Nagasaki – Stadt im Regen

Der zweite Tag in Nagasaki beginnt im Nebel und im Regen. Wie das ganze Land im Juni/Juli ist auch Nagasaki eingepackt in Nässe und Feuchtigkeit – und ich war es ebenso. Eine Freundin wollte am Nachmittag diesen Tages in Nagasaki eintreffen, so hatte ich den halben Tag um die Stadt zu entdecken. Es begann mit einem Friedhof im Nebel…

Nagasaki hat für eine Stadt eine etwas ungewöhnliche Form. Langgestreckt an einer Bucht, in einem Tal zwischen mehreren Hügeln und Bergen gelegen. Diese langgestreckte Form hat bei der Explosion der Atombombe zwar nicht wirklich Schlimmeres verhindert, aber es hat etwas anders und hemmender gewirkt, als in Hiroshima.

Stadtzentrum, auch wenn es keins gibt, liegt eher auf dem östlichen Teil der Bucht. Mein Ziel an diesem Morgen war die Westseite der Bucht, die von Touristen vorallem bei diesem Wetter ignoriert wurde. Auf der Westseite gibt es laut Reiseführer nur eine Seilbahn den Berg hinauf, und einen alten Friedhof für Ausländer, der bezeichnenderweise weit weg von der Stadt früher war.
Ich holte mir mein Frühstück in einem Konbini (Ananas-Saft, irgendwas weiches, teigartiges Süßes und ein weicher Teig mit einer cremigen Käse-Schinken Füllung drin), und schaute beim Essen auf das Meer – oder zumindest das, was man davon erkennen konnte.

Ein einsamer Fischer hielt seinen Angel in die Suppe, wohl in der Hoffnung die Fische würden ihn im Nebel nicht entdecken. In den 20 min, die ich dort weilte, vermochte er allerdings nichts zu fangen.

Ich parkte meinen großen Rucksack am Bahnhof und ging weiter an der Bucht entlang.


Die andere Seite, keine 500m entfernt aber trotzdem im Nebel verschluckt. Links im Nebel und nicht im Bild sind die Mitsubishi-Schwerindustriewerke, die da schon 1945 standen und, wenn ich mich nicht komplett irre, das ursprüngliche Ziel für die Atombombe vom 9. August sein sollten

Ich suchte eine Brücke und mir blieb nichts anderes übrig, als weiter ins Graue zu gehen, da ich einfach keine Brücke sehen konnte. Ich sah nur ein paar hundert Meter weit, danach war nur noch nichts. Auf dem Stadtplan meinte ich eine Brücke gesehen zu haben, also schritt ich voran.

Nach einer halben Stunde fand ich eine und ging rüber. Das hier wirklich touristenbefreite Zone war, merkte ich an den Mangel an den sonst reichlich vorhandenen zweisprachigen Straßenschildern und den verwunderten Blicken, die mir begegneten. Ich wusste nur die grobe Richtung vom Friedhof, also ging ich einfach drauf los, in der Hoffnung den irgendwann dann schon zu sehen. Bei diesem Gedankengang muss mir wohl entfallen sein, dass der Nebel alles geschluckt hatte.

An einer kleinen Kreuzung stand ich nun und versuchte die Himmelsrichtung zu raten. Eine ältere Dame, die mich ganz besorgt von ihrem Blumenladen anschaute, der in dem Grau des Nebels die einzigen Farbelemente lieferte, kam dann auf mich zu, und fragte mich, wohin ich möchte. Ich griff nach meinem Wörterbuch um „Friedhof“ nachzuschlagen, nur um zu merken, dass dieses noch in Tokyo lag und ich vergessen hatte es einzupacken. Mir sind dann nur die Worte für „Tod“ eingefallen, was die Dame etwas beängstigte.

Sie dachte dann, das ich als Ausländer wohl bestimmt zur Seilbahn möchte, doch ich verneinte. Hilflos wie ich, wendete sie sich dann an ihre Tochter, oder Schwiegertochter, so ganz genau konnte ich das nicht erkennen, die mich dann auf Englisch fragte, wohin ich möchte. Sie verstand recht schnell, übersetzte für die alte Dame die mir dann fünfmal und in ganz langsamen Japanisch erklärte, dass ich einfach nur 50m geradeaus gehen musste. Komplett mit Handzeichen und persönlicher Begleitung auf den ersten fünf Metern, damit ich es auch ja nicht verfehle. Sie, die junge Dame und ihr Sohn oder Schwiegersohn, der dann auch aus dem Laden kam, lächelten mich dann noch an und wünschten mir alles Gute. Ich bedankte mich sehr und sah noch, wie sie mir hinterher schauten, als ich im Nebel Richtung Friedhof verschwand.

Am Eingang war ein kleiner Teich, über den eine Brücke zum Friedhof führte. Im Teich blühte der Lotus, in dessen Blätter sich der Regen zu großen Tropfen sammelte.

Zwischen den Pflanzen schwammen ein paar Schildkröten durch den dreckigen Teich.

Wohl in der Erwartung ich hätte Futter dabei, schwammen sie auf mich zu und reckte ihre Hälse aus dem Panzer in meine Richtung.

Auf dem Weg zum Friedhof lief ich an zwei schwatzenden Älteren vorbei, von denen der eine in meine Richtung kam, als ich die Schildkröten betrachtete. Er stand da kurz mit mir im Regen und schaute zu den Tieren und dann zu mir. Ein vertrauensvolles Lächeln bildete sich in seinem Gesicht, und ich glaubte, er wollte mit mir Reden, doch ihn hatte dann wohl doch der Mut verlassen. Er murmelte ein (frei übersetzt) „So ist das, nicht wahr…“, lächelte mich noch einmal an, und ging an mir vorbei.

Hinter dem schmiedeeisernem Tor erwartete mich ein alter und völlig überwucherter Friedhof.
Nagasaki hat eine lange Geschichte vom Handel mit dem Westen, vorallem mit Portugal, England und Holland, und anderen ausländischen Besuchern. Bis dann in der Edo-Zeit die Tore dicht gemacht wurde und nur noch eine kleine Minderheit von Holländer auf einer kleinen eigenen Insel vor den Toren Nagasakis ihr Dasein fristeten und nur einmal im Jahr raus durften.

Über mehrere Jahrhunderte kamen ausländische Besucher nach Nagasaki. Sie blieben und starben unweigerlich hier. Die Japaner oder die eigenen Landsleute erwiesen den größtenteils christlichen Besuchern die letzte Ehre und bestatteten sie mit einem standesgemäßen Begräbnis.

Die Grabsteine sind vom Zahn der Zeit inzwischen komplett abgekaut worden, und nicht einmal der Stein erinnert sich an die Toten, die einst in dieser Stadt gelebt haben.

Das ich mir nun grad einen Friedhof ausgesucht habe, für meinen ersten Ausflug in Nagasaki, ist vielleicht ungewöhnlich, aber durchaus passend. Friedhöfe wirken immer eine gewisse Faszination auf mich aus, sie erzählen die Geschichte der Stadt, ihrer Toten und ihrer lebenden Bewohner, die herkommen und die Toten ehren.
Ich hab mal überlegt, der wievielte Friedhof das jetzt ist, den ich mit einer intensiven Fototour verbunden habe: Seit 2009 war das nun insgesamt siebte, von denen ich allerdings bisher nur einen verbloggt habe. Und sicherlich war der in Nagasaki der Erste im Nebel.

Der Friedhof war, wie so oft in Japan, an einem Hügel gelegen. Am Fuße lag der Teich und die alten Gräber für Ausländer. In zunächst regelmäßigen, dann sehr ungleichmäßigen Terrassen ging es weiter den Hügel hinauf, verbunden zunächst durch eine Steintreppe mit geschmackvollen Laternen.

Relativ geordnet und teilweise durch Tore und Schlösser versperrt, hatte jedes Land und teilweise jede verschiedene Epoche ihr eigenes Areal, von denen nur noch die russische Abteilung eine Plakette hatte.

Der russische Einfluss in Nagasaki ist ein (mir) sehr unbekanntes Kapitel japanischer Geschichte, ich vermute allerdings dass der erst nach der Edo-Zeit eingetreten ist. Bleibt mir nur noch zu sagen, dass die Russen von allen Gräbern, das Neueste und dickste Schloss an ihrem Tor hatten. Nicht das noch einer nen tonnenschweren Grabstein mitnimmt…

Etwas nach den Russen begannen schon die japanischen Gräber, teilweise reichlich verziert und üppig, vermutlich von wohlhabenden Bewohnern Nagasakis, eventuell sogar solche, die durch den Handel mit dem Westen wohlhabend wurden, auch wenn diese Verbindung im Tod wohl etwas weit hergeholt ist.

Friedhof Panorama

Oben war dann erstmal Schluss, denn eine Straße lief durch die Gräber.

Links ging es dann allerdings schon weiter mit dem Friedhof. Ich machte mich auf dem Weg, den Hügel hinauf und an ihm entlang. Wohin der Blick reichte, und das war an diesem Morgen nicht sonderlich weit, gab es nur Gräber. Diesmal alle japanischen Ursprungs, bis auf ein paar chinesische und koreanische Ausnahmen. Das größte und absolut protzigste Grab hatte ein chinesischer Konsul, dass ich so widerlich dekadent fand, dass ich garnicht erst ein Foto davon machte.

Stattdessen lieber von diesen skurilen Gestalten:

Für die Dinger hätte ich gerne eine Erklärung.
So wie ich mir das zusammen reime, waren das religiöse Figuren, deren Köpfe abgetrennt, und durch einen Klumpen Ton ersetzt wurden, in die dann minimale Gesichtszüge geritzt wurden. Diese kleinen Figuren mit ihren abnormen Köpfen fanden sich überall in diesem Bereich des Friedhofs.

Denkt man an Nagasakis Geschichte, kommt mir die christliche Vergangenheit in den Sinn. Für mehr als 200 Jahre war das Christentum in Japan auf Strafe verboten, nur in Nagasaki, welches seit jeher einem Einfluss aus dem Ausland ausgesetzt war, konnte sich eine kleine Minderheit erhalten.
In der Zeit des Verbots wurden christliche Symbole zerbrochen oder komplett zerstört. Darstellungen von Jesus wurden verboten, sodass japanische Christen sich halfen in dem sie buddhistische oder shintoistische Figuren oder Symbole als Statthalter nahmen und für ihre sakralen Zwecke umdeuteten.
Diese kleinen Figuren auf dem Friedhof könnten christliche Heilige sein, deren Köpfe abgetrennt wurden und nun, unkenntlich, wieder ein Gesicht verpasst wurde. Doch diese Figuren könnten unmöglich so alt sein! In der Meiji-zeit, Ende des 19. Jhd. wurde das Christentum wieder „legalisiert“, Jesus und seine Kollegen waren wieder voll okay. Diese Figuren müssten somit älter als 150 Jahre sein.


Friedlich mit dem Buddha zusammen

Vielleicht ist das aber auch nur eine gewisse Tradition, um an diese Zeit zu erinnern, mit neuen Figuren. Doch erstaunlich welche Kapitel der Geschichte sich zwischen den Gräbern verstecken. Um die Geschichte einer Gesellschaft zu begreifen, hilft es auch sich das Vermächtnis ihrer Toten anzuschauen.

Das einzig Lebendige zwischen all dem Stein waren nur die Pflanze, denen der Regen absolut nichts ausmachte.

Neben Pflanzen waren auch zahlreiche Katzen auf dem Friedhof, die mich neugierig und skeptisch zwischen den Gräbern beobachteten.


Seht ihr sie? Sie sah mich definitiv. Spionage-Katzen…

Eine Katze konnte ich locken. Das eingangs erwähnte weiche Käse-Schinken Gemisch, dass ich angewiedert in die Tiefen meiner Umhängetasche verbannte, war der Katze ganz recht.

Für die „Bezahlung“ posierte sie auch gerne für meine Kamera.

Als sie merkte, dass ich meine Kamera wegsteckte und nicht noch mehr weiches Teig-Imitat japanischer Art rausholte, war das Shooting für sie vorbei und sie verschwand wieder, irgendwo zwischen Nebel und Grabstein.

Ich streifte weiter durch das Gelände. Zwischen toten Blumen für tote Menschen…

…vorbei an Efeu, der sich an den Stein wie an das Leben klammert…

…entdeckte ich noch einen weiteren Bewohner dieses Friedhofs, der zwischen zwei Gräbern auf Beute hoffte, die sich in diesem Regen nicht ganz einstellen wollte.

Leider wollte sie partout nicht still halten, ihr Netz tanzte mit dem Wind und die Tropfen leuchteten im Morgennebel.

Bei den Lichtverhältnissen war es leider echt schwer, sie scharf zu kriegen. Obwohl ich eine halbe Stunde(!) probierte, und eigentlich schon nach 15min die Lust verloren hatte, wollte ich sie noch mitnehmen.

Für das Shooting wollte ich ihr, wie der Katze, auch etwas geben. Doch mein Käse-Schinken Brei aus meiner Tasche wär nix für sie gewesen (obwohl anscheinend schon vorverdaut), und ein Käfer, den ich fangen wollte, war leider zu schnell für mich. Na vielleicht frisst sie ja die Katze. Oder andersrum.

An diesem Punkt der Geschichte, eigentlich schon drei Stunden vorher, war ich komplett durchnässt. Zum Fotografieren brauchte ich beide Hände und legte den Schirm oft beiseite. Die hohe Luftfeuchtigkeit und die Bergbesteigung bei 28+°C tat ihr übriges. Zudem war ich müde, weil ich in der Nacht keinen guten Schlaf bekommen hatte. Ich wollte nur noch meine Freundin abholen, in ein Gasthaus gehen und pennen.

Der Nebel hatte inzwischen etwas nachgelassen und ich steuerte auf die nächste große Brücke zu, die über die Bucht führte. Ich konnte keinen Zugang zur Brücke ausser der Autostraße erkennen. Also lief ich einfach unter der Brücke entlang, die ca. 50m über mir verlief. Unten am Wasser, und immernoch ohne Fußgängerzugang, standen ein paar Angler, die etwas frustriert ihre Angeln im dunklen Wasser unter der Brücke hielten. Ich ging auf sie zu und fragte, wo denn die Brücke sei. Etwas irritiert zeigten sie nur nach oben.
Jaja, sag ich, ich mein die Fußgängerbrücke. Einer aus der Gruppe entgegnete dann auf meine japanische Frage in Englisch. „Bridge?“ sagt er, ich antwortete wieder auf japanisch „Ja die Brücke“.

Auf Englisch erklärte er mir dann, zwar etwas grummelig aber höflich, dass da drüben der Zugang zur großen Brücke über uns war. Ich bedankte mich auf japanisch und er wünschte mir mit ebenfalls grummeligen Ton noch einen schönen Tag auf Englisch. Als ich dann etwas von der Gruppe weg war, drehte ich mich nochmal um und merkte, dass der, der Englisch mit mir sprach, mir hinterherschaute um sicherzugehen, dass ich auch die richtige Richtung (gerade aus) nicht verfehle, und rief mir noch mal auf Englisch hinterher, dass es gleich da vorne ist. Sehr freundlicher Herr, auch wenn er auf den ersten Blick recht stoffelig wirkte. Vielleicht macht das der Mangel an Sonnenlicht im Nebel und unter der Brücke mit einem…

Eine unscheinbare gelbe Wendeltreppe führte dann zur großen Brücke hinauf und über die Bucht, wieder direkt zum Bahnhof. Ich war der einzige Fußgänger auf der Brücke.
Wieder am Bahnhof angekommen, und noch etwas Zeit zur Verfügung ging ich wieder zu dem kostenlosen Internet in der Bibliothek. Schließlich hatte ich ja jetzt einen Ausweis.
Ich schickte meiner Freundin noch schnell eine Nachricht und suchte ein paar Gasthäuser raus. Die Entscheidung wollte ich ihr überlassen und sie plädierte für traditionell japanisch. Ich checkte noch schnell die Nachrichten aus Deutschland, denn schließlich sollte heut abend noch das WM Spiel Deutschland gegen Argentinien stattfinden.

Ich machte mich auf dem Weg zum Gasthaus, dass nur 15min vom Bahnhof lag und checkte ein. Ein übereifriger Betreiber freute sich über den ausländischen Besuch und fragte natürlich gleich woher ich komme. Deutschland, sagte ich. Er grinste und meint „Ah, die spielen doch heute? Viel Erfolg!“. Ich konnt mich nur noch schnell bedanken und ein Zimmer für zwei buchen, da rief schon meine Freundin an. Sie ist endlich in Nagasaki gelandet. Ich erklärte dem Betreiber, dass ich sie noch schnell abhole und gleich wieder da bin.

Wobei das nicht ganz stimmt, denn anstatt auf japanisch zu sagen „Meine Freundin ist am Bahnhof“ sagte ich „Meine Freundin ist ein Bahnhof“. Der Faux Pas fiel mir dann auf dem Weg zum Bahnhof bzw zu meiner Freundin noch auf, aber ich glaub, der wusste schon was ich meinte.


Statue am Bahnhof

Mein Gepäck konnte ich dann auch gleich am Bahnhof abholen und wir gingen zum Gasthaus. Unterwegs sprachen wir über Gunkanjima und das WM-Spiel heute abend. Ich meinte „Nachdem Deutschland dann heute gewonnen hat, können wir uns auf die Insel konzentrieren.“ Meine japanische Freundin war irritiert. „Du kannst doch garnicht wissen, dass Deutschland heute gewinnt?“. Doch, doch das konnte ich.

Das Gasthaus roch frisch nach Tatami und war angenehm hell. Ich nahm die dringend benötigte Dusche und schlüpfte in frische Klamotten. Trocken und warm legte ich mir meinen Futon zurecht, dabei wie üblich drei Futons übereinander. Wir redeten noch kurz über Gunkanjima. Unser Kontakt in Nagasaki hatte sich noch einmal gemeldet. Er wollte wissen, für welches Medium ich schreiben will und wie hoch die Auflage ist. Ich gab meiner Freundin alle Infos, legte mich hin und wollte nur kurz meine Augen ausruhen. Sie telefonierte.

ich bin zwischendrin eingeschlafen, ich wachte nur kurz auf, als meine Freundin am Fenster stand und mit dem Verteter der Stadt telefonierte. Ich fand das Licht am Fenster wunderbar, griff im Liegen meine Kamera, drückte ab und schlief wieder ein.


Sie beschwerte sich dann nachher, dass sie auf dem Bild doch arg breit aussieht, aber das macht allein die Perspektive

Irgendwann, als es schon dunkel war, wachte ich auf. Meine Freundin war fixiert auf ihr Handy, das sie in Gedanken versunken betrachtete. Meine erste Frage war natürlich „Wie spät ist es?? Spielt Deutschland schon??“, doch bis zum Spiel waren es noch zwei Stunden, in denen man noch ein gutes Essen einlegen sollte.

Sie gab mir dann die Kurzfassung zu ihren Gesprächen. Wie schon im Wetterbericht angekündigt sind die Wellen vor der Küste leider derzeit sehr stark und es ist gefährlich, zur Insel zu fahren. Sollte es morgen noch machbar sein, bekommen wir im Laufe des Tages einen Anruf. Unser Kontakt bei der Stadt hat einen Fischer organisiert, der uns für ein paar Yen auf die Insel rübersetzt.

Die Insel kann man auch als Tourist betreten, indem man mit hundert anderen auf ein Boot verfrachtet wird, die dann mit dir zusammen 30-45min auf der Insel sind und durchs Bild laufen. Das wollte ich vermeiden, also suchten wir uns Zeiten raus, die nicht mit den Touristen kollidierten. Allerdings war das für dieses Wochenende auch hinfällig, da bei dem Wetter keine Touristen rübersetzten. Für uns sollte eine Ausnahme gemacht werden, wenn das Wetter ist.

Mein ursprünglicher Wunsch war es eine Nacht auf der Insel zwischen den Ruinen zu verbringen. Denn Fotos von der Insel gibt es inzwischen reichlich, doch bei nacht war noch keiner da. Meiner Freundin gefiel der Gedanke absolut nicht, doch ich war gespannt. Nur musste die Stadt Nagasaki entscheiden, ob ich das darf oder nicht. Und da zählten harte Zahlen der Auflage des Mediums und Größe des Abdrucks darin.

Um den Fischer zu treffen, der uns zur Ruineninsel bringen sollte mussten wir in einen kleinen Ort fahren, anderthalb Stunden vor Nagasaki. Wenn der Anruf morgen kommt, würden wir uns auf den Weg machen. Ich machte mir noch Gedanken ums Licht, wenn das Wetter so sein sollte wie heute, doch zunächst zählte erstmal überhaupt auf die Insel zu kommen, wegen der ich hergekommen war. Ddie Zeit drängte etwas, da meine Begleitung bereits in zwei Tagen Nagasaki verlässt, und sie unter anderem auch wegen der Insel hergekommen ist. Und ich selbst würde in 6 Tagen Richtung Deutschland fliegen. Meine Reise nach Japan und nach Nagasaki sollte nicht ohne eine Reise zur Ruineninsel bleiben.

Nun wollten wir endlich was essen. Nagasaki hat, wie absolut jeder Ort in Japan, eine lokale Delikatesse bzw. Spezialität. In Nagasaki gab es unter anderem Nudeln mit Meeresfrüchten, serviert in einer Créme-Soße, die dann meine japanische Begleitung auch orderte. Ich begnügte mich mit Ramen. Dann kam schon das Spiel.

Auf einem HD-Fernseher sah ich dann eines der besten deutsche Spiele bei dieser WM. Beim ersten Tor schrie ich schon das ganze Haus zusammen, bei den dann noch folgenden drei Toren ohne Gegentor nahm ich mir immer ein Kissen und brüllte da hinein. Selbst meine Begleitung, die sonst wenig Lust auf Fußball hat, war von dem Spiel begeistert. Am nächsten Morgen wollte ich mich eigentlich beim Betreiber für meinen lauten Jubel in der Nacht entschuldigen. Doch als der mich dann mit „Gratulation!“ begrüßte, wusste ich, das war nicht mehr nötig.

Nach dem Spiel war ich bester Laune. Deutschland hatte gewonnen und ich würde nach Gunkanjima gehen.

Endlich Sonnenschein im Nebel von Nagasaki

———————————————–
Die Nagasaki-Nacherzählung:

Teil I – Nach Nagasaki, der Insel wegen
Teil II – Nagasaki, Stadt im Regen
Teil III – Buddha und die zerstörte Stadt
Teil IV – Gräber, die die Stadt hinauf wachsen
Teil V – Die touristenfreundliche Ruine im Pazifik
Teil VI – Eine Insel für die Holländer und ihre Dirnen


Flattr this

Nach Nagasaki, der Insel wegen

Eine Woche vor meinem Abflug nach Deutschland bin ich nach Nagasaki auf Kyushu gefahren. Die Stadt, die als Zweite in Japan von der Atombombe getroffen wurde, die jahrhundertlang als Japans einziges Tor zum Westen fungierte und in der eine christliche Minderheit überlebte, während diese Religion im gesamten Land verboten war. Viele Gründe nach Nagasaki zu reisen, doch für mich gab es nur einen Grund: Die Insel-Ruine Gunkanjima. Ob ich es dann tatsächlich auf die Insel geschafft habe, und was ich sonst noch in Nagasaki erlebt habe, soll hier in meinem Bericht über meine letzte große Reise in Japan erzählt werden

Prolog

Wie oft erwähnt wollte ich schon seit vielen Jahren nach Japan reisen. Als es dann endlich soweit war und nur noch das Flugticket geordert werden musste, kamen mir Bedenken. Fragen wie „Was soll ich da?“ oder „Was genau suchst du?“ kamen mir in den Sinn. Bis mir alle Fragen (gewissermaßen) in einem Fernseh-Beitrag beantwortet wurden.

In den Tagesthemen lief ein Beitrag über eine Insel in Japan, vor der Küste von Nagasaki, auf der eine Stadt errichtet wurde, die dann aufgegeben wurde und für mehrere Jahrzehnte nicht mehr betreten werden durfte: Gunkanjima – eine Geisterstadt mitten im Meer.

Ich finde Ruinen absolut inspirierend – künstlicher urbaner Raum, der einst Leben beherbegte und nun tot und vollkommen frei ist. In Berlin bin ich schon durch mehrere Ruinen gekraxelt. Es gibt ja dank Krieg, ostdeutsche Mangelwirtschaft und Schlampereien nach der Wiedervereinigung genug Ruinen in dieser Stadt. Als ich nun diesen Fernsehbeitrag sah, wusste ich „Da musst du hin!“. Mehr noch: „Da kannst du hin!“. Diese Insel ist zwar so weit weg, und so ganz einfach ist es auch nicht, dort hinzukommen, doch wenn ich erstmal in Japan und in Nagasaki bin, wird mir schon was einfallen.

Diese Insel war sicher nicht der einzige Grund, warum ich nach Japan gegangen bin. Doch es war ein sehr großer Grund, zumal er mir auch vor Augen führte, warum ich überhaupt in diese fremde Land wollte: Um Neues zu entdecken, Geschichten zu finden, spannende Sachen zu fotografieren und darüber zu berichten. Diese Insel war das erste konkrete Ding, was ich recherchieren konnte und wollte.
In der Zwischenzeit kamen noch sehr viel andere Dinge hinzu, sodass die Insel mehr und mehr nach hinten rutschte.

Ziemlich genau vor einem Jahr, im September 2009, kam mir der erste Gedanke für eine Weile nach Kyushu zu ziehen. Es gibt Programme für junge Freiwillige, auf einer Farm zu arbeiten, zwar ohne Bezahlung aber für Kost und Logis. September war auch der erste Zeitpunkt, wo mir anfing das Geld auszugehen. Eine mietfreie Zeit auf Kyushu, auch mit der Option nach Nagasaki und Gunkanjima zu gelangen, war da sehr verlockend.


Flughafen Haneda in Tokyo, für Flüge innerhalb Japans

Doch leider, oder zum Glück, wie mans nehmen mag, kamen viele Aufträge und Jobs rein, ich zog in eine neue Wohnung und war sehr glücklich da. Kyushu verschob und verschob sich, aus geplanten mehreren Wochen Aufenthalt wurden ein paar Tage.

In meinen letzten Wochen wollte ich Nägel mit Köpfen machen. Ich sagte meinem Vermieter, dass ich Ende Juni ausziehe, um nach Kyushu zu gehen. Er organisierte alles und hatte auch schon flugs einen Nachmieter für mein 4qm Kammer ohne Fenster Zimmer .

Dass ich es mir bis Ende Juni anders überlegt hatte, weil ich nämlich noch viele Aufträge in Tokyo bearbeiten musste, die dann noch reinkamen, passte dann leider nicht mehr ins Konzept. Ich musste raus, und zog erst mal zu Freunden auf die Couch.

Mein Auszug hatte aber auch etwas Gutes: Ich bekam meine Kaution wieder und musste die nächsten Wochen keine Miete mehr zahlen. Mehr noch: Mit meinem letzten Gehalt aus dem Restaurant und einigen frisch verkauften Bildern hatte ich mit einem Schlag eine ganze Menge Geld. Das war tatsächlich das erste und einzige mal in Tokyo, wo ich keine Geldsorgen hatte. Eine schöne Zeit, so entspannt, wie das ganze Jahr zuvor nicht.

Ich bin zu Freunden gezogen, d.h. ein amerikanischer Architekt, eine deutsche Marketing-Frau, eine weise Bulgarin, eine deutsche Studentin und eine japanische Architektin (die erst später auf meine Empfehlung in diese Haus gezogen ist, und mich letzte Woche in Berlin besuchte). In der ersten Nacht kochten wir gemeinsam und tranken Sake auf dem Dach, in einer heissen japanischen Sommernacht, mit dem Blick auf die Hochhäuser von Shinjuku. Alles war gut.

Vor meinem Abflug legte ich allerdings noch ein paar Terror-Tage ein, wo ich bis zu drei Shootings in einen Tag legte. Das werd ich nie wieder machen, da die Bilder bei allen drei Gelegenheiten nicht sonderlich gut wurden und ich nur im Stress war.

Dienstag Nacht

Die japanische Architektin hat, wie alle in Japan, ständig Überstunden zu schieben. Bei ihr kann es durchaus auch extrem werden, mit mehreren Tagen im Büro, ohne zwischendurch mal nach Hause zu kommen. In dieser Dienstag Nacht wartete ich noch auf sie. Ich wollte mit ihr über meine Reise nach Nagasaki sprechen und sie, auch aus Dankbarkeit, dass ich hier pennen darf, zum Essen einladen.
Während alle anderen Hausbewohner aßen und sich bereits ins Bett verabschiedeten, wartete ich hungernd auf die Architektin. Gegen halb zwei Uhr kam sie dann nachhause, völlig kaputt und müde. Sie war sogar zum Essen zu müde. Ich allerdings nicht. Also flitzte ich kurz zum Conbini, deckte mich ein und ging zurück ins Haus.

Bei ihr stand eine Geschäftsreise nach West-Honshu an, und zwar am nächsten Tag. Noch genauer: in fünf Stunden sollte sie am Bahnhof sein, um dort ihren Chef zu treffen (der sich aus dem Arbeitstag vorher natürlich rechtzeitig verabschiedet hatte, während sie noch bis in die Nacht schuften musste). Ich hing über Flugplänen nach Nagasaki und sie meinte, sie würde am liebsten mitkommen. Komm doch mit, sagte ich, und so spontan war unsere Reise entschieden.

Ich wollte am Freitag in Nagasaki eintreffen, sie hatte bis Freitag in West-Honshu zu tun und wollte dann am Nachmittag/Abend mit dem Zug nachkommen. Der Flug wurde gebucht, ich holte das Ticket einen Tag später in einem Conbini ab, wo ich auch bequem bezahlte, und am Freitag gings zum Flughafen. Reisen in Japan ist echt praktisch!

Geld spielte zu dem Zeitpunkt keine Rolle, ich hatte erstaunlicherweise mal genug davon. Nach Nagasaki wollte ich auch weiter nach Kyoto, und dann zurück nach Tokyo, um dann in den Flieger nach Deutschland zu steigen.

Im Gegensatz zu Hiroshima war ich nicht journalistisch unterwegs, was mal ganz angenehm war. In Hiroshima musste ich 6 Interviews in 5 Tagen durchhauen, danach war meine Stimme auch weg. In Nagasaki sollte ich nur ein paar Bilder von einem Denkmal machen, dass die DDR gestiftet hatte (übrigens bis heute der einzige deutsche Beitrag zum Peace Park in Nagasaki). Nur das, und natürlich… die Insel!

Etwas spät aber noch rechtzeitig nahm ich Kontakt zu der Stadt Nagasaki auf. Ich schilderte mein Anliegen, für ein deutsches Medium etwas über die Insel schreiben zu wollen und bat um Unterstützung. Es dauerte etwas und mein Anschreiben wurde noch durch die Hierarchien gereicht, doch es erreichte den Richtigen. Die letzte Info die ich vor meinen Abflug erhalten hatte war, das es möglich ist, zur Insel zu kommen, aber es ist schwierig. Wenn wir in Nagasaki sind, sollen wir uns melden.

Ab in den Flieger und keine zwei Stunden später in Nagasaki, bzw. im Flughafen eine Fahrtstunde vor der Stadt.
Juni/Juli ist Regensaison in Japan, besonders schlimm wird es, je südicher man sich bewegt. Kyushu ist Süden.

Wenn es mal nicht regnete, war es heiss und schwül. Eine Dauersuppe mit 90+% Luftfeuchtigkeit, Nebel und Nieselregen. Nicht die beste Zeit nach Nagasaki zu düsen, aber die einzige, die noch möglich war.

Ich hatte kein Geld mehr auf dem Handy, denn auch wenn ich genug Geld in der Tasche hatte, mein Prepaid-Handy für noch ein paar Tage Japan aufladen erschien mir sinnfrei. Als ich dann am Nachmittag ankam, wollte ich zuerst meine Freundin kontaktieren, die später am Tag kommen wollte. Per Münztelefon schien das nicht zu funktionieren, also suchte ich das nächste Internet-Cafe auf.

Laut Lonely Planet, der wie immer über alles bestens und detailiert informiert war, gab es in einer Bibliothek gratis Internet. Auch wenn man mir deutlich ansah, dass ich ein Tourist war, musste ich mich registrieren und bekam einen laminierten Ausweis zur Bibliothek. Ich checkte meine Mails und schickte meiner Freundin eine Nachricht, dass ich mich wunderte, wo sie bleibt.

Am Computer neben mir saß eine junge Japanerin, die mit dem Computer sprach. Richtig, sie sprach nicht mit einem Headset, oder in ein Mikro hinein, nein, sie sprach mit dem Computer. Wobei der auch nicht antwortete sondern nur zuhörte. Die ganze Zeit hatte sie irgendeine Anime-Website auf, wo groß ein mänlicher Charakter prangte. Allzuviel Zeit wollte ich hier nicht verbringen, meine mittlerweile durchnässte Kleidund wurde von der Klimaanlage auch gnadenlos runtergekühlt.

Ich stärkte mich unterwegs und machte mich auf dem Weg zum Bahnhof. Vielleicht ist ja ihr Handy kaputt, und sie ist auf dem Weg hierher. Wenn dem so ist, würde sie am Bahnhof ankommen und ich könnte sie dort erwarten. Es folgten mehr als 3 Stunden Warten, mit dieser Sicht:

Bevor ich meine Warteposition unter dem trocken Dach des Bahnhofs einnehmen konnte (während es überall sonst schüttete wie Sau), quatschte mich ein Kerl an. Er hielt ein Magazin in der Hand und lächelte süffisant. Ich dachte, er will mir was verkaufen, also winkte ich ab.
Von meiner Bank aus konnte ich ihn beobachten. Er ging ständig zwischen den Leuten hin und her, stellte ihnen Fragen und machte Fotos. Er guckte immer mal wieder verstohlen zu mir rüber, und in der zweiten Stunde meiner Warterei und seiner Fragerei, verband er beides und kam auf mich zu. In sehr gebrochenen Englisch erklärte er mir, dass er Redakteur einer Zeitschrift ist und Leute für die nächste Ausgabe befragt.

Ich lächelte und meinte „Klar, schieß los!“. Als Journalist ist man immer mal in dieser Situation, wo die Redaktion sagt „He, geh ma raus, sammel Eindrücke“. Es ist oft ein undankbarer Job, aber wir alle mussten da mal durch. Ich ebenso, also hatte ich Mitgefühl für ihn.

Für die Zeitschrift Fukuoka No! befragte er Leute in Regionen in Kyushu zu dem sich bald jährenden Jahrestag des Atombombenabwurfs auf Nagasaki. Erstmal klärte er natürlich, aus welchem Land ich komme. Als klar war, dass ich kein Ami bin, gingen schon die Fragen los, die sehr offensichtlich darauf abzielten, möglichst Amerika-feindliche Antworten zu kriegen. Ich gab mir Mühe so diplomatisch wie möglich zu sein, doch ich war mir nicht sicher, ob er meine Antworten verstanden hat. Zudem sind mir grad die japanischen Vokabeln für „ein Verbrechen in der Menschheitsgeschichte“ entfallen. Er machte dann noch ein Foto von mir und ein paar Wochen später wurde es abgedruckt.

Es näherte ich die dritte Stunde meiner Wartezeit. Inzwischen hab ich viele Highschool-Mädchen, kommen, tratschen und gehen sehen, sogar ein Verrückter kam vorbei, der eine komische Fixierung mit einem Hund hatte, den eine Familie dabei hatte. Doch scheinbar kannten die den Herrn mit seinen gelben Gummistiefeln schon, sodass sie die ca. 6 jährige Tochter unbedurft herumtollen ließen, während der Irre weiterhin stumm den Hund anstarrte.

Die Nacht zuvor hatte ich wenig geschlafen, und das ganze Herumlaufen mit dem schweren Gepäck auf dem Rücken bei dieser Hitze machte müde. Doch ich musste hier warten, wenn ihr oder dem Handy nun was passiert ist, wäre hier die einzige Gelegenheit, sie zu treffen.

Es war halb neun und sie war immer noch nicht da. Der letzte Zug aus der nächstgrößeren Stadt lief gerade ein, und wie bei den 23 Zügen vorher schaute ich auch hoffnungsvoll zum Gleis, mit der Erwartung, dass sie nun doch kommen müsste. Doch sie kam nicht.

Ich musste schlafen, anders hätte Nagasaki nur noch frustrierender auf mich eingewirkt als bisher. Ich machte mich auf dem Weg zum nächsten Manga Kissan (24 Stunden Internet-Café wo man billig übernachten kann), wo man um die Zeit sicher noch ein Schlafplatz kriegt. Dafür musste ich die Straße überqueren und auf der Überführung ließ sich gut ein Foto machen.

Als ich da so stehe und fotografiere, kommt jemand auf mich zu. Ein junger Amerikaner, in der einen Hand eine Bierdose, in der anderen ein Skateboard. Klischees hin oder her, so sah er tatsächlich aus. Er fragte mich ob ich Englisch kann. Klar, sag ich, und er freute sich sichtlich. Er fragte mich, ob ich hier irgendwelche coolen Bars kenne. „Öhm nein?!“ sag ich, und verweise darauf, dass ich auch nur ein Tourist bin, der heute angekommen ist. Er selbt kam grad mit dem Zug aus Fukuoka und sucht hier nun coole Bars. Nagasaki ist eher weniger für sein Nachleben bekannt, wenn dann eher Fukuoka oder Kagoshima, doch der letzte Zug dahin fuhr gerade ab. Er fing an zu fluchen und nippte an seinem Bier.

Ich: „Hast du einen Reiseführer?“
Er: „Nein.“
Ich: „Sprichst du Japanisch?“
Er: „Null.“
Ich: „Tja…. dann viel Glück.“

Er fragte mich dann noch, ob ich einen amerikanischen Outlet-Store hier in der Nähe kenne. Ich verweise wieder darauf, dass ich nur Tourist bin – der jetzt schnell los muss. Immer noch verwirrt schauend trank er wieder einen großen Schluck aus seinem Dosenbier und ließ sein Blick fragend über die Straße wandern, die ihm aber auch keine Antwort geben konnte.

Es ist ein Ding, irgendwo hin zu fahren, ohne eine Ahnung, was es dort gibt. Ich selbst mache das sehr gern. Wenn man dann allerdings bestimmte Sachen erwartet, darf man sich nicht beschweren, sie dann eventuell nicht zu finden. Wahrscheinlich war er auch einfach nur auf der falschen Insel.

Ich lief zum nächsten Manga Kissan, kam völlig verschwitzt und durchnässt an, und fragte die sehr hübsche Verkäuferin auf japanisch nach einem Zimmmer. Sie stellte eine Folgefrage, die ich nicht ganz verstand und auf die ich dann mit schlechten japanisch rumdruckste. In absolut fliessenden Englisch fragte sie mich dann, ob ich Englisch könnte. „Oh gott jaaaaa“ konnte ich nur sagen, und entschuldigte mich gleich für mein schlechtes Japanisch. Sie lächelte nur lieb und meinte „Ist okay… :)“

Sie zeigte mir mein „Zimmer“


Man beachte das VIP im Hintergrund

Fast größer als meine Bude in Tokyo, aber nicht wirklich bequemer als die Couch bei meinen Freunden, dafür mit großen Fernseher und Computer. Es war ja noch Weltmeisterschaft und es spielte Brasilien gegen Holland, ein Spiel was man sich durchaus geben konnte.
Immer noch mit Sorge, Ungewissheit und tausend absurden Ideen im Bauch, was mit meiner Freundin zwischen Tokyo und Nagasaki alles hätte passiert sein können, checkte ich meine Emails. Es war eine von ihr dabei.

Es tat ihr Leid, dass sie sich nicht melden konnte. Die Arbeit war getan und der Chef lud zum Besäufnis. Als Angestellte kann man da in Japan leider nicht ablehnen, also hatte ich ein gewisses Verständnis für ihren Verbleib. Ich war auch erleichtert, dass alles in Ordnung ist, doch ein bisschen bereute ich diese ganze Wartezeit schon. Doch zumindet konnte ich nun sorgenfrei einschlafen.

Sorgenfrei war ich schon, doch mit dem Einschlafen war das eine andere Sache. Meine Kabine war nämlich eine von ca. 200 in einer riesigen Halle. Alle Kabinen waren ohne Dach und wenn ich mich nur hinstellte, konnte ich schon in die anderen Kabinen hineinschauen. Ich hatte zwar keine direkten Nachbarn, doch dafür viele andere um mich rum. Kein Dach heisst auch, dass alle Geräusche nach aussen dringen. Wenn nur einer schnarchte, hatten alle verloren.
Es schnarchte einer.

Einige atmeten zudem auch schwer. Das ganze Geschnarche, Geschnaufe und Röcheln mischte sich dann mit der viel zu kalten Klimaanlage, die im Dauerbetrieb dröhnte. Ich wachte in der Nacht mehrmals auf und dachte, ich bin in einem Krankenhaus.

Am nächsten Morgen ging es nach einem Konbini-Frühstück raus in den Nebel der Stadt. Meine Freundin würde unter Garantie am Nachmittag kommen, Zeit also die Stadt zu erkunden. Mein Gepäck parkte ich in der Zeit am Bahnhof und machte mich auf dem Weg zum Friedhof für Ausländer, abseits der Stadt. Bei dem Nebel konnte es nur interessant werden. Zumal ich die klassischen Touri-Ziele dann mit meiner Freundin eh abgehen werde.

Die Stadt begrüßte mich mit Nebel und Regen, mal sehen was der zweite Tag nun bereit halten sollte. Am Nachmittag wollte der Typ von der Stadt noch einmal wegen der Insel anrufen…

———————————————–
Die Nagasaki-Nacherzählung:

Teil I – Nach Nagasaki, der Insel wegen
Teil II – Nagasaki, Stadt im Regen
Teil III – Buddha und die zerstörte Stadt
Teil IV – Gräber, die die Stadt hinauf wachsen
Teil V – Die touristenfreundliche Ruine im Pazifik
Teil VI – Eine Insel für die Holländer und ihre Dirnen


Flattr this

Geschichten aus einem deutschen Restaurant in Tokyo: Meine Kollegen

In Tokyo habe ich mehrere Monate als einziger deutscher Kellner in einem deutschen Restaurant gearbeitet. Ich habe die Zeit sehr genossen. Hier nun ein paar Geschichten aus dieser Zeit.

Sie hatte immer was gegens Fotografieren, auch wenn ich ihr versicherte, dass ich Profi bin und keinen Schabernack treibe

Jeden Feierabend, immer ca. 23.30 Uhr, nachdem die letzten Gäste gingen, setzten wir uns alle zusammen hin und tranken noch was. Meine Kollegen meist ein frisches Bier, ich einen Ananassaft oder eine Cola. Ich mochte diese Runden am Abend. Es war alles ungezwungen, keine Analyse vom Tag oder ein Fazit, was man besser machen müsste, wie es bei deutschen Betrieben der Fall ist, wenn alle am Ende des Tages zusammen kommen. Man konnte reden, oder nur schweigen, oder sich komplett verabschieden. Es gab keinen Druck oder sozialen Zwang. Mir persönlich war es immer recht, mich über eventuell dämliche Gäste vom Tage zu beschweren oder Witze drüber zu machen, wenn sie besonders nervig waren. Dann haben wir drüber gelacht und der Stress vom Tag war vergessen.

Das Restaurant hatte nur zwei feste Angestellte, der Rest bestand aus Teilzeitkräften. Erstaunlich fand ich, was meine Kollegen, fast alle jung und in meinem Alter, nebenbei machten.

Einer war Student an der Elite-Uni Waseda, kam aber ursprünglich aus Hakodate auf Hokkaido, dem kalten Norden, wo seine Familie in einem Tempel wohnt (und auch betreibt). Wenn er mit dem Studium fertig ist, wird er wieder zurück gehen und den „Familienbetrieb“ weiterführen, unabhängig vom Abschluss. Und so wie ich ihn verstanden habe, ist die Zeit in Tokyo für ihn hier, wo er alleine lebt, auch eine kleine Auszeit von diesen Pflichten. Auch wenn diese Teilzeit ihn Studiengebühren von über eine Million Yen (10.000 Euro) kosten (die wohl seinen Eltern zahlen werden). Er studiert Deutsch und Jura (hängt in Japan beides zusammen, da einige Sachen im japanischen Rechtsystem auf dem deutschen basieren), Englisch hatte er auch belegt, doch sprechen konnte er beide Sprachen nicht. Er war von Allen dort der cleverste und wusste das auch. Er wusste auch, dass ich sein Japanisch oft nicht verstand – er sprach Dialekt und sehr schnell – was er manchmal ausnutzte. Dafür zog ich ihn dann mit seinem schlechten Englisch auf 😉

Er kam oft direkt von der Uni ins Restaurant und hatte so seine Bücher dabei. Ich bat ihn einmal, mir sein Englisch-Buch zu zeigen. Wie erwähnt ist Waseda eine Elite-Uni auf einem hohen Niveau. Sein Englisch-Buch erinnerte mich allerdings an die Bücher, die ich in der Grundschule in Englisch hatte. Ich las dann mal eine Übung aus dem Buch vor, eine Frage auf Englisch: „Was würdest du mit einer Million Dollar machen?“. Der Student überlegte lange und nahm mir dann das Buch weg, um die Antwort nachzuschlagen. Mit Japanern und Englisch ist das ja immer so ne Sache 😉

Trotzdem war der Kerl wirklich klug. Er konnte mir alle deutschen Bundeskanzler und sogar einige Bundespräsidenten aufzählen – viele deutsche Studenten scheitern ja schon daran. Er spielt auch wie ich das japanische Brett-Spiel Go.


Tischmeister

Ein Anderer, ich nannte ihn immer Teberu-Sensei (Tisch-Lehrer), weil er immer die Tische kontrollierte, die ich gedeckt hatte und notfalls korrigierte.

Bei ihm merkte ich stark, dieses Senpai-Kohai System, was in den Japanern drin steckt. Grob kann man sagen, dass der Senpai jemand ist, der älter ist und mehr Erfahrung hat, und seinen jüngeren Schützling, dem Kohai, alles erklären muss. Das kann allerdings auch in einer Befehlskette ausarten, oftmals sollte ich nen Tisch abräumen, weil er als mein Senpai keine Lust dazu hatte. Mit ihm verstand ich mich mit am Besten, durfte ihn auch beim Vornamen nennen. Allerdings stritt ich mich auch mit ihm am Meisten. Oftmals, weil ich etwas falsch verstanden hatte.

Wenn mal nix zu Tun war, lernte ich Japanisch. Meine Kollegen halfen mir dabei manchmal, in dem sie Sachen erklärten und aufschrieben. Es machte jedoch mal ein Zettel die Runde, der mir garnicht gefiel. Übersetzt hieß es: Fritz‘ erste Worte waren Schnitzel und Bretzel.
Ich empfand das als beleidigend, nahm den Zettel, zerknüllte ihn und warf ihm dem Schreiber, dem Tisch-Lehrer, ins Gesicht. Der war sehr erbost, doch vor den Gästen prügelt es sich schlecht. Wir sprachen den Rest des Abend kein Wort mehr miteinander.

Eine Woche später erzählte ich dem Oberkellner die Geschichte, der musste nur Lachen und erklärte mir, wie das gemeint war. Es war eine Art Sprechübung, vor Beginn der Arbeit. Dass da mein Name mit Bretzel und Schnitzel stand, lag einfach an einer ähnlichen Aussprache der Worte im Japanischen, an dem ‚tsu‘-Laut in der Mitte. Ich hatte dann eine Woche lang schlechtes Gewissen und als ich ihn das erste mal wieder sah, verbeugte ich mich tief und entschuldigte mich, weil das ja in Japan so üblich ist. Er wusste erst nicht warum ich mich entschuldige, ich erkärte es ihm und er meinte nur „Ach das? Is doch egal“ und lächelte. Toleranz für interkulturelle Missverständnisse haben Japaner wohl mehr als wir.

Ein anderes Mal stand er mir im Weg und ich trat ihn sachte gegens Bein, dass er sich doch bewegt. Fand er gar nicht cool und in der Küche trat er dann zurück. Dann waren wir aber auch quitt.


Eine echte deutsche Ritterstatue! Der Chef prahlte gerne vor Gästen, dass die direkt aus Deutschland kommt und 300.000 Yen (ca. 2800€) gekostet haben soll. Der Oberkellner meinte immer nur dazu, dass der Ritter je nach Geschichte mal 300.000 Yen, mal 200.000 oder mal 150.000 Yen gekostet haben soll. Wir mutmassten beide, dass er den wohl für 100€ aufm Flohmarkt gekauft hatte und nun was vom (metallenen) Pferd erzählt

Ein Brauch, den meine Kollegen überhaupt gar nicht kannten, und ich ihnen beibrachte, war das kollegiale High Five. Immer wenn ich mich freute, grad eine coole Aktion oder Leistung passierte, oder einfach zur Begrüßung, hob ich die Hand um mit meinem Gegenüber die Freude zu teilen. Zu Anfang hatte ich oft die Hand oben und wurde nur verdutzt angeschaut. Mit der Zeit lernten sie aber, wie ich das meinte und erwiederten es freundlich.
Der Oberkellner erklärte mir mal, dass Japaner ein Volk von Samurai sind und „Samurai machen nicht High Five“. Samurai verbeugen sich vor einander. Sag ich gut, die Deutschen sind ein Volk von Fußballspieler, und da klatscht man nun mal ab. In Japan kennt man ein High Five auch nur als „High Touch“ aus dem Sport. Im Alltag eher unüblich.

Mit den Gästen klatschte ich auch ab und an ab, wo es dann heftige Kritik vom Senpai gab, dass man doch sowas nicht macht. Die Gäste fanden diesen „Regelbruch“ aber eigentlich sehr witzig und machten auch immer mit. Als ich dann beim Oberkellner nachfragte meinte der nur „Fritz ist Ausländer, der darf das“. Fand ich in dem Augenblick cool, aber für die Gruppenharmonie war das nicht gut.

Das heisst nicht, dass ich von da an gehasst wurde. Aber es war klar, dass ich eine Sonderrolle unter meinen Kollegen hatte. Natürlich, als einziger blonder und Deutscher in einem deutschen Restaurant in Tokyo würde ich immer eine Sonderposition haben. Doch neben dem Zoo-Faktor hatte ich auch Sonderrechte, wie z.b. mal einen Scherz mit dem Gast zu machen, oder mich zu meinen Freunden, wenn sie mich besuchten, an den Tisch zu setzen.

Im Allgemeinen war es immer harmonisch, aber so manchmal merkte ich doch schon, einen gewissen Neid.
Manchmal nervten sie mich auch mit der Aufforderung „Lern Japanisch!“, wenn ich etwas nach dem 5. Mal nicht verstanden hatte. Das war durchaus richtig, aber irgendwo auch frech. Ich wagte mich in Japan an meine dritte Fremdsprache, wo ich bereits eine fließend spreche und eine andere zumindest verstehe. Das Einzige was meine Kollegen konnten war Japanisch und drei/vier englische Wörter. Trotzdem halfen sie mir sehr oft beim Lernen und waren absolut geduldig.

Der Kollege, der am gleichen Tag wie ich das Vorstellungsgespräch hatte und dort auch genommen wurde, war mit seinem Universitäts-Team Boxing-Champion von ganz Japan. Die Uni und Boxen hat er leider abgebrochen und fing dann einige Wochen später in meinem Restaurant an. Ich fragte ihn mal wie lang er das hier machen will und er wusste nicht. Wahrscheinlich weiss er so vieles grad nicht in seinem Leben und stürzte sich so in die Arbeit. An sechs Tagen in der Woche stand er im Restaurant, damit verdiente er nicht schlecht. Er lebt alleine in Tokyo, doch was er mit all dem Geld machen will, wusste er nicht. Erstmal sparen war ja auch nicht verkehrt.

Mit ihm verstand ich mich am Besten, vielleicht auch, weil wir zur selben Zeit angefangen haben. Er war zu Anfang sehr schüchtern und reserviert, doch ich hatte das Gefühl, dass sich da ein sehr amüsanter Geselle versteckt. Ich sollte recht behalten. Er hatte einen sehr trockenen Humor und konnte großartige Grimassen schneiden. Das traute er sich allerdings nur in meiner Gegenwart, da die Hierarchie zwischen uns flacher war, als zwischen ihm und den anderen.


Theke mit deutschen und japanischen Bier im Fass

Er war allerdings absolut nicht stress-resistent.
Einer von uns musste immer an die Theke um das Bier zu zapfen. Das kann schonmal stressig werden, wenn 20 Leute auf einmal Bier bestellen. Bier hatte die oberste Priorität bei uns, wir sollten lieber mal das warme Essen stehen lassen, um ja nicht den Schaum auf den Bier absacken zu lassen, der musste perfekt sein. Bei diesem Zeitdruck kann man schonmal ins Schwitzen kommen. Der Typ aus Hokkaido war da ein absoluter Profi drin, ließ sich von nix aus der Ruhe bringen und konnte sogar nebenbei quatschen. Der Boxer… der hatte da mehr Probleme mit. Am Nervigsten fand ichs, wenn er laut wurde und mir Befehle entgegen schrie, wenn es unnötig war. Meisten sah er das dann auch gleich ein. Es nützt ja nix, wenn alle im Stress sind.

Sein Name war Shoji, doch gegen Ende nannte ich ihn immer Shojira, nach Godzilla (japanisch: gojira), weil er eines Tages mit einer coolen Igelfrisur aufkreuzte, die an die Zacken einer Echse erinnerten. Das, und die Godzilla Statue, die 100m vorm Restaurant stand, führten zum Spitznamen, den er freudig entgegen nahm.

Wir hatten mal einen großen Armdrück-Abend, weil ich ständig meine Kollegen herausforderte, die aber immer kneiften. Allerdings war das einem Monat nach meinem Unfall, wo ich mir die Hand geprellt hatte. Das war ziemlich dämlich, da schon kurz nach dem Zudrücken ein stechender Schmerz meine Hand durchfuhr – und ihn die nächsten Tage auch nicht verließ. Ich war also draußen, aber meine Kollegen wollten es jetzt wissen. Reihum wurde nun der Stärkste gesucht, und zu Anfang konnte der Oberkellner es auch für sich entscheiden. Bis er dann auf den Boxer traf, der ihm nen heftigen Kampf bot. Mit ganzen Körpereinsatz konnte der Oberkellner es sich dann noch für sich entscheiden. Am nächsten Tag im Restaurant allerdings rieb er sich oft schmerzverzerrt den Oberarm, wenn grad keiner hinschaute. Gewinnen um jeden Preis.

Die Küche bestand aus drei ständigen Mitarbeitern, aus einem Team von insgesamt 5 Leuten, darunter drei Japaner und zwei Leuten aus Bangladesch. Ja, das deutsche Essen in Tokyo wurde von Leuten aus Bangladesch zubereitet, die noch nie in Deutschland waren 😉 Das war aber kein Problem, die konnten gut kochen und sprachen fließend Japanisch – und NUR japanisch. Kein Wort Englisch, was manchmal etwas komisch wirkte, wenn der Ausländer sich mit dem Ausländer in einer dritten Fremdsprache unterhält. Einer der Typen aus Bangladesch war wohl offensichtlich schwul, ständig versuchte er mir in den Schritt zu greifen oder beobachtete mich beim Umziehen. Kein Witz.

Am Anfang machte mir das noch Sorgen, später stellte ich fest, dass wenn ein Schwuler, der kochen kann, auf dich steht, das nicht das Schlechteste auf der Welt sein muss. Oft gabs extra Portionen oder Sondergerichte für mich. Seinen „Angriffen“ konnte ich mich dann auch schnell erwehren und er ließ von mir ab – und wandte sich dem Schritt meiner Kollegen zu.

Mit der Küche hatten wir Kellner wenig zu tun, interessanterweise gabs da eine strikte Trennung. Was mir zu Anfang, als der Typ noch scharf auf mich war, auch ganz recht war. Mit dem Koch, der wohl mal in Deutschland war und immer in Sandalen kochte, unterhielt ich mich dann doch mal, weil er immer so einsam in der Küche rumstand. Der freute sich wohl sehr darüber, sodass er seitdem öfter mal zu unser Sitzung nach Feierabend vorbei schaute.


Wer sich da im Hintergrund wegduckt, hatte schon am Anfang des Beitrags etwas gegen sein Foto

Unter meinen Kollegen waren auch vier Mädels, bzw. drei Mädchen und eine Frau.

Die etwas ältere Dame (verglichen mit dem Rest der Belegschaft), war Anfang 40 und Schauspielerin am Kaiserlichen Theater. Als Schauspieler, sowie allgemein mit Kunst, lässt sich in Japan kaum was verdienen. Und auch wenn sie in Les Miserables mitgespielt hat, zwischen Stücken arbeitet sie als Kellnerin bei uns und in einem Ramen-Restaurant. Teilweise beides täglich.

Sie war echt eine starke Person, zu Anfang wirkte sie deswegen auch recht strikt und ernst, aber sie sorgte sich um ihre Mitarbeiter. Ich meinte an meinem dritten Abend mal zu ihr, dass meine Füße schmerzen. Ich hatte solche schwarzen Edel-Treter, zum Kellnern ungeeignet doch ich hatte keine anderen. Am nächsten Tag schenkte sie mir neue Schuhe, zwar alt und etwas zu groß, aber sehr bequem.
Sie hatte auch immer ein Auge auf mich, falls ich mit etwas Probleme haben sollte. Sie sprach ganz gutes Englisch, wollte aber dass ich Japanisch lerne und sprach deswegen selten Englisch mit mir (nur wenns absolut unumgänglich war). Sie sprach allerdings sehr schnell, sodass ich oft nen Moment zum Verstehen brauchte.

Ein Mädchen, halb Thai, halb Japanisch, war auch dabei. Vielleicht lag es an ihrem nicht nur japanischen Hintergrund, aber mit ihr konnte ich gut rumalbern. Dazu muss man wissen, und das hab ich auch erst sehr spät erfahren, dass Mädels im japanischen Service sehr zurückhaltend agieren sollen. Halt vornehm, höflich und immer das Gesicht wahren. Geisha, ick hör dir trapsen.

Bei ihr war nur mein Problem, dass sie sehr „unhöfliches“ Japanisch sprach, also wie man normal unter Freunden spricht. Damit hatte ich zu Anfang meine Probleme, da ich nur das Lehrbuch-Japanisch kannte. Sie studierte… irgendwas. ich weiss es nicht mehr und sie interessierte das wohl auch nicht so wirklich. Sie schwänzte oft den Unterricht.

Dann war da noch die Künstlerin, die eine Ausstellung auf der Ginza hatte. Sie war recht schüchtern und wirklich sehr zurückhaltend. Umso lustiger war es, wenn ich es mal schaffte mit Geschichten oder Tricks sie aus dieser Rolle rauszukriegen um eine ehrliche Reaktion zu provozieren. Sie war sehr hilfsbereit und auch beim zehnten Mal nicht angenervt, wenn ich sie wieder bat mir etwas aus dem Menü vorzulesen.

Sie malte Gemälde, konnte davon aber, wie auch die Schauspielerin, nicht leben. Sie hatte im Mai eine Ausstellung in einer Galerie auf der Ginza, Tokyo’s teuerster Straße. Für 6 Tage Ausstellung zahlte sie der Galerie 120.000yen, also mehr als 1000€. Ich fragte sie, wie lange sie dafür gearbeitet hatte und sie meinte, ein halbes Jahr. Am Ende verkaufte sie leider nur ein Bild, doch die nächste Ausstellung stand schon an, diesmal im Ausland.

Und dann war da noch das 18 Jährige High-School Mädchen. Sie fing zwar nach mir an, doch arbeitete mehr Tage in der Woche, sodass sie nach kurzer Zeit bereits mein Senpai war. Somit war ich der Kohai von Allen, also ganz unten in der Kette.

Sie spielte irgendwie mit mir, fragte mich ständig ob ich eine Freundin hätte. Wenn ich aber den Versuch unternahm ihr etwas näher zu kommen, wimmelte sie ab. Ich fragte mal, welche Musik sie gerne hört. Sie lächelte, legte den Finger auf die Lippen und meinte: „Das ist ein Geheimnis…“

An meinem letzten Arbeitstag hatte sie zwar keinen Dienst, kam aber zufälligerweise als Gast vorbei – zusammen mit zwei ebenfalls hübschen, 18 jährigen High-School-Mädchen, die ständig zu mir rüberschauten und kicherten. Als sie gingen stand eine von ihnen eine Weile im Gang und suchte meinen Blick. Als sie den dann hatte, lächelte sie und winkte vergnügt. Nicht, dass ich mir mehr vorgestellt hatte, aber ein unschuldiger Spaß wars schon 😉

An dem Abend, wo sie als Gast da war, trank sie auch zum ersten Mal Alkohol. Wie einige vielleicht wissen ist Alkoholkonsum in Japan erst ab 21 gestattet. Mit 18 ist man das in Japan noch nicht gewöhnt. Sie bestellte trotzdem ein Glas deutschen Wein und war kurz danach bereits weggetreten.

Von den Kellnern waren wie gesagt nur zwei fest angestellt, das war einmal der Oberkellner Sakai-san, der mich einstellte und allgemein fürs Personal zuständig war, und sein Vize.

Sein Vize sprach etwas Englisch, welches er aber nur zum Spaß oder für eine Pointe gebrauchte. Sein Humor war sehr trocken, sodass ich oft nicht wusste, macht er nun Spaß oder Ernst. Der Typ war von der Seite gesehen nur 7cm breit! Ein schmaler Hering, der selten im Weg stand, er musste sich nur zur Seite drehen und schon war er weg.

Er arbeitete schon ein paar Jahre hier, immer 5 Tage die Woche. Ich fragte ihn mal, was sein Hobby ist, und er meinte, er hat keins. Der Job sei sein Hobby. „Unglaublich, nicht wahr?“ sagte er, und ich wusste nicht, ob er einen Scherz macht oder nicht. Der Oberkellner meinte mal zu mir, dass sein Vize Pachinko liebt und viel Geld verzockt, auch wenn er nicht wie ein krankhafter Spieler auf mich wirkte, sondern jemand der sehr zufrieden und mit sich selbst im Reinen ist. Der Vize selbst meint er hört gern Enka, eine Art japanischer Schlager, den ich schrecklich finde. Manchmal fing er dann an Enka zu singen…
An meinem letzten Arbeitstag sang er allerdings kein Enka sondern summte mit mir alte Lieder aus Videospielen. Das war ein guter Abschluss.

Und dann natürlich… Der Oberkellner Sakai-san

Sakai-san war für mich die wichtigste Person im Restaurant. Schließlich vertraute er mir und gab mir den Job. Zu Anfang, als das Japanisch noch holperte, war auch als Dolmetscher wichtig für die Verständigung. Er sprach noch das beste Englisch im Restaurant, gebrochen aber umfangreich im Wortschatz. Dementsprechend hatten wir die längsten und intensivsten Gespräche.

Der Typ ist ein absoluter Spaßvogel und er war froh, in mir jemanden gefunden zu haben, der seine Späße mitmacht. Die Anderen trauen sich das nämlich nicht so, schließlich ist er ihr Boss. Auf eine sehr charmante Weise erklärte er mir ohne Druck, was ich und was ich nicht zu tun habe, ohne wirklich ständig Druck zu machen. Eher noch machte einen Witz drüber und ich verstand dann schon.

Gegenüber den Gästen war er natürlich immer respekt- und würdevoll. Fast schon väterlich war sein Einsatz für seine Angestellten, er hatte immer ein Auge auf uns, falls ein Gast wieder etwas wirre Fragen stellte oder uns überforderte, war er schnell zur Stelle und half respektvoll aus, ohne uns zu übergehen oder an die Seite zu drängen. Er war auch der der schnellste, in wenigen Sekunden bewegte er sich von einer Ecke des Restaurants zur anderen, wenn ein Gast wieder die Hände oben hatte.


Ich meinte zu ihm, er soll ma so gucken wie der Chef vom Restaurant (er kann den alten Alkoholiker nicht ausstehen…)

An meinem letzten Tag lobte er mich noch mal. Er meinte, dass er selbst wenig Glauben an mich hatte, mit meinem Japanisch und allem. Doch ich hab mich durchgebissen, mich angestrengt und vorallem mein Umgang mit den Gästen hat ihm imponiert. Das war auch das, was mir am meisten Spaß machte. Natürlich gab es auch dämliche Gäste, aber die überwiegende Mehrheit hat mir eine schöne Zeit beschert.

Sakai-san steht auf Deutschland, er lernt auch Deutsch, wenn im Restaurant grad mal nichts anliegt. Er probierte es ein wenig mit mir aus, auch wenn sein Lehrbuch nur ein sehr altes Deutsch beibringt, was manchmal unfreiwillig komisch wirkte. Zu seiner Hochzeitsreise im letzten Jahr ist er durch Deutschland getourt. Zwei Tage lang war er in Berlin. Er zeigte mir mal die Bilder und er hatte tatsächlich auf einem Foto mein Wohnhaus in Berlin im Hintergrund – auch wenn ich zu dem Zeitpunkt schon in Tokyo war.
Einmal kam er auch als Gast ins Restaurant, zusammen mit seiner Frau, die mich unbedingt mal treffen wollte, den Deutschen der sich hier durchschlägt. Sie hatte meinen Brief gelesen, den ich zu Anfang geschrieben hatte, und war tief beeindruckt, dass ein Ausländer soviel Japanisch hinbekommt. Ihr Lob musste ich mir allerdings teilweise von ihrem Mann übersetzen lassen 😉

Während wir um 17-17.30 Uhr aßen, hält der Oberkellner alleine das Geschäft am Laufen. Er isst dann am Abend, alleine. Wir bekommen dann manchmal Reste, die zu viel waren vom Tag, oder Gerichte, die falsch bestellt wurden. Manchmal, erstaunlicherweise jedoch seltener als die anderen, war ich auch dafür verantwortlich, wenn mal was falsches bestellt wurde, nur weil ich mich verlesen hatte. Ein Schelm wer behauptet, ich hätte das nur gemacht, um am Abend dann was zu Essen zu haben…

Einmal stand nach Feierabend ein großes Schnitzel auf dem Tisch. Ich holte schon die Gabel raus, da schrie der Oberkellner: „Finger weg, das ist mein Schnitzel“. Ich sagte „Sakai’s Schnitzel… Sakatzel?“. Er musste lachen und meinte „richtig! Das hier ist Sakatzel und kein Fritzel“ (Fritz‘ Schnitzel). Wobei der Witz natürlich im Japanischen besser funktioniert. Aber von da an hatte das Essen immer auch den Namen von demjenigen, der es aß. Dämlich, aber auch eine Art Japanisch zu lernen 😉


Winkekatze, die sich in vielen Geschäften Japans und Asien findet. Es gibt welche mit der linken Pfote oben oder nur mit der anderen Pfote. Je nach dem soll es anders wirken. Diese dicke Glückskatze hat beide Pfoten oben, um beide Wirkungen zu erzielen.

Doch bei allem Respekt und Sympathie, die ich für Sakai-san habe, der Typ war echt versaut. Schlimm wars an den Tagen, wo kein Mädel unter den Kollegen war. Ich nannte die Tage dann immer „Soseji Matsuri“ (Würstchen-Fest). Der Begriff fand schnell Anklang, sodass ich an solchen Tagen auch mit den Worten begrüßt wurde. Wenn nur Kerle da waren, ging es nur um Frauen, Sex und alles dazwischen. Das wurde dann allerdings immer so auf dem Niveau von 6-jährigen geführt, als ob es in Japan keine Sexualkunde gibt. Da wird bei „Penis“ schonmal gekichert oder unsachlich über Frauen diskutiert.

Eine Freundin von mir ist Stewardess bei der Lufthansa und kam mich ab und an mal in Tokyo besuchen, so auch im Restaurant. Sakai-san bot mir dann an, früher schluss zu machen, um mit ihr noch den Rest des Abends zu verbringen, denn „für Mädchen kann man schon mal mit der Arbeit aufhören“. Nach ein paar Widerworten nahm ich dankend an und ging zu meinen Kollegen. Schließlich würde ich sie jetzt im Stich lassen, wenn ich jetzt gehe und eine Arbeitskraft fehlt. Ich fing an zu erklären, da kam Sakai-san schon an und erzählte, dass ich jetzt mit nem Mädchen weggehe. Meine Kollegen dann so „Alles klar! Go Fritz go!!“ – es war also kein Problem.

Am nächsten Tag musst ich mir dann natürlich viele Fragen gefallen lassen, was ich wie mit dem Mädchen gemacht habe, wie weit ich ging und was auch immer. Dass sie nur eine Freundin war, verstanden sie nicht. Auch nicht die Küche, die fragte ob ich „jeden Tag Sex habe“, da ich ja in einem Haus mit 7 Mädchen wohne. Tz tz tz…

Das meine Kollegen, zumindest die unter 30, allesamt Jungfrauen waren, versteht sich von selbst. Der Oberkellner natürlich nicht, denn der ist ja verheiratet. Ich fragte ihn mal, ob er Kinder will. Er sagte ja, er probiert es. Jede Nacht probiert er es…

Sakai schreibt sich mit den Zeichen für Alkohol und Brunnen, also eine Quelle des Suffs sozusagen. Ein passender Name für jemanden in einem deutschen Restaurant, wo größtenteils Bier und Wein ausgeschenkt wird.

Sakai-san ist seit über 10 Jahren dabei, und auch wenn der Job ihm gefällt, er ist zunehmend gelangweilt. Fünf Tage die Woche mit nur zwei Wochen Urlaub im Jahr, jeden Tag dasselbe, dieselben Gerichte und manchmal dämliche Gäste. Wenn es keine Abwechslung gibt, schlägts aufs Gemüt. Doch er ist verheiratet, will Kinder und brauch halt das Geld. Verdienen tut er im Laden nicht schlecht, und es ist kein Job, der einen umbringt. Doch etwas wehmütig kommentierte er meinen Abschied. „Du bist Fotograf, Fritz, du könntest überall hingehen und dort arbeiten. Mich wirst du immer hier in Tokyo finden“ – sagte er, und seufzte.

Geschichten aus einem deutschen Restaurant in Tokyo: Zum Job gemogelt

In Tokyo habe ich mehrere Monate als einziger deutscher Kellner in einem deutschen Restaurant gearbeitet. Ich habe die Zeit sehr genossen. Hier nun ein paar Geschichten aus dieser Zeit.

Ich fang am Besten ganz von vorne an, wie ich überhaupt zu diesem Job gekommen bin. Es wird jetzt ein wenig kompliziert, also bitte aufpassen:

Der kürzlich verstorbene ehemalige Handelsminister der DDR, Gerhard Beil, hatte Zeit seines Amtes für gute Beziehung zwischen der DDR und Japan gesorgt. Einige meinen, die Beziehung DDR-Japan war stärker als BRD-Japan, doch das vermag ich jetzt nicht zu beurteilen. Dabei ging es immer ums Geschäft, den Japanern war die Ideologie recht egal. Natürlich wurde bei Staatsbesuche auch mal die kommunistische Partei Japans besucht, doch die war mit ihren wenigen hundert Mitgliedern relativ unbedeutend.

Gerhard Beil kannte nun einen Japaner, der damals stellvertretend für Japan in Deutschland Geschäfte machte, insgesamt 20 Jahre in Deutschland lebte (davon mehrere Jahre in Ost-Berlin) und daran durchaus gut verdiente. Der Mann ist nun über 70, hört nicht mehr so gut, spricht aber gutes Deutsch und lebt in Chiba, östlich von Tokyo.

So… mein Vater kannte durch seine Journalismus-Tätigkeiten nun den Gerhard Beil und fragte ihn, als klar war ich geh nach Japan, ob er vor Ort nicht jemanden kennt, der mir helfen kann, wenns mal eng wird. Oder mit den Worten meines Vaters: „Die haben sich an der DDR gut verdient, nun wirds Zeit ein wenig zurückzugeben“.

Den alten Japaner traf ich dann nun, wir gingen dann zum japanisch-deutschen Verein Chiba, wo einige alte Japaner Deutsch (wieder) lernten. Ich war auch mit denen essen, wo es natürlich wieder die ganz Alten gab, die noch vom Krieg erzählen, und das Deutschland und Japan als Bollwerk gegen die allgemeine (Rassen)Unreinheit stehen. Das übliche eben.

Eine Bekannte von meinem alten Japaner war nun mit jemanden verheiratet, der ein Mitglied in diesem Verein war. Dieser kannte nun den Inhaber von einem deutschen Restaurant in Tokyo. Ihr Mann ist zwar tot, aber sie kannte den Chef dann auch noch. Als mich mein alter Japaner dann im Januar fragte, ob ich immer noch einen Job suche, und ich laut mit JAAAA!!!!! antwortete, machten wir ein Treffen aus.

An einem Abend im Januar traf ich mich nun mit meinem alten Japaner, seiner Bekanntin, dem Chef vom Restaurant und von ihm noch eine befreundete Familie, die noch dazu kam. Konntet ihr mir soweit folgen?
Wenn man mit dem Chef eines Restaurant speist, ist das Essen umsonst. Also bestellten wir reichlich, auch weil der Chef mal testen wollte, wie denn von einem Japaner zubereitete deutsche Gerichte, einem Deutschen schmecken. Es schmeckte gut. Das Schnitzel war zwar etwas dünn, aber das Brot, welches direkt aus Deutschland eingeflogen wird und nicht irgendeiner Bäckerei in Tokyo mit deutschen Namen gebacken gemacht wird. Nach mehreren Monaten ohne Brot hatte ich fast Tränen in den Augen, als ich in das warme Vollkornbrötchen biss.


Der Eingang

Zu dem Zeitpunkt, 6 Monate im Land, war mein Japanisch verhältnismäßig scheisse. Es brauchte daher also immer meinen alten Japaner zum Übersetzen, da er und ich die einzigen am Tisch waren, die Deutsch konnten. Der Chef, obwohl schon über 30(!) mal in Deutschland gewesen, spricht kaum ein Wort. Aber er liebt das Land, schwärmt von Leuten, Essen und Bier. Er drängte mich auch das importierte Bier zu trinken, doch ich bin kein Biertrinker.

„Was? Aber du bist doch Deutscher, du musst doch Bier trinken?“

Der Satz ist in meinem Jahr Japan sehr häufig gefallen…

Kurzum, nachdem er drei Biere hatte, hatte ich den Job. Ich machte einfach einen sympathischen Eindruck und das ich blond bin erledigte wohl den Rest. Meine Japanisch-Kenntnisse oder meine nicht-existente Kellner-Erfahrung waren sicherlich nicht die Gründe, dass ich eingestellt wurde, sondern dass das Restaurant nun einen Quoten-Deutschen hat.

Ein Wort noch zum Chef: Das merkte ich beim Gespräch, und später dann unter seinen Angestellten: Der Typ ist ein Alkoholiker vor dem Herrn. Er hat das Restaurant vor 28 Jahren eröffnet und macht heute nix mehr. Der Betrieb wird aufrecht erhalten vom Oberkellner, der sich ums Personal kümmert, und seiner Frau, die einmal tägich vorbei kommt um die Zahlen zu checken. Er selbst kommt nur zum Besaufen her, oder um wechselnden jungen Damen einen auszugeben.

Er muss sich auch um nix kümmern, der Laden ist jeden Abend voll mit zahlungskräftigen und trinklustigen Gästen. Die Lage in Yurakucho bringt es echt, so kommen jeden Abend ein guter Anteil Geschäftsmänner aus dem anliegenden Marunouchi Bezirk, oder Schaufensterbummler von Tokyo’s Shoppingmeile, der Ginza. Der Laden ist seit fast 30 Jahren sogar so erfolgreich, dass vor 20 Jahren direkt nebenan ein weiteres deutsches Restauurant aufgemacht hat, mit dem urdeutschen Namen „J.S. Leneps“. Keine Ahnung, ich weiss auch nicht, was das heisst…

Das Restaurant ist verzierter als meins, deutsche Flaggen, Krüge und andere Symboliken hängen auf der Straße, dazu immer eine Kellnerin, die auf der Straße schreit, wie toll das Essen doch ist. Die Preise sind höher, trotzdem hält sich der Laden. Als ich den Oberkellner fragte wieso, sagte er „die haben viele weibliche Kellner“. Ich schlug ihm mal vor, dass ich mich ebenfalls auf die Straße stelle und (als Deutscher) sage, wie toll das Essen hier doch ist. Er meinte nur selbstbewusst „das brauchen wir nicht, wir überzeugen auch so“. Recht hatte er und mir gefiel diese unaufgeregte Einstellung.

In einer Mittagspause bin ich mal rüber und fragte die sehr überraschte Kellnerin, die sich mal wieder um Gäste bemühte, woher denn der Name von ihrem Restaurant kommt. Sie wisse es nicht, und auch nicht ihr Kollege, der verwundert dazu kam. Ich wies sie dann noch auf einen Rechtschreibfehler im Menü hin und wünschte viel Erfolg. Mein Oberkellner beobachtete uns und muste herzhaft lachen, weil er sowas von seinen Angestellten nicht gewohnt war, dass die einfach mal zur Konkurrenz rüber spazieren um Hallo zu sagen.

Der Chef und seine Familie stammen von den Kurillen, eine Inselgruppe im Norden von Japan, die im 2. Weltkrieg von Russland besetzt wurde und bis heute russisch ist. Ab und an ist das auch ein Streitthema, weil Japan die Inseln schon noch gerne zurück hätte.
So hat also der Chef und seine Familie, und auch die Familie die uns an dem Abend am Tisch noch Gesellschaft leistete, ihr Haus und Grundstück an den Russen verloren. Dementsprechend schlecht war seine Meinung von den Russen, und er zeterte auch heftig, was mein alter Japaner dann nicht übersetzte (und auch nicht wirklich brauchte). Dass mein Bruder seinen Zivi in Russland leistete, verschwieg ich an der Stelle…

Die Familie, die dann dazu kam, war wie gesagt auch von den Kurillen und seit ihrer Kindheit mit dem Chef bekannt. Es waren jedoch nur die Mutter und ihre Tochter anwesend. Die Mutter fand das ganz rührend, dass ich alleine nach Japan ging um Arbeit zu finden, umarmte mich zum Schluss und wünschte mir mit sichtlicher Rührung und Sorge im Gesicht alles Gute. Ihre Tochter war Tänzerin und dementsprechend hübsch. Der Chef wurde bei ihr auch gern mal körperlich zutraulich, doch sie war das anscheinend schon gewohnt.

Ich hatte also den Job, das hatte er mit Alkohol im Atem vor versammelter Mannschaft verkündet. Ich wusste, dass das so sicher wie ein Vertrag ist, denn würde er das revidieren, würde er vor allen Anwesenden das Gesicht verlieren.
Ich sollte, bevor ich anfange, nur noch den Oberkellner anrufen. Und da war das Problem.


Importierte Bierflaschen im Kühler, das Stück für 8-12€

Konnte ich mich beim Gespräch mit dem Chef mit seinem Alkohol-Pegel, einem Lächeln und meinen blonden Haaren noch durchmogeln, würde am Telefon sofort klar, dass mein Japanisch völlig unzureichend ist, um in einem Restaurant zu arbeiten. Zudem sieht man meine Haare nicht. Ich hatte mir nach dem Gespräch zwar die Speisekarte mitgenommen um zu lernen, aber ein Telefonat überstehe ich mit アイスベイン und シュニツル (Eisbein und Schnitzel) nicht. Der Grund warum ich gezielt ein deutsches Restaurant suchte war, dass ich so weniger Probleme mit den Bestellungen haben werde, da die Namen der Gerichte ja deutsch sind. Dachte ich zumindest…

Die Zeit verging und ich rief nicht an. Mittlerweile ging mir auch nach einem Umzug das Geld aus, im Februar war die schlimmste Zeit, wo ich wirklich zwei Wochen kein Geld mehr für Essen hatte. Das Restaurant war meine beste Möglichkeit, ich musste mir was einfallen lassen. Bis ich dann drauf kam: Ich schreib einfach einen Brief!

Ein Brief auf Japanisch, in dem ich erkläre, warum ich mich so lange nicht gemeldet habe und dass es doch besser wäre, über Email zu kommunzieren. Ich bat eine japanische Freundin mir den Brief zu übersetzen, und zwar so, als ob ein Japanisch-Anfänger sie schreibt, das heisst möglichst wenig Kanji. Das machte den Text dann auch länger und ich brauchte ca. 3 Stunden um alles per Hand aufzuschreiben. Am Ende hatte ich einen Krampf. Aber ich dachte, wenn ich per Hand schreibe, imponiert es ihm mehr.

Schon drei Tage später erhielt ich eine Email, ich solle doch ins Restaurant kommen zum Gespräch.

Ich war super aufgeregt vorm Gespräch, schließlich war mein Japanisch unter aller Sau und ich brauchte den Job unbedingt zum Überleben – wortwörtlich. Ich ließ mir von meinen Mitbewohnern sagen was „Ich suche Sakai-san“ heisst, den Oberkellner den ich treffen sollte. Als ich das dann dem ersten Japaner, dem ich im Restaurant traf, sagte, zeigte er nur etwas verwundert mit dem Daumen auf sich und bot mir an, mich zu setzen.


Sakai-san, der Poser

Es war schon jemand da, der sich anscheinen ebenfalls auf einen Job bewarb. Mir ist in dem Moment entfallen, was „Wie heisst du?“ heisst, also fragte ich ihn wie alt er ist und ob er schonmal in Deutschland war. Im Allgemeinen war er sehr schweigsam und machte einen unmotivierten Eindruck. Doch nach der Frage vom Oberkellner „Wann kannst du anfangen?“ und er mit „Morgen“ antwortete, hatte er den Job. So schwer konnte es doch nicht sein, oder?

Als er abgefrühstückt war, wandte sich Sakai-san mir zu, musterte mich, seufzte und zündete sich eine Kippe an.

(S)akai:„Kannst du Japanisch?“
(F)ritz: „Ein bisschen.“
S: „Bist du Student?“
F: „Nein“

Von da an ging es in gebrochenen aber gutem Englisch weiter:
S: „Warum bist du in Japan?“
F:„Ich bin Fotograf und Journalist“
Ich glaub allerdings nicht, dass er mir das damals glaubte
S: „Hast du eine japanische Freundin?“
F:„Nein“
S: „Magst du japanische Frauen?“
F:„Schon…“
S: „Die sind hübsch, ne?“
F:„Haben Sie denn eine Freundin?“
Er seufzt und zeigt mir seinen Ring „…ich bin verheiratet“
F:„Cool“
S: „…cool?“
…und er muste lachen.

Von da an gings etwas einfacher zu. Er erklärte mir alles, zeigte mir das Menü und bat mich etwas vorzulesen. Das ging zum Glück (auch weil neben den Gerichten Fotos waren 😉 ). Dann bestellte er was zur Probe. Ich verstand kein Wort.
Ich versicherte ihm, dass ich es noch lerne. Dann meinte er wieder „Biggu Problem“ und zeigte mir das „Handy“.

Das Gerät für Bestellungen: Eintippen, Bestätigung drücken und ein Vermerk geht an die Kasse und Küche. Ich konnte die Benutzung nicht Vermeiden, da alles automatisiert ist und es sonst die Prozesse durcheinander bringen würde. Ich konnte ihn dann überzeugen, mir alle Bestellungen aufzuschreiben und dann in Ruhe in den Computer zu tippen. Für das Lesen brauchte ich immer etwas Zeit, aber es funktionierte.

Mit starken Zweifeln meinte er zu mir, dass ich nächste Woche vorbeikommen soll, Beginn ist 17 Uhr, Ende 24 Uhr, um 17 Uhr gibts auch Essen, Klamotten kriege ich, nur Waschen musste ich sie selbst.
Zusammen mit meinem neuen schweigsamen Kollegen machte ich mich durch den Regen auf nach Hause – und lernte die nächsten Tage Japanisch und das Menü. Ich bat meine Mitbewohner als Gäste zu agieren und zu bestellen, die hatten daran einen sichtlichen Spaß.


Mein Spind mit meinem Namen, furitsu =)

Am ersten Tag bat ich um etwas „Training“, schließlich hatte ich noch nie gekellnert. War aber einfacher, als ich es mir ausmalte. Zum Tisch, Bestellung wahrnehmen, Essen bringen, Lächeln, fertig. Natürlich gibts da in Japan Besonderheiten:

– Wenn ein Gast hereinkommt, brüllen alle Kellner „Irrashaimaseeeee!!“, als Begrüßung. Egal ob das Haus voll ist oder ob die das überhaupt hören können
– Wenn ein Gast geht, brüllen alle Kellner „Arigatou Gozaimasu!!“, also „Vielen Dank“
– Wenn man das Essen bringt, egal obs nicht mal ne Minute gedauert hat, sagt man „Omataseshimashita“, heisst „Entschuldigung, dass Sie warten mussten“, gefolgt von der Nennung des Gerichts. Ich persönlich schob dann noch ein „Bitte Schön“ hinterher


Krimskramskommode, mit Kram aus Deutschland, Reisebüchern und einer Schublade für vergessene Gegenstände, darunter viele Kameras. Ich machte mir eien Spaß daraus, mir die Bilder drauf anzuschauen und Gedanken über den Besitzer anzustellen. Oder ich fotografierte meine Kollegen. Wenn die Dinger hier über ein Jahr liegen ist es auch egal…

Die Arbeitskleidung war für Japaner normiert und für mein deutsches Gesäß etwas zu eng, was zur allgemeinen Belustigung beitrug und ich bis zum Schluss meines Jobs mir anhören lassen musste. Mein Gegenargument war immer, ich bin Deutscher, die sind so. Und immer wenn ein deutscher Gast im Restaurant war, die auch immer(!) nen dicken Arsch oder Wampe hatten, meinte ich zu meinen Kollegen „Seht ihr, wir sind so!“

Achja… meine Kollegen… dazu dann mehr im zweiten Teil. Dann auch darüber, was Godzilla mit meinem Restaurant zu tun hat: