesen. Das hätte nicht gelohnt.

Der letzte Fototermin in dieser Nacht war an der Bar. Einem angetrunkenen Dänen erzählte ich von meinen Reiseplänen. Erst Kopenhagen, dann Helsinki, dann drei Stunden Bus durch die finnische Wallachei. Er nickte nur und schaute mit glasigen Blick auf sein leeres Bier. Ich war mir nicht sicher, ob er mich verstanden hatte.

Schlafen konnte ich in der Nacht nicht. Ich wälzte mich unzufrieden auf der Matratze. Lag es jetzt an mir und meinem Mangel an Erfahrung, das aus bestimmten Bildern nichts wurde? Oder fehlte es an Ausrüstung? Oder war es einfach wirklich zu eng oder unmöglich, gerade diese Bilder umzusetzen?

Dass nebenan ein Baby bei jedem Geräusch wach wurde und schrie, half meinem Schlaf auch nicht. Sein Vater versuchte es mit „Schatzerle“ zu beruhigen.
Ein Furz.
„Schatzerle…“

Die Zugbegleiterin war pflichtbewusst. Ich bestellte eine Weckung um sechs Uhr, da ich das Licht der Morgensonne mitnehmen wollte. Die Sonne zeigte sich allerdings noch nicht, also ignorierte ich das Klopfen an der Tür um sechs. Doch sie klopfte weiter. Ganze zehn Minuten lang pochte sie an meine Tür, bis ich endlich eine Hose anzog und sie darum bat, mir noch ne Stunde zu geben. Schatzerle.

Mit einer Person aus meinem Team ging ich einmal quer durch den Zug, auf der Suche nach Motiven.

Wer Zug fährt, kennt das:
Die Ansage kommt, dass der Zug in wenigen Minuten am Bahnhof hält. Noch in voller Fahrt stellen sich die Leute dann mitsamt Gepäck in die Gänge vor die Türe und versperren den Weg. Der Zug hält noch nicht einmal, doch schon sichert man sich den Platz in der ersten Reihe. Könnt ja sein, dass man es sonst nicht mehr rechtzeitig aus dem Zug schafft – weil, jetzt mal ein wildes Beispiel, andere vielleicht den Gang versperren.
Ich dachte immer, das sei ein deutsches Phänomen. Doch im Nachtzug standen nun zwei dicke, dänischer Wikinger vor uns, mit roten Haaren und mächtiger Statur. Neben ihnen stand eine britische Familie mitsamt ihren Gepäck. Nun gab es nicht mal mehr für unhöfliche Drängler eine Chance den Gang zu verlassen. Die Wege sind im Nachtzug nämlich noch schmaler als im ICE, da der Platz für die Betten gebraucht wird. Leider nicht wikingergerecht.

Und schon gabs Frühstück, als wir über die lange Brücke zur Insel nach Kopenhagen fuhren.

Der erste Teil des Jobs war geschafft.
Mir wurde nun klar, dass ich keine Ahnung hatte, wo ich eigentlich bin. Wie immer hatte ich mich nicht über das Ziel informiert. Denn ich find die Reise oft spannender, als das Ankommen. Ähnlich als ich drei Tage lang mit dem Zug von Tokyo nach Sapporo gefahren bin. Als ich endlich ankam war ich einfach nur gelangweilt und wusst gar nicht, was ich in der Stadt machen sollte. Aber die Reise Richtung Norden war spannend.

Aber diesmal war ich ja nicht allein.
Erste wichtige Erkenntnis: Keine Euro, sondern Kronen.
Zweite wichtige Erkenntnis: Alles etwas teurer als daheim.
Dritte wichtige Erkenntnis: kühler und windiger ists auch.

Die Dänen an der Bar im Zug letzte Nacht gaben uns Tipps, was wir denn uns alles angucken könnten. In Kopenhagen kann man auch alles recht einfach ablaufen. Auf dem Weg nervte ich meine Begleiter mit den besten Dänen-Wortspielen. Ich hatte am Morgen beim Blick aus Zugfenster beschlossen, heute ganz viele davon zu machen. Darunter:

„Mit Dänen kann man es ja machen.“
„Dänen trau ich alles zu.“
„Mit wem warst du in Kopenhagen?“ -„Na mit Dänen!“

Meine Anspannung des Abend setzte sich fort. Nicht nur gehörten Stadtbilder aus Kopenhagen auch zum Job für die Bahn, ich musste auch an meinen Flieger denken, den ich am Nachmittag Richtung Helsinki nehmen wollte.

Viele unsicheren Faktoren wirkten da zusammen. Ich wusste weder wo der Flughafen ist, noch wie ich hinkomme, noch ob alles reibungslos funktionieren würde. Mein Pass lag noch in Berlin. Ich musste darauf vertrauen, dass mein Personalausweis ausreicht, um in den Flieger zu gelangen. Sollte irgendeine Variable in der Rechnung nicht aufgehen, hätte ich weder Zeit, noch Möglichkeiten, noch Geld das ganze auszugleichen und mir z.Bsp. ein neues Ticket zu besorgen. Meine Rückfahrt nach Hannover wäre erst in einer Woche, ich wäre im teuren Kopenhagen gestrandet. Das waren meine übertriebenen Gedanken.

Zum Ausgleich: Meerjungfrau

Gehört beim Trip nach Kopenhagen einfach dazu.

Zwischen Meerjungfrau und Abflug lagen zwei Stunden, in denen ich irgendwie zum Flughafen gelangen musste. Dass die Fähre von der Meerjungfrau Richtung Innenstadt auch nur alle 30 min fährt, entspannte mich nicht unbedingt. Ich machte den anderen Druck.

Marsch zum Hauptbahnhof. Zug Richtung Flughafen kommt in fünf Minuten. Ticket-Automat funktioniert nicht. Ficken! Geld geliehen. Ticket gezogen. Tschüss gesagt. Bahn betreten. Flughafen in 15 Minuten. Ruhe.

(Kaum zwanzig Minuten vom Flughafen Kopenhagen Helsinki liegt Malmö, Südschweden. Ins andere Land kommt man hier mit der S-Bahn.)

Der CheckInn by FinnAir hatte bereits begonnen. Vor mir zwei Amerikanerinnen, die 18 Uhr mit 6 Uhr früh verwechselt hatten. Ihr Flieger war seit 12 Stunden weg. Hinter mir eine Gruppe lauter chinesischer Geschäftsmänner. Wird ja n heiterer Flug, dacht ich mir.

Der netten Dame am Schalter wünschte ich einen guten Abend und schmiss ihr alle Unterlagen zum Flug hin, die ich hatte. Sie lächelte nur und fragte nach meinem Pass. Ich, hust, habe nur meinen Personalausweis. Der müsste gehen, oder? Bitte sagen Sie mir, dass er geht!
Sie nahm meinen Personalausweis, ignorierte meine restlichen Unterlagen, zog ihn durch die Maschine, und gab mir mein Ticket.

Gefühlte 83 Kilogramm fielen von meinem Rücken. Warum ich zuvor so angespannt war, ich wusste es nicht. Viel mehr war ich begeistert davon, dass meine Personalausweis, der mir in meinem Bezirksamt in Berlin-Mitte von einer genervten Sachbearbeiterin ausgehändigt wurde, so entspannt Flüge in Europa ermöglicht.
Einfach durch die Maschine ziehen.

Durch den überraschend menschenleeren Flughafen ging ich Richtung Gate. Die Chinesen kauften noch Wein, der jetzt im Handgepäck klimperte.

Verschwitzt und übermüdet nahm ich im Flieger Platz.

Es war tatsächlich das erste Mal, dass ich in ein europäisches Land geflogen bin. Daher vielleicht meine Nervösität. Locker flockig nach Tokyo via Moskau jetten – kein Ding. Aber einen europäischen Nachbarn anfliegen? Das war meine Premiere. Sonst war ich nur mit Zug oder Auto in Europa unterwegs, oder mit dem Flieger in Nicht-EU-Staaten.

Die Chinesen stellten nach dem Abheben ihre Unterhaltung ein. Einer von ihnen weckte mich sogar um den Sonnenuntergang über Europa zu fotografieren, weil er mich vorher mit meiner Kamera hantieren sah.

Helsinki. Ich war nun in einem Land, dessen Sprache mir komplett fehlt. Dänisch kann man sich ja noch zusammenreimen. Und Französisch, Englisch, Japanisch hab ich drauf. Aber Finnisch?
Ich vertraute auf meine Freundin, die meinte, es können eh alle Englisch und sind freundlich.
In der klaren Kälte einer finnischen Herbstnacht stand ich an der Busstation des Flughafens. Ich musste nach Porvoo, zwei Stunden von Helsinki entfernt. In 45 Minuten sollte der Bus kommen. Ich holte meine Mütze aus dem Rucksack.

Es kamen mehr Busse als Leute auf sie warteten. Einige fragten mich auch, ob ich nicht mit ihnen fahren möchte. Ne, ne, Porvoo, sagte ich, und rollte das R stark. Sonst versteht es keiner, sagte man mir.
47 Minuten später erschien dann mein Bus. Ein junger Kerl mit langen Haaren und großer Brille saß hinter der Windschutzscheibe, die einen großen Riss in der Mitte hatte.
„Porrrrrvoo?“ sagte ich.
„Porvoo.“ sagte er und nickt. Sein langes Haar verteilte sich dabei über dem Lenkrad.

Ich war der Einzige im Bus. Mein Versuch, eine Konversation mit dem Fahrer aufzubauen, wurde auf der einsamen Landstraße ignoriert.

In meinem Leben traf ich bisher drei Finnen. Alle erzählten mir von der kühlen, reservierten Haltung ihrer Landsgenossen, die sie allerdings nicht teilten. Wie der Fahrer nun meine Sätze weggrunzte, wurde mir klar, was sie damit meinten.

Eine Stunde auf der Straße und er traute sich endlich was zu sagen. Obs mir in Finnland gefällt, fragte er auf Englisch. Ich meinte, ich bin erst ne Stunde im Land, aber bislang find ichs ziemlich kalt. Das genügte ihm wohl als Antwort, denn er fragte nicht mehr weiter.

Mitten im Nirgendwo parkten wir am Rand der Landstraße. Der Fahrer telefonierte. Es würde gleich ein Bus kommen und mich hier abholen.
„Hier?“ fragte ich.
„Hier.“ sagte der Fahrer.

Hinter dem Sprung im Fenster sah ich nicht viel, nur die Tannen, die der Bus anstrahlte.
Er würde aber solange hier mit mir warten, bis der Bus käme, sagte er mir. Ist ja schließlich kalt draußen. Ich dankte ihm und setzte meine frisch aufgesetzte Mütze wieder ab.

Ich versuchte meine Freundin anzurufen um sie darüber infomieren, dass ich bald da bin. Doch mein Telefon kam nicht durch. Der Fahrer bot mir daraufhin seins an. Zum ersten Mal in zwei Jahren hörte ich wieder ihre Stimme und es war wieder wie in Tokyo. Nur kälter. Und mit mehr Tannen.

Der zweite Bus kam und sammelte mich flugs ein. Drinnen war es voll. Arbeiter im Overall, Ehepaare mit Einkaufstüten, Rentner, junge Leute, sogar ein Priester. Mindestens fünf von ihnen waren betrunken und lachten über einen im roten T-Shirt, der laut dem ganzen Bus von der Nacht erzählte. Soviel konnte ich nur verstehen, weil ständig Namen und imitierte Trink- und Kotzgeräusche fielen, woraufhin zwei blonde Tussen stets fröhlich wieherten. Für die letzte Nacht braucht man kein Wörterbuch. Die Sprache ist universell.
Der Typ war bestimmt echt lustig – wenn ich ihn denn verstanden hätte. Doch so übermüdet und seit zwei Tagen ohne Schlaf wie ich war, ging er mir reichlich auf die Nerven. Zwei Stationen vor meiner stieg er aus.

Am Busbahnhof in Porvoo stand eine blonde Finnin allein im Licht des Ticketschalters. Ich erkannte sie sofort.
Zusammen marschierten wir zu ihrem Haus, am Rande der Stadt, und quatschten bis drei Uhr früh. Ich war zwar müde und hatte Kopfschmerzen – aber ein Wiedersehen nach zwei Jahren macht alles andere als schläfrig.

Ein Grund warum mich so auf Finnland freute, war die Fähigkeit meiner Freundin dort mir jeglichen Stress und Sorgen zu nehmen. Das konnte sie schon in Japan gut. Ich neige manchmal dazu, mir zu viele Gedanke über etwas zu machen, bevor etwas passiert. Male mir schon Plan B und C aus, bevor A überhaupt eine Chance hatte, zu scheitern.

Ich erzählte ihr also von meinen Gedanken und dem Stress auf der Reise hierher. Sie lächelte nur und sagte: „Jetzt bist du ja hier.“

Recht hatte sie.

Endlich Finnland
Teil 1 – Train Job
Teil 2 – Helsinki ist nicht hell
Teil 3 – Im Haus am See
Teil 4 – Im Innern des Waldes
Teil 5 – Schlaflos in Kopenhagen
Extra: Das Saunamobil

Effritzienz

Eine Visualisierung davon, wie es in meinem Kopf gerade ausschaut.
(Größtenteils fotografiert mit meinem neuen Handy)

Am Freitag bin ich nach 14 Tagen, zwei Kontinenten und fünf Ländern wieder angekommen. Irgendwann dürfte auch mein Kopf auch wieder ankommen, der steckt zur Zeit noch im Transit.

Kurz war die Reise. Aber intensiv. Und preiswert.

Effizient.