Zwiebeln für Fukushima III – Tsunami im Sonnenuntergang

Im Sommer war ich mit einer Gruppe von freiwilligen Helfern in Minami-Soma, einem Ort in der Präfektur Fukushima – 40km vom Reaktor entfernt. Ein Teil des Ortes liegt im 20km Bannkreis rund um das havarierte Kraftwerk, die Mehrheit der Bevölkerung hat die Stadt bereits verlassen. Kontaminierter Reis und radioaktiv belastetes Gemüse sind hier ihr größtes Problem.Fortsetzung von Teil 1 und Teil 2

Es roch nach Meer. Unsere Wagen fuhren auf der Landstraße Richtung Küste. Die Fenster hielten wir trotzdem geschlossen, denn entfernt am Horizont konnte man schon das Kraftwerk erkennen. Neben uns gab es kaum ein Auto auf dieser Straße. Links und rechts nur leere Felder. Je näher wir allerdings der Küste kamen, desto klarer wurde uns, dass diese Felder nicht immer leer waren. Der Tsunami hat hier, ein paar Kilometer landeinwärts, alles umgepflügt. Die letzten Spuren sammelten sich am Straßenrand.

Von den Häusern stand meist nur noch das Dach. Das Erdgeschoss hatte die Welle mitgenommen.

Die weißen, eckigen Klötze sind Wellenbrecher, die sich an vielen Stränden von Japan finden lassen. Mit ihrem tonnenschweren Gewicht sollen sie eine Tsunami bremsen. Doch die Welle hat sie einfach mitgenommen.

Selbst die Abgrenzung einer Brücke wurde einfach gefaltet. Der Stahlbeton wurde angebrochen und die Welle rollte weiter.

Die Boote, die von der Welle getragen wurden, lagen ein halbes Jahr nach der Katastrophe immer noch auf dem Trockenen, während unsere Karavane von zwei Trucks und einem LKW weiterzog.

Wir wendeten und bogen wieder auf den Expressway ab. Selbst bis dahin hatte es die Welle geschafft.

Im Auto war es still. Keiner wollte reden, keiner konnte reden. Nach über 30 Stunden auf den Beinen und all den Eindrücken waren wir einfach nur noch müde.

Die Sonne ging unter und Fukushima wirkte seltsam idyllisch. Selbst die Wracks und Ruinen wirkten im Abendlicht friedlich. Ein halbes Jahr später waren viele der freien Flächen, die von der Tsunami entwurzelt wurden, wieder begrünt.

Im nächsten Bergdorf hielten wir für eine Zigarette an. Die Ruhe und die Schönheit im warmen Licht liessen kurz die Dramatik der Situation vergessen. Doch schon beim nächsten Straßenschild wird wieder klar, wo man hier eigentlich ist.

Unser Fahrer, seit mehreren Stunden am Steuer, hatte nichts gegen einen Wechsel. Doch ich habe nicht mal einen Führerschein in Deutschland. Mein kanadischer Kollege probierte es dann noch, verwechselte aber zu oft die Bremse mit dem Gas. Den Weg nach Tokyo schaffe er noch, sagte der Fahrer, und dirigierte den Kanadier vom Lenkrad weg. Er lachte erschöpft. Wirklich sicher fühlte ich mich nicht, aber ich war zu müde um Beschwerde einzulegen.

In den folgenden drei Stunden auf dem Expressway Richtung Tokyo nickte ich oft ein. Mal nur für Sekunden, mal für eine halbe Stunde. Jedes Mal wenn ich die Augen wieder aufmachte war die Szenerie eine andere.

Irgendwann machte ich sie wieder auf und war in Tokyo. Wir waren die ersten am Treffpunkt. Die anderen hatten wir im Feierabendverkehr verloren. Wir tauschten noch Kontaktinformation aus, klopften uns für unsere Arbeit auf den Rücken und gingen unserer Wege. Mit dem Duft von der Arbeit in Fukushima am Shirt, hatte ich kein Problem einen Platz in der U-Bahn zu finden.
Zu der Zeit übernachtete ich noch bei einem befreundeten Deutschen, der selbst schon als Freiwilliger in Nordjapan aushielf. Er schlief schon, als ich mit dem letzten Zug der Nacht in die Haustür polterte.
Ich nahm den Akku aus der Kamera, verstaute die vollen Speicherkarten und fiel in den Futon. Sieben Stunden später sollte der nächste Fotoauftrag beginnen.
Gute Nacht, Fukushima.

Epilog
Es ist jetzt über ein Jahr her, dass Fukushima mit einem Schlag den selben Bekanntheitsgrad wie Hiroshima und Chernobyl erreichte. Als ich dort war, vor sechs Monaten, war noch nicht abzusehen, wie lange Fukushima noch in den Köpfen bleibt. Heute würde ich sagen, dass es für die nächsten Dekaden so sein wird.
Doch bei den innerparteilichen Debatten und dem ständigen Blick auf den deutschen Bauchnabel werden oft die Menschen aus Fukushima vergessen. Jeder in Deutschland kennt Fukushima, kaum einer kennt die Bewohner von Minami-Soma und ihre Probleme.

Was mich angeht: Ich habe keine Lust mehr auf Fukushima. Die Welle und das Kraftwerk haben bei mir nicht viel verändert – wohl aber bei denen, für die ich arbeite und mit denen ich zu tun habe. Japan wird beschränkt auf eine Katastrophe und ich als Journalist werde gedrängt, darüber zu schreiben. Ich habe viel dazu recherchiert und viel dazu geschrieben. Ich habe keine Lust mehr.
Ich habe keine Lust mehr ständig auf ein Ereignis von vor einem Jahr zu blicken. Ich hab keine Lust mehr, die ewig gleichen Bilder und Texte dazu zu sehen.

Fukushima ist vorbei. Wie geht es weiter?
Das ist die spannende Frage. Darauf habe ich Lust.

Trommel-Tage

Letze Woche war in Berlin die ITB – die internationale Tourismusbörse. Ich war für Tokyo mit dabei. Hier nun die Szenen einer Messe, die jeden Tag viele Gespräche, Abendprogramm und kostenloses Sushi bot.

Taiko-Trommler aus Japan

Bereits vor einem Jahr auf dem Japan-Festival habe ich für die Tourismusabteilung der Stadt Tokyo bei einer Veranstaltung als Assistent gearbeitet. Die ITB ist im Vergleich allerdings eine Nummer größer und richtet sich auch an Fachbesucher.

Etwas aufgeregt war ich schon. Der erste Gang über die Messe machte mir schnell klar, wie wichtig die Veranstaltung für die Branche ist. Überall blitzte ein hochprofessionelles Lächeln von Verkäufer zu Käufer, von Fremdenverkehrsamt zu Reiseveranstalter. Die Deutschen reisen eben gerne, das Land ist ein riesiger Markt. Über 10.000 Stände aus über 180 Ländern wollen da natürlich ein Stück vom Kuchen. Jede Vertretung schickte oder engagierte die hübschesten Mitarbeiter. Warum ich nun da war, erschloss sich mir daher nicht ganz, und ich hoffte, Tokyo würde für den Rückgang in Besuchern nicht mein Gesicht verantwortlich machen.

Das Messegelände liegt im Westen von Berlin. Von meiner Haustür zum Stand der Stadt Tokyo brauchte ich jeden morgen ca. 35 Minuten. Die Bahn in Berlin fuhr mit Sonderzügen Richtung Westen, die jeden Morgen ordentlich gefüllt waren. Am Bahnhof Messe Süd entlud sich dann stets ein Batallion an Fachbesuchern und Standbetreuern. Lief man hinter ihnen her, trat man in eine wilde Wolke aus Parfüm und Deodorant. Künstlicher Geruch, Kleidung und Make-Up – alles für ein besseres Auftreten und für den Verkauf.
Über 100.000 Personen drängten sich in den ersten drei Tagen durch die Messe, die in der Zeit nur den Fachbesuchern geöffnet war. Erst am Wochenende sollte das Berliner Publikum aufkreuzen.

Japan präsentierte sich zurückhaltend. Nebenan war der Stand von Korea, die ein ordentliches Show-Program boten. Denn nicht nur war der Stand von ihnen größer, sie hatten auch eine live Kung Fu Show, tanzende Roboter und eine Trommler Gruppe. Japan hatte das alles nicht. Doch dafür hat Japan etwas, was die Koreaner nicht haben: mehr Besucher.

Korea kämpfte ehrgeizig um Aufmerksamkeit, während die Japaner zurückhaltend blieben. Man wollte sich anderen nicht so aufdrängen, hieß es. Selbst als bei der Kung Fu Show ein Apfel aus Korea bis zu mir nach Tokyo flog, wurde das Obst einfach ohne Kommentar entfernt.
Die Zurückhaltung sah man auch in der Größe des Standes. Während der Stand von New York und Hong Kong jeweils den Platz eines Einfamilienhauses einnahm, war der Tisch von Tokyo so groß wie der von Hannover (Einwohner und Coolness-Unterschied: 30+ Millionen).

Erst am Besucherwochenende holte Japan die dicken Trommeln raus. Eine Gruppe aus Okinawa hatte unisono in perfekter Abstimmung einige Auftritte und zum Schluss schmetterte ein Taiko-Spieler kraftvoll die Holzschläger auf seine riesigen Trommeln. Ich stand nur ein paar Meter von den großen Apparaten entfernt. Intensiv.

Am Stand von Japan waren die Städte Tokyo, Osaka und Kyoto vertreten, sowie einige Reiseveranstalter, die japanische Bahn und eine Airline. Am ersten Tag gab es zusammen ein Treffen mit der Botschaft in einer Kneipe. Am zweiten Tag lud der Europa-Chef der Airline ANA zu einem Auftritt in die Berliner Philharmonie ein, wo deutsche, chinesische und japanische Musiker im Kammermusiksaal anlässlich des Jahrestag des Erdbeben und der Tsunami spielten. Die Musik war großartig, aber auch sehr dramatisch. Die angeschlossene Fotoausstellung ebenso.
Neben der Botschaft war auch der Deutschland-Korrespondent der Zeitung Mainichi Shimbun beim Konzert, die den Abend auch mitfinanzierten. Ich kannte ihn. Mehrere Male traf ich ihn in Tokyo auf ein Bier, bevor er nach Berlin zog und Deutschland-Korrespondent wurde. Seit meiner Rückkehr blieben meine Mails an ihn allerdings stets unbeantwortet. Er gab sich an dem Abend nun sehr viel Mühe, mich nicht zu erkennen. Ich tat es ihm gleich.

Für die Mitarbeiter am Stand gab es eine Dame im Kimono, die uns Getränke servierte. Jeden Nachmittag gab es auch wunderbares Sushi, welches für Seminare und Gespräche organisiert wurde. Ich glaube, so viel Sushi wie in diesen Tagen habe ich noch nie gegessen. Ich frage mich auch, ob so viel Sushi überhaupt gesund sein kann…


Gespräche
Meine Aufgabe war es, über die Stadt Tokyo zu informieren, Fragen von Reisenden zu beantworten oder Tipps für Interessierte zu geben. Das klappte ganz gut und machte auch Spaß. Oftmals gingen die Fragen auch über eine reine Tourismusinformation hinaus: Wie finde ich Arbeit in Tokyo? Wo bekomme ich ein Visum? Wie sind meine Chancen mit meinen Qualifikationen? Soweit es mir möglich war hab ich geantwortet. Lebensberatung am Stand von Tokyo.

In jedem der Frager sah ich auch ein bisschen von mir selbst. Genau wie sie stand ich mit 21 vor der großen Reise nach Tokyo und hatte noch von nichts eine Ahnung.
Das intensivste Gespräch in der Hinsicht war sicherlich mit einem 23 jährigen Fotografen, der auf einmal vor mir stand und etwas wirr von seiner Idee erzählte. Aufgeregt drückte er mir sein iPad in die Hand und bat mich, die Bilder durchzusehen. Ich musste ein paar mal nachfragen bis ich endlich verstand, was er von mir wollte: er hatte eine Idee zu einem Fotoprojekt, welches er Tokyo anbieten wollte.

Vor drei Jahren, ich war 21 und gerade ein paar Wochen in Tokyo, war ich in der selben Position wie er. Ich hatte ein Idee für ein Fotoprojekt und bot sie Tokyo an. Ich wurde sogar ins Rathaus geladen und hatte ein Gespräch im 32. Stock. Aus dem Projekt ist leider nichts geworden, doch ich bekam die Chance als Fotograf für Tokyo ein paar Aufträge zu machen.
Jetzt, drei Jahre später, war ich nun in der Position zu entscheiden, ob das Projekt Chancen hat und weitergeleitet werden sollte, oder nicht.
Ich musste ihm absagen, da ich Tokyos Politik zu solchen Ideen nun bereits mehr als kannte.

Mit 21 war ich noch naiv und schrieb einfach die größte Stadt der Welt mit meiner Idee an. Heute würde ich das nicht mehr machen. Die Erfahrung stoppt einen dabei und flüstert „Nein, mach das nicht du Idiot!“. Doch frei nach Steve Jobs: Stay hungry, stay foolish. Ein bisschen Naivität sollte man sich wohl erhalten, denn schließlich, auch wenn das Projekt nicht klappte, hat mir der Ansatz nicht geschadet. Im Gegenteil.
Ich würde gerne mal wieder etwas naives wagen.

Es gab aber noch weitere interessante Gespräche. Zum Beispiel mit einem Schweizer Journalisten, den ich bisher nur aus Emails kannte und der mir nun zufällig über den Weg lief, kurz bevor er wieder nach Zürich flog. Oder der Lufthansa-Mitarbeiter, der am Stand anhielt und meinte „Du bist Fritz, oder? Wir haben uns doch vor drei Jahren beim Feuerwerk in Yokohama getroffen!“

Notizen über die Welt (der Messe)

– Der Stand von Israel und der von Palästina werben exakt mit dem selben Slogan: Komm ins heilige Land. Der Werbespruch entspricht dem Staatsmotto – und erklärt, warum eine Halle Abstand zwischen den beiden war, obwohl sie in der selben Region liegen.

– China wirbt mit einer „Visit Tibet“ Kampagne. Das ist ungefähr so, als würde Deutschland nach der Besetzung von Frankreich mit einer „Besucht Paris“ Kampagne werben. Haben sie damals vermutlich sogar gemacht.

– Der Stand der USA war direkt neben dem von Russland. Die USA warb mit Cowboys, Russland mit hübschen Mädels. Russland hat eindeutig gewonnen in meinen Augen.

Die Besucher
Die Tage für das allgemeine Publikum waren dominiert von der Frage: „Kostet das was/ kann ich das mitnehmen?“

Bei kostenlosen Sachen wird zugegriffen, egal ob man es braucht oder nicht. Stadtpläne, Kugelschreiber oder CDs gingen schnell weg. Darunter auch ein Bildband mit Impressionen aus Tokyo. Die erste Seite darin zeigt eine Stadtkarte von 1848, auf der noch alle Häuser der Samurai eingezeichnet sind, inkl. Wappen der Familien-Clans.
Vor zwei Jahren erst hatte ich das Original dieser Karte von 1848 bei der Recherche in der Staatsbibliothek in Tokyo in der Hand.

Kollege Carsten hatte mich auch mal auf der ITB besucht, ein paar mehr Bilder von der ganzen Messe gibt es in seinem Blog.

Das F-Wort
Im letzten Jahr fand die ITB ebenfalls um den 11. März herum statt. Als nun im letzten Jahr die Erde in Ostjapan wackelte und die Welle ins Land schwappte, strömten ein paar mehr oder weniger kompetente Journalisten auf die ITB zum Stand von Japan. Weil die anschließende Berichterstattung nicht ganz korrekt ablief und die Japaner zu der Zeit auch andere Sorgen hatten, als so zu tun, als gibts in Japan nur Kirschblüten und Samurai, entschloss man sich im letzten Jahr dazu, das Lager vorzeitig abzubrechen.

Nun, ein Jahr später, zum Jahrestag der Katastrophe, wo alle Medien voll sind mit Bildern aus Fukushima, war es natürlich nicht unbedingt leichter, Japan zu bewerben.
Ich zählte jeden Tag mit, wie oft ich nach Fukushima gefragt wurde. Insgesamt waren es nur 21 Personen, die sich bei mir erkundigten. Die meisten, die zu uns kamen, hatten entweder schon ihre Reise gebucht oder waren sich sicher in ihrer Absicht zu fahren. Unter denen, die fragten, waren auch einige völlig absurde Anfragen, bei denen Fakten, Fiktion, Zeitung und Stammtisch zu ganz fantastischen Geschichten aus dem Land des Atoms gebastelt wurden.


Spielten auch beim Abschlusskonzert – Trommler aus Okinawa (Kollege Tokyobling hat neulich auch welche abgelichtet)

Aufgeregt hatte mich allerdings nur eins: Am letzten Tag der Messe gab es ein Abschlusskonzert. Der letzte Auftritt gehörte dabei den Trommlern aus Japan. Die Broschüre der Messe, die auf den Auftritt aufmerksam machte, schrieb dazu: „In Andenken an Fukushima…“

Am Arsch.
Die Japaner spielten in Andenken an die fast 20.000 Menschen, die durch Erdbeben und Tsunami ihr Leben verloren. Niemand muss Fukushima gedenken, zudem nicht klar war, was denn nun aus Fukushima gedacht werden muss: der Stadt, der Präfektur oder doch dem Reaktor? Und so häufig, wie das AKW in den deutschen Medien auftaucht – braucht es da wirklich noch Trommeln zur Erinnerung?

Ich regte mich sehr über diese Formulierung auf. Die Japaner am Stand blieben jedoch ruhig. Sie sagten, es ist egal was die da schreiben, solange wir ihnen gedenken.
Recht haben sie.

Die Messe trommelte ordentlich auf mich ein. Nach diesen anstrengenden Tagen, mit runtergekühlter Luft in der Halle, die ständig neu verteilt, statt ausgetauscht wird, langen Gesprächen und vielen Menschen war ich einfach nur noch müde. Einen Tag nach dem Ende der Messe schon sollte es zurück zur nächsten Vorlesung gehen, nach der ich einfach nur noch ins Bett gefallen bin, hinein in einen Schlaf-Wach Zustand mit schlechten Filmen und gutem Essen.

Die ITB war intensiv – und genau das was ich brauchte. Ich war frustiert mit dem Dasein in Hannover, wo alles halbwegs aufregende nur mit der Uni zu tun hatte. In den fünf Tagen der Messe gab es so viele Kontakte, spannende Gespräche und aufregende Informationen wie in einem ganzen Semester nicht. Einmal mehr zeigte es mir, wie wichtig das eine Jahr in Tokyo für mich war – und ein bisschen Naivität.

Halle 9 in vier Dimensionen

Das 1. Semester ist vorbei. Zeit für für einen Rückblick auf die Themen, die ich für die Uni produziert habe.Folge 7

Wie fotografiert man Zeit?

Man kann in einzelnem Bild die Bewegung einfangen. Je länger die Belichtung, desto länger die Bewegung im Bild. Auf dem Foto sieht man dann allerdings nur ihre Spuren, ihr Echo in der Fotografie wenn man so will.

Man kann aber auch Zeit fotografieren, indem man alle Elemente im Bild herunterbricht bis nur noch die Zeit übrig bleibt. Bei zwei Bildern, bei denen alles gleich ist, die Perspektive, der Bildwinkel, der Fokus und die Höhe – bei denen ist der Unterschied zwischen den Bildern dann die Dimension der Zeit.

Die Serie ‚Halle9′ entstand für den Kurs Bildsprache. Das übergeordnete Thema war’Architektur‘, mit der konkreten Aufgabe die Architektur der Messe Hannover abzulichten, inkl. des ehemaligen Expo-Geländes. Ich hatte zunächst keine konkrete Idee, war aber interessiert das zu zeigen, was man von der Messe nicht sieht. Also Tunnel, Versorgungswege, unterirdische Gänge unterhalb des Geländes. Um Zugang zu den Tunneln zu bekommen musste ich mich durch das halbe Messebüro telefonieren, bis schließlich der Objektward einwilligte und mich rumführte. Er arbeitet seit über 20 Jahren für die Messe und war sichtlich froh jemanden mal en detail etwas über seine Arbeit und die Hallen zu erzählen.
Ich merkte allerdings schnell, dass die Tunnel niemals eine Serie tragen würden, da sie einfach visuell nicht ansprechend genug waren. Ein Nebensatz vom Objektward brachte mich dann aber auf die finale Idee. Wir standen in der weiten Leere der Halle 9 als er sagt: „….und am Wochenende ist hier eine Veranstaltung drinnen“.

Es brauchte schon einiges an Vorstellungskraft, um sich in der leeren Halle die zahlreichen Stände der Messe vorzustellen. Ich fand diesen Kontrast der Leere gegenüber der übervollen Messe recht spannend und wollte meine Serie darum bauen. Das Ergebnis ist ein Vorher/Nacher der Halle 9.

Ich hatte mir einen Plan der Messehalle geben lassen, an dem ich mich orientierte. Die Sichtachsen sollten den fertigen Gängen entsprechen. Stets die gleiche Höhe und stets die gleiche Brennweite. Die Schwierigkeit war allerdings nur, die selben Bilder 1:1 zu reproduzieren.

Nachdem ich einige Tage zuvor noch Bilder in der leeren Halle gesammelt hatte, kam nun der Tag der Veranstaltung. Ab 7 Uhr könnte ich fotografieren, ab 8 Uhr würde die Veranstaltung schon beginnen und ich müsste draussen sein.
Bevor ich allerdings fotografieren konnte, musste ich nochmal in die Uni, um mir die Fotos der leeren Halle auszudrucken um sie dann nachstellen zu können.

Die Nacht war also kurz. Um 4 Uhr früh stand ich auf, damit ich um 6 Uhr in der Uni sein konnte. Es war die kälteste Nacht des Winters, bis zu -20°C wurde gemessen. Mein Fahrrad sprang bei der Kälte nicht an, also musste ich es bis zur Uni schieben. Ich versuchte es noch an der Straßenbahnhaltestelle, doch als der Zug einfuhr bremste der Fahrer ab, sah mich beim Einfahren an und schüttelte den Kopf. Mit den Händen gestikulierte er nur die Regel, dass man in Hannover nur von 8 bis 15 Uhr Fahhräder mit in die Bahn nehmen durfte. Das es die kälteste Nacht des Jahres und der Zug um 5 Uhr früh nicht mal annährend halb voll war interessierte ihn dabei nicht. Also schob ich das Rad weiter durch die Kälte.

In der Uni waren um die Uhrzeit nur die Putzfrauen. Ich wärmte mich auf und druckte die Bilder aus. Ein angenehmer Zufall war es, dass die Halle 9 genau die Messehalle war, die der Uni am nähsten lag. Einfach über die Straße und schon war ich da. Nur hatte man anscheinend vergessen, dass ich komme.

Die Tür zum Messegelände war zu und mein Kontakt, den ich versuchte zu erreichen, anscheinend beim Frühstück. Ich klopfte ans Fenster doch unten hörte man mich nicht. Irgendwann rief mein Kontakt dann zurück. Er meinte, er kümmert sich drum, es könnte aber dauern. Bis dahin sollte ich warten. In der Kälte.

Als sich die Tür dann endlich öffnete waren meine Lippen blau und ohne Gefühl. Für Fotos war nun nicht mehr viel Zeit, aber zuvor brauchte ich erst was Warmes. Die Sicherheitsleute gaben mir ungern einen Kaffee aus, aber als sie meine Lippen sahen war ihnen klar, dass es nicht anders geht.

Etwas irritiert beobachtete mich die Security mit meiner Kamera. Da ich aber einen Plan in der Hand hatte und ständig mit ausgedruckten Fotos hantierte nahm man einfach an, ich wüsste schon was ich tue.

Zur Sicherheit hatte ich schon mehr Bilder gesammelt, als ich für die Serie brauchte. Denn einige Sichtachsen und Perspektiven waren nun zugestellt. Oder dort, wo ich in der leeren Halle auf einer freien Fläche stand, war nun ein großer Flachbildschirm im Weg.

Die Messe Hannover ist eine Enklave in Laatzen. Das Gelände selbst gehört zu Hannover, aber alles drum herum ist Laatzen. Vom Hauptbahnhof braucht es eine halbe Stunde mit dem Zug zur Expo-Plaza. Von mir in Laatzen-Grasdorf mit dem Fahrrad nur 15 Minuten.

Eine weitere leere Halle

Das Messegelände Hannover ist, laut Reiseführer, das größte Messegelände der Welt. Zwar wird seit der Expo die ganze Größe nicht mehr wirklich gebraucht, doch das Geschäft läuft. Die Cebit nächste Woche ist dabei die größte Veranstaltung.
Alles rund um das Gelände hat sich auf die Messe eingestellt. Einfamilienhäuser vermieten Zimmer für Besucher, die Bahn fährt nach Messe-Fahrplänen.

Die Weltausstellung zur Jahrtausendwende

In Berlin und in gesamt Ostdeutschland spricht man immer von vor oder nach der Wende, wenn von einem einschneidenden zeitlichen Ereignis die Rede ist. In Hannover höre ich oft eine ähnliche Formulierung: man spricht stets von vor oder nach der Expo. Die Weltausstellung, die vor 12 Jahren hier stattfand, ist noch präsent in den Köpfen.

Die Expo 2000 war und ist das größte was in Hannover im neuen Jahrtausend passiert ist. So schnell vergisst man das nicht.
Ich selbst war auf der Expo 2000 als Besucher. Mein Bruder hatte damals hier gearbeitet, was den Vorteil hatte, dass ich mir die langen Schlangen vor den Pavillons sparen konnte.

Heute studiere ich dort, wo mal die Expo war. Dazwischen liegen 11 Jahre, in denen ich nicht einmal an Hannover dachte. So kanns gehen.

An das Expo-Gelände hat nach der Expo auch kaum einer mehr gedacht. Mein Campus ist so gut wie tot, es gibt kaum Läden, Geschäfte oder überhaupt Passanten. Wer hierher kommt, will entweder zur Messe, zu einer der Schulen oder zu den wenigen Büros. Wenn Semesterferien sind und keine Messe stattfindet, sieht man keine einzige Seele auf dem Expo-Gelände. Und die ehemaligen Pavillons zerfallen.

Meine Uni, die FH Hannover, ist kein eigener Pavillon gewesen, sondern ein Global House. Mehr oder weniger ein Ort für Ideen, bei denen es nicht zu einem eigenen Pavillon gereicht hat und der Ort wo Verona Feldbusch, heute Pooth, zum ersten Mal das Wort ‚chillen‘ in einem Werbespot der allgemeinen Bevölkerung bekannt gemacht hat.

Die Geschichte meiner Uni begann also mit Verona Feldbusch und Ideen, die niemals groß werden sollten…

Na dann, auf ins 2. Semester.

Schutzmann für die Natur

Das 1. Semester ist vorbei. Zeit für für einen Rückblick auf die Themen, die ich für die Uni produziert habe.Folge 6

Die letzte Reportage in diesem Semester hatte das Thema ‚Ehrenamt‘. Der NABU Laatzen, bei mir um die Ecke in Grasdorf, gab mir dafür die Möglichkeit, ihren ehrenamtlichen Fotografen zu begleiten. Peter Saemann ist 73, war vor der Pensionierung Polizist und er fotografiert seit über 30 Jahren die Natur rund um den Fluß Leine. Die Bilder, die er für Diavorträge und Ausstellungen zur Verfügung stellt, sind fast schon sein Lebenswerk, auch wenn die Fotografie nur sein Hobby ist. Aber dazu erzählt er eigentlich schon selbst genug.
Für die Uni brauchte ich nur die Fotos, die Audio-Slideshow mit Interview habe ich einfach nur so geschnitten, weil ich Lust drauf hatte.

Das Naturschutzgebiet im Video habe ich hier direkt vor der Tür. Zu dem Zeitpunkt, als die Fotos entstanden, hatte es zuvor tagelang geregnet. Viele der Wasserflächen sind daher überflutete Felder und Wiesen. Mittlerweile sind diese kleinen Seen zugefroren und dienen als Schlittschuhstrecke in Grasdorf – mit dem Vorteil, dass man nicht einbrechen kann, da knapp 7cm unter der Oberfläche schon der Boden beginnt.

Da ich noch bis in die Semesterferien mit der Serie zu tun hatte, fehlte mir hier natürlich der kritische Kommentar vom Professor. Ich konnte nur mit meinen Kommilitonen eine Auswahl der Bilder machen. Durch ihre Kommentare habe ich dann schnell gemerkt, dass ich mich wieder zu sehr auf die visuellen Reize verlassen habe.
Ich habe nur Bilder von drei verschiedenen Szenen und so wirkt die Serie etwas dünn. Zwischenbilder oder andere Momente gibt es kaum. Ich hätte mir wahrscheinlich wie zu Beginn des Semesters eine Motivliste schreiben sollen, mit allen wichtigen Bildern, die ich brauche, um die Geschichte zu erzählen. Doch nach einem Semester und insgesamt fünf Reportagen wird man eben leichtsinnig.

So ende ich das Semester mit der Erkenntnis, dass ich wohl noch viel zu lernen habe.