Weiß zu Blau


Ich bin zurück aus Bayern. Diesmal war allerdings der Weg das Ziel: eine Reportage über den Nachtzug Hamburg-München.

Nachdem der Zug sein Ziel erreichte, stieg ich etwas irritiert aus. Ich hatte mich zwar auf die Reportage, nicht aber auf die Stadt vorbereitet. So ließ ich mich nur planlos treiben.
Ich war am Montag morgen noch in Berlin und frühstückte, am Nachmittag fuhr ich nach Hannover, wo ich noch kurz Abendessen im Topf erwärmte und dann ging es schon weiter zum Zug. Zwischen Frühstück in Berlin und der Couch in München lagen dann 38 wache Stunden.

Natürlich habe ich in der Zeit ein paar Kurse verpasst. Ebenso verbaue ich mir mit Themen, die etwas außerhalb liegen, die Chance, erneut hinzugehen um Fotos zu machen, die der Professor vermissen könnte. Doch ich hatte Lust auf das Thema und Lust auf Reisen.

Die Geschichten, die ich mache, sind mir wichtiger, als die Noten die ich dafür kriege.
Die Menschen, die ich begleite, find ich spannender, als eine hohe Anwesenheitsquote.
Die Reisen, die ich oft selbst finanziere, genieße ich mehr, als die Möglichkeit mehrmals im Monat ausgehen zu können.

Fotografie und Journalismus sind dabei für mich nur das Mittel zum Zweck. Und je besser meine Fähigkeiten sind, desto mehr Chancen habe ich, spannende Menschen und Orte zu entdecken.

Das Semester neigt sich dem Ende zu und viele Bilder muss ich noch machen. Doch nach Leipzig, Brüssel und München mache ich die restlichen Sachen nur noch hier. Meine Topfpflanzen werden mir die Anwesenheit danken…

Zum Schluss gibts noch etwas zu gewinnen:

Wer mir den korrekten Zusammenhang zwischen diesen beiden Bildern aus München nennen kann, bekommt einen 20x30cm Abzug von einem meiner Fotos zugeschickt. Welches Motiv es sein soll darf sich der Gewinner aussuchen. Die Antworten bitte in die Kommentare.

Was verbindet diese beiden Bilder?

Drei Kilo Brüssel

Im EU-Parlament. So verwirrend wie die Politik manchmal.

Zurück aus Brüssel. Ich habe dort eine Reportage über den jüngsten deutschen Abgeordneten im Parlament der Europäischen Union gemacht. Er sagt, in Brüssel fragt man sich nicht, wie lange man schon da sei, sondern wie viele Kilo. Drei Kilo sind es bei ihm.

Drei Kilo wiegt auch meine neue Kamera, die ich vor einer Woche in Hamburg abholte. Drei Stunden im Zug von Hannover Richtung Norden, zwei Stunden in Hamburg ohne Fischbrötchen und drei Stunden zurück.
In Brüssel baumelte sie dann täglich von meiner Schulter.
Jetzt noch ne Woche Hannover, kurzes Zwischenspiel in Berlin und dann gehts weiter nach München. Ich glaube, dieses Semester verbringe ich mehr Zeit außerhalb von Hannover als in der Stadt.
Ob sich das auch lohnt, wird sich erst am Ende zeigen.

Revolution im Regal

Hajime Matsumoto hat die moderne japanische Demonstration erfunden. Zusammen mit anderen Freidenkern in Tokyo startete er nach dem Reaktorunglück in Fukushima eine Demonstrationsbewegung, die ganz Japan erfasste. Ich traf Hajime Matsumoto letzen Sommer in Koenji.
Mitarbeit: Nikki Kininmoth

(Anmerkung: Der Text ist schon etwas älter und bezieht sich noch nicht auf die Demonstrationen ein Jahr nach dem Reaktorunglück.)

Der Laden von Hajime Matsumoto ist nicht nur sein Leben, er ist seine Mission.
In einem abgenutzten Overall steht der 36-Jährige jeden Tag hinter der Theke seines Trödelgeschäfts im Westen von Tokyo. Er nennt ihn “Recycle-Shop”, man kann bei ihm gebrauchte Waren kaufen. Eine ungewöhnlich Einrichtung in einem Land wie Japan, in welchem der Konsum neuer Produkte zum guten Ton gehört. Doch hier in Koenji, einem alternativen Viertel für Künstler und Freidenker, gibt es einen großen Bedarf für seinen Laden. Denn neben Trödel führt er in seinem Geschäft auch revolutionäre Gedanken. Hier keimte die Idee für die Protestbewegung in Japan, die seit März 2011 in immer größeren Demonstrationen über Tokyo und den Rest des Landes zieht.

In Koenji wohnen die Organisatoren der Protestbewegung. Hajime Matsumoto ist ihr inoffizieller Anführer und sein Laden Treffpunkt. Viele der Ideen aus den Demos stammen von ihm und er ist maßgeblich an der Gestaltung der Massenproteste beteiligt. Man könnte ihn als Erfinder der modernen Demonstration in Japan bezeichnen. Fragt man ihn allerdings nach seiner Rolle in der Protestbewegung, spielt er sie höflich herunter. „Ich bin nur einer von vielen“ sagt Matsumoto und blickt dabei bescheiden auf seine Theke, auf der sich Souvenirs von Protestaktionen befinden.
Sein Geschäft ist dekoriert mit Bannern, Plakaten und Parolen von Demonstrationen aus der ganzen Welt. Der Großteil stammt aus Deutschland. Ein Poster gegen Stuttgart21 hängt neben einem beschrieben Bettlaken, auf dem gegen die Räumung des besetzten Hauses in der Liebigstraße in Berlin protestiert wird.

Vor Fukushima war Demonstrieren sein Hobby. Schon als Student erreichte er eine gewisse Berühmtheit, als er während seines Studiums der Politikwissenschaften in Tokyo für einen kleinen Eklat sorgte: Die Mensa hob ihre Preise um 20 Yen an und daraufhin besetzten er und seine Kommilitonen die Uni. Man müsse die Armut der Studenten „beschützen“, forderten sie – als sei die Armut ein bewusst gewählter Status im reichen Japan. Nach seinem Abschluss 2005 schrieb er Bücher zu dem Thema. Sie füllen heute ein Regal in seinem Geschäft. Mit Titeln wie „Aufstand der Armen“ wurden sie in mehrere Sprachen übersetzt und machten Matsumoto in anarchistischen Szenen in ganz Asien bekannt. Und er demonstrierte weiter.
Nur zu dritt besetzte er mit Freunden öffentliche Plätze. Sie forderten Wohnungen ohne Miete, das Recht auf Party und die Rückgabe konfiszierter Fahrräder. Mit kindlicher Freude erzählt er von diesen Spaß-Protesten, die er und seine Freunde damals nur aus Vergnügen machten.

Wenn er über Japan nach Fukushima redet wird er aber ernst. „Früher waren wir diejenigen, die Probleme verursachten. Heute kommt das Problem von außen und wir müssen etwas tun“ sagt er. Er spricht sehr freundlich und umgangssprachlich. Seine Augen glänzen, wenn er von den bisherigen Resultaten der Protestbewegung spricht.

Die erste Demo in Tokyo fand im April 2011 statt, einem Monat nach dem großen Beben im März. Nur wenige Tausend Menschen gingen damals auf die Straße. Ganz vorne mit dabei: Hajime Matsumoto mit seiner Gruppe „Shiroto no Ran“, welche wörtlich übersetzt „Aufstand der Amateure“ heißt. Der Name ist dem Titel eines seiner Bücher entnommen. Sie fordern vieles: mehr Bürgerrechte, Freiheit im öffentlichen Leben und den Ausstieg aus der Atomenergie. Viele Ziele aus ihrer Anfangszeit haben sie in die aktuelle Protestbewegung übernommen. Ihre Forderungen sind allerdings gesamt so bunt wie die Protest-Souvenirs im Geschäft von Hajime Matsumoto. Von allem is etwas dabei.

Zur gleichen Zeit, wie der ersten Demo in Japan, gingen in Deutschland eine Viertelmillion Menschen auf die Straße, um gegen Atomkraft zu demonstrieren. Doch diese wenigen tausend Personen in Tokyo waren ein absolutes Novum in einem Land, das seit den 60er Jahren keine großen Proteste mehr erlebte. In Japan spricht man nicht über Politik. Es gilt als unhöflich. Man möchte mit seiner eigenen Meinung den anderen nicht in Verlegenheit bringen. So mahnt bis heute Hajime Matsumoto bei jeder Planung der nächsten Demonstration: bloß nicht unbequem sein. Denn wer unbequem ist, wird nicht ernst genommen.

Die moderne Demonstrationsbewegung in Japan basiert auf Tradition. Ohne wirkliches historisches Vorbild im eigenen Land für Massenproteste, orientiert sich Matsumoto an etwas anderem: an den Matsuri, den traditionell japanischen Festivals, die im Sommer stattfinden. Meist werden sie begleitet von Bon-Odori, einem Straßentanz in bunten Kostümen. Durch die Ähnlichkeit zur Tradition war der Einstieg für viele unerfahrene Protestler einfach. Man bewegte sich auf der Demo wie bei einem Straßenfest. Nur wird statt eines Shinto-Schreins ein Nachbau vom Atomkraftwerk in Fukushima durch die Straßen getragen.

Die Proteste in Japan seit März wirken für viele in Tokyo wie ein Karneval, der mehr auf Klamauk als auf politische Veränderungen zielt. Man spottet über die Clowns aus Koenji, die in bunten Kostümen protestieren. Für sie gibt es keinen Unterschied zwischen den Spaß-Demos von früher und den Forderungen nach der Abschaffung von Atomkraft jetzt. Trotzdem finden die Demos mehr und mehr Zulauf. Bei der größten Protestaktion bisher, am 11. September, ein halbes Jahr nach dem großen Beben, kamen 70.000 Menschen zusammen.
Der kleinste Teil von ihnen kam aus Koenji.

Leipziger Allerlei


Ich war letzte Woche in Leipzig und habe etwas fotografiert, das gibt es nur noch zwei mal auf der Welt. Das Schönste daran: kaum einer kennt es. Und doch ist die Geschichte dahinter spannend und voller Herz.
Den Rest erzähl ich erst, wenn der Beitrag durch die Redaktionen ging. So viel habe ich inzwischen gelernt: Wenn man schon ein Thema exklusiv hat, sollte man es auch behalten – und sich beeilen es rauszuhauen, bevor es ein Anderer entdeckt.

In Leipzig übernachtete ich in der schönsten Wohnung die ich je betreten durfte. Aus ihr stammen auch die Impressionen oben.
Ich reise viel zur Zeit. Die Reportagen, die ich in diesem Semester für die Uni machen soll, will ich auch fernab von Hannover suchen. Das hat zum einen etwas damit zu tun, dass es im Studium in jedem Jahr ähnliche Reportage-Themen gibt wie im Vorjahr – und die Stadt somit zum größten Teil bereits totfotografiert ist. Es geht mir diesmal auch nicht nur darum, die reine Pflichtaufgabe zu erfüllen, sondern spannende und einzigartige Geschichten zu finden und zu erzählen. Da will ich mich nicht von Stadtgrenzen einschränken lassen. Und wenn ich nicht für Geschichten reise, recherchiere ich neue Themen und Reiseziele – oder bring alte zu Papier. Ich hab dieses Jahr noch nichts publiziert und das nagt etwas an mir. Zudem war Leipzig die erste Geschichte, die ich seit drei Monaten fotografierte. Ich hatte die Wochen zuvor stets schlechte Laune, von daher tat mir die Reise ganz gut.

Ich schreibe, reise, fotografiere, recherchiere. Nur eines mache ich nicht: bloggen. Es fehlt die Zeit. Sobald ich sie aber mal wieder finde, kann ich eine bunte Tüte Allerlei Themen öffnen.