Ho-Ho-Hokkaido Kapitel 6: Eingefrorene Samurai

Am Abend zuvor war ich in Aizu-Wakamatsu angekommen. Aizu ist Japan-weit als historischer Ort bekannt, mit Schloss, alten Gebäuden und eigener Samurai-Legende, die sogar Adolf und Mussolini erreichte. Hohe Berge standen rund um den Ort, der selbst ordenlich hoch lag. Es war kälter als Hokkaido und genau so schneereich.

Mein Freund, der mir seine Wohnung und zweiten Futon zur Verfügung stellte, musste an diesem Montag zur Arbeit. Umso mehr Zeit hatte ich dann, den Ort alleine zu erkunden. Er gab mir noch ne Karte und hilfreiche Tipps auf den Weg, und machte sich dann auf den Weg zur Arbeit. Ich blieb noch im Bett denn es war KALT!!


Blick aus dem Fenster

Es ist ja viel bekannt, über dünne japanische Holzhäuser, die absolut keine Isolierung haben. Aber wer im tiefsten Winter nicht selbst drinnen gewohnt hat, kann sich keine Vorstellung machen. Zentralheizung gibts ja auch keine, so hatten wir nur einen Kerosin-Ofen, der im Futon-Zimmer lief und es einigermaßen erträglich machte. Doch im Nebenzimmer und in der Küche war es so kalt wie im Gefrierfach des dort stehenden Kühlschranks.

Ich duschte, machte Frühstück, spülte das Geschirr, dass da schon ne Woche stand, und reinigte den Kühlschrank von Sachen, die schon ein Eigenleben entwickelt haben. Eine Tupperdose kam mir sehr bekannt vor:
Mein Freund und ich waren im Oktober zum Essen bei einer Japanisch-Lehrerin in Tokyo eingeladen. Es war vorzüglich und am Ende blieb sogar etwas übrig, was sie für uns in eben diese Tupperdosen packte. Ich aß meine Portion dann in den folgenden Tagen. Seine Portion fand ich Ende Dezember in diesem Kühlschrank in Aizu-Wakamatsu, mit einem gräulich-weißen Belag darüber. Doch ich ließ es erstmal drin, vielleicht wars ja ein biologisches Experiment.

Ich machte mich auf den Weg.


Der Weg

Über Nacht hatte es wieder geschneit, all die alten Häuser waren weiss gepudert.

Der Schnee war wirklich tief, und da Aizu nicht so viele Bewohner hat, die zudem auch eher im Auto als zu Fuß unterwegs waren, war ich oft der Erste, der seine Spuren im tiefen Schnee hinterließ.

Dank langer Unterhose und dicken Socken war das selbst mit Turnschuhen nicht das Problem.

Nach anfänglichen Orientierungsschwierigkeiten fand ich meinen Weg zum Friedhof und zu den Tempelanlagen von Aizu, die leicht erhöht auf einem Hügel lagen. Unten werkelt man an der Rolltreppe bzw. eine Art überdachter Aufzug für die, die nicht so gut zu Fuß waren. Ich zählte mich mal dazu, doch man ließ mich nicht gewähren, schließlich muss man noch bauen. Ich fragte, wann sie denn fertig seien, und sie meinten „Februar“. Also gut, die Treppe dann. Man rief mir noch ein „Sei vorsichtig!“ hinterher.

Die Treppe war komplett eingescheit. Die Stufen waren dabei schon recht alt und für kleine japanische Füße konzipiert. Der plattgetretene Schnee bot dabei auch eine erhöhte Rutschgefahr. Ich packte die Kamera lieber in die Tasche damit ich beide Hände zum Festhalten frei habe.

Oben dann ein netter Ausblick über den Ort, links im Bild der überdachte Gang.

Zwischen nord-europäisch anmutenden, eingeschneiten Nadelbäumen lag der alte Friedhof von Aizu.

Hier liegen auch die 5 weissen Samurai, bzw. ihre Gedenksteine. Ich muss mal schauen, ob ich die Legende noch zusammenkriege, es geht ungefähr so:

Es war einmal in einem Japan im 16./17. Jhd. Die einzelnen Fürste, Stämme und Clans waren öfter mal im Krieg. So auch der Fürst von Aizu, der in seinem Schloss saß und auf seine Samurai wartete. Diese kamen über dem Hügel wo nun der Friedhof steht und schauten auf Aizu. Vielleicht hatte sie die Sonne geblendet, sie hatten zu viel Sake oder der Weg war zu beschwerlich, doch sie sahen ihr Schloss mit Fürst in Flammen stehen und sahen den Krieg verloren. In Wirklichkeit stand und steht es noch bis heute. Jedenfalls nahmen sie diese Sinnestäuschung als Anlass kollektiv Selbstmord zu begehen.

Im Lauf der Geschichte wurde diese, ich sag es einfach mal, Dummheit dann umgedichtet als Akt von ehrenhafter Loyalität, was viele Japaner ziemlich rührte. Vor und im 2. Weltkrieg, als Japan mit Italien und Deutschland ganz dicke war, erreichte diese Geschichte auch Mussolini, der von diesen ehrenhaften Soldaten so bewegt war, dass er 1928 eine Marmorstatue aus Pompeji stiftete, die bis heute dort auf dem Friedhof steht.

Es gibt auch einen Gedenkstein mit Hakenkreuzen drauf, den ich allerdings unter all dem Schnee nicht finden konnte. Laut deutscher Wikipedia steht darauf:

„Ein Deutscher den jungen Rittern von Aizu“

Ob die Legende tatsächlich Adolf erreichte ist historisch nicht belegt, sehr wahrscheinlich ist allerdings schon. Der stand ja nachweislich auf diesen Militär-Pathos.

Eine popkulturelle Verwurstung mit Manga-Charaktern gibt es natürlich auch.

Das hier war ein Souvenir-Verkaufsstand, der allerdings geschlossen hatte und nur neugierige Katzen beherbergte. Die gesamten Waren waren zwar offen, doch da ich ehrlich bin, machte ich nur Fotos und keine Straftaten.


Rechts der Fußball…

Rechts vom Friedhof war eine Schrein und Tempel-Anlage und auch eine Statue von einem der Samurai, wie er grad auf das vermeintlich brennende Schloss schaut.

Hätte er mal lieber für 200yen das Münzfernrohr benutzt…

Ich hatte in der Nacht zuvor noch auf Facebook geschrieben, dass ich in Aizu angekommen bin. Eine befreundete Architektin schrieb mir dann, dass ich mir unbedingt den Sazae-Do anschauen soll. Ein bisschen rumfragen ergab dann, dass der auch bei der Tempelanlage stand.

Inzwischen fing es auch wieder an zu schneien. Ich stapfte also durch das weisse Zeug zum Eingang vom ca. 5 stöckigen Holzturm.

Das Besondere an diesem Turm ist seine Wendeltreppenkonstruktion. Es gibt zwei Eingänge mit jeweils einem Gang. Egal für welchen man sich entscheidet, beide treffen oben wieder zusammen, sodass man keinen Weg zweimal gehen muss. Ich bin es allerdings schon, da ich Bilder machen wollte.

Und die Besonderheit an diesem Turm ist gleichzeitg auch das einzig Interessante. Wenn man die 300yen bezahlt hat und dann oben angekommen fragt man sich durchaus „Wie, das wars nun?“.

Oben, die Decke verziert mit lauter religiösen Sprüchen.

Ich hätte auch ohne die 300yen zu bezahlen einfach hineingehen können, die einzige alte Dame, die heute dort zuständig war, hatten sich zu einer weiteren alten Dame in den warmen Souvenirshop zurückgezogen und beide schwatzten über einem heissen Ofen. Doch wie gesagt, mir war nicht nach Straftaten also rief ich sie und bezahlte. Sie war sichtlich erfreut. Doch neben uns drei war keiner auf dem ganzen Gelände. Zusammen mit dem kalten Wetter, diesem alten Holzturm und dem Wind, der dagegen heulte, kreierte das eine ganz eigene Atmosphäre.

Neben diesem (ungewöhnlichen) buddhistischen Tempel gab es auch eine Shinto-Schrein Anlage, die auch komplett im Schnee lag.

Hinter dem Schrein gab es auch einen eingeschneiten Bambuswald.

Ich bin dann vom Tempel weg, hin zur anderen großen Sehenswürdigkeit: Dem Schloss. Auf dem Weg konnte ich viele Eiszapfen von den Dächern hängen sehen.

Ich wollte ganz besonders nah ran, zu einer Großaufnahme von diesem riesigen Zapfen.

Ich achtete allerdings nicht auf den Boden und sackte auf einmal mit meinem linken Bein ab, in einen Wassergraben, der vom Schnee bedeckt war. Mein linkes Bein bis zum Knie hin war nass. Dazu schneite es immernoch unaufhörlich und durch den Shinto Schrein zu stapfen war auch nicht gerade trocken.

Man sieht mir mein Gemüt vielleicht an.
Der Marsch zum Schloss war ungefähr eine Stunde lang, der Schnee wurde immer heftiger, ich zunehmend nasser und somit wurde mir auch kälter.

Im Schloss selbst gab es einige Bereiche wo man die Schuhe ausziehen musste. Meine Socken waren komplett nass und hinterließen kleinen Pfützen auf dem Holzboden. Doch viel schlimmer war es dann wieder in die nasskalten Schuhe zurück zu schlüpfen.

Aizu ist besonders bekannt für Lackmalereien….

…und eben Samurai und alte japanische Kultur.

Von oben hatte man dann einen wunderbaren Blick über die ganze Schneelandschaft.

Ich machte mich dann auf den anderthalb stündigen Weg nach Hause. Komplett durchgefroren schaltete ich den Ofen ein und packte meine Schuhe und Socken davor. Irgendwann schlief ich dann ein und wurde geweckt von meinem Freund, der von der Arbeit nachhause kam. Ich erzählte, wie ich den Tag verbrachte und er meinte nur „Wow, dann hast du ja voll wenig gesehen“.

Stimmt nicht ganz, ich hab viel gesehen. Viel Schnee. In, auf und außerhalb meiner Kleidung.

Ho-Ho-Hokkaido:
Kapitel 1: Das weite Land
Kapitel 2: Lange Unterhosen FTW
Kapitel 3: Winterwunderland
Kapitel 4: Eiszapfen und das beste Klo der Welt
Kapitel 5: Der Wind bläst südwärts
Kapitel 6: Eingefrorene Samurai
Kapitel 7:Das Ende der Reise

analog – Hiroshima / Kaminoseki / Iwaishima

Angler auf Iwaishima

Ich fotografiere ab und an auch mit einer alten analogen Kamera, allerdings niemals für Aufträge. In meiner Zeit in Japan habe ich so bereits mehrere Rollen Film vollgekriegt, die ich allerdings erst in Deutschland entwickeln werde. Die Bilder von der Reise nach Hiroshima wollte ich allerdings schon früher haben und ging zu Yodabashi. Mit der Qualität und dem Preis/Leistungs-Verhältnis bin ich allerdings absolut unzufrieden, obwohl mir gesagt wurde, dass Yodabashi schon die beste Adresse ist. Aber für umgerechnet 18€ nur kleine Abzüge und miese Scans halte ich für absolut mistig. In Berlin krieg ich für die Hälfte des Geldes eine ordentliche Entwicklung + Abzüge + Scans vom Negativ.

Ich hab mit Photoshop jetzt noch was gemacht, sofern es ging. Ich will garnicht soviel zur Reise erzählen, es sollen nur Impressionen und Notizen sein.


Alte traditionelle japanischen Glühbirnen / auf Miyajima


Eine Gasse auf Iwaishima, eine Insel mit 500 Bewohnern von denen 3/4 der Bewohner über 70 sind. Die Wege sind verwinkelt und recht alt, die Steinmauern sind charakteristisch für die Insel und die dortige Bauweise


Hafen von Iwaishima, im Hintergrund die Inseln der Seto-Inland See. Auf Iwaishima gibt es kein Geschäft, das Fisch verkauft. Es gibt so viele Fische rund um die Insel, dass jeder sich einfach welche Angeln kann. Die Insel lebt vom Fischfang


Biwa-Farmer Yamato beim Zubereiten einer lokalen Spezialität im hauseigenen Ofen – Seegras


Die Schule von Iwaishima, wegen Kindermangel geschlossen, nun verrottet sie hoch auf dem Berg mit einem Ausblick über die kinderlose Insel


Aussicht vom Schulhof I


Aussicht vom Schulhof II


Statue auf dem Schulhof


Wenn jemand auf Iwaishima stirbt und keine Angehörige mehr hat, bleiben die Häuser leer und fallen beim nächsten Taifun in sich zusammen. Es gibt sehr viele leere Häuser auf Iwaishima.


In Kaminoseki übernachteten wir zwei Nächte lang in einem Haus von einem Interviewpartner. Es war ein altes, japanische Holzhaus, die Toilette war ein Loch im Boden mit Deckel. Ein strenger Geruch breitete sich durch das ganze Haus aus, insbesondere durch die Küche, die neben dem Klo lag.


Es gab Futons und Platz für ca. 15 Personen, doch wir waren die Einzigen im gesamten Haus, da der Besitzer auf Iwaishima lebt.


Das Haus wurde eher als Büro und Zentrale für politische Kampagnen genutzt. Überall stapelten sich Pamphlete, Plakate und Protestschriften, für verschiedene Ziele


meine Begleiterin


die Burg von Hiroshima, komplett niedergebrannt nach der Bombe, mit Spenden aus ganz Japan wieder aufgebaut


Burg-Gelände


An unserem letzten Tag in Hiroshima fand das „Flower Festival“ statt, ein großes Volksfest mit ca. 3 Millionen Besuchern. Zum Anlass wurden auch große Origami-Kraniche, eine Symbol für Hiroshima und die Leiden seiner Bewohner, auf den Fluß gesetzt und nachts erleuchtet


das Mädchen mit dem Hut ist Natsumi. Sie jubelte und tanzte zu der Musik, die auf der anderen Seite des Flusses spielte. Ein sehr aufgewecktes und lebensfrohes Mädchen, wir teilten unser Okonomiyaki mit ihr. Sie freute sich sehr.

Im Hintergrund ist die Brücke zu sehen, die ursprünglich das Ziel für die Bombe sein sollte. Das Ziel wurde verfehlt und die Bombe detonierte 500m weiter weg, direkt über einem Krankenhaus. Alle Patienten, Ärzte, sowie alles Weitere in einem 1km Radius verschwanden in einem Bruchteil einer Sekunde. Nicht einmal mehr Staub blieb von den Menschen übrig.

365 Tage in 35mm

Die ersten Tage: (schwarz/weiß) Die große Stadt ohne Farbe
Die erste Woche: (farbe) Die ganze Welt in Farbe
Die zweite Woche: (farbe) Insel-Edition
Nach der zweiten Woche: (schwarz/weiß) dunkle Wolken über Japan
August: (farbe) Koenji Obon Odori
Dezember bis Mai: (schwarz/weiß) kalt bis warm
Mai: (schwarz/weiß) Hiroshima / Kaminoseki / Iwaishima

weg(gepustet)

Berlin nach der Bombe – (C) Fritz Schumann, 2008

Nur ma ne kurze Meldung, dass ich heute Abend in den Bus steige, 12 Stunden später in Hiroshima aussteige und bis Dienstag dort bleiben werde, um für einen Artikel zu recherchieren. Bis dahin weht der Wind durchs Blog.

Ho-Ho-Hokkaido Kapitel 5: Der Wind bläst südwärts

Runter von der Insel! Mit der Fähre ging es von Hokkaido nach Honshu, um auf dem Rückweg noch einen kleinen Besuch in Aizu-Wakamatsu bei einem Freund zu machen. Auf dem Wasser gings zwar schneller vorwärts als im Zug, doch 8 Stunden Wartezeit waren dann doch nicht leicht…

Nach einer weiteren Nacht auf einem Quadratmeter Boden brauchte ich eine Dusche. Die kostete zwar 270yen, war aber inkl Handtuch, Duschzeug, Zahnbürste, Fön und Rasierer.

Ich wollte nun mit der Fähre wieder nach Honshu zurück, da mein Ticket nur noch für zwei Tage gültig war, und ich mindestens drei Tage zurück nach Tokyo brauchte. Den Besuch in Aizu-Wakamatsu hätte ich dann ebenfalls nicht machen können. Wenn ich den Zug genommen hätte, hätte das auch bedeutet, mindestens zwei Nächte lang in einem Gasthaus oder Hostel unterkommen zu müssen, was auch wieder Geld verschlungen hätte. Der gesamte Trip war ohnehin schon teurer als geplant und mir ging langsam aber sicher das Geld aus.

Ich hatte am Tag zuvor in den Lonely Planet geschaut, auf eine Karte von Hokkaido, wo eine Fährverbindung nach Sendai eingetragen war. Ich fragte im Touri-Büro nach eben dieser Verbindung und sie kramten lange nach einem alten Buch, in dem die Preise standen. Für nur 8000yen fuhr eine Fähre über Nacht die 800km nach Sendai – das sind 10yen pro Kilometer und ich müsste nicht mal ein Gasthaus bezahlen. Die Fähre sollte in Tomakomei, südlich von Sapporo, ablegen. Also nichts wie hin.

In der Nacht zuvor hatte es wieder geschneit und am frühen Morgen sah die weisse Schneedecke noch recht unberührt aus.

Eisekalt wars natürlich trotzdem.

Und wenns in Hokkaido schneit, dann schneit es richtig.

In meinem Eifer den ersten Zug nach Tomakomei zu nehmen war ich super-früh am Bahnhof.


Die Uhrzeit zeigt 7 Uhr, rechts hinten ist der JR Tower

So früh hatte der Bahnhof sogar noch zu und ich hatte etwas Zeit totzuschlagen. Man achte auf den schneebedeckten Glaskasten im obigen Bild. Drinnen siehts so aus:

Und das war nur der Eingang zur Ubahn-Linie.

Draussen versammelten sich indes eine Menge von Tauben, die ein vorsichtiges Interesse an mir entwickelten und auf mich zukamen.

Über meine Faszination mit Tauben hatte ich ja schon in Kapitel 4 geschrieben. Auf einmal, als hätte es ein stummes Signal gegeben, flogen alle Tauben zu einer anderen Stelle vom Platz vorm Bahnhof. Der Grund war simpel:

Eine ältere Dame fütterte die Tauben. Das scheint sie wohl regelmäßig zu tun, die Tauben schienen sie gewissermaßen zu erwarten.
Da die Vögel nun alle intensiv mit Fressen beschäftigt waren, konnte ich mich heranschleichen und auf Tauben-Augenhöhe Bilder machen.

Meine Kamera kam leider mit den schnellen Bewegungen unter diesen morgendlichen schlechten Lichtverhältnissen nicht gut klar.

Ich hatte auch zunehmend das Problem, dass mir der Speicherplatz ausging. Ich hatte ja keine Möglichkeit meine Fotos auf meiner Reise irgendwo zwischenzuspeichern, so blieben mir nur die Karten, die ich mit mir hatte. Und die wurden langsam voll.

Das frühe Aufstehen hat mir nicht viel gebracht, der erste Zug nach Tomakomai ging erst um neun Uhr, für 1.500yen. Mein 5 Tage Ticket musste ich so nicht benutzen und konnte auch einen schnelleren Expresszug nehmen.

In Richtung Sonnenaufgang fuhr der Zug dann aus Sapporo raus.

Für Einige war es bestimmt noch zu früh…

In Tomakomai angekommen suchte ich das Touri-Büro auf, was versteckt in einer dunklen Ecke vom Bahnhof war. Drinnen war ein älterer Herr, der sich tierisch freute endlich mal einen Touristen begrüßen zu können, sogar aus dem Ausland! Im Hintergrund lief grad eine Symphonie von Beethoven. Allerdings verkniff ich mir diesmal den „Ich bin aus Deutschland“ Kommentar und fragte direkt nach der Fähre. Ich bekam eine Karte und einen Busfahrplan. Der Bus würde erst in einer Stunde kommen, also konnte ich genauso gut laufen, dachte ich. Auf der Karte sah die Distanz auch nicht so weit aus, am Ende brauchte ich dann aber zwei Stunden zum Hafen. Die ganze Zeit dabei den schweren Rucksack auf dem Rücken.

Achso, falls sich jemand fragt, ob Tomakomei etwas für Touristen ist: Nein, ist es nicht.

Es ist schon eine ziemlich trostlose und weite Ecke Hokkaidos. Der Hafen, der vor rund 60 Jahren eröffnet wurde, ist das Wichtigste an Tomakomei. Und damit meine ich nicht den Hafen für die Fähre sondern den für die Industrie, der gesamt Hokkaido versorgt.
Macht auch Sinn, mit Flugzeug und Zug kommt man schwer durch Hokkaido, um viele Güter zu transportieren ist der Hafen wichtig.

Er sah trotzdem ziemlich trostlos und verlassen aus. Zwischenzeitlich fühlte ich micht so falsch hier, hier konnte doch unmöglich irgendwo ein Fähr-Hafen für Touris sein.

Allerdings nehmen Touris auch den Bus und laufen nicht durchs Industriegelände.
Ein Mann stoppte mich dann freundlich auf einem Kohlelager und meinte in Englisch „Fähre?“. Ich „Ja, ja!“. In Japanisch erklärte er dann, wo ich lang musste. Ich verstand allerdings seine Handzeichen mehr als sein Japanisch: Da drüben und dann rechts.

Das Fährgebäude war recht gross, innen war jedoch kaum Betrieb. Es sah genauso verlassen aus, wie das gesamte Hafengelände, und es gab mehr Reinigungspersonal als Fahrgäste.

Ich wollte direkt ein Ticket kaufen, da ich mir nicht sicher war, ob es nun wirklich 8000yen kostet. Schließlich war das Buch im Touribüro in Sapporo ziemlich alt. Ich bekam auch erhebliche Zweifel als ich das Schiff sah.

Das konnte doch unmöglich nur 8000yen kosten. Ich hatte auch nur etwas weniger als 10.000yen dabei. Sollte es drüber sein, müsste ich mir irgendwo flugs noch Geld besorgen.

Problem war nur, dass der Ticket-Schalter erst um 15 Uhr aufmacht. Angekommen bin ich 12 Uhr. Ich musste drei Stunden warten bevor ich überhaupt Klarheit hatte. Also Warten….

Durch die großen Aussichtfenster drang viel Licht und es war recht warm, ja fast schon heiss wenn man direkt in der Sonne saß.
Auf meine Reise hatte ich nur drei Bücher mitgenommen: Das Buch von meinem Klienten, dass er mir nach dem letzten Shooting schenkte, den Lonely Planet und mein Tagebuch.
Ich hatte die Tage zuvor im Zug mehr aus dem Fenster geschaut als gelesen, doch hier gabs nicht viel zu sehen. Den Lonely Planet hatte ich schon zweimal durch und zum Schreiben hatte ich keine Lust. Blieb also nur das Buch meines Klienten, welches ich gegen 15 Uhr dann auch durch hatte.
Aber das muss man sich mal vorstellen, auf der gesamten Reise habe ich ca. 50 Stunden sitzend oder wartend verbracht und nur ein wirkliches Buch-Buch mitgenommen….

Um 15 Uhr machte dann der Ticket-Schalter auf und die billigste Variante war tatsächlich 8.000yen, genannt „Carpet“, zu deutsch „Teppichboden“. Na das wird ja komfortabel… Die Fähre sollte um 19 Uhr auslaufen.

Im Souvenirshop, von denen es im Gebäude reichlich gab, genehmigte ich mir ein, nunja, sattmachendes Bento. Danach war Däumchendrehen angesagt.
Aber so ein Ruhetag, nach den vielen Tagen mit sovielen Eindrücken war echt sinnvoll, denke ich. Ich konnte all die Erfahrungen sacken lassen, Platz auf der Kamera schaffen und ein wenig nachdenken.
Es gab zwar Fernseher, doch bis 17 Uhr lief da nur strunzlangweiliges Golf. Mehr und mehr Passagiere kamen nun in den Warteraum. Einige auch nur, um andere abzuholen. So wie auch drei ältere Damen.

Zu dem Zeitpunkt war der gesamte Wartebereich leer, nur ich war da und die Reinigungsfrau. Die drei alten Damen kamen rein, schwatzten laut und setzten sich direkt in die Reihe hinter mich. Alles war frei! Doch sie zogen es vor, direkt hinter mir ihre lauten Gespräche zu führen.

Ich konnte natürlich nun nicht einfach aufstehen und gehen, das wäre ja unhöflich. Ich versuchte es zunächst mit biologischer Kriegsführung und zog die Schuhe aus. Dazu sollte ich erwähnen dass ich seit 4 Tagen dieselben Socken anhatte, und damit durch Sapporo und halb Hokkaido marschiert bin. Ich bin da recht resistent, aber sogar ich fühlte mich vom Geruch gestört.
Doch es half nichts, sie schwatzten weiter. Nichtmal „Der Ausländer stinkt“ fiel. Hardcore-Omas. Glücklicherweise schien dann die Sonne direkt auf mich und meine Socken, also konnte ich so tun als fühlte ich mich geblendet und verdrückte mich. Die alten Damen gingen dann auch als mit der 17 Uhr Fähre die vierte alte Dame kam und ihr Kaffekränzchen komplett war.

Im Fährgebäude gab es übrigens auch ein recht langweiliges jedoch kostenloses Museum über den Hafen und das Fährgebäude. Leider alles nur in Japanisch.
Gegen halb sechs hatte dann endlich einer Erbarmen und wechselte den Kanal. Von da an lief eine japanische Gameshow. Das Konzept war, die Person, mit dem größten peinlichen Erlebnis, körperlicher Fehlfunktion oder sonstigen traurigen, jedoch vermeintlich unterhaltsamen Schicksal vor die Kamera zu zerren, die versammelten Comedians machten dann ein paar Witzchen und vergaben Punkte. Die Person mit den meisten Punkten gewann dann eine Reise.

Unter den Kandidaten waren dicke Schulmädchen, schwitzende Aktmodelle, Aktmodelle mit Hämoriden (die im Close-Up gezeigt wurden), Models mit Falten und auch eine Dame mit Bart und Warzen im Gesicht, die das Mitleid von allen bekam und dann die Reise gewann.

Gegen 18 Uhr kam dann die Armee. Eine kleine Kompanie der Japanese Self Defence Force, komplett in Tarnkleidung, nutzte auch die Fähre. Der Offizier hatte die Mannen im mittleren Alter ordentlich im Griff.

Gegen 19 Uhr lief dann die Fähre ein und wir konnten endlich aufs Boot. Der Kapitän und die Belegschaft in schicker Uniform begrüßte jeden Passagier persönlich. Ich war der einzige westliche Ausländer an Bord.

Ich suchte meine Unterkunft auf. Es gab eine simple Klassentrennung: Billig unten, teuer oben. Natürlich gab es neben den 8.000yen Varianten auch luxuriösere Suiten, für bis zu 40.000yen für die Nacht und Überfahrt. Mein Zimmer war übrigens das hier:

Dünne Matten auf Teppichboden. Meine Matte erkennt man daran, dass es die unordentlichste ist. Da ich sehr früh mein Ticket besorgte, war mein Bett auch die Nr.1, ganz links. Mein Nachbar tauchte allerdings nicht auf, sodass ich seine dünne Matte auch nutzen konnte.

Gesamt ist hier Platz für16 Personen, Männlein und Weiblein nicht getrennt. Eine junge Koreanerin hatte damit sichtliche Probleme. Das Durchschnittsalter der Leute in meinem Zimmer war allerdings recht hoch, und sie sahen allesamt kaputt und fertig aus. Wohl Hafenmitarbeiter, die wieder zurück nachhause zur Familie fahren.

Das Schiff war recht edel jedoch verwirrend eingerichtet. Es gab Pseudo-Art-Déco Elemente wie den Treppengang in der Mitte.

Und dann wiederum ein Art Pseudo-Hawaii Thema, dass sich durchs gesamte Schiff zog.

Hokkaido ist aber von Hawaii und seinen Temperaturen weit entfernt…

Alles ein gesamt sauberer, neuer und angenehmer Eindruck.


Überall Nautili als Lampen

Ach und Vending Machines gabs natürlich auch.

Dazu auch noch ein Sento an Bord und natürlich auch eine Karaoke Bar. Ebenso ein Kino, in dem an diesem Tag „Gran Torino“ von Clint Eastwood lief, dass ich mir nur allzu gerne auf Japanisch angesehen hätte, jedoch war ich viel zu müde und ging früh schlafen.

Gegen 20 Uhr legte dann das Boot endlich ab. Vorher lief ich noch auf dem frei zugänglichen, jedoch windig kalten Aussendeck herum.

Ein Blick noch auf den Industriehafen.

Überall gab es Fernseher bzw. Monitore. Auf dem lief zwar nur das Schiffsprogramm, bis ich mal einer der Fernsehbedienungen in die Hand nahm und das Programm wechselte. Bis zum Schlafengehen gabs dann nicht nennenswertes japanisches Fernsehen.

Mich plagte der Hunger, aber ich hatte kein Geld um im Bordrestaurant zu essen, es reichte gerade mal für eine Packung Chips. Ich musst lachen, als ich die Leute aus den teuren Kabinen kommen sah und ich selbst nur wenige hundert Yen in der Tasche hatte.

Die Nacht auf See war erstaunlich angenehm und am nächsten Morgen gab es einen wunderschönen Sonnenaufgang.

Das Boot fuhr immer noch voran, die Küste von Honshu bereits deutlich zu erkennen.

Drinnen gab es Frühstück – allerdings nicht für mich. Die 1500yen hatte ich einfach nicht dabei. Ich packte mein Kram zusammen und wartete vorm Fernseher auf unsere Landung. Hierbei kam nun allerdings etwas wirklich Interessantes: Neben einer ziemlich coolen Sendung, die von Studenten gemacht wurde, kam eine Art World-News-Special, in der Nachrichtensendung aus den USA, England, Frankreich und auch die Tagesschau aus Deutschland hintereinander weg, mit japanischen Untertiteln, gezeigt wurden.
Die große Neuigkeit des Tages war damals der Tunnel unter dem Ärmelkanal, in der am Tag zuvor ein Zug stecken blieb und 2000 Leute für mehrere Stunde gewissermaßen gefangen waren. Es war sehr interessant, wie die unterschiedlichen Nachrichtensendungen das aufbereitet haben:

Amerika – Der Eurotunnel war nur eine kurze Meldung die am unteren Bildrand eingeblendet wurde, stattdessen gab es einen 7min Bericht über einen „Hero Dog“, der irgendwas gemacht hatte.

England – Der Eurotunnel war natürlich ein großes Thema, doch es wurde sehr sensationell und emotional berichtet, mit ungeschnitten und ungefilterten Material eines Mannes im steckengeblieben Zug, der laut und aggressiv Antworten vom Zugpersonal haben wollte, die ja genauso hilflos waren wie er, und den Zug auch nicht fortbewegen konnten.

Frankreich – Der Eurotunnel dominierte die Sendung, komplett mit Historie und wie viele französische Leistung doch in den Tunnel geflossen ist und wie es den Franzosen (und nur denen) im Zug unten nun geht

Deutschland – Es wurde sachlich über den Eurotunnel berichtet, jedoch schnell die Frage gestellt „Kann sowas auch in Deutschland passieren“ zu dem dann deutsche Politiker befragt wurden, die keinen Bezug zum Thema hatten. Der nicht vorhandene deutsche Aspekt und die deutschen Politiker, die sich zu dieser Schlagzeile vor die Kamera bewegten, bekam prozentual genauso viel Zeit wie die eigentliche Neuigkeit.

Wenn man das so im Vergleich sieht, fällt einem erst auf, wie dämlich das doch ist. „Herr Politiker, sie haben zwar nichts mit Verkehr zu tun, noch mit dem Eurotunnel, oder sonstwie, doch bitte geben sie uns einen Kommentar für unseren Bericht.“

Raus aus dem Boot in ein anderes Fährgebäude. Das Geld für den Bus hatte ich diesmal wirklich nicht, also lief ich zur nächsten Bahnstation. Ich hatte mir diesmal die Kanji für die Bahnstation aufgeschrieben und auf meinem anderthalb-stündigen Gang zum Bahnhof begegneten mir gerade einmal 5 Personen, denen ich die Kanji zeigte und die mich dann auf den richtigen Weg schickten.
Im ersten Konbini seit Hokkaido frühstückte ich dann mit dem restlichen Geld, dass ich noch hatte.

Vorbei am Twitty Twister…


Tarantino Fans wissen Bescheid…

…Radfahrwegen die offensichtlich ein Betrunkener gemalt hatte….

…zum Bahnhof und in den Zug nach Sendai. Sendai war der erste Ort auf dem Weg nach Hokkaido und ich war froh, wieder hier zu sein. Ich rief meinen Freund in Aizu-Wakamatsu an und meinte, dass ich in ein paar Stunden da bin. Am Bahnhof ging ich dann noch in eine Bäckerei und kaufte mir für die letzten paar Yen einen Toast mit Spiegel-Ei drauf. Das erwähne ich, weil es ein wichtiger Punkt für den Plot ist.


Endlich mal wieder Zug fahren….

Einen Zwischenstopp gabs dann in… ich glaube es war Koriyama…

Jedenfalls recht langweilig da… Ich hatte auf dem Schiff meine langen Unterhosen ausgezogen, da ich ja nun in Honshu war, was ja nicht so kalt sein dürfte. Doch als ich in Fukushima ankam, fröstelte es mich dann doch sehr.

Und nach insgesamt 6 Stunden kam ich dann in Aizu-Wakamatsu an. Am Bahnhof begrüßte mich dann mein Freund, ein Deutscher, den ich das letzte mal im Oktober in Tokyo gesehen habe (er war auch bei der Wanderung auf den Ooyama dabei). Aizu-Wakamatsu liegt in den Bergen und war noch schneereicher als Sapporo. Über Eis und Schnee gingen wir zu seiner Wohnung, die fast so kalt wie ganz Aizu war.
Wir wollten dann durch die Stadt und was Essen, doch hier machte sich nun das Spiegel-Ei auf Toast bemerkbar, dass spontan wieder rauswollte.

Eine Stunde auf dem Klo später war um ich einige Gramm leichter und um die Erkenntnis klüger, kein Spiegel-Ei auf Toast in einer Bahnhofsbäckerei zu kaufen, dass da wer weiss wie lang schon liegt…

Wir gingen dann zum Ramen Restaurant gegenüber und es gab Oliven in einer Schale…


🙂

Aizu lächelte mich an, der nächste Tag konnte also nur gut werden.

Strecke diesmal: ca. 1000km, zwei Tage

Ho-Ho-Hokkaido:
Kapitel 1: Das weite Land
Kapitel 2: Lange Unterhosen FTW
Kapitel 3: Winterwunderland
Kapitel 4: Eiszapfen und das beste Klo der Welt
Kapitel 5: Der Wind bläst südwärts
Kapitel 6: Eingefrorene Samurai
Kapitel 7:Das Ende der Reise