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Japaranoia

Donnerstag war Welt-Handwaschtag. Was bedeutet das in einem Land wie Japan, wo es üblich ist, sich bei der Begrüßung nicht die Hand zu geben, sondern sich höflich und distanziert zu verbeugen? In einem Land, in der alle Schiss vor einer “Schweinegrippe” haben? In der Gesichtsmasken zum Schutz vor Bakterien im öffentlichen Nahverkehr so präsent sind, als würde die Pest jeden Tag Millionen Menschen dahin raffen?
Nun, das hier:

[youtube=http://www.youtube.com/watch?v=825gGELjB98&hl=de&fs=1&]

Und:

“Students in this area must wash their hands, gargle and spray hands with alcohol upon entering school,” he said. “Any time of the day, students are free to gargle, wash their hands and spray their hands with alcohol. They are allowed to wear masks if they want to.”

Yushi Yamada, a Tokyo fourth-grader, is learning the Japanese way early in life. He said he washes his hands four times a day, excluding the times after using the toilet.

“I know it’s very important,” he said.

But one mother at an elementary school said the school had alcohol hand gel. Some children licked it off their hands and became drunk.

via The L.A. Times

Zum Gel auch noch Alkoholgetränkte Taschentücher für Alle! So bleiben wir gesund.

“Es wächst in die Vertikale”

Tokyo ist… garnicht mal so groß wie ich das oft sage. Die meisten Häuser sind nicht höher als zwei Stockwerke. Und wenn ich in die kleine Seitenstraße neben unserem Haus hier in Shinjuku entlang gehe, so sieht es doch hier, im Zentrum einer der größten Metropolen der Welt, doch eher aus wie eine japanische Kleinstadt. Ein Vorort, mit Einfamilienhäusern und sogar einem Tempeln mittendrin. Bin gestern im Sonnenschein mal durch besagte Shoutengai rechts neben unserem Haus entlang spaziert. Feiertagsbedingt waren wenig Leute unterwegs und von an Laternen montierten Lautsprechern spielte leise Musik. Auf einmal wurde durch knarzige Lautsprecher “Downtown” von Peculia Clark gespielt:

[youtube=http://www.youtube.com/watch?v=WUSYb3igXzI&hl=de&fs=1&]

in der solchen Zeilen vorkommen wie:

Just listen to the music of the traffic in the city
linger on the sidewalk where the neon signs are pretty
how can you lose the lights are much brighter there
you can forget all your troubles forget all your cares

Bei dem Begriff “neon signs” muss ich immer an Tokyo denken… Schon merkwürdig. Zumal ich dieses Lied das erste Mal hörte, als meine Erdkunde-Lehrerin Frau Koblischke (nebenbei auch Musik-Lehrerin) ihn im Unterricht vorsang, um uns nen bestimmten Hinweis zu geben.

Ich schlich mich dann zum Tempel, einer Oase der Ruhe in Tokyo. Die einzigen Geräusche kamen vom Wind in den Bäumen, durch den die warme Abendsonne schien.

Ich habe bewusst die Kamera zuhaus gelassen. Fotografieren ist mein Job, und ich liebe es, aber selbst davon brauch ich mal ne Pause, um auch ein Foto nur für mich zu schießen, mit dem Herzen.

Doch genug davon, worauf ich eigentlich hinauswollte ist die Höhe von Tokyo. Meine eigene Höhe ist übrigens über japanischen Standard (jedoch weit unter deutscher Durchschnittsgröße), weswegen ich mich hier mal richtig groß fühlen kann 😉 Mein Zimmer ist ebenso japanisch klein, “wächst aber langsam in die Vertikale”, wie mein Mitbewohner gestern feststellte, nachdem ich ihm meine neuese Errungenschaft zeigte: Ein Bücherregal!

…welches ich durch halb Tokyo mittels U-Bahn transportieren musste:

Die meisten Zeit hab ich das Regal auf meinem Kopf balanciert, was selbst die Japaner merkwürdig fanden. Und das soll was heissen!

In meinem Zimmer stehen keine Möbel bis auf meine Futon auf dem ich penne und jede Nacht den Rücken malträtiere, und ein Tisch vom Vormieter. Sonst nur blanker Fußboden, auf dem meine ganzen wichtigen Dokumente und/oder Essensreste verstreut liegen. Das konnte so nicht weitergehen und über twitter fand ich dann ein Buchregal für 1000 yen (ca. 8€).

Ein Chinese, der seit 11 Jahren in Tokyo lebt (und an sich an diesem morgen derbe beim Rasieren geschnitten hatte… seine ganze linke Gesichtshälfte war rot und mit Pflastern zugeklebt) wollte sich vom Regal trennen um Platz zu machen zuhause. Er wohnte in Oshiage, das ist im östlichen Teil von Tokyo.

Also ich aus der Station heraustrat sah ich das:

Ein gigantisches Baugerüst was sich majestätisch zwischen den ganzen Wohnhäusern aufbaute und doch so seltsam platziert aussah. Solch ein großes Ungetüm zwischen all den kleinen japanischen Häusern.

Das ist der Tokyo Sky Tree, welcher in drei Jahren über 600m gewachsen sein soll, und damit ein bisschen weniger als doppelt so hoch wäre wie der Tokyo Tower, im Westen der Stadt.

Der Turm gehört zu einer Reihe von Projekten, die als “Rising East Project” zusammengefasst werden. Meiner Vermutung nach soll es diese östliche, etwas vom Zentrum entfernte Ecke von Tokyo wiederbeleben.


links: wie es mal aussehen soll, rechts: wie es grad aussieht

Viele Japaner fotografierten das Gerüst und viel mehr das Schild, wo der fertige Turm drauf war. Sie stellten sich davor und grinsten in die Kamera, als ob das Schild allein schon eine Sehenswürdigkeit ist.

Aber zugegeben, wenn der fertig ist, sieht der schon cool aus:

hoch
Quelle: japanite.com

Die Anwohner, die ich zum Turm befragte, sahen dem Ergebnis eigentlich recht positiv entgegen, gerade weil es diese Ecke etwas belebt, und neue Geschäfte hinzukommen. Der Hauptgrund für den Bau dieses Turms ist ein besserer Fernsehempfang, er soll größtenteils als Sendemast fungieren (und natürlich auch als Touristenfalle). Und ich glaube von dem Turm aus kann man wirklich gut fern sehen.

höher
Quelle: wikipedia.org

Das Ganze toppt eigentlich nur noch der Tokyo Millenium Tower der jedoch wohl nicht allzubald das Licht der Welt in Tokyo verdecken wird:

am höchsten

ebenso hoch

Der Turm soll(te) 840m hoch werden und als eigenständige Stadt funktionieren. Dieses Jahr sollte es eigentlich los gehen, aber da hat die Wirtschaftskrise wohl etwas Jenga gespielt, und wichtige Bauteile, nämlich Geld, entfernt.

Es macht durchaus Sinn in einer Stadt wie Tokyo und in einem Land wie Japan, in dem “Platz” zu den schwindenen Ressourcen gehört, konsequent in die Höhe zu bauen. Oder um es wie mein Mitbewohner zu sagen:

“Du wächst in die vertikale, Fritz. Evolutionshistorisch gesehen ist das ein sehr richtiger Schritt”

Trotzdem schlaf ich immernoch auf dem Fußboden, mit ner 5cm dicken Matte dazwischen. Auch wenn sich dieser Fußboden mal in 800m höhe befinden sollte, so sollten die Matratzen auch relativ dazu wachsen – sonst kann ich auch unten bleiben.

“you’re a journalist?!?”

Ich traf den neuen Außenminister Japans Katsuya Okada auf ein Sandwich – und neben mir, trafen ihn noch 200 andere, meist grauhaarige Journalisten aus der ganzen Welt, im Foreign Correspondent Club Japan.

Japan hatte ja im August gewählt, und diesmal anders als in den letzten 50 Jahren zuvor. Die neue Regierung hat auch schon neue Minister aufgestellt, während unsere frisch gewählte Merkel erst noch suchen muss.
Der neue Aussenminister heisst Katsuya Okada, ein Student der Tokyoter Elite-Uni Toudai ist durch mehrere Parteien gegangen bis er vor mehr als zehn Jahren die DPJ gründete, die seit Ende August nun Japan regiert.

Der Foreign Correspondent Club macht mehrmals im Monat solche Events, die eigentlich ganz spannend und für jeden Journalisten offen sind. Vorallem da sich die neue Regierung der Presse mehr öffnen möchte, als die Alte.
Ich wollte mir mal das ganze Spektakel anschauen, auch wenn ich keine Fragen an Herrn Okada, oder eine Redaktion, die mir das Ganze abnimmt, hatte.

Da bei solchen Sachen auch immer Dresscode herscht, ich aber nicht so wirklich Lust drauf hatte, traf ich ne elegante Schwarz/Weisse Lösung und machte mich auf den Taifun auf nach Ost-Tokyo.

Das sollt ich an dieser Stelle vielleicht auch mal erwähnen: Es zieht gerade ein Taifun landeinwärts auf Tokyo zu. Diesemal fliegt er nicht nur knapp dran vorbei, sondern wird direkt über der Metropole für Mistwetter sorgen. Es regnet schon seit Tagen, aber morgen soll es ganz Dicke kommen. Ich mach mir wenig Sorgen, ein Taifun wird von den Japanern meistens eh nur als Vorwand genutzt, schneller Feierabend machen zu können, da es bei diesen Winden und Regentropfen ja viel zu gefährlich sei, die U-Bahn nach Hause zu nehmen. (Das ist tatsächlich ihre Argumentation)

Den Foreign Correspendent Club Japan gibt es seit 1945, und ist dementsprechend eine traditionelle und vorallem alte Einrichtung. Alles etwas steif, und ich fiel dementsprechend auf. Zumal über 70%, der heut anwesenden Journalisten, Japaner waren. Bei der Rezeption wurde man schon leicht skeptisch:

“Hello, my name is Fritz Schumann, I have a reservation”
“Okay, are you a member?”
“No.”
“Are you from the embassy?”
“No.”
“Okay, are you working for a media?”
“No.”
“But you are a journalist??”
“Yes, I am.”
“Do you have a business card?”
“No.”
“You’re sure, you’re a journalist?”
“Yes, you want to see my press card?”
“No that’s fine, the room is over there, thank you”
“No, thank you…”

(wohlgemerkt eine Japanerin)

Im Raum war viel graues Haar und gedeckte Tische. Ich wusst nicht so recht wohin, also schaute ich erstmal aus dem Fenster, aus dem 20. Stock auf Tokyo im Taifun:

hier soll ein bild stehen
(naja gut, es sah nicht ganz so aus…)

Ich war auch nicht der Einzige, der die Aussicht genoss:

Ich fragte dann rum, wo ich denn sitzen soll. Es folgte wieder die Frage “you’re a journalist?” welches ich dann wieder bejahte. Ein älter Herr nahm mich dann beim Arm und führte mich zu den Pressetischen.
Ich nahm Platz neben dem Einzigen, der so fehl am Platz aussah, wie ich mich fühlte. So traf ich Chris, ebenfalls 21 Jahre alt und seit 5 Jahren (!) in Tokyo. Auf die Frage, warum er denn in Tokyo sei, sagte er mir, er hatte sich für das falsche Stipendium beworben. Er wollte sich eigentlich auf der High School für eine Uni bewerben, hatte das falsche Formular erwischt und ist dann mit einem Stipendium in Japan gelandet. Was ein Pech….
Nun arbeitet er für Reuters, was mit 21 Jahren schon ne verdammt krasse Leistung ist, find ich. Ich persönlich dachte immer, dass ich mit 21 Jahren in Tokyo als Journalist arbeite, ist schon eine echte Seltenheit. Und dann toppt das noch einer so verdient. Tokyo ist immer für Überraschung gut.

Nebenbei brachte der Kellner das Essen und fragte, ob ich Kaffee möchte. Ich sagte “iie” (sprich:[ihje]) was “nein” auf japanisch heisst. Scheinbar muss ich es so falsch ausgesprochen habe, dass es der Kellner als “Ja bitte, mach mir die Tasse bis oben hin voll!!” verstanden haben muss.

Dann betrat Herr Okada das Podium. Er bekam vom FCCJ-Präsidenten ein grünes Tuch (?) geschenkt, und nannte es “Ökofarbe”. Okada freute sich, auch weil er, so fügte er hinzu, leidenschaftlich Frösche sammelt und alles was dazugehört (Figuren, Bilder…), und die Farbe erinnert ihn an Frösche…
Danach war kurzes Posieren für die Kameras. Sofort hoppelten zehn Fotografen mit großen, schweren und teuren Kameras nach vorne und blitzen um die Wette. Nach zehn Klicks hoppelten sie wieder zurück.
Da ich ja mittlerweile gewohnt bin, bei Pressekonferenzen für meine kleine Kamera immer (zu Recht) ausgelacht zu werden, wartete ich, bis der erste Sturm vorbei war, und ging dann selbst nach vorne. Irgendwie hat der Herr Aussenminister mich wahrgenommen, und schaute direkt, etwas skeptisch, in meine Linse:

Er konsultierte dann noch seinen Nachbarn: “He, ist der da wirklich ein Journalist?”

*Seufz* “Scheint wohl so….”

Und dann gings los. Er hielt eine kleine Ansprache über seine und Japans Ziele in der Außenpolitik. Wichtige Punkte waren dabei die Allianz mit Amerika, eine Ost-Asien-Gemeinschaft (nach Vorbild der Europäischen Union) und ein bisschen Nordkorea gabs auch.

Zwischen Japan und Amerika gab es jüngst etwas Verstimmungen, da wohl Protokolle und Verträge der ehemaligen Regierung existierten, die durch gewisse Klauseln es den Amerikaner gestatteten, Raketen und Kernwaffen auf japanischen Boden zu lagern und zu stationieren. Die Japaner würden nun gerne erfahren, ob solche Waffen hier gelagert waren und wie das passieren konnte. Verständlicherweise verfolgt Japan eine absolute Anti-Atomwaffen-Einstellung, und bei diesem Thema sind sie sehr empfindlich.
Sollte es tatsächlich so sein, wie derzeit untersucht wird, dann ist es auch eine ausgemachte Sauerei.

Trotzdem betont Okada die Bedeutung der japanisch-amerikanischen Beziehung. So verweist er auch auf die Schutzfunktion der amerikanischen Truppen, die hier stationiert sind. Japan hat ja keine eigene Armee und gegen die Bedrohung aus Nordkorea hoffen sie eben auf die Amerikaner.

Nordkorea indes hat in der letzten Nacht eine erneute Gesprächs-
bereitschaft signalisiert. Der Aussenminister begrüßt das, äußert sich aber neben dem Hinweis, bei Gesprächen mit Nordkoreanern “Geduld und Durchhaltevermögen” mitzubringen, nicht viel mehr dazu.
Grundsätzlich blieb er in seinen Äußerungen recht knapp, sachlich und pragmatisch. Während Premier Hatoyama von Vision spricht, will er nicht so sprechen, sondern schauen, was sich bewegen lässt.

Seine Worte wurden unterschiedlich von den anwesenden Journalisten aufgenommen:

Es wurde interessiert zugehört:

…oder etwa doch geschlafen?

Es wurde immer alles in Japanisch oder Englisch übersetzt, von einer sehr komepetenten Übersetzerin. Doch manchmal musste man sich schon konzentrieren, um mitzukommen:

Japanische Journalisten sind bei Themen die Japan betreffen immer recht, nun ja, “höflich”. Es wird selten kritisch berichtet oder nachgefragt. So lag es an den ausländischen Journalisten (darunter zwei Deutsche, u.a. von der FAZ) ein paar kritische Fragen zu stellen. Allerdings gelang es nicht wirklich, aus dem eisernen Okada etwas konkretes oder neues herauszukommen.

Der 21 jährige von reuters, der mir gegenüber saß, war nur hier für “DIE story”. Vorzugsweise etwas bahnbrechendes über Nordkorea. Doch das kam nicht, und er fragte auch nicht danach.
Er beschrieb Journalismus als Spiel. Wer am schnellsten die Nachricht verbreitet, gewinnt. Der größte Konkurrenz zu reuters ist AP. Reuters muss immer schneller sein als AP, dann gewinnen sie.

Ist Journalismus wie Sport? Ich glaube ja. Es gibt auch hier Egozentriker, die allen beweisen müssen, wie toll sie sind. Es gibt auch hier Betrug. Und vorallem gibt es wie im Sport verschiedene Sportarten des Journalismus.
Ich persönlich möchte nicht dieses “Spiel” für reuters, AP oder DPA spielen, wo Tragödien nur noch zu schnellen Zeilen werden, gestorbene Schicksale zu Zahlen und Menschen zu gesichtslosen Quellen.

Trotzdem habe ich meinen Respekt für diese Forscher des globalen Wissens, der weltweiten Neuigkeiten. Ohne sie wüssten wir auch nur, was in unserem Kiez passiert. Doch ich persönlich möchte diesen Weg nicht gehen.

Es gibt ein Bild, das heut entstand und das mir sehr gefällt, weil so viel drauf passiert:

Die vielen Fotografen die Spalier stehen, um DAS Foto zu erwischen. Jedesmal wenn Okada eine Bewegung mit der Hand machte oder durch ein Augenrollen die eiserne Miene durchbrach, klickte eine wahre Shutter-Symphonie im anderen Ende des Saals. Danach wieder Ruhe.

Schauen wir uns nochmal das Bild an. Auffällig ist der Herr am Telefon, der verzweifelt telefoniert:

Wahrscheinlich muss auch er die Story möglichst schnell und vor den anderen nach draussen bringen – auch wenn er noch gar nicht weiss wie.

Unten links im Bild ist auch ein Fotograf, der mit leicht zugekniffen Augen und Fluppe(!) im Mund versucht ein gutes Bild auf 7m Distanz zu machen:

Was, wenn ich die Linse und seinen Blick richtig deute, nicht gelang.

Japanisch pünktlich wurde die Sitzung beendete und 200 Journalisten drängten sich in 3 viel zu kleine Aufzüge, um ja wieder fix in der Redaktion zu sein, um die Story noch vor den anderen rauszubringen. Das Alle schlussendlich die selbe Story haben, stört sie anscheinend nicht.

Hauptsache schnell.

…und Bush war auch schon da

Ein kleiner Kurztrip die Izu-Halbinsel runter, entlang einer der schönsten Bahnstrecken Japans, bis zu den Strände von Shimoda, dem Ort wo die Amerikaner das erste Mal in Japan landeten. Ein kleines Fischerdörfchen, das relativ unspannend war, dafür allerdings auch sehr entspannend.

Ich versuche mein Leben hier in Tokyo so zu gestalten, dass ich alle zwei Wochen mal aus der Stadt heraus komme. Diese Metropole kann einem schon wirklich ordentlich auf den Sack gehen, wenngleich sie auch sehr spannend ist. Und das Schöne an Tokyo ist eben, dass man nur ca. 2 Stunden fahren muss, und schon ist man in den Bergen, in den Wäldern, an der Küste oder auf ner Insel. Die Umgebung hier ist viel spannender als rund um Berlin, wo alles einfach nur flach ist.

Es gibt da ein bestimmtes Ticket der Japanischen Bahnbetriebe, das sich grob mit “Studententicket” übersetzen lässt, auch wenn man kein Student sein muss, um es zu nutzen. Man bezahlt einmalig 11.000 Yen (ca. 80€) und kann an fünf verschiedenen, nicht zusammenhängenden Tagen jeden Zug in Japan nutzen, außer dem Shinkansen und diverse Expresszüge.
Ich persönlich mag Zugfahren sehr, und habe auch nichts gegen eine Bimmelbahn-Reise.

Ich wollte mir diesen Ticket Anfang September besorgen, da die nur saisonal angeboten werden. Als ich reisen wollte, kündigte sich aber gerade ein Taifun an, und die Züge fuhren nicht. Zudem hatte ich auch nicht wirklich das Geld zum Verreisen.
Ich hatte nun aber das Glück, dass mir diese Studenticket geschenkt wurde. Es waren noch zwei Tage frei, und der Besitzer hatte keine Zeit, die auch zu nutzen, denn das Ticket war nur bis zum 10. September gültig. Ich hab das Ticket am 8.September erhalten und dann relativ spontan entschlossen, ein bisschen zu verreisen.

Am 9. September bin ich automatisch, ohne mir den Wecker gestellt zu haben, in aller Frühe aufgewacht. Mein Körper sehnte sich nach einer kleinen Reise und wachte ganz automatisch kurz nach Sonnenaufgang auf.
Zu dem Zeitpunkt wusste ich noch garnicht wohin ich wollte. Etwas schlaftrunken öffnete ich also den Lonely Planet auf einer zufälligen Seite, tippte mit dem Finger drauf und das war dann, wohin die Reise gehen sollte: Die Izu-Hanto (Izu Halbinsel)

weltraum
(Quelle: Wikipedia.de)

Die Izu-Hanto liegt Südwestlich von Tokyo, und bis zum südlichen Zipfel, nach Shimoda, habe ich mit den langsamen Zügen 4-5 Stunden gebraucht. Im Zug selbst habe ich dann nochmal genauer in den Lonely Planet geschaut, was es denn überhaupt auf der Halbinsel zu sehen gibt.

Der erste Stop war Atami:

Ein wirkliches hässliches Fleckchen Japan. Und das nicht nur, weil ich mal wieder ein echtes Glück mit dem Wetter hatte, und dunkle Wolken mich begleiteten.

Atami wurde in den 1960er Jahren als Touristenziel entdeckt und ziemlich gepusht. Hässliche Hotels wurden hochgezogen, alles Natürliche in diesem Fischerdorf mit Beton zugeschüttet und diverse Touristenfallen aufgemacht.
Was Atami früher ausmachte, ist nun weg. Dafür gibts lauter leere, hässliche, verfallende Bettenburgen. Ich habs da nur eine halbe Stunde ausgehalten und schnell meinen Zug nach Shimoda genommen.

Dieser Zug führt an einer der schönsten Bahnstrecken Japans entlang. Links ist der Ozean, Rechts sind die Berge. Das haben die Japaner erkannt, und Panorama-Fenster eingebaut, mit günstig platzierten Sitzen direkt davor:


(noch mit Bart, inzwischen komplett ab)

Da ich wiedermal unter der Woche verreist bin, waren eher Rentner mit mir im Zug. Die hatten aber schon die Erfahrung, und sich ein Bierchen mitgebracht, um die Aussicht richtig zu genießen:

Ich möchte nochmal betonen, wie direkt wir am Ozean vorbei gefahren sind. Das hier ist aus dem Panorama-Fenster gemacht, neben den Steinen lagen auch schon die Gleise:

Vielleicht hat sich Hayao Miyazaki für die Züge, die über Wasser fahren, aus seinem Meisterwerk “Spirited Away” von dieser Bahnstrecke inspirieren lassen.

trains

Die Zugfahrt war echt lang. Mittendrin wurde irgendwie ein Werbespot oder Fernsehbeitrag mit einem jungen, hübschen Mädchen gedreht. Zwischendurch kam dann noch ein Insekt reingeflogen, welches die Insassen relativ nervte, und alle versuchten es zu killen. Ich war dann der, dem es nach vielen Versuchen endlich gelungen war, und für die alte Dame, die neben mir saß, war ich dann DER Held. Als sie ausstieg hatte sie sich dann noch fünfmal bei mir bedankt.

Endlich in Shimoda angekommen, wollte ich erstmal ein Platz zum Übernachten suchen. Doch der Bahnbeamte wollte mich nicht durchlassen. Denn die ganze Strecke die Izu-Hanto runter wird von einer privaten Linie betrieben, mein Studenticket galt da nicht. Er bat mich also den Schildern zum Ticket-Schalter zu folgen:

…was mir dann irgendwie auch gelang. (Ernsthaft, wie kann man sich bei “Ticket” so dermaßen verschreiben? W und T sehen sich nicht mal ähnlich). Ich musste dann 1.500 Yen nachzahlen und ärgerte mich sehr.

In Shimoda angekommen begrüßte mich der übliche Touristen-Nepp, den ich erstmal ignorierte und zum Touri-Büro ging, um ein paar Infos zum Ort zu kriegen, und nen Platz zum Schlafen zu finden.

Das ergraute Pärchen im Touri-Büro sprach kein Englisch, weswegen ich mich auf mein Wörterbuch verlassen musste. Die Bezahlung für eine Nacht in nem Ryokan (japanisches Gasthaus) musste ich seltsamerweise im Touri-Büro leisten, was allerdings alles korrekt war. In Ländern wie Russland wär das ne Gelegenheit gewesen, zweimal zu kassieren, aber in Japan ist man ehrlich und korrekt.
Sie gaben mir dann noch ne sehr hilfreiche Walking-Map und meinten zum Schluss, dass mein Japanisch doch sehr gut sei. Das mussten sie mir allerdings dreimal sagen, denn bei den ersten zwei Malen reichte mein Japanisch nicht aus, um sie zu verstehen.

Das Ryokan war angenehm, preiswert und geräumig. Es wartete schon warmer grüner Tee auf mich und ein ausgelegter Futon. Zeit für den ersten Rundgang.

Shimoda war wie gesagt der Ort, wo die Amerikaner mit ihren “Black Ships” im Jahre 1854 das erste Mal gelandet sind. Deswegen ist Shimoda bei amerikanischen Touristen beliebt und die Stadt hat sich dementsprechend drauf eingestellt. So kann man die Black Ships für eine Rundfahrt buchen und es gibt die “Perry Road”, entlang kleiner Brücken über einen Fluss, wo der Kapitän Perry und seine Mannschaft damals residierte.

Am Ende dieser “Perry Road” steht ein Denkmal zu seinen Ehren, und direkt daneben eine Botschaft vom ehemaligen US-Präsidenten George W. Bush, der auch schon da war -oder zumindest ein Fax mit seiner Botschaft und Unterschrift schickte, genaues weiss man nicht.

US-Präsident Jimmy Carter war auch schon in Shimoda, und hat ebenso ein Denkmal bekommen wie Bush. Allerdings versteckt im Wald.

Hinter all dem Touri-Nepp versteckt sich schon noch ein nettes, verschlafenes Fischerdörfchen.

Doch außer ein paar Pseudo-Tempeln mit komischen Götzen

und Yakuza Katzen

hatte Shimoda nicht viel zu bieten an diesem Tag. Einer dieser Pseudo-Tempeln ist Okichi gewidmet, das war eine junge Geisha, die Perry dienen musste.

Die Legende von Okichi wird in vielen Varianten erzählt, hier gibt es eine davon. Die Version(en) die ich in Shimoda erfahren habe, geht so:

Okichi war als junges Mädchen wunderschön, weswegen sie schon mit 7 oder 8 Jahren nach Kyoto an ein Geisha-Haus verkauft wurde. Sie soll eine der schönsten Geishas dort gewesen sein, und war sehr erfolgreich (was immer das heissen mag). Sie verliebte sich dort in einen Edelmann (oder Soldat, je nach Story), doch bevor sie zusammen kommen konnte, wurde Okichi nach Shimoda geordert, um den Amerikanern zu dienen.
Shimoda war tottraurig, ihren Geliebten zu verlassen, doch sie machte sich mit 15 (oder 17 Jahren) auf den Weg nach Shimoda, um ihre Pflicht zu erfüllen. Es gibt Versionen der Geschichte, in der sie liebevoll von den Amerikanern behandelt wird. In anderen Versionen wurde sie auch zu körperlichen Diensten gezwungen…. So oder so, sie blieb ihrem Geliebten treu, und dachte nur an ihn.

Die Japaner dankten Okichi für ihre erfüllte Pflichten nicht, sondern verachteteten sie für ihren Umgang mit den Westlern. Als Geisha konnte sie nicht mehr arbeiten, also gab sie sich dem Alkohol hin. Ein wenig später machte sie auch eine Kneipe auf, wo sie allerdings ihr bester Kunde war. Mit 51 Jahren ertränkte sie sich schließlich.

Irgendwann haben die Japaner dann ihren Fehler eingesehen und seitdem wird Okichi verehrt. Die Geschichte wurde auch von Hollywood verfilmt, mit John Wayne (!) in der Rolle des Amerikaners.

Trotzdem fällt es mir schwer, die ganze Legende nicht nur als weitere Gelegenheit zu sehen, aus amerikanischen Touristen Geld zu pressen.

Ich war dann noch im Restaurant gegenüber Okichi’s Museum, was durchaus auch Okichis Kneipe gewesen sein könnte, wenn ich den Reiseberichten glauben mag. Das ich dort der einzige Gast war, hätte mir zu denken geben sollen. Das Udon, welches ich dort bestellte, war sättigend, aber auch etwas geschmacksfrei.
In einer vorzüglichen Bäckerei um die Ecke versorgte ich mich mit dem Rest, sah einen fantastischen Sonnenuntergang

und machte mich auf dem Heimweg. Am Abend lief dann ein großartiges Fußballspiel, welches ich allerdings schon in einem anderen Eintrag beschrieben hatte.

Am nächsten Morgen sah ich mich weiter in Shimoda um, das Wetter schlug um auf 28°C und sonnig, und ich suchte nen Strand auf.

Eben ein kleines Fischerdorf in den Bergen.

Aber Fischerdörfchen, die in den Bergen liegen, gibts auch nur in Japan.

Ich kam auch am Shimoda Grand Hotel vorbei, welches auch schon bessere Zeiten gesehen hatte:

Das muss seit mehreren Jahren leer stehen, und war inzwischen völlig mit Pflanzen überwuchert. Als Urban Explorer musste ich natürlich unbedingt rein!
Doch leider… leider versperrte ein 4m hohes Stahltor jeglichen Eintritt. Dazu lag das Ding an einer befahrenen Straße, hätte mich jemand beim Klettern erwischt, hätte bestimmt einer die Polizei gerufen, um den bösen, bösen Ausländer einzusperren. Hab mich über diese vergebene Chance sehr geärgert, zumal Shimoda fotografisch relativ unspannend war.

Vorbei an Eulen

und ab zum Strand!

Blaues Meer, blauer Himmel, eine warme Brise, Palmen… Es war schon traumhaft. Und absolut keine Touristen. Doch erst im Nachhinein, als ich mir meine eigenen Bilder angeschaut habe, wurde mir klar, wie schön es doch da war. Als ich dort war ist mir das entgangen, und ich dachte nur an das Geld, welches ich nicht habe, aber für diesen Trip ausgab.

Und natürlich gab es auch einen verstecken Schrein:

Jahrhunderte alte Treppen hinauf:

Und völlig überwuchert und versteckt, der Schrein:

Das geilste war, worauf dieser Schrein stand:

Einem Sandhügel, der jede Sekunde vom Meer weggetragen werden kann. 50cm links vom Schrein war der Hügel schon zuende, und es ging steil abwärts. Zum besseren Verständnis hab ich mal wieder eine Illustration gemacht:

Nachdem ich dann ne Stunde am Strand saß und aufs Meer schaute (fürs Baden wars zu kalt) machte ich mich wieder auf den Heimweg.

Ich bezahlte das selbe 1.500 Yen Ticket, um wieder zurück nach Atami zu kommen. Und ich ärgere mich heute noch, dass ich die bezahlte. Es folgt eine kleine Lektion, wie man bei der japanischen Bahn bescheissen kann:

Anders als in Deutschland, wird dein Ticket nur beim Betreten und Verlassen des Bahnhofs kontrolliert, nicht im Zug. Nun gibt es teure Züge und teure Linien, und billige. Die teilen sich allerdings oft ein und denselben Bahnhof, und die Bahnfutzis (meistens sinds eh Automaten) kontrollieren nicht, mit welchem Zug du gefahren bist.
Mein 1.500 Yen Ticket musste ich nie wieder vorzeigen, da in Atami wieder mein Studententicket akzeptiert wurde. Ich hätte einfach nur das billigste Ticket nehmen sollen, um in den Zug zu kommen, und dann die ganze Strecke durchfahren.

Trotzdem war es wieder eine schöne Strecke und ich konnte aus dem Zug sogar die Insel Oshima sehen, auf der ich auch schon war und eine wunderbare Zeit verbrachte.

Muss mal schauen, dass ich die Zeit finde, die Geschichte dazu auch aufzuschreiben.

Mit dem Studenten-Ticket bin ich dann noch kurz Richtung Westen, zur nächsten Station vorm Berg Fuji, weil ich den seit ich in Japan bin, nicht einmal gesehen habe. Und jeder(!) Reiseführer schreibt über jede(!!) Ecke von Japan, dass man an klaren Tagen den Fuji sehen kann. Doch so klare Tage sind mir bisher noch nicht begegnet.

Als ich in Mishima (ebenfalls kein schönes Fleckchen) ankam, fragte ich eine Japanerin, wo denn der Fuji ist. Mir fiel dann auf, dass sie einen leichten Sehfehler hatte, und konstant schielte. Sie meinte der Fuji ist da drüben, aber den sieht man heute nicht. Ich dachte, vieleicht liegt das auch nur an ihren Augen, also suchte ich mir ein hohes Haus, stieg die Treppe rauf und schaute. Und siehe da, da sieht man nichts.

Das dicke blaue unten ist der Fuji, eingebettet in Wolken.

Ich mag das Reisen. Besonders in Japan. Auch wenn es die nächsten Wochen wenig zu verreisen gibt. Noch weniger Geld auf dem Konto als damals, und einige Aufträge die anstehen erlauben es nicht. Oder wie es mein Mitbewohner treffen formulierte;

Das ist eben der “Working” Teil vom “Working Holiday” Visa

Allerdings macht der “Holiday” Teil sehr viel mehr Spaß.