Nagasaki – Stadt im Regen

Der zweite Tag in Nagasaki beginnt im Nebel und im Regen. Wie das ganze Land im Juni/Juli ist auch Nagasaki eingepackt in Nässe und Feuchtigkeit – und ich war es ebenso. Eine Freundin wollte am Nachmittag diesen Tages in Nagasaki eintreffen, so hatte ich den halben Tag um die Stadt zu entdecken. Es begann mit einem Friedhof im Nebel…

Nagasaki hat für eine Stadt eine etwas ungewöhnliche Form. Langgestreckt an einer Bucht, in einem Tal zwischen mehreren Hügeln und Bergen gelegen. Diese langgestreckte Form hat bei der Explosion der Atombombe zwar nicht wirklich Schlimmeres verhindert, aber es hat etwas anders und hemmender gewirkt, als in Hiroshima.

Stadtzentrum, auch wenn es keins gibt, liegt eher auf dem östlichen Teil der Bucht. Mein Ziel an diesem Morgen war die Westseite der Bucht, die von Touristen vorallem bei diesem Wetter ignoriert wurde. Auf der Westseite gibt es laut Reiseführer nur eine Seilbahn den Berg hinauf, und einen alten Friedhof für Ausländer, der bezeichnenderweise weit weg von der Stadt früher war.
Ich holte mir mein Frühstück in einem Konbini (Ananas-Saft, irgendwas weiches, teigartiges Süßes und ein weicher Teig mit einer cremigen Käse-Schinken Füllung drin), und schaute beim Essen auf das Meer – oder zumindest das, was man davon erkennen konnte.

Ein einsamer Fischer hielt seinen Angel in die Suppe, wohl in der Hoffnung die Fische würden ihn im Nebel nicht entdecken. In den 20 min, die ich dort weilte, vermochte er allerdings nichts zu fangen.

Ich parkte meinen großen Rucksack am Bahnhof und ging weiter an der Bucht entlang.


Die andere Seite, keine 500m entfernt aber trotzdem im Nebel verschluckt. Links im Nebel und nicht im Bild sind die Mitsubishi-Schwerindustriewerke, die da schon 1945 standen und, wenn ich mich nicht komplett irre, das ursprüngliche Ziel für die Atombombe vom 9. August sein sollten

Ich suchte eine Brücke und mir blieb nichts anderes übrig, als weiter ins Graue zu gehen, da ich einfach keine Brücke sehen konnte. Ich sah nur ein paar hundert Meter weit, danach war nur noch nichts. Auf dem Stadtplan meinte ich eine Brücke gesehen zu haben, also schritt ich voran.

Nach einer halben Stunde fand ich eine und ging rüber. Das hier wirklich touristenbefreite Zone war, merkte ich an den Mangel an den sonst reichlich vorhandenen zweisprachigen Straßenschildern und den verwunderten Blicken, die mir begegneten. Ich wusste nur die grobe Richtung vom Friedhof, also ging ich einfach drauf los, in der Hoffnung den irgendwann dann schon zu sehen. Bei diesem Gedankengang muss mir wohl entfallen sein, dass der Nebel alles geschluckt hatte.

An einer kleinen Kreuzung stand ich nun und versuchte die Himmelsrichtung zu raten. Eine ältere Dame, die mich ganz besorgt von ihrem Blumenladen anschaute, der in dem Grau des Nebels die einzigen Farbelemente lieferte, kam dann auf mich zu, und fragte mich, wohin ich möchte. Ich griff nach meinem Wörterbuch um „Friedhof“ nachzuschlagen, nur um zu merken, dass dieses noch in Tokyo lag und ich vergessen hatte es einzupacken. Mir sind dann nur die Worte für „Tod“ eingefallen, was die Dame etwas beängstigte.

Sie dachte dann, das ich als Ausländer wohl bestimmt zur Seilbahn möchte, doch ich verneinte. Hilflos wie ich, wendete sie sich dann an ihre Tochter, oder Schwiegertochter, so ganz genau konnte ich das nicht erkennen, die mich dann auf Englisch fragte, wohin ich möchte. Sie verstand recht schnell, übersetzte für die alte Dame die mir dann fünfmal und in ganz langsamen Japanisch erklärte, dass ich einfach nur 50m geradeaus gehen musste. Komplett mit Handzeichen und persönlicher Begleitung auf den ersten fünf Metern, damit ich es auch ja nicht verfehle. Sie, die junge Dame und ihr Sohn oder Schwiegersohn, der dann auch aus dem Laden kam, lächelten mich dann noch an und wünschten mir alles Gute. Ich bedankte mich sehr und sah noch, wie sie mir hinterher schauten, als ich im Nebel Richtung Friedhof verschwand.

Am Eingang war ein kleiner Teich, über den eine Brücke zum Friedhof führte. Im Teich blühte der Lotus, in dessen Blätter sich der Regen zu großen Tropfen sammelte.

Zwischen den Pflanzen schwammen ein paar Schildkröten durch den dreckigen Teich.

Wohl in der Erwartung ich hätte Futter dabei, schwammen sie auf mich zu und reckte ihre Hälse aus dem Panzer in meine Richtung.

Auf dem Weg zum Friedhof lief ich an zwei schwatzenden Älteren vorbei, von denen der eine in meine Richtung kam, als ich die Schildkröten betrachtete. Er stand da kurz mit mir im Regen und schaute zu den Tieren und dann zu mir. Ein vertrauensvolles Lächeln bildete sich in seinem Gesicht, und ich glaubte, er wollte mit mir Reden, doch ihn hatte dann wohl doch der Mut verlassen. Er murmelte ein (frei übersetzt) „So ist das, nicht wahr…“, lächelte mich noch einmal an, und ging an mir vorbei.

Hinter dem schmiedeeisernem Tor erwartete mich ein alter und völlig überwucherter Friedhof.
Nagasaki hat eine lange Geschichte vom Handel mit dem Westen, vorallem mit Portugal, England und Holland, und anderen ausländischen Besuchern. Bis dann in der Edo-Zeit die Tore dicht gemacht wurde und nur noch eine kleine Minderheit von Holländer auf einer kleinen eigenen Insel vor den Toren Nagasakis ihr Dasein fristeten und nur einmal im Jahr raus durften.

Über mehrere Jahrhunderte kamen ausländische Besucher nach Nagasaki. Sie blieben und starben unweigerlich hier. Die Japaner oder die eigenen Landsleute erwiesen den größtenteils christlichen Besuchern die letzte Ehre und bestatteten sie mit einem standesgemäßen Begräbnis.

Die Grabsteine sind vom Zahn der Zeit inzwischen komplett abgekaut worden, und nicht einmal der Stein erinnert sich an die Toten, die einst in dieser Stadt gelebt haben.

Das ich mir nun grad einen Friedhof ausgesucht habe, für meinen ersten Ausflug in Nagasaki, ist vielleicht ungewöhnlich, aber durchaus passend. Friedhöfe wirken immer eine gewisse Faszination auf mich aus, sie erzählen die Geschichte der Stadt, ihrer Toten und ihrer lebenden Bewohner, die herkommen und die Toten ehren.
Ich hab mal überlegt, der wievielte Friedhof das jetzt ist, den ich mit einer intensiven Fototour verbunden habe: Seit 2009 war das nun insgesamt siebte, von denen ich allerdings bisher nur einen verbloggt habe. Und sicherlich war der in Nagasaki der Erste im Nebel.

Der Friedhof war, wie so oft in Japan, an einem Hügel gelegen. Am Fuße lag der Teich und die alten Gräber für Ausländer. In zunächst regelmäßigen, dann sehr ungleichmäßigen Terrassen ging es weiter den Hügel hinauf, verbunden zunächst durch eine Steintreppe mit geschmackvollen Laternen.

Relativ geordnet und teilweise durch Tore und Schlösser versperrt, hatte jedes Land und teilweise jede verschiedene Epoche ihr eigenes Areal, von denen nur noch die russische Abteilung eine Plakette hatte.

Der russische Einfluss in Nagasaki ist ein (mir) sehr unbekanntes Kapitel japanischer Geschichte, ich vermute allerdings dass der erst nach der Edo-Zeit eingetreten ist. Bleibt mir nur noch zu sagen, dass die Russen von allen Gräbern, das Neueste und dickste Schloss an ihrem Tor hatten. Nicht das noch einer nen tonnenschweren Grabstein mitnimmt…

Etwas nach den Russen begannen schon die japanischen Gräber, teilweise reichlich verziert und üppig, vermutlich von wohlhabenden Bewohnern Nagasakis, eventuell sogar solche, die durch den Handel mit dem Westen wohlhabend wurden, auch wenn diese Verbindung im Tod wohl etwas weit hergeholt ist.

Friedhof Panorama

Oben war dann erstmal Schluss, denn eine Straße lief durch die Gräber.

Links ging es dann allerdings schon weiter mit dem Friedhof. Ich machte mich auf dem Weg, den Hügel hinauf und an ihm entlang. Wohin der Blick reichte, und das war an diesem Morgen nicht sonderlich weit, gab es nur Gräber. Diesmal alle japanischen Ursprungs, bis auf ein paar chinesische und koreanische Ausnahmen. Das größte und absolut protzigste Grab hatte ein chinesischer Konsul, dass ich so widerlich dekadent fand, dass ich garnicht erst ein Foto davon machte.

Stattdessen lieber von diesen skurilen Gestalten:

Für die Dinger hätte ich gerne eine Erklärung.
So wie ich mir das zusammen reime, waren das religiöse Figuren, deren Köpfe abgetrennt, und durch einen Klumpen Ton ersetzt wurden, in die dann minimale Gesichtszüge geritzt wurden. Diese kleinen Figuren mit ihren abnormen Köpfen fanden sich überall in diesem Bereich des Friedhofs.

Denkt man an Nagasakis Geschichte, kommt mir die christliche Vergangenheit in den Sinn. Für mehr als 200 Jahre war das Christentum in Japan auf Strafe verboten, nur in Nagasaki, welches seit jeher einem Einfluss aus dem Ausland ausgesetzt war, konnte sich eine kleine Minderheit erhalten.
In der Zeit des Verbots wurden christliche Symbole zerbrochen oder komplett zerstört. Darstellungen von Jesus wurden verboten, sodass japanische Christen sich halfen in dem sie buddhistische oder shintoistische Figuren oder Symbole als Statthalter nahmen und für ihre sakralen Zwecke umdeuteten.
Diese kleinen Figuren auf dem Friedhof könnten christliche Heilige sein, deren Köpfe abgetrennt wurden und nun, unkenntlich, wieder ein Gesicht verpasst wurde. Doch diese Figuren könnten unmöglich so alt sein! In der Meiji-zeit, Ende des 19. Jhd. wurde das Christentum wieder „legalisiert“, Jesus und seine Kollegen waren wieder voll okay. Diese Figuren müssten somit älter als 150 Jahre sein.


Friedlich mit dem Buddha zusammen

Vielleicht ist das aber auch nur eine gewisse Tradition, um an diese Zeit zu erinnern, mit neuen Figuren. Doch erstaunlich welche Kapitel der Geschichte sich zwischen den Gräbern verstecken. Um die Geschichte einer Gesellschaft zu begreifen, hilft es auch sich das Vermächtnis ihrer Toten anzuschauen.

Das einzig Lebendige zwischen all dem Stein waren nur die Pflanze, denen der Regen absolut nichts ausmachte.

Neben Pflanzen waren auch zahlreiche Katzen auf dem Friedhof, die mich neugierig und skeptisch zwischen den Gräbern beobachteten.


Seht ihr sie? Sie sah mich definitiv. Spionage-Katzen…

Eine Katze konnte ich locken. Das eingangs erwähnte weiche Käse-Schinken Gemisch, dass ich angewiedert in die Tiefen meiner Umhängetasche verbannte, war der Katze ganz recht.

Für die „Bezahlung“ posierte sie auch gerne für meine Kamera.

Als sie merkte, dass ich meine Kamera wegsteckte und nicht noch mehr weiches Teig-Imitat japanischer Art rausholte, war das Shooting für sie vorbei und sie verschwand wieder, irgendwo zwischen Nebel und Grabstein.

Ich streifte weiter durch das Gelände. Zwischen toten Blumen für tote Menschen…

…vorbei an Efeu, der sich an den Stein wie an das Leben klammert…

…entdeckte ich noch einen weiteren Bewohner dieses Friedhofs, der zwischen zwei Gräbern auf Beute hoffte, die sich in diesem Regen nicht ganz einstellen wollte.

Leider wollte sie partout nicht still halten, ihr Netz tanzte mit dem Wind und die Tropfen leuchteten im Morgennebel.

Bei den Lichtverhältnissen war es leider echt schwer, sie scharf zu kriegen. Obwohl ich eine halbe Stunde(!) probierte, und eigentlich schon nach 15min die Lust verloren hatte, wollte ich sie noch mitnehmen.

Für das Shooting wollte ich ihr, wie der Katze, auch etwas geben. Doch mein Käse-Schinken Brei aus meiner Tasche wär nix für sie gewesen (obwohl anscheinend schon vorverdaut), und ein Käfer, den ich fangen wollte, war leider zu schnell für mich. Na vielleicht frisst sie ja die Katze. Oder andersrum.

An diesem Punkt der Geschichte, eigentlich schon drei Stunden vorher, war ich komplett durchnässt. Zum Fotografieren brauchte ich beide Hände und legte den Schirm oft beiseite. Die hohe Luftfeuchtigkeit und die Bergbesteigung bei 28+°C tat ihr übriges. Zudem war ich müde, weil ich in der Nacht keinen guten Schlaf bekommen hatte. Ich wollte nur noch meine Freundin abholen, in ein Gasthaus gehen und pennen.

Der Nebel hatte inzwischen etwas nachgelassen und ich steuerte auf die nächste große Brücke zu, die über die Bucht führte. Ich konnte keinen Zugang zur Brücke ausser der Autostraße erkennen. Also lief ich einfach unter der Brücke entlang, die ca. 50m über mir verlief. Unten am Wasser, und immernoch ohne Fußgängerzugang, standen ein paar Angler, die etwas frustriert ihre Angeln im dunklen Wasser unter der Brücke hielten. Ich ging auf sie zu und fragte, wo denn die Brücke sei. Etwas irritiert zeigten sie nur nach oben.
Jaja, sag ich, ich mein die Fußgängerbrücke. Einer aus der Gruppe entgegnete dann auf meine japanische Frage in Englisch. „Bridge?“ sagt er, ich antwortete wieder auf japanisch „Ja die Brücke“.

Auf Englisch erklärte er mir dann, zwar etwas grummelig aber höflich, dass da drüben der Zugang zur großen Brücke über uns war. Ich bedankte mich auf japanisch und er wünschte mir mit ebenfalls grummeligen Ton noch einen schönen Tag auf Englisch. Als ich dann etwas von der Gruppe weg war, drehte ich mich nochmal um und merkte, dass der, der Englisch mit mir sprach, mir hinterherschaute um sicherzugehen, dass ich auch die richtige Richtung (gerade aus) nicht verfehle, und rief mir noch mal auf Englisch hinterher, dass es gleich da vorne ist. Sehr freundlicher Herr, auch wenn er auf den ersten Blick recht stoffelig wirkte. Vielleicht macht das der Mangel an Sonnenlicht im Nebel und unter der Brücke mit einem…

Eine unscheinbare gelbe Wendeltreppe führte dann zur großen Brücke hinauf und über die Bucht, wieder direkt zum Bahnhof. Ich war der einzige Fußgänger auf der Brücke.
Wieder am Bahnhof angekommen, und noch etwas Zeit zur Verfügung ging ich wieder zu dem kostenlosen Internet in der Bibliothek. Schließlich hatte ich ja jetzt einen Ausweis.
Ich schickte meiner Freundin noch schnell eine Nachricht und suchte ein paar Gasthäuser raus. Die Entscheidung wollte ich ihr überlassen und sie plädierte für traditionell japanisch. Ich checkte noch schnell die Nachrichten aus Deutschland, denn schließlich sollte heut abend noch das WM Spiel Deutschland gegen Argentinien stattfinden.

Ich machte mich auf dem Weg zum Gasthaus, dass nur 15min vom Bahnhof lag und checkte ein. Ein übereifriger Betreiber freute sich über den ausländischen Besuch und fragte natürlich gleich woher ich komme. Deutschland, sagte ich. Er grinste und meint „Ah, die spielen doch heute? Viel Erfolg!“. Ich konnt mich nur noch schnell bedanken und ein Zimmer für zwei buchen, da rief schon meine Freundin an. Sie ist endlich in Nagasaki gelandet. Ich erklärte dem Betreiber, dass ich sie noch schnell abhole und gleich wieder da bin.

Wobei das nicht ganz stimmt, denn anstatt auf japanisch zu sagen „Meine Freundin ist am Bahnhof“ sagte ich „Meine Freundin ist ein Bahnhof“. Der Faux Pas fiel mir dann auf dem Weg zum Bahnhof bzw zu meiner Freundin noch auf, aber ich glaub, der wusste schon was ich meinte.


Statue am Bahnhof

Mein Gepäck konnte ich dann auch gleich am Bahnhof abholen und wir gingen zum Gasthaus. Unterwegs sprachen wir über Gunkanjima und das WM-Spiel heute abend. Ich meinte „Nachdem Deutschland dann heute gewonnen hat, können wir uns auf die Insel konzentrieren.“ Meine japanische Freundin war irritiert. „Du kannst doch garnicht wissen, dass Deutschland heute gewinnt?“. Doch, doch das konnte ich.

Das Gasthaus roch frisch nach Tatami und war angenehm hell. Ich nahm die dringend benötigte Dusche und schlüpfte in frische Klamotten. Trocken und warm legte ich mir meinen Futon zurecht, dabei wie üblich drei Futons übereinander. Wir redeten noch kurz über Gunkanjima. Unser Kontakt in Nagasaki hatte sich noch einmal gemeldet. Er wollte wissen, für welches Medium ich schreiben will und wie hoch die Auflage ist. Ich gab meiner Freundin alle Infos, legte mich hin und wollte nur kurz meine Augen ausruhen. Sie telefonierte.

ich bin zwischendrin eingeschlafen, ich wachte nur kurz auf, als meine Freundin am Fenster stand und mit dem Verteter der Stadt telefonierte. Ich fand das Licht am Fenster wunderbar, griff im Liegen meine Kamera, drückte ab und schlief wieder ein.


Sie beschwerte sich dann nachher, dass sie auf dem Bild doch arg breit aussieht, aber das macht allein die Perspektive

Irgendwann, als es schon dunkel war, wachte ich auf. Meine Freundin war fixiert auf ihr Handy, das sie in Gedanken versunken betrachtete. Meine erste Frage war natürlich „Wie spät ist es?? Spielt Deutschland schon??“, doch bis zum Spiel waren es noch zwei Stunden, in denen man noch ein gutes Essen einlegen sollte.

Sie gab mir dann die Kurzfassung zu ihren Gesprächen. Wie schon im Wetterbericht angekündigt sind die Wellen vor der Küste leider derzeit sehr stark und es ist gefährlich, zur Insel zu fahren. Sollte es morgen noch machbar sein, bekommen wir im Laufe des Tages einen Anruf. Unser Kontakt bei der Stadt hat einen Fischer organisiert, der uns für ein paar Yen auf die Insel rübersetzt.

Die Insel kann man auch als Tourist betreten, indem man mit hundert anderen auf ein Boot verfrachtet wird, die dann mit dir zusammen 30-45min auf der Insel sind und durchs Bild laufen. Das wollte ich vermeiden, also suchten wir uns Zeiten raus, die nicht mit den Touristen kollidierten. Allerdings war das für dieses Wochenende auch hinfällig, da bei dem Wetter keine Touristen rübersetzten. Für uns sollte eine Ausnahme gemacht werden, wenn das Wetter ist.

Mein ursprünglicher Wunsch war es eine Nacht auf der Insel zwischen den Ruinen zu verbringen. Denn Fotos von der Insel gibt es inzwischen reichlich, doch bei nacht war noch keiner da. Meiner Freundin gefiel der Gedanke absolut nicht, doch ich war gespannt. Nur musste die Stadt Nagasaki entscheiden, ob ich das darf oder nicht. Und da zählten harte Zahlen der Auflage des Mediums und Größe des Abdrucks darin.

Um den Fischer zu treffen, der uns zur Ruineninsel bringen sollte mussten wir in einen kleinen Ort fahren, anderthalb Stunden vor Nagasaki. Wenn der Anruf morgen kommt, würden wir uns auf den Weg machen. Ich machte mir noch Gedanken ums Licht, wenn das Wetter so sein sollte wie heute, doch zunächst zählte erstmal überhaupt auf die Insel zu kommen, wegen der ich hergekommen war. Ddie Zeit drängte etwas, da meine Begleitung bereits in zwei Tagen Nagasaki verlässt, und sie unter anderem auch wegen der Insel hergekommen ist. Und ich selbst würde in 6 Tagen Richtung Deutschland fliegen. Meine Reise nach Japan und nach Nagasaki sollte nicht ohne eine Reise zur Ruineninsel bleiben.

Nun wollten wir endlich was essen. Nagasaki hat, wie absolut jeder Ort in Japan, eine lokale Delikatesse bzw. Spezialität. In Nagasaki gab es unter anderem Nudeln mit Meeresfrüchten, serviert in einer Créme-Soße, die dann meine japanische Begleitung auch orderte. Ich begnügte mich mit Ramen. Dann kam schon das Spiel.

Auf einem HD-Fernseher sah ich dann eines der besten deutsche Spiele bei dieser WM. Beim ersten Tor schrie ich schon das ganze Haus zusammen, bei den dann noch folgenden drei Toren ohne Gegentor nahm ich mir immer ein Kissen und brüllte da hinein. Selbst meine Begleitung, die sonst wenig Lust auf Fußball hat, war von dem Spiel begeistert. Am nächsten Morgen wollte ich mich eigentlich beim Betreiber für meinen lauten Jubel in der Nacht entschuldigen. Doch als der mich dann mit „Gratulation!“ begrüßte, wusste ich, das war nicht mehr nötig.

Nach dem Spiel war ich bester Laune. Deutschland hatte gewonnen und ich würde nach Gunkanjima gehen.

Endlich Sonnenschein im Nebel von Nagasaki

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Die Nagasaki-Nacherzählung:

Teil I – Nach Nagasaki, der Insel wegen
Teil II – Nagasaki, Stadt im Regen
Teil III – Buddha und die zerstörte Stadt
Teil IV – Gräber, die die Stadt hinauf wachsen
Teil V – Die touristenfreundliche Ruine im Pazifik
Teil VI – Eine Insel für die Holländer und ihre Dirnen


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Nach Nagasaki, der Insel wegen

Eine Woche vor meinem Abflug nach Deutschland bin ich nach Nagasaki auf Kyushu gefahren. Die Stadt, die als Zweite in Japan von der Atombombe getroffen wurde, die jahrhundertlang als Japans einziges Tor zum Westen fungierte und in der eine christliche Minderheit überlebte, während diese Religion im gesamten Land verboten war. Viele Gründe nach Nagasaki zu reisen, doch für mich gab es nur einen Grund: Die Insel-Ruine Gunkanjima. Ob ich es dann tatsächlich auf die Insel geschafft habe, und was ich sonst noch in Nagasaki erlebt habe, soll hier in meinem Bericht über meine letzte große Reise in Japan erzählt werden

Prolog

Wie oft erwähnt wollte ich schon seit vielen Jahren nach Japan reisen. Als es dann endlich soweit war und nur noch das Flugticket geordert werden musste, kamen mir Bedenken. Fragen wie „Was soll ich da?“ oder „Was genau suchst du?“ kamen mir in den Sinn. Bis mir alle Fragen (gewissermaßen) in einem Fernseh-Beitrag beantwortet wurden.

In den Tagesthemen lief ein Beitrag über eine Insel in Japan, vor der Küste von Nagasaki, auf der eine Stadt errichtet wurde, die dann aufgegeben wurde und für mehrere Jahrzehnte nicht mehr betreten werden durfte: Gunkanjima – eine Geisterstadt mitten im Meer.

Ich finde Ruinen absolut inspirierend – künstlicher urbaner Raum, der einst Leben beherbegte und nun tot und vollkommen frei ist. In Berlin bin ich schon durch mehrere Ruinen gekraxelt. Es gibt ja dank Krieg, ostdeutsche Mangelwirtschaft und Schlampereien nach der Wiedervereinigung genug Ruinen in dieser Stadt. Als ich nun diesen Fernsehbeitrag sah, wusste ich „Da musst du hin!“. Mehr noch: „Da kannst du hin!“. Diese Insel ist zwar so weit weg, und so ganz einfach ist es auch nicht, dort hinzukommen, doch wenn ich erstmal in Japan und in Nagasaki bin, wird mir schon was einfallen.

Diese Insel war sicher nicht der einzige Grund, warum ich nach Japan gegangen bin. Doch es war ein sehr großer Grund, zumal er mir auch vor Augen führte, warum ich überhaupt in diese fremde Land wollte: Um Neues zu entdecken, Geschichten zu finden, spannende Sachen zu fotografieren und darüber zu berichten. Diese Insel war das erste konkrete Ding, was ich recherchieren konnte und wollte.
In der Zwischenzeit kamen noch sehr viel andere Dinge hinzu, sodass die Insel mehr und mehr nach hinten rutschte.

Ziemlich genau vor einem Jahr, im September 2009, kam mir der erste Gedanke für eine Weile nach Kyushu zu ziehen. Es gibt Programme für junge Freiwillige, auf einer Farm zu arbeiten, zwar ohne Bezahlung aber für Kost und Logis. September war auch der erste Zeitpunkt, wo mir anfing das Geld auszugehen. Eine mietfreie Zeit auf Kyushu, auch mit der Option nach Nagasaki und Gunkanjima zu gelangen, war da sehr verlockend.


Flughafen Haneda in Tokyo, für Flüge innerhalb Japans

Doch leider, oder zum Glück, wie mans nehmen mag, kamen viele Aufträge und Jobs rein, ich zog in eine neue Wohnung und war sehr glücklich da. Kyushu verschob und verschob sich, aus geplanten mehreren Wochen Aufenthalt wurden ein paar Tage.

In meinen letzten Wochen wollte ich Nägel mit Köpfen machen. Ich sagte meinem Vermieter, dass ich Ende Juni ausziehe, um nach Kyushu zu gehen. Er organisierte alles und hatte auch schon flugs einen Nachmieter für mein 4qm Kammer ohne Fenster Zimmer .

Dass ich es mir bis Ende Juni anders überlegt hatte, weil ich nämlich noch viele Aufträge in Tokyo bearbeiten musste, die dann noch reinkamen, passte dann leider nicht mehr ins Konzept. Ich musste raus, und zog erst mal zu Freunden auf die Couch.

Mein Auszug hatte aber auch etwas Gutes: Ich bekam meine Kaution wieder und musste die nächsten Wochen keine Miete mehr zahlen. Mehr noch: Mit meinem letzten Gehalt aus dem Restaurant und einigen frisch verkauften Bildern hatte ich mit einem Schlag eine ganze Menge Geld. Das war tatsächlich das erste und einzige mal in Tokyo, wo ich keine Geldsorgen hatte. Eine schöne Zeit, so entspannt, wie das ganze Jahr zuvor nicht.

Ich bin zu Freunden gezogen, d.h. ein amerikanischer Architekt, eine deutsche Marketing-Frau, eine weise Bulgarin, eine deutsche Studentin und eine japanische Architektin (die erst später auf meine Empfehlung in diese Haus gezogen ist, und mich letzte Woche in Berlin besuchte). In der ersten Nacht kochten wir gemeinsam und tranken Sake auf dem Dach, in einer heissen japanischen Sommernacht, mit dem Blick auf die Hochhäuser von Shinjuku. Alles war gut.

Vor meinem Abflug legte ich allerdings noch ein paar Terror-Tage ein, wo ich bis zu drei Shootings in einen Tag legte. Das werd ich nie wieder machen, da die Bilder bei allen drei Gelegenheiten nicht sonderlich gut wurden und ich nur im Stress war.

Dienstag Nacht

Die japanische Architektin hat, wie alle in Japan, ständig Überstunden zu schieben. Bei ihr kann es durchaus auch extrem werden, mit mehreren Tagen im Büro, ohne zwischendurch mal nach Hause zu kommen. In dieser Dienstag Nacht wartete ich noch auf sie. Ich wollte mit ihr über meine Reise nach Nagasaki sprechen und sie, auch aus Dankbarkeit, dass ich hier pennen darf, zum Essen einladen.
Während alle anderen Hausbewohner aßen und sich bereits ins Bett verabschiedeten, wartete ich hungernd auf die Architektin. Gegen halb zwei Uhr kam sie dann nachhause, völlig kaputt und müde. Sie war sogar zum Essen zu müde. Ich allerdings nicht. Also flitzte ich kurz zum Conbini, deckte mich ein und ging zurück ins Haus.

Bei ihr stand eine Geschäftsreise nach West-Honshu an, und zwar am nächsten Tag. Noch genauer: in fünf Stunden sollte sie am Bahnhof sein, um dort ihren Chef zu treffen (der sich aus dem Arbeitstag vorher natürlich rechtzeitig verabschiedet hatte, während sie noch bis in die Nacht schuften musste). Ich hing über Flugplänen nach Nagasaki und sie meinte, sie würde am liebsten mitkommen. Komm doch mit, sagte ich, und so spontan war unsere Reise entschieden.

Ich wollte am Freitag in Nagasaki eintreffen, sie hatte bis Freitag in West-Honshu zu tun und wollte dann am Nachmittag/Abend mit dem Zug nachkommen. Der Flug wurde gebucht, ich holte das Ticket einen Tag später in einem Conbini ab, wo ich auch bequem bezahlte, und am Freitag gings zum Flughafen. Reisen in Japan ist echt praktisch!

Geld spielte zu dem Zeitpunkt keine Rolle, ich hatte erstaunlicherweise mal genug davon. Nach Nagasaki wollte ich auch weiter nach Kyoto, und dann zurück nach Tokyo, um dann in den Flieger nach Deutschland zu steigen.

Im Gegensatz zu Hiroshima war ich nicht journalistisch unterwegs, was mal ganz angenehm war. In Hiroshima musste ich 6 Interviews in 5 Tagen durchhauen, danach war meine Stimme auch weg. In Nagasaki sollte ich nur ein paar Bilder von einem Denkmal machen, dass die DDR gestiftet hatte (übrigens bis heute der einzige deutsche Beitrag zum Peace Park in Nagasaki). Nur das, und natürlich… die Insel!

Etwas spät aber noch rechtzeitig nahm ich Kontakt zu der Stadt Nagasaki auf. Ich schilderte mein Anliegen, für ein deutsches Medium etwas über die Insel schreiben zu wollen und bat um Unterstützung. Es dauerte etwas und mein Anschreiben wurde noch durch die Hierarchien gereicht, doch es erreichte den Richtigen. Die letzte Info die ich vor meinen Abflug erhalten hatte war, das es möglich ist, zur Insel zu kommen, aber es ist schwierig. Wenn wir in Nagasaki sind, sollen wir uns melden.

Ab in den Flieger und keine zwei Stunden später in Nagasaki, bzw. im Flughafen eine Fahrtstunde vor der Stadt.
Juni/Juli ist Regensaison in Japan, besonders schlimm wird es, je südicher man sich bewegt. Kyushu ist Süden.

Wenn es mal nicht regnete, war es heiss und schwül. Eine Dauersuppe mit 90+% Luftfeuchtigkeit, Nebel und Nieselregen. Nicht die beste Zeit nach Nagasaki zu düsen, aber die einzige, die noch möglich war.

Ich hatte kein Geld mehr auf dem Handy, denn auch wenn ich genug Geld in der Tasche hatte, mein Prepaid-Handy für noch ein paar Tage Japan aufladen erschien mir sinnfrei. Als ich dann am Nachmittag ankam, wollte ich zuerst meine Freundin kontaktieren, die später am Tag kommen wollte. Per Münztelefon schien das nicht zu funktionieren, also suchte ich das nächste Internet-Cafe auf.

Laut Lonely Planet, der wie immer über alles bestens und detailiert informiert war, gab es in einer Bibliothek gratis Internet. Auch wenn man mir deutlich ansah, dass ich ein Tourist war, musste ich mich registrieren und bekam einen laminierten Ausweis zur Bibliothek. Ich checkte meine Mails und schickte meiner Freundin eine Nachricht, dass ich mich wunderte, wo sie bleibt.

Am Computer neben mir saß eine junge Japanerin, die mit dem Computer sprach. Richtig, sie sprach nicht mit einem Headset, oder in ein Mikro hinein, nein, sie sprach mit dem Computer. Wobei der auch nicht antwortete sondern nur zuhörte. Die ganze Zeit hatte sie irgendeine Anime-Website auf, wo groß ein mänlicher Charakter prangte. Allzuviel Zeit wollte ich hier nicht verbringen, meine mittlerweile durchnässte Kleidund wurde von der Klimaanlage auch gnadenlos runtergekühlt.

Ich stärkte mich unterwegs und machte mich auf dem Weg zum Bahnhof. Vielleicht ist ja ihr Handy kaputt, und sie ist auf dem Weg hierher. Wenn dem so ist, würde sie am Bahnhof ankommen und ich könnte sie dort erwarten. Es folgten mehr als 3 Stunden Warten, mit dieser Sicht:

Bevor ich meine Warteposition unter dem trocken Dach des Bahnhofs einnehmen konnte (während es überall sonst schüttete wie Sau), quatschte mich ein Kerl an. Er hielt ein Magazin in der Hand und lächelte süffisant. Ich dachte, er will mir was verkaufen, also winkte ich ab.
Von meiner Bank aus konnte ich ihn beobachten. Er ging ständig zwischen den Leuten hin und her, stellte ihnen Fragen und machte Fotos. Er guckte immer mal wieder verstohlen zu mir rüber, und in der zweiten Stunde meiner Warterei und seiner Fragerei, verband er beides und kam auf mich zu. In sehr gebrochenen Englisch erklärte er mir, dass er Redakteur einer Zeitschrift ist und Leute für die nächste Ausgabe befragt.

Ich lächelte und meinte „Klar, schieß los!“. Als Journalist ist man immer mal in dieser Situation, wo die Redaktion sagt „He, geh ma raus, sammel Eindrücke“. Es ist oft ein undankbarer Job, aber wir alle mussten da mal durch. Ich ebenso, also hatte ich Mitgefühl für ihn.

Für die Zeitschrift Fukuoka No! befragte er Leute in Regionen in Kyushu zu dem sich bald jährenden Jahrestag des Atombombenabwurfs auf Nagasaki. Erstmal klärte er natürlich, aus welchem Land ich komme. Als klar war, dass ich kein Ami bin, gingen schon die Fragen los, die sehr offensichtlich darauf abzielten, möglichst Amerika-feindliche Antworten zu kriegen. Ich gab mir Mühe so diplomatisch wie möglich zu sein, doch ich war mir nicht sicher, ob er meine Antworten verstanden hat. Zudem sind mir grad die japanischen Vokabeln für „ein Verbrechen in der Menschheitsgeschichte“ entfallen. Er machte dann noch ein Foto von mir und ein paar Wochen später wurde es abgedruckt.

Es näherte ich die dritte Stunde meiner Wartezeit. Inzwischen hab ich viele Highschool-Mädchen, kommen, tratschen und gehen sehen, sogar ein Verrückter kam vorbei, der eine komische Fixierung mit einem Hund hatte, den eine Familie dabei hatte. Doch scheinbar kannten die den Herrn mit seinen gelben Gummistiefeln schon, sodass sie die ca. 6 jährige Tochter unbedurft herumtollen ließen, während der Irre weiterhin stumm den Hund anstarrte.

Die Nacht zuvor hatte ich wenig geschlafen, und das ganze Herumlaufen mit dem schweren Gepäck auf dem Rücken bei dieser Hitze machte müde. Doch ich musste hier warten, wenn ihr oder dem Handy nun was passiert ist, wäre hier die einzige Gelegenheit, sie zu treffen.

Es war halb neun und sie war immer noch nicht da. Der letzte Zug aus der nächstgrößeren Stadt lief gerade ein, und wie bei den 23 Zügen vorher schaute ich auch hoffnungsvoll zum Gleis, mit der Erwartung, dass sie nun doch kommen müsste. Doch sie kam nicht.

Ich musste schlafen, anders hätte Nagasaki nur noch frustrierender auf mich eingewirkt als bisher. Ich machte mich auf dem Weg zum nächsten Manga Kissan (24 Stunden Internet-Café wo man billig übernachten kann), wo man um die Zeit sicher noch ein Schlafplatz kriegt. Dafür musste ich die Straße überqueren und auf der Überführung ließ sich gut ein Foto machen.

Als ich da so stehe und fotografiere, kommt jemand auf mich zu. Ein junger Amerikaner, in der einen Hand eine Bierdose, in der anderen ein Skateboard. Klischees hin oder her, so sah er tatsächlich aus. Er fragte mich ob ich Englisch kann. Klar, sag ich, und er freute sich sichtlich. Er fragte mich, ob ich hier irgendwelche coolen Bars kenne. „Öhm nein?!“ sag ich, und verweise darauf, dass ich auch nur ein Tourist bin, der heute angekommen ist. Er selbt kam grad mit dem Zug aus Fukuoka und sucht hier nun coole Bars. Nagasaki ist eher weniger für sein Nachleben bekannt, wenn dann eher Fukuoka oder Kagoshima, doch der letzte Zug dahin fuhr gerade ab. Er fing an zu fluchen und nippte an seinem Bier.

Ich: „Hast du einen Reiseführer?“
Er: „Nein.“
Ich: „Sprichst du Japanisch?“
Er: „Null.“
Ich: „Tja…. dann viel Glück.“

Er fragte mich dann noch, ob ich einen amerikanischen Outlet-Store hier in der Nähe kenne. Ich verweise wieder darauf, dass ich nur Tourist bin – der jetzt schnell los muss. Immer noch verwirrt schauend trank er wieder einen großen Schluck aus seinem Dosenbier und ließ sein Blick fragend über die Straße wandern, die ihm aber auch keine Antwort geben konnte.

Es ist ein Ding, irgendwo hin zu fahren, ohne eine Ahnung, was es dort gibt. Ich selbst mache das sehr gern. Wenn man dann allerdings bestimmte Sachen erwartet, darf man sich nicht beschweren, sie dann eventuell nicht zu finden. Wahrscheinlich war er auch einfach nur auf der falschen Insel.

Ich lief zum nächsten Manga Kissan, kam völlig verschwitzt und durchnässt an, und fragte die sehr hübsche Verkäuferin auf japanisch nach einem Zimmmer. Sie stellte eine Folgefrage, die ich nicht ganz verstand und auf die ich dann mit schlechten japanisch rumdruckste. In absolut fliessenden Englisch fragte sie mich dann, ob ich Englisch könnte. „Oh gott jaaaaa“ konnte ich nur sagen, und entschuldigte mich gleich für mein schlechtes Japanisch. Sie lächelte nur lieb und meinte „Ist okay… :)“

Sie zeigte mir mein „Zimmer“


Man beachte das VIP im Hintergrund

Fast größer als meine Bude in Tokyo, aber nicht wirklich bequemer als die Couch bei meinen Freunden, dafür mit großen Fernseher und Computer. Es war ja noch Weltmeisterschaft und es spielte Brasilien gegen Holland, ein Spiel was man sich durchaus geben konnte.
Immer noch mit Sorge, Ungewissheit und tausend absurden Ideen im Bauch, was mit meiner Freundin zwischen Tokyo und Nagasaki alles hätte passiert sein können, checkte ich meine Emails. Es war eine von ihr dabei.

Es tat ihr Leid, dass sie sich nicht melden konnte. Die Arbeit war getan und der Chef lud zum Besäufnis. Als Angestellte kann man da in Japan leider nicht ablehnen, also hatte ich ein gewisses Verständnis für ihren Verbleib. Ich war auch erleichtert, dass alles in Ordnung ist, doch ein bisschen bereute ich diese ganze Wartezeit schon. Doch zumindet konnte ich nun sorgenfrei einschlafen.

Sorgenfrei war ich schon, doch mit dem Einschlafen war das eine andere Sache. Meine Kabine war nämlich eine von ca. 200 in einer riesigen Halle. Alle Kabinen waren ohne Dach und wenn ich mich nur hinstellte, konnte ich schon in die anderen Kabinen hineinschauen. Ich hatte zwar keine direkten Nachbarn, doch dafür viele andere um mich rum. Kein Dach heisst auch, dass alle Geräusche nach aussen dringen. Wenn nur einer schnarchte, hatten alle verloren.
Es schnarchte einer.

Einige atmeten zudem auch schwer. Das ganze Geschnarche, Geschnaufe und Röcheln mischte sich dann mit der viel zu kalten Klimaanlage, die im Dauerbetrieb dröhnte. Ich wachte in der Nacht mehrmals auf und dachte, ich bin in einem Krankenhaus.

Am nächsten Morgen ging es nach einem Konbini-Frühstück raus in den Nebel der Stadt. Meine Freundin würde unter Garantie am Nachmittag kommen, Zeit also die Stadt zu erkunden. Mein Gepäck parkte ich in der Zeit am Bahnhof und machte mich auf dem Weg zum Friedhof für Ausländer, abseits der Stadt. Bei dem Nebel konnte es nur interessant werden. Zumal ich die klassischen Touri-Ziele dann mit meiner Freundin eh abgehen werde.

Die Stadt begrüßte mich mit Nebel und Regen, mal sehen was der zweite Tag nun bereit halten sollte. Am Nachmittag wollte der Typ von der Stadt noch einmal wegen der Insel anrufen…

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Die Nagasaki-Nacherzählung:

Teil I – Nach Nagasaki, der Insel wegen
Teil II – Nagasaki, Stadt im Regen
Teil III – Buddha und die zerstörte Stadt
Teil IV – Gräber, die die Stadt hinauf wachsen
Teil V – Die touristenfreundliche Ruine im Pazifik
Teil VI – Eine Insel für die Holländer und ihre Dirnen


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analog – Insel-Edition

Die Bilder hier stammen alle von meiner Reise nach Niijima, einer Insel südlich von Tokyo, und hier bin ich echt froh, dass es ein Farbfilm war. Mehr noch, das ist glaube von der Qualität her, der beste Farbfilm den ich je gescannt habe. Ich hab dann auf die Negative geschaut und musste feststellen, dass der wie meine geschätzten Schwarz/Weiss Filme auch von Agfa stammt.

Dazu eine kleine Anekdote vom gestrigen Tag:

Ich hatte einen Shooting im Gebäude des Berliner Verlags, wo auch die Zeitung erscheint, für die ich hier arbeite. In der Nähe vom Verlagsgebäude liegt ein Fotolabor, welches ich seit Jahren schätze und allen empfehle. So auch der Japanerin, die derzeit in Berlin ist.
Sie kennt in Berlin übrigens drei Personen. Wie groß sind also ihre Chancen, in dieser Stadt jemanden zufällig zu treffen, den sie kennt? Scheinbar sehr groß, denn als ich auf dem Weg zum Verlag war und am Fotostudio vorbei fahre, steht dort die Japanerin mit einem fragenden Gesichtsausdruck. Sie hatte grad einen Film abgegeben und musste nun eine Stunde warten, hatte aber ihren Fahrradschlüssel verloren, konnte also nicht vom Rad weg und überlegte grad, was sie machen sollte. Just in dem Moment kam ich vorbei und rettete ihr Rad. Das Shooting dauerte wohl erwartungsgemäß ne Stunde, ich nahm sie einfach mit und konnte so mit meinem Schloss unsere beiden Räder in der Zeit abschließen.

Nach dem Shooting gehen wir also wieder zum Fotolabor um die Filme abzuholen und neue zu kaufen. Ich wollte bei der Gelegenheit auch einen Film kaufen und fragte, natürlich, nach einem Agfa Farbfilm. Die ahnungslose junge Verkäuferin guckte nur irritiert auf ihre Auswahl und meinte, haben sie nicht. Gut dachte ich, frag ich mal den älteren Kollegen.

Ich: „Haben sie wirklich keinen Agfa-Farbfilm?“
Verkäufer: „Ne, die werden nicht mehr produziert“
Ich: „Schade, hab jetzt grad einen gescannt und war sehr begeistert von…“
Verkäufer: „Die werden nicht mehr produziert weil die Scheisse sind.“
Ich: „…ach?“

Es folgte nach ein langes Gespräch über die Qualität von diversen Filmsorten. Was ich an dem Laden so schätze, sind die Qualität und Professionalität von Auswahl und Personal. Der wird mit seiner Einschätzung schon recht gehabt haben. Und wenn ein Film nicht mehr produziert wird, heisst das auch, dass er sich einfach gegen die Konkurrenz nicht mehr durchzusetzen konnte, u.a. eben aus Qualitätsgründen.

Nichtsdestotrotz bin ich mit diesem Agfa-Film hier sehr zufrieden, er bringt auch etwas Urlaubsstimmung in den Regen derzeit.

Im Labor hatte die Japanerin dann einen Film gekauft, ich nach dem langen Gespräch dann auch. Mein Film kam allerdings aus dem Kühlschrank, wo professionelle Filme aufbewahrt werden. Der Film der Japanerin kam gewissermaßen aus der Grabbelkiste. Neidisch, dass ich nun das gute Zeug abbekommen habe, bat sie mich den Verkäufer zu fragen, um ihren Film gegen meinen zu tauschen, und gegen einen kleinen Aufpreis machte das Fotolabor das auch. Manchmal muss man nur ein wenig mit dem Verkäufer reden, und schon wird das gute Zeug rausgeholt 😉

365 Tage in 35mm

Die ersten Tage: (schwarz/weiß) Die große Stadt ohne Farbe
Die erste Woche: (farbe) Die ganze Welt in Farbe
Die zweite Woche: (farbe) Insel-Edition
Nach der zweiten Woche: (schwarz/weiß) dunkle Wolken über Japan
August: (farbe) Koenji Obon Odori
Dezember bis Mai: (schwarz/weiß) kalt bis warm
Mai: (schwarz/weiß) Hiroshima / Kaminoseki / Iwaishima

Ho-Ho-Hokkaido Kapitel 7: Das Ende der Reise

Der letzte Tag, an dem mein Ticket noch gültig war, war gleichzeitig der letzte Tag meiner Reise in Japans kalten Norden. Auch ganz gut so, mir war kalt, ich war pleite und hatte absolut die Schnauze voll von Schnee.

Die Reise als Zusammenfassung in Gemütszustand/Tagen

Nachdem ich am Tag zuvor eingeschneit und durchnässt in der Bude meines Freundes ankam, meine Schuhe und Socken vor den Ofen packte, konnten wir nur noch einen Film schauen, den mein Freund (inzwischen auch wieder in Deutschland aber in ein paar Monaten wieder in Japan für 1-2 Jahre) von seinem Chef bekommen hatte. Es handelte sich um den japanischen Film Campaign, den ich vor Jahren schon einmal auf arte gesehen hatte und dem ich wirklich jeden empfehlen kann.

Campaign ist eine Dokumentation um Politik und Wahlkampf in Japan, mit allen Merkwürdigkeiten und Besonderheiten. Der Film wurde dabei ebenfalls von einem Japaner gemacht, einem alten Freund von dem Protagonisten, der im Film gewählt werden will. Daher fehlt zum Glück diese westliche Perspektive („in Japan ist eh alles komisch und anders“) und die Bilder sind sehr neutral und objektiv gehalten, sodass sich jeder selbst ein Bild machen kann.

Die deutsche Premiere von dem Film fand übrigens im Kino Babylon in Berlin statt, wo ich vor Jahren mein Filmfestival hatte.

Der Protagonist des Films, also der junge Wicht, der gewählt werden will, war bei der Premiere in Berlin sogar dabei. Sehr sympathischer Kerl. Heute ist er nicht mehr in der Politik sondern, wenn ich das mal richtig übersetze, arbeitslos. Genaueres zum Nachspiel des Films gibt es in einem Artikel in der JapanTimes, allerdings sollte man vorher den Film gesehen haben. Der geistert irgendwo auch kostenlos durchs Netz…

In der Nacht hatte es, wie sollte es auch anders sein, wieder geschneit. Doch diesmal hingen keine weiteren Schneewolken über Aizu, sondern ein blauer Himmel mit Sonnenschein strahlte auf den weissen Ort. Die Sonne gab sich dabei soviel Mühe, das es schon in den Augen weh tat. Den Schnee konnte man nicht mehr angucken, da das ganze Sonnenlicht von den Eiskristallen reflektiert wurde.

Ich hatte schon viele Sehenswürdigkeiten abgedeckt, auf meinem Weg zum Bahnhof und nach Tokyo wollte ich noch eins abdecken: Dr. Noguchi und sein Krankenhaus.

Nun, wer war Dr. Noguchi?

Diese Frage stellte ich auch meinem Freund in Aizu. Dieser holte dann nur einen 1000yen Schein raus und zeigte ihn mir.

Das ist Dr. Noguchi.

Seine Geschichte kann man gern noch mal auf wiki nachlesen, die Kurzfassung ist diese: Hideyo Noguchi erlitt als Kind schwere Verbrennungen, die seine linke Hand unbrauchbar machten. Trotz dieser widrigen Umstände wollte er Arzt werden und Anderen helfen. Diese Geschichte, vom tapferen Kampf gegen alle Widrigkeiten, fanden die Japaner sehr rührend und Noguchi wurde beliebt und bekannt. In Aizu stand mal ein Krankenhaus, dass er geleitet hat, und die ganze Ecke dort zelebriert ihn nun.

Es gibt die „Noguchi-Street“ in der früher sein Krankenhaus stand. Heute erinnert eine Statue von ihm daran.

Unweit von seiner Statue stehen auch ein paar eingefrorene Pflanzen.

Nur falls es immer noch welche geben sollten, die mir nicht glauben, wie kalt es dort oben war…

Das war also Aizu.
Ich machte mich auf dem Weg zum Bahnhof, um die letzte Zugreise dieses Trips anzutreten. Der Bahnfutzi knipste mein Ticket ab und weiste mich lächelnd drauf hin, dass heute der letzte Tag meiner Reise ist. Vielen Dank, sagte ich.

Es war auch ganz gut so. Ich konnte absolut keiner Schnee mehr sehen. Es tat in den Augen weh, dieses kalte, weisse Zeug zu sehen. Blinzelnd kämpfte ich mich zum Bahnhof und im Zug konnte ich endlich die Augen zu machen. Bis nach Tokyo musste ich 6 mal den Zug wechseln, doch eigentlich zählte ich zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr. Als die Sonne unterging, erreichte ich die Stadtgrenze.

Saß ich vor ein paar Tagen noch alleine im Zug, war ich nun wieder in der Rush Hour, mit Millionen von Menschen in Shinjuku. Wollte ich wirklich wieder hier hin zurück? Eigentlich wollte ich mich gleich in den Zug setzen und weiter fahren, irgendwo hin, wo ich noch nicht war. Doch eine kurze Riechprobe an meiner Kleidung und am schweren Rucksack sagte mir: Du brauchst eine Dusche! Du brauchst frische Klamotten! Und ein Blick in meine Geldbörse sagte mir: Du brauchst Kohle!



Also reihte ich mich ein, in die Massen von Pendlern, Geschäftsmännern und Sekretärinnen und fuhr in meine 4,5qm nachhause…





Ho-Ho-Hokkaido:
Kapitel 1: Das weite Land
Kapitel 2: Lange Unterhosen FTW
Kapitel 3: Winterwunderland
Kapitel 4: Eiszapfen und das beste Klo der Welt
Kapitel 5: Der Wind bläst südwärts
Kapitel 6: Eingefrorene Samurai
Kapitel 7: Das Ende der Reise