Dr. Nakamats, die Berliner Zeitung und ich

Als erster deutscher Journalist habe ich Dr. Nakamats interviewt – ein exzentrischer Erfinder, der in ganz Japan als Erfinder von Springschuhen, Gehirn-Tees und als lustige Fernsehfigur bekannt ist, und der im Rest der Welt als Erfinder der Computerdiskette gilt. Das Interview schickte ich an die Berliner Zeitung, die es zunächst vehement ablehnten und es ein halbes Jahr später trotzdem abdruckten – ohne mir Bescheid zu sagen.

Dr. Nakamats

Ich war naiv.
Ich bin ein bisschen mit der Erwartung nach Japan gegangen, ein paar nette Bilder im Monat zu machen und die dann nach Deutschland zu verkaufen. Die Kontakte zum Auslandsressort der Berliner Zeitung hatte ich schon vorher aufgebaut, die sich damals schon stark an Beiträgen aus Japan interessiert zeigten.
Schnell stellte sich Ernüchterung ein, denn meine Bilder wollten sie zuerst nicht (nur von Agenturen!) und zahlen schon mal gar nicht. Ich begriff recht schnell, dass Bilder ohne Geschichten sich nicht verkaufen lassen, ich musste diese dann schon dazu liefern. Was für interessante Geschichten in Japan passierten, das konnte ja nur ich wissen, denn meine Redaktion kennt Japan ja nicht und würde mir in der Hinsicht keinen Auftrag erteilen. Mit der Zeit bekam ich ein Gespür dafür, was für deutsche Medien interessant sein könnte. Allen voran müssten meine Themen exklusiv sein, denn wenn sie vorher schonmal von einem Journalisten mit mehr Ahnung, Sprachkenntnissen oder Hintergrundwissen gemacht wurden, konnte ich keine Argumente mehr für mich liefern.
In einem deutschen Blog stieß ich dann auf dieses Video:

[youtube=http://www.youtube.com/watch?v=n_w9XMTJnpM&fs=1&hl=de_DE]

Es war der Trailer zu einer Dokumentation über Dr. Nakamats, der schon eindrucksvoll zeigte, was für ein interessanter Typ der ist. Ich recherchierte etwas weiter und fand dabei auch einen sehr guten Beitrag im PingMagazine über Dr. Nakamats. Doch deutsche Beiträge gab es über ihn noch nicht, da kein deutscher Journalist bisher über ihn berichtet hat. Ich witterte meine große Chance.

Ich schrieb den Regisseur der Doku an, dessen Premiere zu dem Zeitpunkt kurz bevor stand. Er kam aus Dänemark und hatte einen deutschen Vater. Wir schrieben uns auch kurz auf Deutsch. Mit dem Hinweis, den Artikel auch groß über die Doku aufzuziehen, was ich als aktuellen Anlass auch brauchte, bekam ich Kontakte zur Sekretärin von Dr. Nakamats.

Es verging etwas Zeit, in der ich meinen deutschen Mitbewohner bat, mir beim Interview mit der Übersetzung zu helfen. Da er schon zwei Jahre in Tokyo lebte, kannte er auch Dr. Nakamats – aus dem Fernsehen und von der Straße. Der selbsternannte Doktor tritt nämlich regelmäßig zu den Wahlen in Tokyo an, gekleidet mit einem weißen Anzug, Zylinder und langen weißen Cape.

Die Sekretärin antwortete dann, und ich meinte schon, dass ich einen Übersetzer für das Interview habe. Doch Dr. Nakamats besteht darauf das Interview in Englisch zu machen, sagte sie, denn das Englisch von Dr. Nakamats ist sehr gut. Das war wohl so ein Prestige-Ding, mit Ausländern auch ohne Übersetzer kommunizieren zu können. Sie gab mir eine Adresse ohne Wegbeschreibung, irgendwo im Westen von Tokyo. Ich machte mich mit dem Fahrrad auf den Weg.

Adressen in Tokyo sind etwas kompliziert. Die Straßen haben keine Namen, nur die Viertel und Nachbarschaften. Man bekommt also nun drei Angaben, erst vom großen Bezirk, dann vom kleineren Viertel im Bezirk und dann die Nummer vom Häuserblock. Innerhalb von diesem Häuserblock hat das Haus dann auch noch eine eigene Nummer, die allerdings nur die Reihenfolge angibt, in der das Haus, verglichen mit den anderen Häusern im Block, gebaut wurde. So gibt es oft Haus Nr. 1 neben Haus Nr. 12 und Nr. 5. Um es kurz zu machen: Ich musste mehrmals nach dem Weg fragen.

Ich musste in der Nachbarschaft nur „Dr. Nakamats“ sagen, damit die Leute lachten und in die richtige Richtung zeigten. Der Doktor war bekannt in der Nachbarschaft, für seine Experimente und Erfindungen, die er gerne auf den Straßen hier im westlichen Tokyo ausprobierte.

Als ich dann vorm Haus stand, gab es keinen Zweifel mehr, dass es das richtige war:


Die schwarze Hausfassade soll kosmische Energie einfangen, sagt der Erfinder

Das Dr. Nakamats House, an der Dr. Nakamats Street Ecke Dr. Nakamats Avenue, auf dem dem Dr. Nakamats Platz. Wer es bis hierhin noch nicht mitbekommen hat, der Kerl ist sehr egozentrisch. Das er die Schilder nur einfach so aufgestellt hat, und Tokyo nicht die Straßen nach ihm benannt hat, versteht sich von selbst, und beschreibt ganz gut den selbsternannten fünffachen Doktor.

In den folgenden Absätzen werde ich nicht den Doktor ausführlich beschreiben, dafür verweise ich mal auf die zwei Artikel, die ich über ihn geschrieben habe. Ich habe die Geschichte über ihn tatsächlich zweimal verkauft, dazu komme ich später nochmal. Bis dahin gilt der Artikel in der Berliner Zeitung vom 4. Oktober 2010 und in der UNICUM Dezember Ausgabe


Ein Windrad im Eingang, um aus Strömungen innerhalb des Hauses Energie zu gewinnen

Den richtigen Eingang zu finden war nicht leicht. Zuerst bin ich durch die offene Tür ins Gebäude, wo offensichtlich eine Art Besucherraum war. Der Name von Dr. Nakamats und sein Gesicht prangten überall.

Dort war irgendwo auch eine Klingel, die ich zwar drückte, aber auf die keine Reaktion kam. Ich ging dann nochmal raus und fand zwei weitere Eingänge. Einer sollte sich später als Eingang zu einem Appartment-Komplex rausstellen, der ebenfalls Dr.Nakamats gehört, und in dem Schüler seiner „Genius Academy“ wohnen. Die „Genius Academy“ bietet Interessierten die Möglichkeit, nah mit dem Meister zu wohnen und ihn ab und an mal bei der Arbeit zuzuschauen. Zu jeder Zeit wohnen ca. 15-20 Leute dort, die die 700€ im Monat zahlen können. Aufnahmekritieren gibt es, bis auf das Geld, kaum welche, auch wenn der Doktor sowieso behauptet, man müsste mit Genie-DNA geboren werden, sont könne nicht zu einem Genie werden. Er hat natürlich diese Genie-DNA. Ob er seinen zahlungskräftigen Schülern einen DNA Test unterzieht, bezweifle ich.

Der andere Eingang war groß mit „Dr. Nakamats House“ überschrieben. Ich klingelte und konnte verständlich machen, dass ich der 14 Uhr Termin bin, der jetzt um 14.15 Uhr hier klingelt. Nüchtern wurde ich drauf hingewiesen, wieder in den Eingangsbereich zu gehen und dort zu warten, bis man mich abholt.


Eine Theke im Eingangsbereich war das „Dr. Nakamats Cafe“

Also wieder zurück. Man ließ mich lange warten, bis die Sekretärin durch zwei schwere Türen kam und mich einsammelte. Beide Türen waren jeweils mit einem Passwort gesichert und mit Dr. Nakamats‘ Gesicht verziert.
Das Haus hat der Doktor selbst designt, schließlich ist er ja ein Genie. Es soll mit verschiedenen gestalteten Arbeitsräumen seine Produktivität steigern. Die Räume bestehen unter anderem aus einer komplett goldene Toilette, einem Indoor-Swimmingpool und einem „Calm Room“ mit Zen-Garten. Alle diese Räume durfte ich nicht betreten, die waren nur dem Doktor vorbehalten.


Überdachter Innenhof des Hauses

Überall im Haus waren einige seiner über 3300 Erfindungen verbaut. So auch auf der Treppe zu seinem Büro im Keller. An der Seite waren die Treppenstufen schräg, um die Belastung auf die Knie beim Aufstieg zu minimieren. Dr. Nakamats hat bei seinen Erfindungen meistens die Gesundheit im Sinn.

Vorbei an vollen Schreibtischen, Regalen und einem allgemeinen Chaos an Dokumenten, ging es zum Büro vom Doktor. Zwei weit ausladende Schreibtische standen in einem fast komplett roten Raum, dekoriert mit Schreibtafeln, Figuren der menschlichen Anatomie, Kameras und Papier, Papier, Papier. Ich sollte vor einem der Schreibtische Platz nehmen, während der Doktor noch an dem anderen zugange war. Er nahm keinerlei Notiz von mir als ich den Raum betrat. Es vergingen ein paar Minuten in denen ich überlegte, ob ich was sagen sollte, doch irgendwann stand er dann auf und ging die drei Schritte zum zweiten Schreibtisch. Er setzte sich hin und guckte mich an.

Ohne Worte gab er mir seine goldumrandete(!) Visitenkarte, die nochmal zeigen sollte, wie großartig er doch ist. Die Anzahl seiner Erfindungen war darauf gelistet, gleich mit dem Hinweis, dass er mehr Erfindungen als Thomas Edison hat.
Etwas überrumpelt nahm ich die Karte an, bedankte mich dafür und für seine Zeit, und gab ihm meine. Wieder wortlos gab er mir ein Buch, eine Art großbebilderte, zweisprachige Autobiografie über ihn.


Cover seiner Autobiografie

Zusammen mit dem Buch gab er mir auch seinen Lebenslauf, kleinzeilig auf einem ganzen A4 Blatt. Dort stand unter anderem, dass er den Nobelpreis gewonnen hat. Das stimmt nicht, denn was er gewonnen hatte war der ig-Nobelpreis, eine Art Anti-Nobelpreis für sinnfreie Forschungen – auch wenn er bis heute der Meinung ist, er hätte den tatsächlichen Nobelpreis gewonnen. Der Doktor bekam die Auszeichnung für die Leistung, seit mehr als 30 Jahren(!) täglich seine Mahlzeiten in Wort und Bild zu dokumentieren. Einer der Aktenordner, die ganze Schränke bei ihm füllen, sah ich auch. Sehr ausführlich. Der Doktor will halt 144 Jahre alt werden, die richtige Nahrung ist dabei sehr wichtig. So trinkt er auch seit Jahrzehnten nichts anderes als „Brain-Tea“, ein Kräutertee, der die Gehirnleistung steigern soll. Diesen „Brain-Tea“ gibt es neben anderen seiner mehr oder weniger nützlichen Erfindungen auch im Dr. Nakamats-Shop zu kaufen.

Das Interview lief sehr schleppend. Auch wenn ich der erste deutsche Journalist war, mit dem er sprach, so war es für ihn nur ein Interview von vielen. Viele Fragen, die ich einfach stellen musste, wurden ihm schon mehrmals gestellt und er war dementsprechend müde, sie zu beantworten. Er verwies stets nur auf sein Buch oder ignorierte meine Fragen komplett. Nach einer halben Stunde war ich mit meinen Fragen durch, ohne viele Antworten bekommen zu haben. Ich wollte mir nun ein paar seiner Erfindungen von ihm zeigen lassen, um so auch viele Fotos für eine große Reportage zu bekommen. Doch der Doktor wollte nicht, und schickte seine Sekretärin.

Wir gingen also wieder zurück in den Eingangsbereich, dem auch die „Dr. Nakamats Library“ angeschlossen war. Ein Museum seiner Erfindungen.

Ziemlich ungeordnet lagen hier nun Erfindungen, Gegenstände und Dokumente aus mehreren Jahrzehnten Dr. Nakamats rum. Die Sekretärin konnte mir mit beschränkten Englisch nicht bei jedem Gerät alles erklären.


Nakamascope – Filmkamera, erfunden für eine deutsche Filmfirma


Einen Computer hat er natürlich auch erfunden


Auswahl aus seinem Verkaufssortiment


Manga über Dr. Nakamats


Dr. Namats ließ sich mal zur Wahl aufstellen, mit dem Versprechen fünf Erfindungen zu haben, die die Welt retten können. Das hier ist eine davon, eine Maschine um aus Wasser Energie zu machen. Dass das Prinzip als Brennstoffzelle schon länger existiert, hat er beim Erfinden, wie so oft, ignoriert.

Ob ich denn auch mal ein paar der Erfindungen selbst ausprobieren möchte, fragte mich die Sekretärin. „Klar!“, sagte ich, und sie verschwand, denn das müsste vorbereitet werden. In der Zwischenzeit könnte ich den Cerebrex ausprobieren, einen Sessel, der, wie sollte es auch anders sein, die Gehirnleistung steigern soll.

Die Idee ist es, Platz zu nehmen und durch den Vorhang vorm Kopf Licht und Geräusche von der Außenwelt abzublocken. Tja und was soll ich sagen, so ein Tuch vorm Kopf funktioniert, man sieht nichts mehr. Der Sessel ist bequem und das wars dann auch. Er hat keine weitere Funktion, trotzdem wird er an den Strom angeschlossen. Doch er vibriert nicht, wird nicht warm, es ist einfach nur ein Sessel mit Tuch.
Der Doktor selbst benutzt den Apparat mehrmals am Tag.

Die meines Erachtens beste und lustigste Erfindung von Dr. Nakamats sind allerdings seine Springschuhe, die er selbst auch oft benutzt.


Scan aus seinem Buch

Die Idee dahinter ist nicht weit zu springen, sondern normal zu joggen und dabei die Gelenke zu schonen. Es funktioniert tatsächlich sehr gut und macht Spaß.

Die Essenz von Dr. Nakamats, das Faszinierende und Absurde, das findet sich in diesen Schuhen. Denn auf den ersten Blick wirken sie absurd und lächerlich. Der Doktor hat sie aber erfunden, weil joggen zu sehr auf die Gelenke geht. Die Springschuhe federn die Belastung auf die Gelenke ab und funktionieren sehr gut. Zu Anfang sind sie ungewohnt. Wenn man versucht normal zu gehen, oder nur zu springen, findet man kein Gleichgewicht. Doch sobald man anfängt leicht zu joggen, fühlt es sich absolut natürlich an. Der Kerl, der mir die Schuhe brachte und beim Ausprobieren half, drückte ich dann die Kamera in die Hand.


Nach dem Springen lernte ich gleich ein neues Wort: „omoshiroi“, japanisch für ‚lustig‘ oder ‚interressant‘, weil der Kerl mich ständig fragte, wie ich den Ausflug fand

Der Doktor meinte es durchaus ernst mit dieser Erfindung. Das er sie so durchgezogen hat, ohne auf irgendwelche Stimmen zu hören, die sowas vielleicht für zu absurd halten, spricht für den Doktor und seine Arbeitsweise. Wenn er sagt, dass er die Gesundheit der Menschen mit seinen Erfindungen im Sinn hat, dann meint er das auch so.

Ich ging dann wieder zurück zum Doktor um mich zu verabschieden. Nachdem ich noch ein Foto von ihm machte, wollte er noch eins zusammen mit mir machen. Er stellte sich neben mich hin, gab seiner Assistentin eine Kamera und fragte mich: „Was sagt man in Deutschland, wenn man für ein Foto posiert?“. „…äh ‚Cheese'“, sagte ich. „Von nun sagt ihr: Dr. Nakama-tsuuuu“, sagte er und betonte die letzte Silbe noch mal mit einer ausholenden Bewegung der rechten Hand, die zum Ende hin das altbekannte Victory-Zeichen formte, dass die Japaner immer auf Bildern machen.
„Dr. Nakama-tsuuu“, sagten wir zusammen, und es klickte. Das Foto wollte mir der Doktor dann allerdings nicht zuschicken, auch nachdem ich ihn mehrmals fragte.

Mit wenig Antworten, verwertbaren Zitaten, Bildern und einem dicken Buch in der Tasche radelte ich wieder nach Hause. Nun begann die Recherche.

Bekannt und unkommentiert

In den folgenden Wochen versuchte ich ein paar Meinungen über Dr. Nakamats einzuholen, was sich als durchaus schwierig erweisen sollte. Wenn zwar jeder(!) Japaner, den ich auf den Doktor ansprach, ihn kannte, so war doch in 99% die Reaktion nur amüsiertes Schmunzeln über ihn und seinen Quatsch, den viele aus dem Fernsehen kannten, wo er regelmäßig in Shows auftritt.


Eine seiner ersten Erfindungen: eine Öl-Pumpe, die er für seine Mutter machte, und dessen Gebrauchsprinzip sich bis heute in Handpumpen in Japan findet

Ich habe die Universitäten angeschrieben, an denen er angibt studiert zu haben, doch die wollten weder bestätigen noch dementieren, dass er an dieser Schule war. Auch vermeintliche Kollegen aus der Wissenschaft wollten nicht zusammen mit ihm genannt werden und sagten nichts zu ihm. Er wird halt einfach nicht ernst genommen, auch wenn er es ernst meint.

Im japanischen Patentamt fand ich dann ein paar seiner Erfindungen, komplett mit Beschreibung und Zeichnungen. Darunter diverse Erfindungen fürs Badezimmer und eine Selbstverteidigungs-Perücke. Ja, eine Selbstverteidigungs-Perücke, aus der man innerhalb von Sekunden eine lange Drahtschnur ziehen kann, die man dann als Waffe benutzt.

Dr. Nakamats in die Zeitung

Ursprünglich hatte ich eine große Reportage über ihn geplant, mit großen Bildern und vielen Worten. Das konnte ich nicht mehr machen, da mir der Inhalt fehlte. Als reines Interview ging es eh nicht, also ging es nur als Portrait. Ich bot es also der Berliner Zeitung an, denen ich dann einen viel zu langen Beitrag schickte. Nachdem zwei Wochen lang keinerlei Reaktion auf meinen Text kam, und ich das Geld dringend für die Miete brauchte, fragte ich noch mehrmals nach und bekam eine Absage. Der Text würde als Portrait nicht funktionieren, die These haut nicht hin und ist so nicht druckbar.

Ich war von dieser Absage niedergeschlagen. Nicht nur, dass ich die Miete nicht zahlen konnte, ich zweifelte auch an meinen Fähigkeiten als Schreiberling. Ich schob den Artikel erstmal beiseite und wollte mich später drum kümmern. Insgesamt habe ich dann knappe zehn Monate lang an diesem Artikel gesessen. Er hat mich quasi blockiert, ich traute mich an keinen großen neuen Auftrag rein, eh nicht dieser abgelehnte Beitrag in einer Form ist, die es in die Zeitung schafft. Vorher würde mir auch überhaupt das Selbstbewusstsein fehlen, wieder Angebote zu schreiben.

In der Zwischenzeit passierten zwei Sachen. Der Regisseur des Films, mit dem ich bisher guten Kontakt hatte, auch über Hintergründe zum Erfinder, fragte mich nun, ob ich das Foto für das Filmplakat der Dokumentation machen kann. Cool, sag ich, aber ich müsste etwas verlangen. Schließlich ist das mein Job und ich lebe davon. Ich hätte nicht viel verlangt, vielleicht nur 50€, wohlwissend dass er das Bild und Plakat dann im weltweiten Vertrieb für den Film nutzen würde. Seine Reaktion war Unverständnis, er hätte das nicht von mir erwartet, schließlich würde er auch ab und an kostenlos für coole Projekte arbeiten. Ich sparte mir eine Bezahlung zu rechtfertigen oder drauf hinzuweisen, dass ich über seinen Film berichte und damit ordentlich bewerbe, denn das war sinnlos. Ich beließ es dabei und erwartete, dass er professionell damit umgeht.

Ein paar Wochen später hatte ich noch zwei, drei Fragen zu ihm und den Film. Seine Antwort war erpresserisch. Er meinte, es gibt Journalisten, für die er sich viel Zeit nimmt, und einige, bei denen er das nicht tut. Er machte klar, dass ich die Antworten kriege, wenn ich ihm das Foto gebe, ohne es so konkret auszusprechen. Auf solche Spielchen hatte ich keine Lust, und so schrumpfte der Anteil in der Berichterstattung über seinen Film auf ein geringes Maß.


Scan aus dem Buch

Die zweite Sache, die in der Zwischenzeit passierte, war ein Kontakt zum Studentenmagazin UNICUM. Ein Freund, den ich in Tokyo kennenlernte, hatte jahrelang für das Magazin gearbeitet und sich für mich in der Redaktion eingesetzt. Es war ein langer Kampf, war doch die Redaktion komplett ausgetauscht worden seit seiner Zeit, doch nach vielen Anrufen und Mails hatte er eine Kontaktadresse für mich organisiert. Ich sollte ein paar Themenvorschläge hinschicken und hatte grad nix anderes als Dr. Nakamats. Das Thema kam gut an, und da die Berliner Zeitung ihn eh ablehnte, war das Thema ja frei.

UNICUM gab mir nun eine Deadline, die ich zunächst unabsichtlich ignorierte, da andere Aufträge dringender reinkamen. Ich hatte nach der heftigen Absage der Berliner Zeitung mich auch nicht wieder an den Text getraut. Doch UNICUM war sehr interessiert an dem Thema und verlängerte die Deadline. Wieder in Deutschland war das der Beitrag, auf den ich mich voll konzentrierte. Ich besorgte mir einen befreundeten Redakteur und arbeitete mit ihm an dem Beitrag. Ich hatte grad eine kürzere Version, die zu 95% fertig war, da bekam ich eine Email:

„Hey Fritz, Glückwunsch zum Abdruck in der Berliner Zeitung gestern, mit dem Artikel über Dr. Nakamats!“

Ich fiel aus allen Wolken. Mir hatte keiner Bescheid gesagt, weder jemand aus der Zeitung, noch die zuständige Redakteurin, der ich damals den Text schickte. Ich hatte ja inzwischen wieder bei der Berliner Zeitung angefangen und war bei der Redaktionssitzung am Montag dabei, wo wir auch jedes Mal eine neue Ausgabe der Zeitung bekommen. Ich blätterte die Zeitung allerdings bei der Sitzung nicht durch, sondern packte sie nur in die Tasche.
Nachdem ich nun die Email bekommen hatte, griff ich nach der Zeitung und blättere sie schnell durch. Tatsache, dort war Dr. Nakamats und drüber stand mein Name.

Mein Puls ging hoch und ich wusste nicht, wie ich reagieren sollte. Denn hätte ich nicht diese Email meiner Bekanntin bekommen, wäre das komplett an mir vorbeigegangen. Ich vermutete schon ein Kalkül der Zeitung, so an der notwendigen Bezahlung vorbei zu kommen und kontaktierte schon meinen Vater und somit auch den Anwalt.
Er meinte nur, ich soll ruhig bleiben, schließlich sind sie verpflichtet zur Vergütung, wenn sie mein Material mit meinem Namen abdrucken. Ich soll einfach mal anrufen.

Ich rief also an und erklärte meine Situation. Ich wurde von Stelle zu Stelle gereicht, jeder einzelnen war die Situation hörbar peinlich, sowas kommt wohl nicht häufig vor. Am Ende erreichte ich dann den zuständigen Redakteur. Es stellte sich heraus, dass er nur die Urlaubsvertretung war. Die zuständige Redakteurin, der ich vor einigen Monaten meinen Text schickte, war nicht da, und mein Text war wohl nicht gelöscht, sondern in einem Ordner für noch brauchbare Themen gelandet. Die Urlaubsvertretung hatte meinen Text nun aufbereitet und abgedruckt. Es war nun leider keine Kontaktadresse dabei, sagte er mir, sonst hätte er mich noch kontaktiert. Na gut, dass ihn dieser Mangel nicht vom Abdruck abgehalten hat, wa?

Ich wurde dann ins Sekretariat durchgereicht und gab meine Finanz-Informationen durch. Mehr als einen ganzen Monat später kam dann die Vergütung, allerdings nur teilweise. Auf den Rest warte ich heute noch.

Der Artikel war nun gedruckt, aber auch schon UNICUM versprochen. Ich schickte UNICUM die Info, dass der Artikel schon abgedruckt ist, ich dafür aber nix kann. Nach einer Woche Bedenkzeit meldete sich UNICUM wieder und sie wollten weiterhin Dr. Nakamats abdrucken. Sie wissen zwar noch nicht wann, doch ich soll schon mal schicken was ich habe.
Ich schickte ihnen die Version, die ich hatte und ohne Einwände wurde sie genommen. Da der Abdruck noch in den Sternen stand, fragte ich mal vorsichtig nach der Vergütung. Als Antwort kam ein Satz, der mein geknicktes Selbstbewusstsein nach der Ablehnung der Berliner Zeitung und einen glücklichen Gemütszustand als freier Journalist wieder herstellte:

Der Beitrag wird vergütet, wenn ein Redakteur ihn abgenommen und für gut befunden hat, und dieser Moment ist jetzt.

Für die Dezember-Ausgabe von UNICUM war dann noch eine Seite frei und mein Beitrag rutschte rein.
Das ist also das gute Ende von meinem Jahr mit Dr. Nakamats: Nach einem schwierigen Interview, einer langen, glücklosen Recherche und einer heftigen Absage, wurde der Beitrag zweimal abgedruckt. Danach war gewissermaßen der Knoten geplatzt, ich konnte mich wieder frei und produktiv an andere große Themen setzen. Ich bin nun auch um viele Erfahrungen in der Arbeit mit Redaktionen und mit der Recherche reicher.
Vorallem mit der Lektion, dass ein Thema manchmal viel Zeit bis zum Abdruck braucht.

-> Artikel über Dr. Nakamats der Berliner Zeitung vom 4. Oktober 2010
-> Artikel über Dr. Nakamats in der UNICUM Dezember Ausgabe

Liest das überhaupt noch Einer?

Ich bekomme Zweifel, ob meine immer länger werdende Beiträge überhaupt noch bis zum Ende gelesen werden. Die Zugriffzahlen sind zwar weiterhin gut (wobei Japan immer noch mehr zieht als Palästina oder Berlin), aber die sonst üblichen Kommentare am Ende der Beiträge bleiben oft aus – vermutlich weil es nicht mehr viele bis zum Ende schaffen. Daher möchte ich mal eine Umfrage starten:
[polldaddy poll=4206595]

Die erste Option setzt quasi keine Grenzen für die Länge. Die zweite Option geht von Beiträgen mit maximal ca. 10min Lesezeit und stark geschrumpften Umfang aus. Die dritte Option fasst dann die langen Beiträge in ca. 10min Pakete zusammen (was für einen einzigen Teil der Palästina oder Hokkaido-Reihe zum Beispiel bedeutet, sie in 2-4 Pakete aufzuteilen, was die gesamte Reihe auf mehr als zehn oder zwanig Einzelteile bringt…). Im Endeffekt werd ich es immer so gestalten, wie ich es persönlich für das Thema am Besten halte, aber mich würde mal die grundlegende Meinung und Lesebereitschaft von euch interessieren.

Sonstige Wünsche, Kritiken oder mal ein Lob bitte in die Kommentare.

Nachtrag 11.12.2010: Vielen Dank für eure vielen Kommentare und Meinungen! Ich denke, dass die langen Beiträge durchaus gewollt sind, und diese mitunter auch den Reiz von diesem Blog ausmachen. Allerdings nehm ich das jetzt auch mal als Signal, diese nicht ins Unendliche ausufern zu lassen. Die Reihen, die jetzt grade noch laufen (Nagasaki und Palästina) werd ich so beenden, wie ich sie angefangen habe, damit es einigermaßen gleichmäßig bleibt. Die nächsten Reihen werd ich dann wahrscheinlich etwas kurzweiliger gestalten, je nach dem wie es das Thema anbietet.

Nochmals vielen Dank!

Post aus Nah-Ost 3: Der Tag der kaputten Kameras

Der dritte Tag in Palästina und der erste halbe Drehtag für unser Videoprojekt. Für mich waren aber nur meine beiden Fotokameras wichtig, die an diesem Tag allerdings nicht wirklich mitspielen wollten…

Zum ersten Mal während dieser Reise bin ich ausgeschlafen aufgewacht. Ich öffnete meine Augen und hatte den Schritt meines Kollegen vor mir, der über mir schlief und gerade herunter geklettert kam. Er entschuldigte sich aufgrund meines Grunzens und schlich sich unter die Dusche.
Ich stöpselte noch meinen Kamera-Akku in die Steckdose, um für den heutigen Tag vorbereitet zu sein, und ging zum Frühstück.

Mit anderen, mehr oder weniger, ausgeschlafenen Frühaufstehern saß ich in der Küche und in der angeschlossen Aussenterasse wehte ein etwas kühleres Lüftchen an uns vorbei. Einige Tropfen Wasser konnten wir auf der Haut spüren, die einsam einen Ausblick auf die Regenzeit bot, die wenige Woche nach unserem Abflug eintreten sollte. Doch an dem Tag vertrieben die paar Tropfen nur kurz die Hitze, bis sie keine zwei Stunden später schon wieder von ihr besiegt wurden.

Heute sollte der erste Drehtag in unserem Videoprojekt folgen, es war eine gespannte Stimmung. Zum Frühstück gab es stark würziges Fladenbrot und Tee mit Milch, dazu die üblichen weichen Bananen.

Es trudelten nach und nach alle von der Gruppe ein. Es gab noch mal kurze Ansagen zum heutigen Drehtag und wie man so einen Film gestaltet. Bevor wir dann die Kameras abholten, tauschte ich noch etwas Geld beim Handyverkäufer um die Ecke. Fünzig Euro zu 225 Schekel, mit 10% für ihn. Guter Tausch.

Die Einweisung zu den Kameras bekamen wir von einem deutschen Voluntär des Cinema Jenin, wo wir auch die Kameras für unser Projekt ausleihten. Ich hatte nicht zum ersten Mal eine Videokamera in der Hand, jedoch solch eine noch nicht.
Die Funktionsweise wurde uns allen eingehend erklärt und die Kameras, eine Sony und zwei Panasonic, wurde unter den Gruppen aufgeteilt. Als ich die Sony in der Hand hatte sagte ich gleich „die nehm ich“, und der Einweiser gab mir Recht. Wenn das erste Gefühl stimmt, dann ist das meist die richtige Entscheidung für einen langen Drehtag. Es gab zwar Proteste von den anderen Gruppen, die sich noch mit den Knöpfen rumplagten, doch ich ließ mich von meiner Entscheidung nicht abbringen. Das ich die Kamera in den folgenden Tagen nur tragen und nicht bedienen sollte, wusste ich zu dem Zeitpunkt noch nicht.

In meiner Gruppe war ich der einzige mit Filmerfahrung. Das, und mein Hintergrund als Fotograf, ließ mich glauben, dass ich von meiner Gruppe in die Position des Kameramanns gedrängt werde, worauf ich zwar nicht sooo Lust hatte, aber auch nicht ablehnte. Dem war aber nicht so. Ein Mädel aus meiner Gruppe meinte gleich begeistert, dass sie es doch gerne mal ausprobieren möchte. Sie arbeitet zwar beim RBB, doch eine Kamera bedienen gehörte dabei nicht zu ihren Aufgaben. Dennoch erstaunte sie mich sehr in ihrer resoluten Herangehensweise, mit einem flinken Finger am Aufnahmeknopf und dem ständigen Blick an der Linse. Da fiel es mir nicht schwer, ihr komplett die Kamera zu überlassen. Die mangelnde Erfahrung an der Kamera merkte man dann allerdings an den wackeligen Bildern und dem hektischen Bildaufbau. Ich wär dann allerdings das andere Extrem gewesen, hätte jedes Videobild wie ein Foto durchkomponiert und stehen lassen. Das ist zur Abwechslung mal nicht schlecht, und hätte unserem fertigen Film auch gut getan, aber nur solche Bilder wirken dann langweilig für den Betrachter.

Ein bekanntes Gesicht

Schon am ersten Tag fiel mir ein Mädchen bei den deutschen Freiwilligen des Hauses besonders auf, ich konnte aber nicht sagen wieso. Nur das mir ihr Gesicht bekannt vorkam. Als wir nun für den ersten Drehtag das Kameraequipment holten, rief jemand aus der anderen Ecke des Raums.

„Ich kenn dich doch!“

Ich blickte in Richtung der Stimme und der Ruf galt tatsächlich mir.

„John-Lennon-Gymnasium, nicht wahr?“

Tatsächlich ging ich mit ihr auf eine Schule, sie war ein Jahr unter mir und hatte vor zwei Jahren Abitur gemacht. Sie hatte nach mir meine Schülerzeitung übernommen und ich hatte deswegen viele und lange Gespräche mit ihr. Zurückblickend werden es wohl zu viele Gespräche gewesen sein, denn zu sehr hab ich noch versucht auf die Geschicke der Schülerzeitung einzuwirken und sie hatte mich zu sehr auf meine Expertise verlassen. Als ich nämlich dann mit der Schülerzeitungsberatung aufhörte, blieben auch die Ausgaben aus.

Auch wenn ich ihren Namen von ihren geöffneten Skype-Programm entnehmen musste, das sie auf ihrem Computer noch hatte laufen lassen, konnte ich mich an sie erinnern. Und so trafen sich zwei ehemalige Schüler der selben Schule aus Berlin Mitte, hier in einer kleinen Stadt im Nahen Osten wieder.

Ich hatte an dem Tag keine Zeit für sie und ich musste auch erstmal meine Gedanken sortieren, wer sie denn überhaupt war. Ein paar Tage später sprach ich sie in einem ruhigen Moment. Wie es aussieht schwirrt sie seit dem Abitur etwas umher, war mal ein Jahr im Ausland und ist nun hier um einen Film zu drehen. Sie möchte nun Film studieren. Ich hatte sie dann beim Schnitt des Films getroffen, aus dem sie mir einen kurzen Ausschnitt zeigte. Die Aufnahmen stammten von einen Olivenbaumhain, wo Jugendliche und Kinder zwischen den Bäumen die im Wind wackelten, die Oliven sammelten. Die ersten Aufnahmen waren nicht schlecht, zwischen den vielen Blättern taucht ab und an mal ein junges Gesicht auf und verliert sich dann gleich wieder im Wind.

Sie macht den Film nicht alleine, sagt sie. Sie ist jetzt hier für mehrere Monate freiwillige Helferin, für Erfahrung und Kontakte, wie sie sagt.
Mit den Freiwilligen bzw. Volunteers, wie sie sich nennen, habe ich viele Gespräche geführt und vorallem viel zugehört. Ich wusste garnicht mehr von mir, dass ich so viel Interesse am Zuhören habe. Vielleicht weil man in Berlin immer gezwungen ist, lauter zu Reden als der Andere, und ich in Tokyo zwar zuhören, aber nicht alles verstehen konnte. Die Volunteers haben das auch gerne angenommen und viel erzählt.
Ein mänlicher Volunteer beschwerte sich zum Beispiel, dass die Mädels nur hierher kommen um irgendwelche „Kunst-Sachen“ zu machen, während die Kerle hart anpacken müssen und das Handwerk erledigen. Meine Bekannte aus meiner Schule war auch an einem Kino-Arbeitstag zum Olivenhain gefahren – um ihren Film zu drehen.

Kamera ab

Wir wollten zuerst in einem Center für Frauen in einem Flüchtlingslager drehen, das hatte aber inzwischen leider schon zu. Wir hatten zwar noch ein paar andere Namen und Adressen aufgeschrieben, doch nix konkretes gab es für heute. Wir wollten die junge Dame, die im Kino arbeitet, fliessend Englisch kann und schon beim ersten Treffen mit den palästinensischen Jugendlichen am Vortag dabei war, fragen, ob sie uns ein Interview geben kann. Sie druckste herum und man merkte, dass sie nicht wirklich Lust drauf hat. Wir gingen kurz raus um uns neu zu beraten und dann kam die Meldung, dass irgendwie die Leiterin des Projekts es so gedreht hat, dass die junge Dame uns für Übersetzungen und Interviews zur Verfügung steht. Sie wird dafür wohl anscheinend bezahlt, dass sie sich die Zeit für uns nimmt.

Im Garten unter der schwarzen Plane wollten wir filmen. Das heisst, zuerst wollten wir da nicht filmen, sondern an verschiedenen Orten, zu denen ich stets das schwere Stativ schleppen musste, bis die Kamerafrau es sich anders überlegte.
Im Garten dann bauten wir alles auf. Ich überließ die Kamera dem Mädel aus meiner Gruppe, doch ich hatte schon ein Auge auf einen Bildaufbau, mit dem ich auch zufrieden war. Das ewige Hin- und Herschieben des Stativs und der Kamera war anstrengend, doch Film ist nun mal anstrengend, da immer mehrere Leute beteilligt sind, mit jeweils unterschiedlichen Vorstellungen. In unserer Gruppe von drei Leuten war das allerdings alles noch machbar.

Ich überließ die Fragestellung dem zweiten Mädchen in unserer Gruppe, was mir die Rolle hinter den Kulissen gab, die ich für den gesamten Film haben sollte. Ich nahm diese Rolle durchaus ernst, hatte immer ein Auge auf Kamera, Umgebung, Interview und auch den Schnitt im Hinterkopf. Ich wusste auch, dass meine Kolleginnen mir jederzeit Kamera und Mikro gegeben hätten, wenn ich sie darum gebeten hätte.

Wir interviewten nun also das junge palästinensische Mädchen, mit Kopftuch und grünen, hochhakigen Schuhen, die man auch am Anfang vom Film sieht und hört. Das Interview gefiel mir allerdings nicht. Unruhig hörte ich zu, denn bei den Antworten fehlte mir Substanz und verwertbare Zitate. Berufskrankheit, hab ich doch in meiner Laufbahn schon mehrere Dutzend Interviews geführt und einige sogar selbst gegeben. Es ließ sich also nicht vermeiden, dass ich nach der letzten Frage meiner Kollegin mir das Mikro schnappte und noch drei Fragen stellte, die mir fehlten, und deren Antworten mir auch mehr als genügten.

Nach dem Dreh, mit etwas Abstand, redete ich nochmal mit meiner Kollegin und erklärte sachlich, was mir beim Interview fehlte und warum. Sie verstand und akzeptierte meine Kritik. Ich war ganz glücklich, in dieser kleinen Gruppe zu sein. Ein Konsens ließ sich schnell finden. Zumal waren beide auch in meinem Alter oder drüber, das schaffte eine unaufgeregte, erwachsene Gesprächsatmosphäre. Verglichen mit den anderen Gruppen, wo Altersunterschiede von bis zu zehn Jahren, oder mehr als fünf Mitglieder aktiv dabei waren, lief es bei uns entspannter ab.
Ich war auch sehr angetan, wie sich die beiden aktiv einbrachten, selbstbewusst und clever, trotzdem verständnisvoll. Ich sagte ihnen mehrmals, wie froh ich bin mit ihnen zusammenzuarbeiten, auch weil ich mit der Arbeitsweise und Ausrichtung gut klar kam.

Während ich das Stativ wieder zurück ins Lager brachte, interviewten die zwei noch einen palästinensischen Jugendlichen, der inzwischen im Garten auftauchte. Es war der selbe Selbstdarsteller mit guten Englischkenntnissen vom Vortag, der die Gelegenheit natürlich gern nutzte, etwas zu sagen. Seine progressiven Gedanken zu Frauen in palästinensischen Alltag wurden dann rausgeschnitten, und dienten vielleicht auch nur dazu, wie auch das Gespräch in den nach dem Interview folgenden Minuten, etwas die blonden Mädels zu beeindrucken.

Stadtimpressionen

Nur mit den zwei Interviews als Material vom ersten Drehtag wurden meine Kolleginnen unruhig. Sie wollte unbedingt noch was drehen und drängten dazu, in die Stadt zu gehen. Ich hatte keine Sorge um Material, hätte es aber vorgezogen, wenn wir einen Orts- und Sprachkundigen mitnehmen könnten, und wollte das vertagen. Schließlich wusste ich auch nicht, wie die Leute auf Kameras reagieren, wenn nun drei blonde Deutsche kommen und sie einfach auf der Straße filmen.

Meine Kolleginnen sorgten sich darum allerdings nicht und drängten auf eine Sammlung von Stadtimpressionen. Meine Neugier wollte das natürlich auch nicht missen, also packte ich die Kamera und ging mit den beiden los. Meine erste Kollegin war mit der Kamera beschäftigt, die zweite Kollegin mit der ersten, und ich versuchte im Hintergrund alles im Blick zu behalten. So bekam ich auch all die starrenden Blicke mit, die uns die Straße auf und ab begleiteten. Ich wurde unruhig, konnte ich die Reaktionen doch nicht abschätzen. Die Region ist Touristen nicht gewöhnt, kleine, blonde Filmteams wahrscheinlich noch weniger. Und in einer Kultur, in der viel Unverhülltes als Sünde gilt, weiss man nie, ob das, was man mit der Kamera aufnimmt, für die Menschen dort noch okay ist, oder schon Ärger erregt.

Rückblickend muss ich sagen, dass meine Sorge oft unbegründet war, und die Mädels mit ihrem forschen Drang recht hatten. Die Leute starrten zwar die ganze Zeit, doch neben freundlichen „Welcome to Jenin“, „Welcome to Palestine“ gab es nix.

Nachdem ich einigermaßen die Anspannung ablegte und die Reaktion der Leute allgemein ruhig blieb, wagte ich es auch mal meine Kamera rauszuholen. Ich drückte auf „An“, blickte durch die Linse und drückte ab. Doch das ‚Klick‘ blieb aus.
Ich vergewisserte mich, dass die Kamera wirklich auf „An“ war und merkte dabei, dass die Kamera seltsam leicht war. Ein Blick ins Batteriefach zeigte mir dann, dass der Akku immer noch in meinem Zimmer in der Steckdose steckte.

Doof, dacht ich mir, aber ich hatte ja gerade wegen solcher Sachen auch meine analoge Kamera dabei, die ohne Strom funktionierte. Ich drehte am Rädchen um den Film weiterlaufen zu lassen und es machte Krrrkkkrrrzzzkkk.

Die Mechanik stockte. Es steckte noch ein teurer Film drin, ein spezieller Farbfilm, den mir mein Fotolabor in Berlin nach langer Diskussion extra aus dem Kühlschrank für professionelle Filme holte. Dieser wollte sich jetzt nicht weiterdrehen lassen. Ich spulte den Film kurz zurück, um ihn dann wieder zu drehen, doch nun ging garnix mehr. Ein reiner Leerlauf.

‚Shoganei‘ dacht ich mir, wie die Japaner immer sagen, wenn etwas passiert das man nicht ändern kann. Ich trauerte kurz um den Film, doch es war ja nicht zu ändern. Ich spulte ihn auf, hoffte aufs Beste und nahm ihn raus. Wie sich dann in Berlin rausstellte, war er komplett im Eimer, überbelichtet und leer.

Ich legte einen neuen Schwarz/Weiss Film ein und spulte. Die Mechanik wollte immer noch nicht so recht, doch ich zwang sie. Was dann rauskam, war sowas wie das hier:

Eine Doppelbelichtung, neben vielen anderen leeren Flächen auf dem Film.

Wir liefen einen Markt entlang, alles um uns rum schrie und verkaufte Waren. Die Sonne setzte zum Untergang an und die breitgetretenen Früchte und Gemüsesorten auf dem Boden des Markts, leuchteten rot.

All die Farben, Eindrücke und Gerüche waren allerdings fern von mir, konnte ich sie denn auch nicht einfangen mit einer Kamera. Völlig absorbiert von einer Sorge um meine Technik war ich blind für alles um mich rum. Diese Sorge zerstörte noch mehr Bilder, als eine nicht funktionierende Kamera.

Irgendwann, ohne das ich es wirklich mitbekam, waren wir dann wieder beim Gasthaus. Ein paar Taxis standen davor und lockten. Eine meiner Kolleginnen hatte die geniale Idee, den Fahrer zu bitten uns an eine hochgelegene Stelle zu fahren, wo wir den Sonnenuntergang über der Stadt mitnehmen können. Exakt diese Idee hatte ich schon seit meiner Ankunft, zieht es mich doch immer zu hochgelegenen Orten für Bilder. Doch ich war noch völlig beschäftigt mit der Mechanik meiner Kamera, als das ich realisierte, dass wir das ja einfach mit dem billigen Taxi machen konnten. Ich rannte noch schnell ins Gasthaus, schnappte meinen Akku und setzte mich ins Taxi. Das erste Bild von diesem Tag sollte dann das hier sein:

Mit dem Auto ging es dann durch sich windende und verwinkelte Straßen, den Hügel hinauf. Unser Fahrer, Jamal, sprach auch etwas Englisch und war ganz happy so spät am Tag noch Kunden zu bekommen. Seit zwei Jahren hat er den Job als hauseigener Taxifahrer vom Cinema Jenin, dessen Logo auch auf seinem gelben Auto prangt. So bringt er Leute für weniger als 2€ pro Fahrt quer durch die Stadt Jenin. Er selbst lebt mit seiner Familie im Flüchtlingslager, das er uns vom Hügel oben auch zeigt. Er kannte einen guten Aussichtspunkt und fuhr uns mit einem ständigen Lächeln dorthin.

Obiges Bild habe ich auch aus dem Auto geschossen, keine Sekunde später waren wir schon links vom alten Mann weitergefahren. Als ich es schoss, mochte ich das Bild, auch als ich es später ansah. „Es hat Symbolcharakter“, sagte mir jemand zu diesem Bild. Als ich länger drüber nachdachte, fand ich das Bild nicht mehr so gut. Denn ich kann nichts über diesen Mann sagen. Ich weiss nicht, warum er da sitzt, mit dem Rücken zur Stadt. Ich weiss nicht wie er heisst und wie alt er ist. Und er weiss nichts von mir, der gerade ein Bild von ihm gemacht hat und dann wieder weitergesaust ist.

Mit dem Journalismus ist das so eine Sache. Man liest in der Zeitung oder online einen Artikel über eine Geschichte, irgendwo auf dieser Erde. Für diesen Moment, in dem man die Geschichte liest, findet sie im Kopf statt. Die Menschen leben, sprechen und erzählen für den kurzen Moment diese, ihre Geschichte. Schlägt man die Zeitung zu, ist die Geschichte im Kopf auch aus und man beschäftigt sich mit anderen Dingen. Doch die Menschen, die im Artikel beschrieben sind, die leben ja weiter und haben weiter ihre Probleme, auch wenn wir ihnen keinen weiteren kurzen Moment der Aufmerksamkeit schenken. So auch als Journalisten. Schreiben wir darüber, leben wir die Geschichte in diesem Moment. Doch für die nächste Ausgabe müssen wir schon wieder eine andere Geschichte leben, die vorhergehende ist dann nur noch bedrucktes Altpapier.

Dieser Mann, auch wenn wir nur diesen kurzen Moment teilten, wird wahrscheinlich immer noch irgendwo in Palästina sitzen. Und das ich nicht weiss warum oder wer er ist, macht diesen Moment für mich irgendwie leerer.

Wir erreichten dann einen guten Aussichtspunkt und stoppten. Wir dankten mehrmals unserem Fahrer, der sich auch sichtlich freute, den drei Fremden mit ihrer Kamera mal seine Stadt und Heimat zu zeigen.


Jamal in seinem Auto

Vor uns erstreckte sich das weite Hügelland von Palästina, doch wir wollten noch etwas höher. Jamal brachte uns dann zu drei Mobilfunkmasten, die an einem der höchsten Punkte der Hügel hinter der Stadt lagen.

Die Sonne hatten wir schon verpasst, die versteckte sich hinter dem Hügel und streute von dort ihr Licht.

Ich lobte mehrmals und begeistert meine Kollegin, für die Idee, hierher zu kommen. Hier vom Hügel entstand auch das Panorama von Jenin, die Stadt, die von Hügeln umzingelt ist. So eingesperrt wie der Rest von Palästina.

Nachdem ich letztens das Panorama in groß gepostet hatte, recherchierte ich noch mal etwas zu dem Ort, in dem ich lebte. Und ich fand etwas heraus, das mir vorher, oder während meiner Zeit dort, keiner erzählte.

Das Massaker von Jenin

Das Flüchtlingslager ist in der Mitte vom Panorama zu sehen. In Jenin wurde es nur als „das Flüchtlingslager“ bezeichnet, bei unserer Vorbereitung war nur von einem „ehemaligen Flüchtlingslager“ die Rede. Doch wann hört ein Flüchtlingslager auf Flüchtlingslager zu sein? Die Leute, die dort leben (müssen), leben dort auch weiterhin nach einer eventuellen offiziellen Schließung des Lagers. Denn wohin sollten sie sonst auch gehen können?

Heute ist es so, dass es offen ist für alle. Jeder kann rein und rausspazieren, so auch wir. Nachts sollte man die Ecke allerdings meiden.

Diese Lager für Flüchtlinge aus ganz Palästina wurde 1953 aufgemacht und dort leben mehr als 10.000 Menschen. Eine Zeit lang kam jeder dritte palästinensische Selbstmordattentäter aus diesem Flüchtlingslager, weswegen die israelische Armee dort bis heute regelmäßig einmarschiert. Im Lager selbst finden sich viele Plakate und Abbildungen von Märtyrern, die jedoch allesamt am Verblassen sind. Jenin galt oder gilt immernoch als Hochburg der Märtyrer in Palästina.

Während der zweiten Intifida 2002 marschierte die israelische Armee nun groß in dieses Lager ein, mit Soldaten und Panzern, um…
Tja, um was eigentlich. Terroristen mit Panzern ausrotten kann wohl kaum ihr Ziel gewesen sein. Mehr noch um mal ein Zeichen zu setzten, mit großen Gewehren und toten Körpern.

Informationen von diesem mehrtägigen Kampf zu bekommen, der je nach Quelle als „Massaker“ oder „Blutbad“ bezeichnet wird, war schwer. Anti-Israelische Seiten und Medien sprechen von mehreren hundert Toten, der Großteil davon Zivilisten. Andere Quellen sprechen von über 50 Toten und zusätzlich 20 toten israelischen Soldaten. Dazu finden sich dann noch so tolle Sätze wie dieser:

Essentially, Israeli soldiers lost their lives in order to keep the collateral deaths of Palestinian civilians to a minimum.

Frei übersetzt:

Im Grunde haben israelische Soldaten ihr Leben verloren, um die Schäden an der palästinensischen Zivilbevölkerung auf ein Minimum zu reduzieren.

Quelle

Es ist wie es ist im Krieg. Jede Seite nutzt die Auswertung der Kampfhandlung zur eigenen Propaganda, und die Toten werden instrumentalisiert. Palästina will somit auf die Gewalttaten der Israelis aufmerksam machen, mit einer sehr wahrscheinlichen Übertreibung der Fakten, und Israel drückt wahrscheinlich die Zahlen, um von einer sauberen Aktion sprechen zu können.
Eine UN-Untersuchung ergab, dass in Jenin kein Massaker stattgefunden haben soll. Die Palästinenser wiedersprachen.

Ich halte mich raus, denn ich weiss nicht mehr darüber, als mir verschiedene Quelle mit unterschiedlichen Informationen erzählen. Am neutralsten und ausführlichsten finde ich noch den Wikipedia Eintrag zum „Battle of Jenin“, den man allerdings auch nicht als mehr als die Summe aller Wahrheiten verstehen sollte.

Hätte ich vorher von dieser Militäraktion gewusst, hätte ich die Leute dort befragen können. Fragen stellen, zu einer kämpferischen Auseinandersetzung, die gerade einmal 8 Jahre vor meiner Ankunft in dem Ort passierte. Fragen an Jugendliche in meinen Alter, die vor 8 Jahren im jungen Alter wahrscheinlich alles mitbekommen haben; das sie verändert hat.

Merken konnte ich von dieser Vergangenheit in Jenin nichts. In einem Land mit allgegenwärtiger Gewalt von verschiedenen Fronten, hat man sich vielleicht auch zu sehr daran gewöhnt.

Mit guten Aufnahmen im Kasten und der Kamera aus dem Fenster, fuhren wir wieder mit Jamal in die Stadt, die Hügel hinunter. Er schaltete das Radio mit guter arabischer Musik ein. Jemand sang von seinem Schatz und tausend Küssen, während sich der lange Schatten der Hügel über die Stadt legte.

Wir fuhren vorbei an Kindern, Jugendlichen, Frauen und älteren Herren, die sich auf dem Weg nachhause zu uns umdrehten. Schneller als ihr Lächeln waren wir wieder weg.

Mit einer scharfen Bremsung halten wir vor dem Gasthaus an, wo wir keine halbe Stunde vorher zum Sonnenuntergang aufgebrochen waren. Jamal schweigt nur und dreht sich lächelnd zu uns um. Meine Kollegin fragt, wie viel er bekommt, er lächelt nur und meint so viel, wie wir möchten. Für diese sympathische Fahrt gaben wir ihm 40 Schekel, umgerechnet 8€. Er kramte schon um uns Wechselgeld zu geben, doch wir winkten nur ab. Etwas verlegen, doch sehr erfreut, nahm er es an und gab uns seine Karte, damit wir beim nächsten Mal auch ja ihn rufen. Schließlich zahlen wir ja gut und solche Kunden will er halten 😉

Die deutschen Volunteers schimpften dann etwas, denn eigentlich sind 7 Schekel für eine Taxifahrt innerhalb von Jenin und 10 Schekel für außerhalb angebracht. Wir würden die Preise kaputt machen.
Unser Übersetzer sagte in dieser Woche oft „was soll der Geiz?“ und kritisierte damit die ewigen Diskussion der Deutschen, möglichst billig etwas mitzunehmen. Und damit hatte er Recht. Die Preise sind eh schon billig und die Leute arm. Die paar Euro kann man ruhig mal ins Land bringen.

Wir brachten die Kamera wieder zurück ins Lager und setzten uns kurz auf den Balkon, mit Blick auf den nächtlichen Garten. Einer der palästinensischen Jugendlichen, Machmut, kommt vorbei und ein Gespräch beginnt – wobei er sich größtenteils auf meine blonde Kollegin konzentriert. Seine Englischkenntnisse sind begrenzt, trotzdem frage ich ihn, ob er schonmal im Ausland und Europa war – meine Standardfrage in Japan.
Er versteht die Frage falsch und sagt mir, welche Länder er mag und wohin er gern reisen möchte. Einen kurzen Moment später wird mir auch klar, wie dämlich meine Frage war. Er wird wahrscheinlich nie aus diesem Land rauskommen. Ihn zu fragen, wohin er gern reisen möchte, ist da fast schon verachtend zynisch.

Das Kino und sein Leiter

Der Chef vom Kino kommt nun auch auf den Balkon und kaut auf Pistazien rum, deren Hüllen er einfach in den Garten wirft. Er erinnert mich stark an den Chef vom Kino Babylon in Berlin, mit dem ich viele Gespräche über das Führen eines Kinos und kulturelle Projekte führte. Der Leiter vom Cinema Jenin ist ein Freund von dem Vater, dessen Geschichte in dem Film „Heart of Jenin“ von einem deutschen Regisseur erzählt wird. Den Vater sahen wir dann an dem selben Tag im Garten vom Kino rumlaufen, mit einem genervten Ausdruck im Gesicht. Doch wer erwartet schon ein konstant lächelnden Vater, wenn der Sohn mit 6 Jahren erschossen wurde.

Der Chef vom Kino hatte früher ein Schuhgeschäft. Er war arbeitslos, also machte er ein Geschäft auf – die beliebteste Arbeitslosigkeitsbekämpfung dort. Die drei goldenen Grundsätze für ein Geschäft (1. Lage, 2. Lage, 3. Lage) scheinen dort allerdings nicht zu gelten, denn überall finden sich kleine Geschäfte, die alles und manchmal auch nichts verkaufen, und deren Betreiber oft einfach nur beobachtend davor sitzen und stundenlange Gespräche mit Passanten, Bekannten, Verwandten führen.

Das Kino läuft nicht gut. Die Zuschauerzahlen sind manchmal einstellig. Es ist das einzige Kino in der Gegend und viele kennen ein Kino als Treff- und Ausgehort noch nicht so, wie wir hier in unserer Gesellschaft. Es ist aber vielleicht auch so, wie meine Kollegin später noch schreiben sollte, dass die Bewohner „noch etwas Angst vor dem Kino und seiner großen LED-Wand haben“.
Ein anderes Kino, etwas weiter weg, fährt eine Kostenlos-Kultur mit konstant freien Eintritt, um die Leute ans Kino zu gewöhnen. „Wir haben das nicht mehr nötig“, sagt der Chef vom Cinema Jenin und spuckt Pistazien in die Nacht. Für Hollywoodfilme hat er kein Geld, sagt er, und meinen Vorschlag doch einfach illegal Filme aus dem Internet zu laden, lächelt er einfach weg. Derzeit läuft ein ägyptischer Film.

Er hat Jura studiert und abgeschlossen, ist aber nicht wie seine Kommilitonen zur Polizei gegangen. Er hat ein Geschäft für Kinderkleidung aufgemacht, dann für Schuhe und dann das Kino, weil er mit dem Vater aus „Heart of Jenin“ befreundet war. „Schicksal…“, sagt meine Kollegin neben mir und schaut mit glitzernden Augen am Chef vom Kino vorbei, in die dunkle Nacht.

Temporäre Bewohner von Jenin – die deutschen Volunteers

Zurück im Gasthaus herschte eine ausgelassene Stimmung. Die deutschen Volunteers haben aus dem christlichen Nachbardorf etwas Bier besorgt, das sich auch Leute aus meiner Gruppe krallen wollten. Denn ein paar Tage ohne Alkohol geht halt nicht.
Als Nicht-Biertrinker setzte ich mich zu den Volunteers und hörte zu. Ihre Namen kannte ich nicht, das war aber auch nicht wichtig um ihre Geschichten zu verstehen. Derweil tapste ein kleines Hundebaby zwischen unseren Füßen herum und kauerte an der Wand. Es lag zwei Tage vor unserer Ankunft vor der Tür des Gasthauses und einer der Volunteers nahm sich dem kleinen Leben an. An dem Tag war er mit ihm beim Arzt und der hat den Hund mit Medizin versorgt, die ihn jetzt noch etwas benommen über den kühlen Stein der Terasse wackeln ließ.

Er ist seit einigen Monaten hier, zuhause wartet seine Freundin, die im 5. Monat schwanger ist. Er war vier Jahre bei der Bundeswehr und in Kabul stationiert. Ihn und seiner Einheit ist zwar nichts passiert, doch ein Kumpel von ihm wurde angeschossen.
Politisch konnte ich ihn schwer einschätzen, relativ sachlich und ohne eine ideologische Begeisterung erzählte er von seiner Zeit bei der Bundeswehr. Er meinte nur trocken, dass er Schulden hatte und einen sicheren Job suchte. „Der Staat hat meine Schulden bezahlt“, sagte er und etwas Stolz, über diesen leicht anarchistischen Triumph über das System, war dabei. Er bekam jetzt noch Gehalt von der Bundeswehr, also konnte er sich diese freiwillige Zeit hier in Jenin gut leisten. Ich stellte wenig Fragen im Gespräch und hörte mehr zu. Mir schien er suchte länger mal jemanden, den er seine Geschichte erzählen konnte. Doch die unausweichliche Frage nach dem „Und danach dann?“ musste ich stellen.
Er nannte selbstbewusst viele Ideen, die alle wahrscheinlicher klangen, als was man sonst hier in der Wüstenregion hört. Zum Film soll es auf jeden Fall gehen, und der Hund kommt mit. Der Arzt meinte, der Hund ist eine besondere Rasse, und er möchte ihn zu einem Filmhund trainieren. Und auch wenn es dem Hund in unserer Zeit zunehmend besser ging, so deutete sich schon an, dass Gehör und Sehen wohl nicht zu 100% sein werden. Trotzdem wird er in Deutschland mehr Chancen haben als hier, wo Hunde als schmutzig und unrein gelten – und nachts schutzlos vor die Türen anderer Häuser gelegt werden.

Beim Abendessen gibt es wieder würzige und leckere Speisen. Die palästinensischen Jugendlichen gesellen sich zu uns und es entsteht ein Spiel von Stille Post, jeweils mit deutschen und arabischen Botschaften. Es folgt das übliche „Haha, deine Sprache klingt ja ulkig“ auf beiden Seiten. Ich bin gelangweilt davon und locke die Katze, die sich die Streicheleinheiten gerne gefallen lässt. Die palästinensischen Jungs geben unseren Mädels Sprachunterricht – die so erstaunlich schnell Fortschritte machen. Ich muss an Japan denken, wo ich mit weiblicher Unterstützung auch immer recht schnell lernte.

Ich ging wieder zurück ins Gasthaus und warf noch einmal einen Blick auf die Terasse, wo die Volunteers mit ihren Bieren saßen und vom Tag entspannten. Laut wurde mir gesagt, dass ich kein Bier kriege, denn scheinbar hatten es schon andere aus meiner Gruppe versucht. „Ne, der ist einer von den Guten“, rief der baldige Papa, mit dem ich mich vorhin unterhalten hatte. „Der sitzt auch mal neben dir, ohne nach einem Bier zu fragen.“

In unserem Achtbettzimmer bin ich allein und schreibe wie in jeder Nacht die Eindrücke auf. So schreibe ich von den Toiletten, in die man kein benutztes Klopapier werfen darf, sondern nur in einen stets vollen Mülleimer daneben. Oder von dem Mann auf dem Kamel, der heute in der Stadt im Straßenverkehr zweimal an uns vorbeigeritten ist und winkte.
Nach zwei Stunden Schreiben und immernoch alleine im Raum, schalte ich das Licht aus und schlafe ein.

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Post aus Nah-Ost:

Teil 1 – Die Straße nach Palästina
Teil 2 – Wie Tag und Nacht
Teil 3 – Der Tag der kaputten Kameras
Teil 4 – Männer müssen draußen bleiben

Besser als Fritz

Eine sehr persönliche Liste von Journalisten, Künstler und Fotografen, die ich bewundere und die mich inspirieren – und die allesamt besser sind als ich

In letzter Zeit entdeckte ich zwei Kommentare zu mir und meinen Beiträgen. Der erste:

Ich bin auf diesen Artikel gestoßen und hab festgestellt, dass du genau den selben Traum hast wie ich, nur das ich noch in Deutschland festsitze und du deinen Traum bereits verwirklich hast.
Ich finde es toll, dass du trotz den Schwierigkeiten einfach nach Japan gegangen bist und dort immer noch weitermachst. Ohne die Sprache zu können, nach Japan zu gehen, würde ich mir trotzdem nicht zutrauen. Ich werde wohl erst die Sprache lernen und dann nach Japan gehen.

Allerdings möchte ich dir noch sagen, dass du mir ziemlich Hoffnung gemacht hast. Wenn ich so sehe ohne Studium/Ausbildung Fotograf zu werden.[…] Kurzerhand, ich glaube du bist grad sowas wie ein Vorbild für mich. Ich werde jetzt auch hart an meinem Traum arbeiten und die Sprache lernen, Fotografie weiter lernen und nach Japan gehen.

Ich denke es wird viel Arbeit brauchen, aber ich bin bereit für mein Ziel zu arbeiten.

Quelle: von hier

Mich ehrt es natürlich sehr, solche Kommentare zu bekommen und zu lesen, bin ich doch selbst auch inspiriert von den Werken anderer. Und wenn der Quatsch, den ich mache, anderen genauso helfen kann, warum nicht.

Der zweite Kommentar:

Whoa, du hast ja schon einiges erlebt und geleistet. Respekt.
Da kommt mir mein Leben gleich so kümmerlich vor ^^

Mach weiter so!

Quelle: Am Ende von hier

Das möchte ich allerdings nicht erreichen.

Leben sind verschiedenen.
Wenn ich mir andere Fotografen und Journalisten in meinem Alter anschaue, die sehr viel besser und weiter sind als ich, steht in derem Lebenslauf auch nicht, was es bedeutete, drei Jahre ihres Leben in ein Filmfest investiert zu haben. Da steht nicht, dass sie ein Jahr lang in Japan lebten ohne die Sprache zu können. Da steht auch nicht, dass sie zwei Mädchen bei einem Konzert geholfen haben, 1500€ für Afrika einzunehmen.
(Mal ein paar Eckdaten aus meinem Leben, die nicht im Lebenslauf stehen)

Auch wenn meine Eltern immer versuchen mir das Gegenteil einzureden, so ist doch nichts, was man im Leben macht und für richtig hält, eine Verschwendung von Zeit. Das Vergleichen von Lebensläufen, die alleinige Reduzierung von der Bewertung des Menschen durch die Bewertung der Effizienz und Effektivität seiner Arbeit, betrachte ich als sehr deutsch. Doch deutsch bin leider ich, und auch die meisten Leser meines Blogs. Das werden wir wohl kaum vermeiden können, uns weiterhin verpflichtet fühlen, sich mit anderen messen zu müssen.

Sich die Leistungen von anderen anzuschauen und für sich selbst etwas daraus zu ziehen, will ich auch nicht ausschließen wollen. Schließlich bringt es einen voran. Vorallem in letzter Zeit habe ich viel Gelegenheit mich mit dem Leben, Werken oder Vorträgen von erfahrenen Fotografen/Journalisten intensiv auseinanderzusetzen. Eine Form des Studiums, wenn man so will. Daher möchte ich hier nun mal hier, in einem etwas anderen Blogeintrag, ein paar Personen vorstellen. Ich habe sehr lange an dem Beitrag gesessen, weil er so persönlich ist und viel mehr Links und weiterführende Adressen enthält, als sonst. Es geht um Leute, zu denen ich aufsehen. Um Menschen, die mich in gewisser Weise vorangebracht, inspiriert, begeistert oder beeinflusst haben.

Henri Cartier-Bresson – Die Legende

Das eine Auge des Fotografen schaut weit geöffnet durch den Sucher,
das andere, das geschlossene, blickt in die eigene Seele.

Henri Cartier-Bresson

Fotografieren ist wie Bogenschiessen:
richtig zielen, schnell schiessen, abhauen.

Henri Cartier-Bresson

Der legendären Fotograf aus der Anfangszeit des Fotojournalismus.
Die Fotografie gibts ja schon seit dem Ende des 19. Jhds, damals mit minutenlangen Belichtungszeiten und schweren Filmplatten, nur in schwarz/weiß. Eine besonders spannende Serie aus der Zeit, und sogar in Farbe, sind Bilder aus Russland, gemacht im Auftrag des Zaren.

Zu der Zeit war Fotografie teuer. Das Handwerk konnten nur wenige Fachkräfte und die Produktionskosten, mit Chemie und Glas- oder Metallplatten war teuer und aufwendig. Die Fotos, die wir heute aus dieser Zeit kennen, sind meist teure Auftragsarbeiten, von reichen Familien oder der Regierung. Wirkliche journalistische oder dokumentierende Fotografie gab es damals nicht, wenn sie nicht direkt von der Regierung beauftragt wurde. Keiner hatte wirklich die Möglichkeiten den normalen Alltag oder eigene Geschichten fotografieren. Auch ein Grund warum diese Russlandserie so besonders ist.

In den 30er Jahren ging es dann mit dem Rollfilm los, den wir bis heute kennen. Vorher gab es natürlich schon experimentelle Versuche, etwas anderes als Platten zu nehmen, u.a. Farbfilme auf Kartoffel-Basis (!), doch richtig los ging es erst in den 30ern. Und wie es dann losging.

Mit einer kleinen handlichen Kamera und ein paar Rollen Film ließen sich auf einmal große Geschichten erzählen. Man konnte einfach mit der Ausrüstung reisen und kleine Rechtecke mit nach Hause bringen, die sich dank Negativ-Verfahren auf große Drucke ziehen ließen. Alle Fotografien, die vor diesem Verfahren entstanden sind, waren Unikate. Es gab keine Möglichkeit zur Reproduktion.

Diese, ich nenn es mal so, goldene Zeit des Fotojournalismus, sollte noch bis in die 60/70er Jahre andauern, bis zur weiten Verbreitung des Fernsehens, vorallem als es dann auch noch in Farbe sendete.
Natürlich gab es danach noch große Geschichten und Fotos, die zu Ikonen wurden, doch seitdem sinkt die Bedeutung und auch Wertschätzung des Fotojournalismus bis zum heutigen Tag.

Einige sagen ihn schon tot, doch ich denke anders. Bilder erzählen Geschichten, die Menschen bewegen. Das war so, das wird immer so sein. Und auch wenn es in 20 Jahren keine Zeitung mehr geben sollte, Kameras und stehende Momentaufnahmen wird es immer geben. Wie sonst lässt sich erklären, dass Henri Cartier-Bressons Bilder bis heute bekannt und beeindruckend sind?

Henri Cartier-Bresson definierte den „entscheidenen Moment“ in der Fotografie, den Moment, in dem man abdrücken sollte und auf den man manchmal lange warten muss. Viele weise Worte stammen von ihm und er wird gern zitiert. Inzwischen ist er tot, doch ich empfehle ein BBC Interview, dass er in den 80er Jahren gegeben hat.

[youtube=http://www.youtube.com/watch?v=XfwNrPX2pvw&fs=1&hl=de_DE]

In dem Interview wird er auf eines seiner bekanntesten Bilder angesprochen, ein Mann der über eine Pfütze springt.

Er erklärt, wie es zu dem Bild kam: Er hielt die Kamera durch einen Zaun und ohne durchzugucken drückte er einfach ab. Durch einen glücklichen Zufall war eben dieser Mann drauf. Das eines seiner berühmtesten Werke nur Glück gewesen sein sollte verdutzte die Reporter und sie fragten nach. Cartier-Bresson sagte: „Klar war es Glück. Es ist immer Glück.

Robert Capa – Der Pionier


Spanischer Bürgerkrieg

Wenn deine Bilder nicht gut genug sind, warst du nicht nah genug dran

Robert Capa

Die Wahrheit ist das beste Bild.

Robert Capa

Robert Capa war leidenschaftlicher Fotojournalist. Bei der Landung der Allierten im 2. Weltkrieg an der Küste der Normandie war er in einem der Landungsboote dabei, zusammen mit den Soldaten, während sie von den Nazis beschossen wurden. Weil er vor den Kugeln flüchten musste, sind die Bilder natürlich nicht scharf geworden. Doch diese ganz eigene Ästhetik der Bilder, ganz nah an der Front im Kugelhagel, diente als Vorbild für die Anfangsszene im „Soldat James Ryan“. Achtet mal drauf, die verwischten und farbarmen Konturen orientieren sich stark an Capas Bildern.

Capa starb 1954 bei dem Auftrag den ersten indochinesischen Krieg zu fotografieren. Er trat auf eine Landmine

Cartier-Bresson und Capa waren auch Gründungsmitglieder der Fotoagentur magnum, und sie sind gleichzeitig bis heute deren größtes Kapital. Magnum war einst die Vereinigung der besten Fotojournalisten der Welt. Im Juli war in Berlin eine Ausstellung zu magnum und ich war überrascht, wie unbedeutend diese Agentur mittlerweile geworden ist. Die Hälfte der Ausstellung war über Capa und Bresson. Über die großen Alten. Doch magnum existiert ja weiterhin. Als eigenständige Agentur sind sie allerdings kaum wettbewerbsfähig, leisten sie sich doch Arbeitszustände wie vor 50 Jahren, als der Fotojournalist noch die Geschichte machte, und nicht nur einen im Internet recherchierten Beitrag illustrierte. So suggerierte es zumindest eine Doku über magnum, die in der Ausstellung lief.
Schaut man sich magnum an, mag man tatsächlich denken, dass der Fotojournalismus tot ist und nur noch in Museen stattfindet.
Nichtsdestotrotz sind Cartier-Bresson und Capa wahre Größen dieses Metiers.

Wenn ich mit der analogen Kamera fotografiere, muss ich an Cartier-Bresson denken, an den von ihm beschriebenen entscheidenen Moment und Fotografie als reines Zusammenspiel von Geometrie. Für ein Bild mit der analogen Kamera nehme ich mir mehr Zeit, fühle das Motiv und denke über das kleine Rechteck nach, welches den Platz auf diesem knappen Film einnimmt.

Sybille Bergemann – Fotografin aus Berlin


Foto: Selbstportrait, Sibylle Bergemann / Akademie der Künste

Sybille Bergemann war eine ostdeutsche Fotografin aus Berlin. Sie starb vor einigen Wochen mit 69 Jahren.
Sybille Bergemann entdeckte ich das erste Mal in einem Dokufilm mit dem Titel „Ostfotografinnen„, der das Leben und die Arbeiten von drei Fotografinnen aus der DDR vorstellte. Sie fiel mir dabei besonders auf, durch ihren unaufgeregten, beobachtenden und ruhigen Stil, der sich auch in ihrer Person wiederspiegelte. Ihre Serie von Beobachtungen in Clärchens Ballhaus, einer sehr alten Berliner Kneipe, erzählte in jedem Bild ein ganzes Menschenleben.


Quelle

Das man so viel in ihren Bildern lesen konnte, ohne dass sie groß mit der Kompostion überlegen musste, nur mit einem Bauchgefühl, wie sie später sagte, beeindruckt mich sehr.
Ich traf einmal eine Schülerin von ihr. Sie meinte, dass Sybille Bergemann diese Doku für gar nicht gut hielt.

Für die Partei dokumentierte sie über mehrere Jahre den Bau der Marx und Engels Figuren in Berlin. Die Bilder wurden von der Parteiführung abgesegnet, können aber auch als parteikritisch gelesen werden. Sie selbst hatte es nicht darauf angelegt, kritisch zu sein. Sie fotografierte es, wie sie es sah.


Foto: cab-artis.de

Sie wollte immer ins Ausland, durfte es aber nicht. Nach der Wende kamen nach einer Durststrecke auch große Aufträge rein, mit denen sie endlich um die Welt reisen konnte.

Sie hatte Fotografie nie wirklich studiert, war aber mit einem Professor der Fotograife liiert. Und auch wenn sie nie reisen konnte, so bekam sie in ihrer Wohnung oft Besuch von renommierten Fotografen aus dem Ausland, u.a. auch von Henri Cartier-Bresson. So saßen sie dann in einer ostberliner Altbauwohnung auf einem weißen Sofa, und diskutierten nächtelang über Fotografie. Eine bessere Schule kann es doch nicht geben.

Sie hat 10 Jahre für eine mittelgroße Wochenzeitung fotografiert, bevor sie sich an größere Magazine wagte. 10 Jahre, in denen sie ihren Stil verfeinern konnte, ohne dass ihr eine Schule dazwischen reden konnte. So etwas kann man heute nicht mehr machen, dafür ist der allgemeine Wettbewerbsdruck zu groß.

Später gründete sie auch eine Agentur für und von Fotografen, Ostkreuz, aus der dann später auch eine Schule mit gleichen Namen hervor ging. Die Agentur Ostkreuz ist ähnlich wie magnum, in dem sie größtenteils von den Archiven der alten Fotografen wie Harald Hauswald oder Sybille Bergemann lebt, und dabei eine fast schon elitäre Arbeitsweise vertritt. Erst neulich, in einem Gespräch mit der Zeit, erzählte ein Leiter der Agentur von dem Handel und Verkauf der Bilder, die nur über Telefon(!) stattfindet. Es gibt kein Online-Archiv zum auswählen, keine Mailadresse zum Bestellen. Die Überzeugung, mit der der Leiter diese Arbeitsweise vorgestellt hat, klang stark nach Arroganz in meinen Ohren. Er schob noch hinterher, dass sie sie sich mehr und mehr durch Ausstellungen finanzieren, als durch Abdrucke in Zeitungen. Nunja, warum wohl.

Die Ostkreuzschule für Fotografie mag ich absolut nicht, trotzdem Sybille Bergemann dort lehrte. Dort sind ausgezeichnete Fotografen als Lehrmeister, doch die lassen sich auch was kosten, was die Ostkreuzschule zur teuersten Fotoschule in Berlin macht. Ich habe mir die Werke von Schülern angesehen, vor und nach dem Abschluss, und habe nicht wirklich eine Veränderung gesehen. Die Schule und ihre Lehrmethoden sagen mir nicht zu.

Als vor einigen Wochen eine neue Dokumentation zu Sybille Bergemann ihre Premiere im Kino Babylon hatte, war ich auch anwesend. Die Doku war zwar kurz, doch sehr sehenswert. Im Kino war auch ein großer Andrang von Ostkreuz-Schülern und -Lehrern, darunter auch ein Mädel aus meinem Abitur-Jahrgang.
Seit dem Abi habe ich sie nicht mehr gesehen. Wir hatten schon davor wenig miteinander zu tun, doch das übliche „Und, bei dir so?“ musste natürlich erledigt werden.
Als sie sagte, dass sie an der Ostkreuz-Schule für Fotografie ist, fiel es mir schwer, meine Ablehnung dieser Schule zu verstecken. Etwas frecher als sonst machte ich bissige Kommentare. Bewusst verzichtete ich darauf zu erzählen, was ich nach dem Abitur gemacht habe, und wartete auf ihre Frage, die sie dann auch ohne ehrliches Interesse stellte. Als ich sagte, dass ich ein Jahr in Tokyo gelebt und dort als Fotograf gearbeitet habe, war sie kurz sprachlos.

Ich genoss diesen kurzen Moment der Arroganz, der auch ein Triumph über die Ostkreuz-Schule war. Der Beweis, das man auch ohne teures Studium als Fotograf arbeiten kann.
Nur wenige Minuten später bereute ich diese Arroganz zutiefst und wollte mich entschuldigen, doch meine Begleitung meinte, es sei in Ordnung und mir vergönnt.

Ein Punkt, der mich an der Ostkreuz-Schule stört, ist die mangelnde Ausrichtung auf die Arbeitswelt. Zumindest von dem, was ich bisher gesehen habe, ist es der Schule egal, was nach dem Abschluss mit den Leuten passiert, das Geld wurde ja bezahlt. Natürlich wird es einige Professer-Schüler Beziehungen geben, die nach dem Abschluss noch bestehen und Kontakte austauschen. Doch verglichen mit anderen Schulen z.b. im Ausland, wo das letzte Semester nur dazu da ist, die nächsten beruflichen Jahre der Absolventen zu sichern, ist das nichts.
Schon vor dem letzten Semester fehlt eine Vorbereitung auf den Arbeitsmarkt im Unterricht, was es heisst als Fotograf Geld zu verdienen und davon zu leben.

Und so gibt es dann Fotografen, die unscharfe Bilder machen und das für große Kunst halten. Vielleicht stimmt das manchmal auch, aber wenn ich insgesamt 10.000€ für eine dreijährige Ausbildung bezahle, will ich danach nicht noch weiter unbezahlt Praktika machen müssen, um irgendwie reinzukommen.
Mit einer Schülerin dieser Schule, die beim diesjährigen Jugendfotopreis den 2. Platz gemacht hat, führte ich vor ein paar Monaten ein Interview. Als ich mir ihre Bilder anschaute, dachte ich, ich guck nicht recht. Sowas gewinnt? Unscharfer Quark, in den 1000 Sachen reininterpretiert werden, die einfach nicht da sind? Lest das Interview und schaut euch die Fotos und vorallem die Texte dazu an.

Sybille Bergemann hatte nie Fotografie studiert. Sie beschreibt ihre Arbeitsweise als Bauchgefühl. Es muss halt stimmen. Wie man dieses Bauchgefühl an einer Schule beibringen soll, weiss ich nicht.

David Burnett – Seit Jahrzehnten unterwegs

Ihr kennt doch bestimmt das Foto vom Vietnamkrieg, von dem nackten Mädchen mit verbrannter Haut, die in die Kamera weint und die gerade vor einem Napalmangriff auf ihr Dorf wegrennt. David Burnett hat dieses Foto nicht gemacht. Er stand mit anderen Fotografen neben dem, der das Bild machte. Zu dem Zeitpunkt war David Burnett Mitte 20.

Mit 24 ging er nach Vietnam um von der Front zu berichten. Ich betone das nochmal, er war nur zwei Jahre älter als ich jetzt und schon als Kriegsfotograf unterwegs. Heute natürlich unmachbar, vorher muss man erst durch irgendwelche Kontrollen von Militär und Sicherheitsfutzis, bevor man überhaupt in die Nähe des Flugzeugs darf.

Seit Jahrzehnten ist er nun schon Fotojournalist. Er fing an bei einer kleinen Lokalzeitung und hat dort die wöchentliche Footballspiele fotografiert. Er bekam ein paar Dollar und ein paar Rollen Film. So fing er an. Ein paar Jahre später war er schon in Vietnam und heute sind seine Fotos regelmäßig auf den Titelblättern dieser Welt.

Sehenswerter Vortrag von ihm:

-> World Press Photo: Presentation by David Burnett

Andreas Gursky – Fotovisionär


moma.org

Wie im Beitrag „Berliner Helden“ schon angemerkt, hat mich der deutsche Fotograf Andreas Gursky sehr beeindruckt. Nicht nur, dass er der Fotografie als Kunstform einen neuen Stellenwert gegeben hat (Fotografie galt bis vor einigen Jahrzehnten überhaupt nicht als Kunstform, sondern nur als Dienstleistung). Er hat mir auch begreiflich gemacht, dass die eigene Vision eines Bildes, nicht mit der Realität enden muss. Eine künstlerische Idee mit der Fotografie umzusetzen, dabei bewusst Grenzen zu ignorieren, zu verschieben und zu dehnen, ist die purste Definition eines Fotokünstlers.

Mit Gursky hatte ich vor zwei Jahren sogar indirekten Kontakt. Für den Bildband kontaktierte ich damals bekannte Fotografen, die dann für Projekt als Fürsprecher auftreten könnten. Einfach damit uns ein bekannter Namen den Rücken stärkt. Ich hatte sein Management angeschrieben und tatsächlich ne Antwort bekommen. Andreas Gursky hatte das Projekt gesehen (oder mal kurz überflogen), es für gut befunden, aber eine Unterstützung größtenteils aus Zeitgründen (so die offizielle Version) abgelehnt. Doch das wir überhaupt ne Antwort bekommen habe, fand ich schon sehr groß.

-> Online Portfolio von Andreas Gursky bei seiner Galerie Sprüth Magers

Unbunt – fühlbare Bilder

Ich habe den Künstler, der sich Unbunt nennt und ein paar Jahre jünger ist als ich, nie getroffen, aber oft und gern mit ihm gesprochen. Sein Stil ist eine Art der Fotografie, die ich niemals hinkriegen werde, so sehr ich es auch probieren würde – und dafür bewundere ich ihn. Er hat einen starken Blick für Gefühle in Bildern und wie man diese bei anderen auslöst, ohne das er das wahrscheinlich selbst so definieren würde.

Seit ein paar Jahren verfolge ich seine Arbeit nun schon und Anfang diesen Jahres habe ich mich mehr mit ihm unterhalten. Ich sagte ihm, dass ich ihn für seine Arbeit bewundere. Seine Antwort war: „Wirklich? Ich bin es, der deine Arbeit bewundert!“.
Dabei haben wir zwei grundverschiedene Stile, die wohl trotzdem voneinander lernen und profitieren können.

-> sehr unregelmäßig aktualisierter Blog von Unbunt

Freyja Schimkus – Traumfängerin


Quelle: jugendfotos.de/Freyja Schimkus

Freyja kenne ich aus dem selben Netzwerk wie Unbunt, direkt habe ich aber noch nie mit ihr gesprochen. Dafür habe ich ihren Bildern zugehört.
Sie ging auf ein deutsches Gymnasium in Polen, inzwischen ist sie auf einer Kunstschule. Ihre Bilder sind traumgleich, wunderschön und oft makelos bewundernswert. Freyja’s Talent ist auf nem ganz anderen Level als das Bisschen, was ich habe. Habe ich erwähnt, dass sie gerade einmal 19 ist?
Die Fotos hier hat sie gemacht, da war sie noch bedeutend jünger.


Quelle: jugendfotos.de/Freyja Schimkus


Quelle: jugendfotos.de/Freyja Schimkus

-> Freiyja’s Blog

Chip Litherland – Zyniker und Fotograf aus Sarasota, Florida


Quelle: chiplitherland.com/blog

Chip Litherland kenn ich erst seit kurzem, doch seine weisen Worten verschlinge ich seitdem. Seine Anfänge mit Fotojournalismus war der Amoklauf an der Columbine Highschool, unweit von seiner Uni, an der er damals „Fine Art Photography“ recht desinteressiert studierte. Durch diesen intensiven ersten Eindruck hat er begriffen, was Fotojournalismus bedeutet und leisten kann (und muss). Der Typ ist seit 10 Jahren Fotojournalist und absolut zynisch was seinen Beruf angeht. Er schwankt zwischen Hass, Verachtung und Stolz für seinen Berufsstand und spricht dabei weise, wahre Worte, die man erst nach 10 Jahren im Geschäft sprechen kann. Wenn man lernen möchte, was Fotografie wirklich als Beruf bedeutet, so sollte man seinen Blog lesen (wo es auch spannende Aufnahmen von Florida gibt).

Besonders empfehlenswert sind seine 10 Tipps um die eigene Kreativität zurückzubekommen (und gleichzeitig eine Abrechnung mit dem Lomo-mist und Spaßkamera-Amateuren):

Put that Holga, Lomo, and Diana camera in a shoebox and set it on fire. Seriously.

Chip Litherland

Und sein offener Brief an Zeitungsfotografen:

If you think you are safe in your job, you aren’t.

I say that bluntly to make the point stick. You are a number. You are expendable. Your work will win awards. Your work will sell papers. In the end, if they don’t sell that ugly ad around your photo, you don’t have a job. Period.

Chip Litherland

Sein Professor, den er regelmäßig als seinen Mentor erwähnt und dem er alles verdankt, was er heute ist, hat auch einen Blog, der ebenso weise ist, aber auch sperriger zu lesen.

-> Blog von Chip Litherland: Redeyes and Redlights

Max Lautenschläger – der erste Lehrer


Quelle: maxlautenschlaeger.de

Er war neben Paulus Ponizak einer der Fotografen meiner Zeitung (der Berliner Zeitung) und nach meiner Ansicht war er auch der Beste. Ich hab die Zeitung nach seinen Bildern durchsucht, diese dann analysiert und von ihnen gelernt. Er hatte auch ursprünglich die Reihe entworfen, die ich heute nun für diese Zeitung mache.

Auch wenn wir eine zeitlang für dieselbe Zeitung arbeiteten (er hörte dann später auf), so sprach ich ihn doch nie. Ich telefonierte nur mal mit seinem Kollegen Paulus Ponizak, der ebenfalls hervoragende Bilder macht. Ich war damals dabei die Reihe zu übernehmen, und er fand das nicht so gut, da ihm die Reihe doch am Herzen lag. Doch schlussendlich erklärte er sich, und Max Lautenschläger vermutlich auch, bereit, den jungen Neuling (mir) mal eine Chance zu geben.
Diese Reihe für die Berliner Zeitung mache ich heute noch und die regelmäßige Auseinandersetzung mit der Redaktion und der Aufgabe hat mich als Fotograf, vor meiner Zeit in Japan, wohl am meisten beeinflusst.

-> Online Portfolio Max Lautenschläger

Jake Adelstein – mutiger Yakuza Journalist


Jake Adelsteins Buch über die Yakuza in Japan, letztes Jahr erschienen, mittlerweile auch in Deutsch erhältlich

Bisher sind oben nur Fotografen. Trotzdem gehören natürlich auch schreibende Journalisten zu meinen Vorbildern. Seit Japan ist da auch der Amerikaner Jake Adelstein dabei, der über Japans Yakuza Unterwelt berichtet und selbst mit einigen Yakuza-Bossen befreundet ist. Er ist mutig, integer und oft etwas neugieriger als die meisten seiner Kollegen. Seine Vorstellung von Journalismus ist ehrenwert und er kämpft ihn umzusetzen. Trotzdem ist er nicht nur bierernst, sondern setzt auch Themen mit einem Augenzwinkern um. Wer sonst testet das Videospiel Yakuza 3 mit drei Yakuza Bossen in Tokyo, die mit mangelnden Gliedmaßen Schwierigkeiten haben, den Controller zu bedienen…

Ich empfehle insbesondere seinen Twitter-Feed, wo er regelmäßig interessante und weise Worte über Journalismus spricht.

…und da war da noch:

Der Gaijin Photographers Club in Tokyo ist eine informelle Vereinigung von ausländischen Fotografen in Japans Metropole – und ich gehörte dazu. Zwischen mir und den anderen Teilnehmern lagen mindestens 10 Jahre Altersunterschied und ebenso viele Jahre an Berufserfahrung. Dementsprechend nervös war ich bei den Treffen, nahm aber doch jeden Eindruck von der Arbeiten der Anderen und deren Kritik an meinen Bildern gerne an. Einer dieser Fotografen, die ich dort kennenlernte, gewann jetzt im World Press Photo Award, den größten Preis für Fotojournalismus weltweit, den 3. Platz im Bereich Natur.
Er gab mir damals den Rat, nicht so viel auf Photoshop zu setzen, und ich befolgte den Rat gerne. Und, hey, ein Gewinner vom World Press Photo Award hat meine Bilder kritisiert. Das ist schon irgendwie cool.


Zum Schluss mal eins meiner Fotos…

Das soll jetzt mal meine lange Liste von Leuten sein, zu denen ich aufsehe. Natürlich gibt es noch mehr Menschen, deren Leben und Arbeiten mich beeindrucken, doch ich habe mich jetzt mal auf die beschränkt, zu denen ich eine gewisse persönliche Verbindung habe.
Es sind viele Fotografen dabei, auch wenn es mir nach wie vor schwer fällt, mich zwischen Text und Foto zu entscheiden, welche Laufbahn ich denn nun verfolgen soll und was eher meine Stärken sind. Ich möchte am Liebsten beides machen – und keines missen.
Fakt ist allerdings, dass ich mit Fotos jetzt schon Geld verdienen kann, mit Texten nur bedingt. Fakt ist auch, dass man Bilder und Fotografen besser vergleichen kann, als geschriebene Worte, egal in welcher Form.

Das in der Fotografie der Bildjournalismus mein Ding ist – so richtig weiß ich das erst seit diesem Jahr. Vorher habe ich etwas rumgeeiert bzw. mich in verschiedenen Sachen ausprobiert. Seitdem sauge ich alles auf, was ich dazu finden kann.
Doch wenn ich genau überlege, lag da immer schon mein Interesse. Ausstellungen zu Fashion-Fotografie, inszeniertes Gedöns a la Newton usw. hat mich nie wirklich interessiert. Seitdem ich Fotojournalismus als mein größtes Interesse und vorallem als meine größte Stärke erkannt habe, bin ich auch besser und erfolgreicher darin geworden.

Ich seh zu den Leuten auf meiner Liste herauf, doch manchmal geht mein Blick dann wieder zurück und ich komm mir verglichen mit denen noch kleiner vor. Denn ich hab bisher keine Wettbewerbe, Titel oder Preise mit meiner Arbeit gewonnen. Andere, insbesondere in meinem Alter oder Jünger, schon reichlich.

Jeder, der kreativ arbeitet und etwas schafft, ist neben etwas Talent auch mit einem konstanten Selbstzweifel gesegnet, der dieses Talent ständig in Frage zieht.
So bestimmt auch jeder einzelne auf meiner Liste.

So auch ich.