blog

Drei Kilo Brüssel

Im EU-Parlament. So verwirrend wie die Politik manchmal.

Zurück aus Brüssel. Ich habe dort eine Reportage über den jüngsten deutschen Abgeordneten im Parlament der Europäischen Union gemacht. Er sagt, in Brüssel fragt man sich nicht, wie lange man schon da sei, sondern wie viele Kilo. Drei Kilo sind es bei ihm.

Drei Kilo wiegt auch meine neue Kamera, die ich vor einer Woche in Hamburg abholte. Drei Stunden im Zug von Hannover Richtung Norden, zwei Stunden in Hamburg ohne Fischbrötchen und drei Stunden zurück.
In Brüssel baumelte sie dann täglich von meiner Schulter.
Jetzt noch ne Woche Hannover, kurzes Zwischenspiel in Berlin und dann gehts weiter nach München. Ich glaube, dieses Semester verbringe ich mehr Zeit außerhalb von Hannover als in der Stadt.
Ob sich das auch lohnt, wird sich erst am Ende zeigen.

Revolution im Regal

Hajime Matsumoto hat die moderne japanische Demonstration erfunden. Zusammen mit anderen Freidenkern in Tokyo startete er nach dem Reaktorunglück in Fukushima eine Demonstrationsbewegung, die ganz Japan erfasste. Ich traf Hajime Matsumoto letzen Sommer in Koenji.
Mitarbeit: Nikki Kininmoth

(Anmerkung: Der Text ist schon etwas älter und bezieht sich noch nicht auf die Demonstrationen ein Jahr nach dem Reaktorunglück.)

Der Laden von Hajime Matsumoto ist nicht nur sein Leben, er ist seine Mission.
In einem abgenutzten Overall steht der 36-Jährige jeden Tag hinter der Theke seines Trödelgeschäfts im Westen von Tokyo. Er nennt ihn “Recycle-Shop”, man kann bei ihm gebrauchte Waren kaufen. Eine ungewöhnlich Einrichtung in einem Land wie Japan, in welchem der Konsum neuer Produkte zum guten Ton gehört. Doch hier in Koenji, einem alternativen Viertel für Künstler und Freidenker, gibt es einen großen Bedarf für seinen Laden. Denn neben Trödel führt er in seinem Geschäft auch revolutionäre Gedanken. Hier keimte die Idee für die Protestbewegung in Japan, die seit März 2011 in immer größeren Demonstrationen über Tokyo und den Rest des Landes zieht.

In Koenji wohnen die Organisatoren der Protestbewegung. Hajime Matsumoto ist ihr inoffizieller Anführer und sein Laden Treffpunkt. Viele der Ideen aus den Demos stammen von ihm und er ist maßgeblich an der Gestaltung der Massenproteste beteiligt. Man könnte ihn als Erfinder der modernen Demonstration in Japan bezeichnen. Fragt man ihn allerdings nach seiner Rolle in der Protestbewegung, spielt er sie höflich herunter. „Ich bin nur einer von vielen“ sagt Matsumoto und blickt dabei bescheiden auf seine Theke, auf der sich Souvenirs von Protestaktionen befinden.
Sein Geschäft ist dekoriert mit Bannern, Plakaten und Parolen von Demonstrationen aus der ganzen Welt. Der Großteil stammt aus Deutschland. Ein Poster gegen Stuttgart21 hängt neben einem beschrieben Bettlaken, auf dem gegen die Räumung des besetzten Hauses in der Liebigstraße in Berlin protestiert wird.

Vor Fukushima war Demonstrieren sein Hobby. Schon als Student erreichte er eine gewisse Berühmtheit, als er während seines Studiums der Politikwissenschaften in Tokyo für einen kleinen Eklat sorgte: Die Mensa hob ihre Preise um 20 Yen an und daraufhin besetzten er und seine Kommilitonen die Uni. Man müsse die Armut der Studenten „beschützen“, forderten sie – als sei die Armut ein bewusst gewählter Status im reichen Japan. Nach seinem Abschluss 2005 schrieb er Bücher zu dem Thema. Sie füllen heute ein Regal in seinem Geschäft. Mit Titeln wie „Aufstand der Armen“ wurden sie in mehrere Sprachen übersetzt und machten Matsumoto in anarchistischen Szenen in ganz Asien bekannt. Und er demonstrierte weiter.
Nur zu dritt besetzte er mit Freunden öffentliche Plätze. Sie forderten Wohnungen ohne Miete, das Recht auf Party und die Rückgabe konfiszierter Fahrräder. Mit kindlicher Freude erzählt er von diesen Spaß-Protesten, die er und seine Freunde damals nur aus Vergnügen machten.

Wenn er über Japan nach Fukushima redet wird er aber ernst. „Früher waren wir diejenigen, die Probleme verursachten. Heute kommt das Problem von außen und wir müssen etwas tun“ sagt er. Er spricht sehr freundlich und umgangssprachlich. Seine Augen glänzen, wenn er von den bisherigen Resultaten der Protestbewegung spricht.

Die erste Demo in Tokyo fand im April 2011 statt, einem Monat nach dem großen Beben im März. Nur wenige Tausend Menschen gingen damals auf die Straße. Ganz vorne mit dabei: Hajime Matsumoto mit seiner Gruppe „Shiroto no Ran“, welche wörtlich übersetzt „Aufstand der Amateure“ heißt. Der Name ist dem Titel eines seiner Bücher entnommen. Sie fordern vieles: mehr Bürgerrechte, Freiheit im öffentlichen Leben und den Ausstieg aus der Atomenergie. Viele Ziele aus ihrer Anfangszeit haben sie in die aktuelle Protestbewegung übernommen. Ihre Forderungen sind allerdings gesamt so bunt wie die Protest-Souvenirs im Geschäft von Hajime Matsumoto. Von allem is etwas dabei.

Zur gleichen Zeit, wie der ersten Demo in Japan, gingen in Deutschland eine Viertelmillion Menschen auf die Straße, um gegen Atomkraft zu demonstrieren. Doch diese wenigen tausend Personen in Tokyo waren ein absolutes Novum in einem Land, das seit den 60er Jahren keine großen Proteste mehr erlebte. In Japan spricht man nicht über Politik. Es gilt als unhöflich. Man möchte mit seiner eigenen Meinung den anderen nicht in Verlegenheit bringen. So mahnt bis heute Hajime Matsumoto bei jeder Planung der nächsten Demonstration: bloß nicht unbequem sein. Denn wer unbequem ist, wird nicht ernst genommen.

Die moderne Demonstrationsbewegung in Japan basiert auf Tradition. Ohne wirkliches historisches Vorbild im eigenen Land für Massenproteste, orientiert sich Matsumoto an etwas anderem: an den Matsuri, den traditionell japanischen Festivals, die im Sommer stattfinden. Meist werden sie begleitet von Bon-Odori, einem Straßentanz in bunten Kostümen. Durch die Ähnlichkeit zur Tradition war der Einstieg für viele unerfahrene Protestler einfach. Man bewegte sich auf der Demo wie bei einem Straßenfest. Nur wird statt eines Shinto-Schreins ein Nachbau vom Atomkraftwerk in Fukushima durch die Straßen getragen.

Die Proteste in Japan seit März wirken für viele in Tokyo wie ein Karneval, der mehr auf Klamauk als auf politische Veränderungen zielt. Man spottet über die Clowns aus Koenji, die in bunten Kostümen protestieren. Für sie gibt es keinen Unterschied zwischen den Spaß-Demos von früher und den Forderungen nach der Abschaffung von Atomkraft jetzt. Trotzdem finden die Demos mehr und mehr Zulauf. Bei der größten Protestaktion bisher, am 11. September, ein halbes Jahr nach dem großen Beben, kamen 70.000 Menschen zusammen.
Der kleinste Teil von ihnen kam aus Koenji.

Leipziger Allerlei


Ich war letzte Woche in Leipzig und habe etwas fotografiert, das gibt es nur noch zwei mal auf der Welt. Das Schönste daran: kaum einer kennt es. Und doch ist die Geschichte dahinter spannend und voller Herz.
Den Rest erzähl ich erst, wenn der Beitrag durch die Redaktionen ging. So viel habe ich inzwischen gelernt: Wenn man schon ein Thema exklusiv hat, sollte man es auch behalten – und sich beeilen es rauszuhauen, bevor es ein Anderer entdeckt.

In Leipzig übernachtete ich in der schönsten Wohnung die ich je betreten durfte. Aus ihr stammen auch die Impressionen oben.
Ich reise viel zur Zeit. Die Reportagen, die ich in diesem Semester für die Uni machen soll, will ich auch fernab von Hannover suchen. Das hat zum einen etwas damit zu tun, dass es im Studium in jedem Jahr ähnliche Reportage-Themen gibt wie im Vorjahr – und die Stadt somit zum größten Teil bereits totfotografiert ist. Es geht mir diesmal auch nicht nur darum, die reine Pflichtaufgabe zu erfüllen, sondern spannende und einzigartige Geschichten zu finden und zu erzählen. Da will ich mich nicht von Stadtgrenzen einschränken lassen. Und wenn ich nicht für Geschichten reise, recherchiere ich neue Themen und Reiseziele – oder bring alte zu Papier. Ich hab dieses Jahr noch nichts publiziert und das nagt etwas an mir. Zudem war Leipzig die erste Geschichte, die ich seit drei Monaten fotografierte. Ich hatte die Wochen zuvor stets schlechte Laune, von daher tat mir die Reise ganz gut.

Ich schreibe, reise, fotografiere, recherchiere. Nur eines mache ich nicht: bloggen. Es fehlt die Zeit. Sobald ich sie aber mal wieder finde, kann ich eine bunte Tüte Allerlei Themen öffnen.

Zwiebeln für Fukushima III – Tsunami im Sonnenuntergang

Im Sommer war ich mit einer Gruppe von freiwilligen Helfern in Minami-Soma, einem Ort in der Präfektur Fukushima – 40km vom Reaktor entfernt. Ein Teil des Ortes liegt im 20km Bannkreis rund um das havarierte Kraftwerk, die Mehrheit der Bevölkerung hat die Stadt bereits verlassen. Kontaminierter Reis und radioaktiv belastetes Gemüse sind hier ihr größtes Problem.Fortsetzung von Teil 1 und Teil 2

Es roch nach Meer. Unsere Wagen fuhren auf der Landstraße Richtung Küste. Die Fenster hielten wir trotzdem geschlossen, denn entfernt am Horizont konnte man schon das Kraftwerk erkennen. Neben uns gab es kaum ein Auto auf dieser Straße. Links und rechts nur leere Felder. Je näher wir allerdings der Küste kamen, desto klarer wurde uns, dass diese Felder nicht immer leer waren. Der Tsunami hat hier, ein paar Kilometer landeinwärts, alles umgepflügt. Die letzten Spuren sammelten sich am Straßenrand.

Von den Häusern stand meist nur noch das Dach. Das Erdgeschoss hatte die Welle mitgenommen.

Die weißen, eckigen Klötze sind Wellenbrecher, die sich an vielen Stränden von Japan finden lassen. Mit ihrem tonnenschweren Gewicht sollen sie eine Tsunami bremsen. Doch die Welle hat sie einfach mitgenommen.

Selbst die Abgrenzung einer Brücke wurde einfach gefaltet. Der Stahlbeton wurde angebrochen und die Welle rollte weiter.

Die Boote, die von der Welle getragen wurden, lagen ein halbes Jahr nach der Katastrophe immer noch auf dem Trockenen, während unsere Karavane von zwei Trucks und einem LKW weiterzog.

Wir wendeten und bogen wieder auf den Expressway ab. Selbst bis dahin hatte es die Welle geschafft.

Im Auto war es still. Keiner wollte reden, keiner konnte reden. Nach über 30 Stunden auf den Beinen und all den Eindrücken waren wir einfach nur noch müde.

Die Sonne ging unter und Fukushima wirkte seltsam idyllisch. Selbst die Wracks und Ruinen wirkten im Abendlicht friedlich. Ein halbes Jahr später waren viele der freien Flächen, die von der Tsunami entwurzelt wurden, wieder begrünt.

Im nächsten Bergdorf hielten wir für eine Zigarette an. Die Ruhe und die Schönheit im warmen Licht liessen kurz die Dramatik der Situation vergessen. Doch schon beim nächsten Straßenschild wird wieder klar, wo man hier eigentlich ist.

Unser Fahrer, seit mehreren Stunden am Steuer, hatte nichts gegen einen Wechsel. Doch ich habe nicht mal einen Führerschein in Deutschland. Mein kanadischer Kollege probierte es dann noch, verwechselte aber zu oft die Bremse mit dem Gas. Den Weg nach Tokyo schaffe er noch, sagte der Fahrer, und dirigierte den Kanadier vom Lenkrad weg. Er lachte erschöpft. Wirklich sicher fühlte ich mich nicht, aber ich war zu müde um Beschwerde einzulegen.

In den folgenden drei Stunden auf dem Expressway Richtung Tokyo nickte ich oft ein. Mal nur für Sekunden, mal für eine halbe Stunde. Jedes Mal wenn ich die Augen wieder aufmachte war die Szenerie eine andere.

Irgendwann machte ich sie wieder auf und war in Tokyo. Wir waren die ersten am Treffpunkt. Die anderen hatten wir im Feierabendverkehr verloren. Wir tauschten noch Kontaktinformation aus, klopften uns für unsere Arbeit auf den Rücken und gingen unserer Wege. Mit dem Duft von der Arbeit in Fukushima am Shirt, hatte ich kein Problem einen Platz in der U-Bahn zu finden.
Zu der Zeit übernachtete ich noch bei einem befreundeten Deutschen, der selbst schon als Freiwilliger in Nordjapan aushielf. Er schlief schon, als ich mit dem letzten Zug der Nacht in die Haustür polterte.
Ich nahm den Akku aus der Kamera, verstaute die vollen Speicherkarten und fiel in den Futon. Sieben Stunden später sollte der nächste Fotoauftrag beginnen.
Gute Nacht, Fukushima.

Epilog
Es ist jetzt über ein Jahr her, dass Fukushima mit einem Schlag den selben Bekanntheitsgrad wie Hiroshima und Chernobyl erreichte. Als ich dort war, vor sechs Monaten, war noch nicht abzusehen, wie lange Fukushima noch in den Köpfen bleibt. Heute würde ich sagen, dass es für die nächsten Dekaden so sein wird.
Doch bei den innerparteilichen Debatten und dem ständigen Blick auf den deutschen Bauchnabel werden oft die Menschen aus Fukushima vergessen. Jeder in Deutschland kennt Fukushima, kaum einer kennt die Bewohner von Minami-Soma und ihre Probleme.

Was mich angeht: Ich habe keine Lust mehr auf Fukushima. Die Welle und das Kraftwerk haben bei mir nicht viel verändert – wohl aber bei denen, für die ich arbeite und mit denen ich zu tun habe. Japan wird beschränkt auf eine Katastrophe und ich als Journalist werde gedrängt, darüber zu schreiben. Ich habe viel dazu recherchiert und viel dazu geschrieben. Ich habe keine Lust mehr.
Ich habe keine Lust mehr ständig auf ein Ereignis von vor einem Jahr zu blicken. Ich hab keine Lust mehr, die ewig gleichen Bilder und Texte dazu zu sehen.

Fukushima ist vorbei. Wie geht es weiter?
Das ist die spannende Frage. Darauf habe ich Lust.